Begleitende Behandlung eines chronisch depressiven Mannes
Auch bei Menschen, die in psychiatrischer Behandlung sind, kann es sinnvoll und hilfreich sein, den Heilungsprozess mit kreativen Beratungsmethoden zu unterstützen.
Die „Depression“ und die damit verbundene tiefgreifende Störung der Stimmungsregulierung findet auf mehreren Ebenen statt und hat entsprechen auch Auswirkungen, die sich in vielen verschiedenen Bereichen äußern (können). Demzufolge ist gerade bei diesem Störungsbild ein ganzheitlicher Ansatz meines Erachtens besonders wichtig. Am Beispiel eines Patienten möchte ich gerne meine Vorgehensweise und Erfahrungen schildern. Herr M. kam zu mir auf Anraten seiner Ergotherapeutin. Ich versuche mir ein Netzwerk aufzubauen, welches die Zusammenarbeit verschiedener Menschen umfasst, die sich zum Wohle der Patienten gegenseitig unterstützen. Meiner Erfahrung nach ist es oft sinnvoll, verschiedene Komponenten miteinander zu verbinden, und da man meist nicht alles selbst abdecken kann, was dem Patienten unter Umständen gut tut, finde ich es sehr sinnvoll, mit anderen kompetenten Menschen ein soziales Stützsystem zu bilden. Mein Patient Herr M. ist regelmäßig bei einem Psychiater in Behandlung, der allerdings lediglich alle vier Wochen seine – acht verschiedenen – Psychopharmaka neu rezeptiert, und bei einem Allgemeinmediziner, welcher sich unter anderem um die körperlichen Begleitsymptome der Medikamente kümmert. Eingefügt sei hier, dass ich persönlich es sehr traurig finde, wenn ein so belasteter Mensch jahrelang mit Chemikalien behandelt wird, ohne zwischendurch zu schauen, ob man das eine oder andere Medikament eventuell reduzieren oder gar absetzen könnte. Die Verantwortung wird hier zum Teil an die Medikamente abgegeben, was den unangenehmen Effekt haben kann, dass der Patient dies ebenfalls tut und somit in der Entdeckung und Entfaltung seiner eigenen Möglichkeiten maßgeblich eingeschränkt wird.
Herr M. ist aufgrund seiner Erkrankung Frührentner. Beim ersten Gespräch mit Herrn M. füllte ich zusammen mit ihm zunächst einen Anamnesebogen aus, ließ ihn seine Lebensgeschichte (privater und beruflicher Werdegang, Familie, soziales Umfeld, Lebensgewohnheiten) erzählen und fragte ihn, welches Ziel er sich von den Gesprächen bei mir für sich vorstellen kann. Er sagte: „Wissen Sie, ich habe nicht viel Hoffnung. Ich weiß, dass ich Depressionen habe und das schon seit vielen Jahren. Das Einzige, was ich mir erhoffe, ist meine Lebensqualität wenigstens ein bisschen zu verbessern.“ Herr M. machte auf mich einen sehr sanftmütigen Eindruck. Er ist höflich, gebildet, schüchtern und mag Tiere gern. Wir vereinbarten, uns wöchentlich einmal in den Praxisräumen, in welchen ich seinerzeit noch zusammen mit einem Kollegen arbeitete, zu treffen. Um die Therapie effektiv zu gestalten, baue ich eine sogenannte Therapie- Hierarchie auf. Das heißt, ich schaue, wo ich den Patienten abholen muß. Herr M. war wie viele Menschen, welche an Depressionen leiden, in seinem Antrieb sehr gehemmt. Das Wichtigste scheint mir hier also zunächst, den Menschen in „Bewegung zu bringen“. Ich habe auf Grundlage der (kognitiven) Verhaltenstherapie verschiedene Bögen erstellt mit welchen ich arbeite, unter anderem eine Aktivitätenplan. Anhand dieses Plans erstellte ich mit Herrn M. einen Tagesablauf, der sowohl angenehme als auch von ihm als unangenehm bewertete Tätigkeiten umfasste. Bei Erledigung einer