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Gesundheit und Krankheit zwischen Magie und Vernunft

Dieser Beitrag ist dem Band "Meilensteine des Lebens 1", erschienen im Bertelsmann Lexikon Verlag als "Bertelsmann
Lexikothek" im Jahr 2000, mit freundlicher Genehmigung des Verlags entnommen. Vgl. hierzu die vordem abgedruckte
Einleitung. Prof. Dr. Ahlborn.


Autor: Bertelsmann (Ed.)

Die Begriffe Gesundheit und Krankheit sind seit jeher in ihrer Bedeutung abhängig von dem jeweiligen kulturellen Umfeld. Im Lauf der Menschheitsgeschichte kommt es aufgrund neuer Erkenntnisse, Philosophien, Religionen und Weltanschauungen zu immer wieder veränderten Definitionen.


Der Begriff Gesundheit hat in allen Kulturen immer einen »ungestörten und naturgemäßen Zustand« bedeutet. Krankheit hingegen wurde immer als Störfall betrachtet. Was als krank definiert wurde, hing allerdings vom jeweiligen Wissensstand ab. KRANKHEIT IN PRIMITIVEN UND ARCHAISCHEN KULTUREN Gesundheit und Krankheit sind kulturspezifisch geprägte Begriffe. In den primitiven Kulturen der Urzeit wurde eine biologische Störung, sobald sie das Maß einer Verhaltensabweichung überschritt, als Krankheit angesehen. Wann diese Grenze erreicht war, hing von der Entscheidung der
jeweiligen Gesellschaft und ihren Lebenserfahrungen ab. In dem Augenblick, in dem die Abnormität - und Krankheit wurde in allen Kulturen als etwas »Anormales« empfunden - von der Gesellschaft  estgestellt wurde, bekam sie magisch-religiöse Züge. Als häufigste Ursachen für Krankheit wurden Zauberei, Verletzung der Tabus, Eindringen eines Geists oder Verlust der Seele gesehen. In einer feindlichen und unvorhersehbaren Umwelt war das Mitglied einer primitiven Gesellschaft stark auf familiäre und soziale Bindungen angewiesen - sie waren die Basis seines Überlebens.

