Wenn ich die Aufgabenstellung richtig verstanden habe, dann soll diese Rubrik vor allem denen dienen, die neu anfangen. Wie haben es die alten Hasen gemacht? An was kann ich mich orientieren? Wo ist der rote Faden, welche Fehler kann ich wie vermeiden und wie werde ich erfolgreich? Meine ersten Entwürfe für diesen Artikel waren saubere Werbetexte, die sich hervorragend in einem Hochglanzprospekt für die Soulfit Factory gemacht hätten. Das Abrakadabra einer erfolgreichen 13-jährigen Laufbahn. Es hat tatsächlich Zeiten gegeben, da hätte ich den verstocktesten Kartoffelbauern davon überzeugen können Psychotherapeut zu werden, und neben der begeisterten Motivation klare Handlungsanweisungen nach dem Motto: "Man nehme Dr. ..." geben können. Doch momentan befinde ich mich in einer Phase, in der ich jedem Anfänger raten würde, schreiend das Weite zu suchen und diesen Beruf weiträumig zu umfahren. Warum? Zum einen, weil ich vor einem Jahr einen vernichtenden Rückschlag erlebte und zum anderen, weil diese Phasen in jeder beruflichen Laufbahn vorkommen. Vor allem in der Lebensphase zwischen 45 und 55 ziehen die meisten Menschen Bilanz und überlegen rückblickend, was sie hätten anders machen können, um dann neue Weichen zu stellen. Genau da befinde ich mich im Moment und stelle fest, dass ich vielen Menschen bei der Verwirklichung ihrer Träume behilflich war, während ich die Chancen übersah, die ich selber als Sängerin und/oder Journalistin gehabt hätte. Heute behaupte ich, dass in jedem Psychotherapeuten etwas steckt, was sich nicht zu leben traut, und um die Lebensmitte herum wird er/sie mit der Trauer um die vertane Zeit konfrontiert. Bis vor einem Jahr hätte ich die Betätigung in der Psychotherapie als meine Berufung und die befriedigendste Betätigung der Welt angesehen. Aber dann kam es zum Supergau. Im Juli 2003 feierten wir das 5-jährige Bestehen der Soulfit Factory. Wir wollten Geschäftspartner, Klienten und Musikkunden einladen, die vielen gemeinsamen großen und kleinen Erfolge feiern und den vielen schwierigen Zeiten und den Tränen, die in unserem Haus geweint wurden, Rechnung tragen.
Es gab einige Projekte, über die wir allen Grund zur Freude hatten, so z.B. den "Tigertreff". 30 Leute hatten sich in vier Gruppen organisiert, die unter
meiner Leitung Selbsterfahrung betrieben. Was als Experiment im engsten Freundeskreis begonnen hatte (der Kreis existiert heute noch unter dem Begriff "
die Alttiger") hatte eine Marktnische getroffen für Menschen, die ein tieferes Interesse an geistig-seelischen Zusammenhängen hatten. "Die Tiger",
deren Name auf dieArbeit mit von mir erarbeiteten Fabeln zurückging, hatten sich darauf geeinigt, gemeinsam den Weg durch den "Dschungel des Lebens"
zu finden und mehr über sich zu lernen. Zu diesem Behufe experimentierten wir mit Konflikt- und Symptomstellen, Ritualen, Trancereisen, inneren Bildern
undden Beziehungen, um unkonventionelle Lösungen zu suchen, die eigenen Talente zu fördern und die Berufung zu finden. Die Gruppen hatten zum Teil
schwierige Wege hinter sich, denn auch wenn der "Tigertreff" nicht den Anspruch an Psychotherapieersatz stellte, so brachten die Beteiligten doch
schwerwiegende Probleme und Erkrankungen mit: Eine Mutter, deren Sohn unter der "Mondscheinerkrankung" (Xerodema Pigmentosa) litt, eine Mutter, die ihre Tochter verloren hatte, eine junge Frau mit der Autoimmunerkrankung Lupus erydermatodes, eine junge Frau mit sozialen Phobien, Co-Abhängige, Vergewaltigungsopfer, Krebskranke, Männer in beruflichen Krisen, aber auch Menschen, die sich "einfach nur" auf der Suche nach ihrer inneren Orientierung befanden. Auf den Tigertreffs, die in meinem Wohnzimmer stattfanden, spielte sich die ganze bunte Palette des Lebens ab, von tiefstem Schmerz bis zum Triumph über so manchen unerwarteten Erfolg und jeder Menge Gelächter. Die Gruppen gaben sich gegenseitig Rückhalt, jeder schien sich wohl zu fühlen und ich war mit dem Ergebnis mehr als zufrieden.