unangenehmen Aufgabe aus seinem Alltagsleben sollte er sich mit einer angenehmen Tätigkeit belohnen. Für den Anfang enthielt der Plan nur ein paar Aufgaben, um ihn nicht zu überfordern. Er fand die Idee sehr gut und wollte gleich am nächsten Tag damit beginnen. Ich freute mich auf die nächste Sitzung und darauf, was er berichten würde. Nun, er hatte nichts davon in die Tat umgesetzt! Daß enttäuschte mich zunächst und ich erkannte, dass ich meine Frustrationsgrenze hier unbedingt erhöhen musste. Ich ertappte mich dabei, es persönlich zu nehmen, dass er nichts von dem sorgsam ausgearbeiteten Plan ausprobiert hatte. Ich sprach ihn darauf an, was ihn denn an der Umsetzung gehindert habe, und er erzählte von aktuellen finanziellen Schwierigkeiten, die ihn Tag und Nacht beschäftigten. Gemeinsam sprachen wir über verschiedene Möglichkeiten, seine Lage zu verbessern. Die nächsten drei Sitzungen sagte er jeweils ca. eine Stunde vor Beginn der Sitzung, einmal sogar noch später, ab, weil er sich nicht in der Lage fühlte, mit dem Zug zur Praxis zu fahren und hierbei vielen Menschen begegnen zu müssen. Aufgrund der Ängste, die ihn plagten, hatte er nie den Führerschein gemacht. Zuhause überlegte ich, wie ich nun weiter vorgehen sollte. Folgendes kam dabei heraus: Ich rief ihn an, um ihm zu sagen, dass ich mich sehr gerne um ihn kümmere, er mich auch jederzeit anrufen kann, wenn er Hilfe benötigt, und ich – bis es ihm wieder besser geht – auch bereit bin, Hausbesuche bei ihm zu machen. Außerdem schlug ich vor, etwaige Folgetermin nach nachmittags, (statt wie bisher am Spätvormittag) zu verlegen, und setzte ihn davon in Kenntnis, dass es für mich sehr ungünstig ist, wenn er so kurzfristig absagt, da ich dann keine Gelegenheit mehr habe, die Termine anderweitig zu vergeben. Natürlich fragte ich ihn auch, ob er denn grundsätzlich weiter zu mir kommen wolle. Die Resonanz war sehr positiv. Wir vereinbarten einen Termin bei ihm zuhause. In den Tagen dazwischen rief ich ihn zweimal an und erkundigte mich nach seinem Befinden. Einen Tag vor unserem Termin rief er an und sagte, er fühle sich besser und könne in die Praxis kommen. Am Tag des Termins rief ich ihn noch mal an und fragte, ob es dabei bleibe, dass er komme, Er kam. Ich denke, die Tatsache, dass ich mich so um ihn bemüht habe, hat ihm und mir gut getan. Im weitere Verlauf überlegten wir gemeinsam, wie sich Alltagserledigungen (Wäsche waschen, abspülen, aufräumen) am besten angehen lassen. Ich fragte hierzu, wie er es bisher handhabte, ließ ihn einordnen, welche der unangenehmen Tätigkeiten er am unangenehmsten fand, und ob es für ihn noch schlimmere Dinge als z.B. Aufräumen gäbe. Auch fragte ich, ob er Ideen hätte, wie man die Tätigkeiten angenehmer gestalten könne, und wo er keine hatte, machte ich Vorschläge. Auch habe ich nach der Erfahrung mit dem Aktivitätenplan einen weiteren Bogen erstellt. Er befasst sich mit der Thematik des Nichterledigens von vereinbarten Aufgaben. Dort sind gezielte Fragen zu beantworten, warum die Aufgaben nicht erfüllt wurden, z.B. „keine Lust“, „keinen Sinn darin gesehen“, „fühle mich vom Therapeut bevormundet“ etc. Sollte der Fall eintreten, dass weder die Aufgabe durchgeführt noch der Bogen ausgefüllt wird, beginne ich die nächste Sitzung damit, den Bogen (ich habe einen Ordner mit den verschiedenen Bögen in der Praxis deponiert) gemeinsam mit dem Patienten auszufüllen, was bisher noch nicht vorkam.
