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Einfach mal so – nur reden: die Mutsprechstunde

2011-01-Mut1

„Entschuldigung, ich habe mal eine Frage an Sie.“ Ein Mann mittleren Alters rief mich in meiner Praxis für Psychotherapie an, in der ich seit Juli 2010 als Heilpraktikerin tätig bin.

fotolia©jeremias münch„Ja bitte, wie kann ich Ihnen helfen?“ antwortete ich.

„Ich möchte fragen, ob Sie auch eine psychologische Schulung anbieten?“

Ich hatte den Begriff psychologische Schulung noch nie gehört und fragte nach, was er denn genau damit meine.

„Wissen Sie, ich möchte keine Therapie machen. Das Wort hört sich irgendwie an, als hätte ich ein psychisches Problem. Ich habe ein Problem, aber ich bin nicht verrückt. Es bezieht sich eher auf ein Problem, das ich mit einer anderen Person habe, ich möchte nur einfach mal mit jemandem darüber sprechen.“

Wir vereinbarten ein Erstgespräch für die kommende Woche.

Zwei Tage später erhielt ich den Anruf einer jungen Frau, die sich für einen Vortrag, den ich über Angststörungen halten wollte, anmeldete.

„Eigentlich würde ich ja mal ganz gerne zu Ihnen in die Praxis kommen, aber ich habe gerade eine Therapie hinter mich gebracht und sehe hier für mich keinen Bedarf. Schade, dass man nicht einfach mal so mit Ihnen sprechen kann.

Ich fragte sie, wie sie denn darauf komme, dass man nicht auch einfach so mit mir reden könne.

„Ja, sie sind doch eine Praxis für Psychotherapie und eine Therapie möchte ich nicht erneut machen. Ich habe nach meiner Therapie noch einige Schwierigkeiten, meinen Alltag zu meistern. Das wäre mein Anliegen, aber auf keinen Fall strebe ich langwierige Sitzungen an. Das will ich nicht und leisten kann ich mir das auch nicht, weil sie ja privat abrechnen.“

Daraufhin antwortete ich ihr, dass ich auch Beratungen anbiete.

„Nein, hören Sie mir auf. Wenn ich nur schon Beratung, Praxis oder Psycho höre, wird mir ganz schlecht.“

Ich blieb verunsichert und irritiert zurück.

Seit meiner Praxiseröffnung war ich sehr bemüht, ein großes Feld an Angeboten für meine Klienten bereitzuhalten. In meinem Programm befinden und befanden sich: Einzel- und Gruppentherapie, Hausbesuche und eine Onlineberatung.

Die Anrufe ließen mir keine Ruhe. Was wollten die Menschen? Was war ihnen wichtig? Was sie nicht wollten, hatten sie mir ja bereits gesagt, aber wo ich eine Lücke finden konnte, war mir schleierhaft. Und frei nach dem Prinzip: Lass dein Unterbewusstsein für dich arbeiten, wurde mir plötzlich einiges klar.

Ich hatte bei dem Aufbau meiner Praxis sehr kompliziert und perfektionistisch gedacht. Mein Bestreben war es, Qualität zu zeigen, und somit wählte ich natürlich für mein Praxisschild auch die Bezeichnung „Praxis für Psychotherapie“. Außerdem war ich recht stolz auf mich, als ich mich nach einigen Jahren Vorbereitung, Weiterbildung und bestandener Überprüfung nun endlich „Heilpraktikerin für Psychotherapie“ nennen durfte. Ich hatte wirklich nicht angenommen, dass dies vielleicht auch eine Abschreckung für einige Menschen sein könnte.

Ich bin vor 18 Jahren an einer Angststörung erkrankt, die ich glücklicherweise durch entsprechende Behandlung, viel Ausdauer und Geduld bewältigt habe. Ich lebe seit über 12 Jahren „angstfrei“, d. h. ohne die Angst, die mein Leben einschränkte.

Über meine Erfahrungen, die ich in dieser Zeit gesammelt habe, habe ich drei sehr humorvolle (man soll es kaum glauben) und doch einfühlsame Bücher geschrieben. Diese Bücher schrieb ich einige Zeit bevor ich mich dazu entschied, mich für die Heilpraktiker- Psychotherapie-Überprüfung anzumelden. Außerdem hatte ich die Selbsthilfegruppe „Keine Angst – es ist nur Angst“ in Krefeld gegründet.

Bis heute bekomme ich aus ganz Deutschland eine große Resonanz zu meinen Büchern. „Sie haben mir Mut gemacht“ oder „Das hat mir wieder Mut gegeben“. Auch die Aussagen der Selbsthilfegruppe freuen mich. „Danke Alex, jetzt hab ich wieder Mut“ ist eine davon.

Und so erkannte ich für mich, was Menschen in schwierigen Situationen brauchen: Mut! Dies war für mich die Geburt der Mutsprechstunde.

Viele Menschen unter uns brauchen Mut in ihrem Alltag. Mut, um ein Problem zu erkennen und anzugehen. Mut, um sich selbst endlich kennen zu lernen. Mut, Schwäche zeigen zu können. Mut, um leichter zu leben. Unabhängig davon, ob sie an einer Krankheit leiden oder nicht.

Als ich meine Homepage erstellte, war mir von Anfang an klar, dass ich unter meinen „Qualifikationen“ meine eigene Erkrankung angeben wollte. Einige Bekannte rieten mir davon ab. Meine Antwort war jedoch: „Das ist mein persönlicher Beweis, dass ich sehr mutig gewesen bin, und ich finde, dass macht mich sehr glaubwürdig.“ Meine Mutsprechstunde richtet sich an Erwachsene und Kinder. Sie wird sehr gut angenommen.

Vielleicht kann dieser Bericht dazu beigetragen, Kollegen Mut zu machen, ihren eigenen Weg zu gehen, das würde mich sehr freuen und ich wünsche allen weiterhin viel Erfolg und Mut.

Gerne möchte ich zum Ende meiner Geschichte zwei Zitate nennen, die mir sehr viel bedeuten:

„Es gehört oft mehr Mut dazu, seine Meinung zu ändern, als ihr treu zu bleiben.“

„Wenn man eigene Spuren hinterlassen will, darf man nicht in die Fußstapfen von anderen Menschen treten.“

Meine Bücher:

  • Keine Angst – es ist nur Angst: Oder: Humor ist, wenn man nachher drüber lacht!
  • Kopfsalat: Oder der Versuch meine Angst zu verstehen
  • Die Dame in Schwarz: Oder warum ich mit Depressionen nicht gastfreundlich bin

Alexandra Reiners Alexandra Reiners
Heilpraktikerin für Psychotherapie
www.praxis.alexandra-reiners.de