Im Jahr zuvor hatte ich einen weiteren Traum verwirklicht, nämlich einen Gospelchor mit Laien, die zwar vom Singen träumten, aber noch nie gesungen hatten auf die Beine zu stellen. Den ersten kleineren Auftritt in einer Kirche in einer Nachbargemeinde hatten wir schon hinter uns gebracht und die 14 Mitglieder fieberten nun dem nächsten "großen" Auftritt auf dem Soulfit-Factory-Fest entgegen, ebenso wie mein 10jähriger, der ein eigenes Lied zum Besten geben durfte. Auf dem Fest waren außer dem Chor und den Tigern noch ca. weitere 100 Gäste, zum größten Teil ehemalige Klienten von mir, eingeladen, unter anderem einige internationale Geschäftsleute, für die ich in einer geschäftlichen Notsituation spontan Seminare in Englisch organisiert hatte. Ich war voller Freude darüber, dass alle, die eingeladen wurden, mit Begeisterung zugesagt hatten, und so war ich – auch wenn ich das nach außen niemals zugegeben hätte – ein ganz kleines bißchen stolz auf das, was ich mir da zusammen mit meinem Lebenspartner erarbeitet hatte – allerdings bereits mit einem gewissen Unbehagen im Hinterkopf. Obwohl meine Verwandten bis auf meinen Bruder alle tot sind, rührten sich die Geister der Vergangenheit. Ganz leise zwar, aber dennoch hörbar flüsterten sie mir die altbekannten Skriptsätze zu: "Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz", "Wer hoch steigt, der fällt auch tief", "Freu dich nicht zu früh !" "Eigenlob stinkt !" Ich ertappte mich dabei, dass ich mich für meinen Erfolg und den damit verbundenen finanziellen Rückhalt rechtfertigte. Pflichtbewusst, aber zugegebenermaßen genervt, setzte ich mich zum wiederholten Male mit den alten Strukturen auseinander, die meinen Erfolg verboten. Ich buddelte meine Großeltern und meine Mutter wieder aus, aber irgendwie kamen wir nicht wirklich weiter. Ich konnte damals nicht ahnen, dass ein wesentlich unheilvollerer Dämon meiner Vergangenheit darauf wartete, in Erscheinung zu treten. Das Fest war ein voller Erfolg. Der Chor, "Die Fitzilatchers" gaben ein bombastisches Konzert, Louis und Dennis ernteten Standing Ovations für ihren großen Auftritt, der Mampf war hervorragend und die Stimmung passte sich dem lauen Sommerabend an. Ein Teil der Tiger hatte sich eine Sondereinlage einfallen lassen, um mich zu überraschen. Dass die Beteiligten es geschafft hatten, ihr Lampenfieber zu überwinden und ihren kreativen Beitrag unter großem Beifall ins Rampenlicht zu stellen, freute mich ganz besonders. Für mich endete der Abend zunächst mit tausend freundlichen Worten des Dankes, einem riesigen Blumenstrauß und dem erhebenden Gefühl, etwas Außerordentliches geschaffen zu haben. Die Soulfit Factory, in der Musik, Talentförderung und Psychotherapie zusammenflossen, war ein Erfolg und wurde begeistert angenommen. Mit Skriptsätzen wie den meinen im Gepäck, kann man jedoch fast sicher sein, dass man mit Menschen in Resonanz geht, die überzeugend die deutsche Gesellschaft als geistiges Proletariat des Neides vertreten werden. Zusammen mit einigen "Übriggeblie-benen" des Abends saß eine junge Frau (nennen wir sie Christine) am Tisch, die seit einigen Wochen mit einer plötzlichen