Wenn Punkt eins der Hierarchie (in Bewegung bringen) einigermaßen funktioniert, achte ich darauf, dass der gesamte Organismus wieder ins Gleichgewicht gebracht wird und zwar durch Zufuhr eines geeigneten Nahrungsergänzungsmittels, welches dies in optimaler, einzigartiger Form tut. Hier sei kurz eingefügt, das der Produzent dieses Basiskonzentrats, dessen Wirksamkeit ich an meinen Kindern und mir selbst erlebe, mit der Bayerischen Umweltmedaille und dem grünen Oskar ausgezeichnet wurde. Somit ist Punkt zwei meiner Therapie des ganzheitlichen Ansatzes erfüllt. Als nächstes versuche ich durch Fragen oder auch durch ein psychologisches Testverfahren, welches ich anwende, herauszufinden, welche Grundannahmen und selbstschädigende Ideen beim Patienten vorliegen. Hierzu gibt es auch ein Arbeitsheft, in welchem der Patient zu Hause das Erarbeitete nachlesen kann und soll. Dies führt nun zur kognitiven bzw. philosophischen Arbeit: Punkt drei. Das heißt, ich spreche mit meinem Patienten über Fragen, wie den Sinn des Lebens. Menschen, die an Depressionen leiden, haben sich über diese Frage meist schon viele Gedanken gemacht und sind zu keinem befriedigenden Ergebnis gekommen. Herr M. sagte auf meine Frage, was denn für ihn der Sinn des Lebens sei, dass dies der Kern seiner Depression sei. Er beschäftigte sich seit seinem 19. Lebensjahr ohne befriedigendes Ergebnis mit dieser Frage, was ihn völlig fertig mache. Ihm laufe die Zeit davon, er werde älter und habe immer noch keine Antwort, die sich beweisen ließe.
Das Sprechen über diese Thematik wirkte entlastend und hat den Vorteil, Gedanken zu äußern und im Gespräch reflektieren zu können. Wenn das Wetter sonnig ist, nutze ich dies als zusätzliche Intervention und führe die Gespräche in freier Natur, am besten an einem Fluß oder See, Herr M. genießt es, da er sich alleine nicht zum Verweilen an der frischen Luft aufraffen kann. Ich nutze die Natur auch dafür, Atemübungen zu machen, sich die Luft bewusst werden zu lassen und hier überzuleiten auf das tägliche Leben, das Erlernen der Bewusstmachung von möglichst allem, was man gerade tut. Sich seiner selbst bewusst werden, hier steckt das Wort „Selbstbewusstsein“ nicht umsonst drin! Auf diese fast spielerische Art lernt der Patient, sich auf den Augenblick zu konzentrieren, was sich sehr positiv auf den meist vorhandenen Grübelzwang auswirkt. Apropos Zwang: Herr M. leidet zudem an einem massiven Kontrollzwang. Bevor er zu mir kommt, muß er ca. zwei Stunden vorher beginnen, seine Wohnung auf verschiedene Dinge hin zu kontrollieren. Eine Liste, welche er erstellt hat und auf der er die jeweils kontrollierten Stationen innerhalb der Wohnung laut vorliest und abhakt, sowie die volle Konzentration auf den Punkt, welchen er gerade kontrolliert, helfen ihm, mit seinem Zwang umzugehen. Seine Ängste bearbeiten wir, indem wir diese zunächst alle einzeln aufzählen und benennen. Dann frage ich ihn, was genau schlimmstenfalls passieren kann, wenn er sich in der angstauslösenden Situation befindet und was er tun kann. Ist die Situation überstanden, soll er reflektieren, ob es tatsächlich so schlimm war, wie er befürchtet hat. Auch ich lobe ihn und weise ihn, auch bei anderen Gelegenheiten darauf hin, dass das was er über sich sagt, nicht mit dem, was er tatsächlich kann und tut, übereinstimmt. Wir haben einen „Erst-Hilfe-Plan bei Angst“ erstellt, den er immer bei sich trägt. Früher hatte er zusätzlich häufig Panikattacken und im Anfangsstadium unserer Gespräche bekam er, als er mit Freunden unterwegs war, wieder eine. Wir ließen die Situation erneut aufleben, untersuchten, was ihm bei früheren Panikattacken passiert war, ob sein Herz tatsächlich schon einmal stehen geblieben ist, ob er herzkrank ist (was er, wie ärztlich mehrfach abgeklärt, nicht ist), wie lange die Attacke dauerte, was ihm geholfen hatte und welche