Sehverschlechterung von fünf Dioptrien konfrontiert gewesen war. Unsere Arbeit hatte ergeben, dass sich hinter der Sehschwäche, die ihr Arzt auf die zugrundeliegende Lupus-Erkrankung zurückführte, eine unbewusste Weigerung gestanden hatte, ein ernsthaftes Partnerschaftsproblem zu erkennen. Der Erkenntnisprozess war überaus schmerzhaft für Christine gewesen und ihre Gruppe hatte erschrocken und betroffen reagiert, aber tapfer den Rückhalt gegeben. Sie hatte bezüglich ihrer Beziehung noch keine endgültige Entscheidung getroffen. Als mein Blick den ihren traf, war ich zunächst perplex über den unverhohlenen Hass, der mir aus ihrem Gesicht entgegensprang. Sie giftete mir entgegen, dass meine Methoden reinster Schwachsinn seien und dass Psychotherapie sowieso völlig überflüssig sei. Insofern wolle sie ab sofort bei mir pausieren. Etwas konsterniert darüber, dass diese "Aussprache" nach zwei Jahren erfolgreicher Zusammenarbeit, die sich positiv auf den Verlauf ihrer Erkrankung ausgewirkt hatte, ohne Vorwarnung am Biertisch auf meinem Fest stattfinden musste, erklärte ich nur kühl, dass ihr dies natürlich freistünde und widmete mich den anderen Gästen. Trotz dieses kleinen Wermutstropfens, den ich jedoch zunächst auf die Arbeit der letzten Wochen zurückführte, denn schließlich war mir bewusst, dass schmerzhafte Erkenntnisprozesse Wut auslösen, die sich nur zu gerne gegen den Therapeuten richtet, genoß ich die folgenden Tage im Gefühl des Erfolgs, bevor eine Flutwelle an Negativität über mich hereinbrach.
Was sich mir nach und nach eröffnete war, dass durch die vielen Proben der Tiger, die die Überraschung für mich aufgeführt hatten, ein Nebenschauplatz entstanden war. Auf diesem Nebenschauplatz gab es niemanden, der imstande gewesen wäre, die hohen Kommunikationsstandards, auf die wir uns in den Tigertreffs geeinigt hatten, durchzusetzen. Eine eigene Gruppendynamik entstand. Eine Wunderheilerin wurde ins Gespräch gebracht, die angeblich mit
einmaligem Handauflegen jede noch so schwere Krankheit heilte – im Gegensatz dazu waren in der Arbeit mit mir alle selber stark gefordert.
Anstatt mir diese Kritik zuzutragen, hatten einige der eher einfach gestrickten Gruppenmitglieder diese "Wunderheilerin" konsultiert und waren begeistert, denn sie befriedigte ihren Wunsch nach Kontakt mit einem Guru. Diese mir völlig unbekannte Frau hatte meine Arbeit kritisiert und grundsätzlich die Notwendigkeit des therapeutischen Denkens und der Selbsterfahrung in Frage gestellt. In schwierigen Lebensphasen wünscht sich jedes innere Kind einen Menschen, der zaubern kann – ich hatte in den Gruppen dieses Bedürfnis nach "Magie im Außen" immer auf das eigene höhere Selbst, die Selbstheilungskräfte und die individuellen spirituellen Erfahrungen zurückgeleitet. Im Gegensatz zu den Methoden, die die Eigenverantwortung stärken sollen, ist ein Wunderheiler natürlich auf den ersten Blick bequemer, sensationeller und aufregender. (Dass inzwischen, nach einem Jahr, der Lupus wieder ausgebrochen ist und die "Wunderheilerin" mit diesem Thema völlig überfordert und daher von der Bildfläche verschwunden ist, war für mich keine wirkliche Überraschung.)
Eine andere Klientin hatte die Aussage, Psychotherapie sei unnötig belastend und überflüssig von einem Heilpraktiker bekommen, dem ich seit längerem Klienten schickte, da er mit seiner Rückenschule und seiner Akupunktur gute Erfolge erzielte. Für ihn waren Erkenntnisprozesse deswegen überflüssig, weil man psychische Probleme angeblich mit chinesischen Tees heilen kann. Wie sich später herausstellen sollte, hatte er einigen Klienten, die ich zur körperlichen Unterstützung zu ihm geschickt hatte, diese Aussage gegeben und ihnen zugeraten, die Therapie bei mir zu beenden, um sich ausschließlich von ihm behandeln zu lassen... Fraglos waren die Tiger für meine "Kollegen" "a g’mahte Wies’n" wie man in Bayern zu sagen pflegt und ich hatte gute Vorarbeit geleistet, indem ich zur Offenheit anderen Therapiemethoden gegenüber riet. Die Unfähigkeit meiner Kollegen "Netzwerk" zu denken, hatte ich nicht einkalkuliert. Als wäre dem noch nicht genug, gesellte sich zu dem illustren Haufen ein weiterer, ärztlicher Psychotherapeut. Eine Klientin, die ich seit drei Jahren durch eine extrem schwierige Ehe begleitet hatte, hatte seit einigen Monaten ihre massiven Konzentrationsstörungen und neurologisch nicht begründbaren Ausfallerscheinungen zugunsten einer größeren Autonomie von ihrem Mann aufgelöst: Dieser reagierte auf den Kontrollverlust über seine Frau mit wütenden Tiraden, Nötigung und Drohungen. Der Mann, vermutlich ein Borderliner, hatte mir erklärt, meine Arbeit sei nicht mehr als zehn Euro die Stunde wert. Als ich mich weigerte, mit ihm zu arbeiten, zeigte er mich bei der bayerischen Bundeskammer der Psychotherapeuten wegen Sektentätigkeit an. Seine Frau, die mit großer Begeisterung im Chor mitgesungen hatte, wurde plötzlich von ihrem Mann mit Unterstützung seines neuen Psychotherapeuten unter Druck gesetzt. Er drohte mit Scheidung, sollte seine Frau nach den Sommerferien noch in meinem Chor sein. Zur nächsten Chorprobe erschien sie unansprechbar mit starrem Blick. Nach langen Überlegungen beschloss ich, der entscheidungsschwachen Frau nahezulegen, den Chor zu verlassen, bevor die Zerreißprobe ihr noch größeren Schaden zufügte, und mich nicht auf das gefährliche Tauziehen um die Klientin einzulassen. Ich hatte den Kardinalfehler begangen, erbitterte Konkurrenten mit Kollegen zu verwechseln und so wurde in einem brodelnden Tratschkessel eine ungenießbare Suppe aus Projektionen, Unterstellungen, Neid, Verleumdungen, Hetzkampagnen gegen Schwächere, Lügen, falschen Interpretationen und beißender Abwertung gekocht. Einige der Gruppenmitglieder stritten untereinander, andere hetzten gegen mich – alles, ohne, dass ich davon in Kenntnis gesetzt wurde. Klienten telefonierten mit Chormitgliedern und diese wiederum mit den Tigern und die Geschichten, die hinter meinem Rücken erzählt wurden, bekamen einen wahnhaften Charakter. Es dauerte eine Weile, bis ich die Ungeheuerlichkeit der Geschehnisse erkannte, denn für mich war zunächst nicht nachvollziehbar, was sich überhaupt ereignet hatte. Als ich dann doch endlich über genug Informationen verfügte, um mir ein Bild von den Vorgängen zu machen, traf ich mit einer eisigen Härte, die mir bis dato an meinem eigenen Charakter völlig unbekannt gewesen war, die Entscheidung, mich von einigen der Rädelsführer radikal und ohne Umschweife zu trennen. Die Schergen stellte ich vor die Entscheidung, entweder weiter zu tratschen oder in meinen Projekten mitzuarbeiten. Der Chor reduzierte sich auf sechs, die Tiger auf 16 Mitglieder. Einen großen Teil des radikalen Kahlschlages verursachte