Möglichkeiten er hat, in der Attacke zu reagieren. Auch fragte ich ihn, ob ihm die Anwesenheit eines Arztes hilft, was er bejahte. Ich fragte, ob der Arzt ihm ein Medikament, eine Spritze oder eine Infusion gibt, oder ob er lediglich anwesend ist und Blutdruck und Puls misst. Er erkannte selbst, dass alleine die Anwesenheit des Arztes ausreicht, um sich zu beruhigen. Nun probierten wir aus, wie es sich auf seinen Puls auswirkt, wenn er langsam und bewusst atmet und sich dabei selbst beruhigt, in dem er sich die Gedanken, welche ihm in der Panik durch den Kopf schießen, bewusst macht und realistisch beantwortet. So arbeite ich auf verschiedene Ebenen mit ihm. Ich nutze Techniken aus der Verhaltenstherapie ebenso wie aus der kognitiven Verhaltenstherapie. Ich lasse Erkenntnisse aus der existenzanalytischen Therapie einfließen und versuche, anhand des sokratischen Dialoges Sinnfragen zu klären. Die Therapie ist noch nicht beendet. Wir treffen uns weiterhin wöchentlich und arbeiten unter anderem an philosophischen Fragestellungen. Meistens ist mein Hund Simba dabei, an dessen Lebendigkeit und Temperament Herr M. sich sehr erfreut. Ich glaube sagen zu können, dass sich mittlerweile, (wir treffen uns seit Ende letzten Jahres) ein Vertrauensverhältnis und eine gute menschliche Basis entwickelt haben. Herr M. sagt, dass er den Tapetenwechsel genießt, er fährt nun gerne mit dem Zug und freut sich auf die Natur. Auch werde ich einen philosophischen Kreis mit begrenzter Teilnehmerzahl ins Leben rufen, an dem Herr M. teilnehmen möchte. Seinem Ziel, die Lebensqualität für ihn zu verbessern, sind wir schon ein gutes Stück weit entgegengekommen. Seine Medikamente nimmt er noch alle. Sein Selbstbewusstsein ist noch nicht wesentlich gefestigt, aber er ist insgesamt lebendiger. Er kann sich zumindest zeitweise wieder an verschiedenen Dingen erfreuen, er ist selbst tätig geworden und hat unter anderem Bewerbungen geschrieben, um seine finanzielle Lage im erlaubten Rahmen (Rente) zu verbessern. Er freut sich auf unsere Gespräche und hält die Termine ein, und ich bin mir stets bewusst, dass es jederzeit wieder anders kommen kann. Ich bin darauf vorbereitet, und er hat erfahren, dass er sich auf mich verlassen kann. Ich lerne durch ihn, mich in Geduld zu üben ohne den Faden zu verlieren, und ich werde durch ihn immer wieder zu den Grundbedürfnissen der Menschen sowie zu einer großen Sensibilität hinsichtlich der Fragen: Was ist richtig, was ist falsch, was ist gut und was ist sinnvoll geführt.
Gaby Gellert
HP für Psychotherapie
Illerwehrstraße 2
89250 Senden
Nachlese zu meinem Fallbericht:
Mein Patient macht weiterhin große Fortschritte. Mittlerweile hat er seine Kontrollzwänge in den Griff bekommen und kann sich gegenüber seinen Mitmenschen behaupten, was zuvor nicht der Fall war.
„Um in wirklich passender Weise zu intervenieren, muß man über die Details der Klage, die der Klient vorträgt, gar nicht so genau Bescheid wissen. Es ist nicht einmal nötig, dass man sich genau vorstellen kann, wodurch die beklagte Situation am Leben gehalten wird, um dann eine Lösung finden zu können. Vor dem Hintergrund all dessen, was ich bis dahin getan hatte, schien diese Erkenntnis zunächst jeder Erwartung zuwiderlaufen. Und doch ist es ganz offensichtlich so, dass ein beliebiges Verhalten, wenn es nur wirklich ein anderes als das gewohnte Verhalten ist, in einer problematischen Situation ausreichen kann, um eine Lösung herbeizuführen und dem Klienten die Befriedigung zu vermitteln, die er sich von der Therapie erwartet hat. Notwendig ist nur, dass die betroffene Person in ihrer unangenehmen oder lästigen Situation etwas anderes tut, selbst wenn dieses Verhalten scheinbar irrational, ganz und gar irrelevant, eindeutig bizarr oder komisch ist.“
De Shazer, Steve,
„Wege der erfolgreichen Kurztherapie“,
Klett-Cotta; Stuttgart, 1999, S. 24