ich selber durch meine Härte. Den einen oder anderen Klienten hätte ich mit etwas mehr Diplomatie vielleicht halten können – aber ich gebe offen zu, dass mich die Verhaltensweisen der Betroffenen derart anekelten, dass ich jegliches persönliches und berufliches Interesse verlor. Es war jedoch klar, dass ich mir nicht ungestraft so viele Feinde machen konnte. Das Getratsche nahm kein Ende und erreichte auch Menschen aus völlig anderen Ecken. Vor allem drei Frauen aus dem Chor nahmen jede Gelegenheit wahr, mit Menschen über mich zu reden, die mich gar nicht kannten. Die Vorfälle schadeten meinem bis dahin hervorragenden Ruf gewaltig und die Spatzen riefen meine Inkompetenz von den Dächern. Nach einigen Wochen Verwirrung und völligen Durcheinanders kehrte wieder Ruhe ein. Unheimlich Ruhe. Denn mit der Krise hatten sich meine Freude an der Arbeit, jegliche Form von Mitgefühl und mein Humor verabschiedet. Zum ersten Mal in 13 Jahren hatte ich keinerlei Lust mehr, irgendjemandem meine therapeutischen Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen. Bis dato hatte ich nie daran gezweifelt, dass die Soulfit Factory genau mein Weg war. Nun stellte ich alles in Frage. Pflichtbewusst, aber eigentlich gelangweilt, suchte ich in Supervisionsgesprächen nach den Fehlern, die ich gemacht hatte und erging mich zeitweise in Selbstvorwürfen bis hin zu der Selbstbezichtigung als völliger Versager. Meine erschrockene Familie versuchte ihr Möglichstes, um mir Rückhalt zu geben, aber es fiel mir schwer diesen anzunehmen. Neben der Gereiztheit stieg aus meinem Gefühlssumpf hin und wieder ein Tornado aus Wut gegen die auf, die ich insgeheim nur noch als Ratten bezeichnete. Ich erwog rechtliche Schritte und Abmahnungen wegen Rufschädigung, aber allein die Vorstellung, mich möglicherweise vor Gericht intensiv mit Ratten befassen zu müssen, rief Brechreiz in mir hervor. Ich hatte noch nie in meinem Leben einen derartigen Ekel vor anderen Menschen erlebt. Bei aller Ablehnung brannte unter einer dicken Schicht von Selbstzweifeln jedoch noch eine klitzekleine Flamme, die meine Überzeugung warm hielt, dass das, was mir fehlte, eine Erkenntnis war, und zwar eine spirituell-psychologische. Es musste in mir eine Struktur geben, die das ganze zum Rollen gebracht hatte. Diese Struktur hatte nichts mit Fehlern zu tun, die ich gemacht hatte. Es war etwas anderes, etwas schwer Greifbares, etwas, dass dieser Realität zur Entstehung verholfen hatte. Das Feld, das Voraussetzung für solche Katastrophen war und das sich nur in meinem eigenen Inneren befinden konnte. Was da weiter brannte, war der Tigergedanke, demzufolge ein Tiger sich niemals damit zufrieden geben darf, die Schuld im Außen zu suchen, sondern nach Auslösern im eigenen Inneren suchen muss. Ich kaute das Thema Konkurrenz durch, durchforstete meine Geschwisterkonstellationen und begab mich auf die Suche nach meiner Halbschwester, von deren Existenz ich erst nach dem Tod meines Vaters erfahren hatte. Intellektuell befasste ich mich mit den von mir äußerst mißtrauisch beäugten Geheimlogen und deren Vorgehensweise der Einweihungsriten, weil ich mich fragte, ob ich die betreffenden Menschen einfach hoffnungslos überfordert hatte. Zunächst blieb ich jedoch erfolglos, fühlte mich zutiefst unverstanden und es war, als wäre ich lebendig begraben. Meine Gesundheit zog sich angesichts der negativen Gedanken langsam zurück. Ich reagierte mit übermäßiger Müdigkeit und emotionaler Gleichgültigkeit. Meine Termine nahm ich pflichtbewusst wahr, aber meine Anteilnahme fehlte. Weder mir noch meinen Behandlern kam es in den Sinn, dass ich unter Schock stand, denn ich funktionierte hervorragend und wirkte ruhig, beherrscht und souverän. Dass ich morgens, bevor ich aufstand eine Lebensunlust empfand, die den Tag überschattete, teilte ich niemandem mit. Nach dem Sommer, den ich trantütig vor mich hin gelebt hatte, beschloss ich, mich langsam aus der Therapeutentätigkeit zurückzuziehen und mich auf die Musik zu konzentrieren. Ich stand fast jedes Wochenende auf der Bühne, auch wenn mich das eine große Überwindung kostete. In diesem Bereich hatte ich nach wie vor sehr viel Erfolg und bekam viele positive Kritiken, die mich aber nicht wirklich erreichten. The Show must go on und ich went on – mehr nicht. Die einzige vernünftige Handlung, die ich noch vollzog war, dass ich das Rauchen aufhörte. Der Rest wurde Routine eines unbelebten Roboters, der nur noch das aller Notwendigste erledigte und dessen einzige Gefühlsregung gereiztes Aufbrausen war. Im Nikotinentzug nahm ich über 20 Kilo zu und mein Darm blähte sich derartig auf, dass ich einer Schwangeren im achten Monat glich. Ein Neurologe bescheinigte mir eine endogene Depression und drückte mir eine Packung Antidepressiva in die Hand. Der Hausarzt stellte ein Mitralklappenprolapssyndrom fest und verpasste mir eine Klinikpackung Betablocker. Eine Gynäkologin bescheinigte mir ein verfrühtes Klimakterium und verschrieb Hormonpflaster. Die Tabletten wanderten samt und sonders in den Müll. Ich unterzog mich einer Pilzkur, begab mich in kinesiologische Behandlung, erarbeitete mit Peter Raba homöopathische Potenzen für mich und quälte mich durch eine dogmatische Hellinger-Aufstellung, die mehr zerstörte, als sie half. Neue Klienten lehnte ich ab und die Anfragen für die Musik blieben plötzlich aus. Ein riesiger, unsichtbarer Sender auf dem Dach unseres Hauses schien meine Befindlichkeit in die Welt zu trompeten. Meine Situation wurde existenzbedrohend. Ein Treffen mit den Alttigern brachte eine entscheidende Wendung. Die Gruppe entschied, meine Situation in einer Konfliktaufstellung zu simulieren. Da ich mit allen Behandlern die Konkurrenzsituation zu wiederholen schien, sollte ich selbst die Rolle der Therapeutin übernehmen, in dem Versuch, mich selbst in meiner Stellvertreterin zu therapieren. Ich meldete Zweifel daran an, dass dies funktionieren könne, aber die Gruppe lehnte meine Einwände mit der Begründung ab, dass ich mich seit einiger Zeit allen Versuchen der Unterstützung sperrte. Ich war überstimmt und musste nachgeben – Tigergesetz. In der folgenden Aufstellung gelang es mir erstaunlicherweise, eine sachliche, distanzierte, aber trotzdem empathische Haltung mir selbst gegenüber einzunehmen. Ich erkannte, dass ich eine Rolle in einem alten Drama spielte. Mein Vater hatte in meinem Alter einen schweren Mobbingangriff seitens eines Rivalen einstecken müssen und den Kampf auf der ganzen Linie verloren. Seine bis dahin unangefochtene Stellung in der Firma, die durch sein Engagement in zehn Jahren harter Arbeit floriert hatte, war ins Wanken geraten. Er hatte den Rufmord nicht überstanden und war 14 Tage vor seinem 46. Geburtstag an einem Herzinfarkt gestorben. Ich selbst werde im November 45 und es wurde plötzlich klar, dass der Teil in mir, der die Position meines Vaters übernommen hatte, die gleiche "Karriere" geplant hatte. Die ungerechten, gehässigen Angriffe gegen mein Lebenswerk, in das ich all meine Kraft, meinen Idealismus gesteckt hatte, für das ich auf Freizeit verzichtet und mich unentwegt fortgebildet hatte, war so erschütternd für mich gewesen, dass mein Lebenswille gebrochen war – ebenso wie seinerzeit der Lebenswille meines Vaters. In der Person meiner Stellvertreterin band ich mich selbst in einem rituellen Schwur an das Leben und verbrannte die alten Strukturen, indem meine Stellvertreterin sie auf ein Blatt Papier schrieb und sie dann dem Feuer übergab. Die Prozedur wurde sehr emotional, als "mein Vater" mir das Versprechen abnahm, einen anderen Weg zu wählen als er selbst. Die Alttiger weinten meine Tränen, trugen meine Trauer und meinen Schmerz, während ich selbst in einer freundlichen Distanz Beistand leistete. Wahrscheinlich hätte ich selbst die Massivität der Gefühlsstürme nicht ertragen können. Die Aktion wirkte sich in den nächsten Tagen aus. Ich erlaubte es mir, mich aus meiner Verantwortung zurückzuziehen und einige Tage nur für mich zu beanspruchen. Bereits nach den ersten zaghaften Versuchen zu fasten, warf mich die Entgiftung in einen fiebrigen Zustand, in dem ich erlebte, wie zwei meiner Seelenanteile in einen Machtkampf gerieten. Die lebenszugewandte Tina verwickelte sich mit der lebensabgewandten Tina in wütende Auseinandersetzungen. Im Fieberdelir wohnte ich dem Kampf um mein Leben ohne dramatisches Interesse bei und wartete ab, wer gewinnen würde. Das Licht besiegte die Dunkelheit und nach zwei Tagen wurde mir meine Umgebung wieder bewusst. Ich verspürte tatsächlich Lust, wieder am Leben teilzunehmen. Die folgenden Wochen verbrachte ich damit, meine neu gewonnene Lebenseinstellung in Worte zu fassen und zu formulieren. Ich erkannte, dass ich in meinem Beruf immer in der Reaktion gewesen war, aber niemals in der Planung für die Zukunft. Ich hatte kein festes Konzept. Die Krisen meiner Klienten bestimmten mein Leben, so wie früher die lebensbedrohlichen Krisen meiner Verwandten mein Leben bestimmt hatten. Ich hatte mir den Ruf erarbeitet, ein zuverlässiger Partner im Krisenfall zu sein. Aber ich hatte all die Jahre immer auf Abruf bereitgestanden und so kamen meine eigenen Visionen zu kurz bzw. wurden gar nicht beachtet. Ich habe seitdem viel Zeit mit mir alleine verbracht, um Ideen zu Papier zu bringen und nicht mehr sofort zu reagieren, wenn jemand anders in der Krise steckt. Die ersten Veröffentlichungen stehen an, eine Gospel- CD ist in Arbeit, Konzerte sind geplant und langsam fallen mir wieder neue Konzepte für die Tiger ein. Ich werde weiterhin die Kommunikation nach außen fördern und für die Offenheit gegenüber anderen Therapiemethoden plädieren. Der Tigergedanke will jede Form von Ängsten überwinden. Das beinhaltet auch die Existenzangst und die damit verbundene Angst vor der Konkurrenz. In den neuen Konzepten spielt die individuelle Beziehung der Tiger zur Wechselwirkung zwischen Geld und Spiritualität eine große Rolle. Ich glaube, dass dieses Thema aktuelle Relevanz hat und die materielle Krise der westlichen Welt wesentlich mit bestimmt. Konkurrenzdenken ist schließlich nichts anderes als der Beweis für eine niedrige Bewusstseinsstufe, die auf Erlösung wartet. Wenn diese Welt eine Perspektive haben will, müssen die zivilisierten Länder Vorreiter werden und das Konkurrenzdenken transformieren. In der Soulfit Factory sind die Tiger schon dabei und gehören weiterhin zu den Pionieren – und die stolze Königstigerin wird an meiner Seite sein, wenn das Gelände mal wieder unwegsam wird...
Tina Wiegand Psychotherapie · Hypnose · Imagination Franz-Paul-Straße 12A 82290 Landsberied Telefon 0 8141/35 76 16 Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
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