Da Krankheit als nichtnatürlich galt, wurde sie mit religiösen Mitteln behandelt. Sich vor Krankheiten zu schützen, war also in den primitiven Gesellschaften nur möglich durch ein sozial integres Leben, durch
Erfüllen der Normen und Sitten. Als vorbeugende Maßnahmen galten Amulette, rituelle Verstümmelungen, Beschneidungen, Hautritzungen und Tätowierungen. Diese Maßnahmen hatten zudem den Sinn, die Gruppenzugehörigkeit zu stärken, denn nur Mitglieder desselben Stamms hatten dieselben Zeichnungen. Solch eine Stammeszugehörigkeit stabilisierte auch die Psyche und trug somit zu einer guten körperlichen Verfassung bei. Einen Schritt weiter ging die Krankheitsauffassung in den archaischen Kulturen, wie z. B. im assyrisch -babylonischen Raum. Dort wurde Krankheit mit Sünde und moralischer Unreinheit gleichgesetzt. Gesundheit dagegen galt als garantiert, wenn die moralischen Pflichten eingehalten wurden. Da das assyrischbabylonische Reich eine theosophische, also gottgeprägte Gesellschaft war, wurde Krankheit als von Gott gesandt betrachtet, als Vergeltung für begangene Sünden. Exorzismus, Opfer und Gebete stellten die Heilmittel dar, die Prophylaxe bestand in Ritualen. In der frühen griechischen Kultur wich schließlich der Gedanke, eine Krankheit könne der Götter Fluch sein, der Auffassung, dass zwar die Krankheit von Göttern gesandt war, der Mensch aber damit nicht bestraft wurde, sondern ein Opfer der Götter war. Hygiene und Behandlung des Körpers gewannen zwar an Stellenwert, die spirituelle Heilung blieb aber bestehen, etwa im Begriff der Katharsis (der Reinigung) oder in der Praxis des Tempelschlafs. Gleichzeitig mit den religiösen Vorstellungen von Krankheit entw ickelte sich in den frühen Hochkulturen der Ägypter, aber auch in Mexiko und Peru, eine hochorganisierte und auf Erfahrung basierende Medizin, die sehr wohl Krankheitsgeschichte, Krankheitsbegriffe, Diagnosen und  Prognosen, Indikationen und therapeutische Maßnahmen kannte. Handbücher über Rezepturen und Hygiene sind aus dieser Zeit erhalten. Trotz eines enormen medizinischen Wissens blieben die Vorstellungen von Krankheit in den archaischen Gesellschaften mit dem  religiösmagischen Bereich verbunden. Klassische Antike Die Begründung der europäischen Medizin im antiken Griechenland, die auf dem Begriff der Heilkraft der Natur (Physis) basiert, geht auf die
hippokratischen Schriften zurück. Hippokrates (um 460-um 370/380 v Chr.)  gilt aufgrund seiner genauen Beschreibung von Krankheitssymptomen und seiner spekulationslosen Diagnostik als Begründer der wissenschaftlichen Medizin der Antike. Unter seinem Einfluss entstand ein Gesundheitsbegriff, der  Körper, Umwelt, Geschlecht, Alter, Gymnastik, Arbeit, Erholung und Nahrung erstmals in Zusammenhang brachte. Krankheiten und deren Behandlung wurden physiologisch erklärt. Eine außerweltliche Deutung wurde von Hippokrates strikt abgelehnt. Unter seinem Namen wurde eine Vielzahl  von Schriften gesammelt (Corpus Hippocraticum). Der darin enthaltene  Appell: »Jeder vernünftige Mensch solle bedenken, dass für die Menschen Gesundheit das Wertvollste ist«, legte den ethischen Grundstock für eine Gesundheitslehre, die von nun an den Begriff »Gesundheit« immer mit einer philosophischen Grundhaltung verband. Gesundheit und Politik Der griechische Philosoph Platon hat den Gedanken weiterentwickelt und in seine Gesellschaftsentwürfe integriert. Gesundheit wurde bei ihm zu einem gesellschaftlichen Anliegen, denn das Gemeinwesen war aufge-rufen, einen gesunden und kräftigen Nachwuchs zum Schutz des Staats aufzuziehen und auszubilden. Das sehr strenge Auswahlver-fahren, etwa bestimmter Paare, die Kinder haben sollten, und die radikale Selektion von zu schwachen oder behinderten Neugeborenen (sie sollten getötet werden) sollten das Gemeinwesen stärken. Ärzte dienten in diesem Entwurf der Bekämpfung von Krankheit oder Wiederherstellung von
Gesundheit und nicht der Vorsorge. Ihre Arbeit war es, zu oper-ieren und Heilmittel zu verabreichen, damit ein ehemals gesundes Mitglied des Staats diesen nicht allzu lange mit der Krankheit »störte«.
Ärztliche Hilfe wurde nur demjenigen zuteil, der eigentlich an »Körper und Seele heil war«, die anderen sollten von den Ärzten getötet werden. Den Ärzten wurde bei Platon somit eine ungeheure Macht zugespro chen, ihr Wirken hatte staatstragende und - formende Funktion, allerdings betrachtete Platon sie immer als »Techniker«, nie als Fachleute mit einem humanitären Auftrag. Platons Vorstellung vom idealen und gerechten Staat war ein Gedankenkonstrukt und entsprach durchaus nicht der gelebten griechischen Antike. Dort wirkte der Arzt im Sinn des Hippokrates, der sehr wohl den Arzt als Wissenschaftler und Philosophen sah, also als Bewahrer von Gesundheit und Lebensberater des Menschen zugleich. Parallel zur wissenschaftlichen Entwicklung der Medizin entstand der Heilkult des Asklepios. Dieser Heilkult um einen Sohn des griechischen Gotts Apollon bildete sich, da die Bevölkerung im Alltag mit allerlei damals unheilbaren Krankheiten und Seuchen konfrontiert war.-Der Glaube an eine mythische Heilung durch Asklepios stand nicht in Konkurrenz zu dem Konzept einer Medizin, die mithilfe von Naturbeobachtung zur richtigen Erkenntnis der Krankheiten und ihrer Behandlung gelangen wollte, da diesen medizinischen Richtungen mit ganz unterschiedlichen Erwartungen begegnet wurde.

GESUNDHEIT UND KRANKHEIT IM MITTELALTER
Im christlichen Abendland wurde die Gesundheitspflege zunächst in den Klöstern und den ihnen angeschlossenen Hospitälern ausgeübt. Gleichzeitig entwickelte sich mit der Ausbreitung des Islam auf Grundlage der griechischen und byzantinischen Erkenntnisse die arabische Medizin. Medizinschulen wie in Alexandria und Salerno oder Gondishapur bei Bagdad sowie später die Universitäten spielten für
die Ausbildung der Mediziner eine wichtige Rolle. Seuchen wie Lepra und Pest führten im Mittelalter zur Verbesserung der öffentlichen Hygiene und zum Beginn einer städtischen Gesundheitspolitik. Klostermedizin Krankheit wurde als Strafe für ein sündhaftes Leben angesehen, die - sofern der Betroffene bereut und betet - von Christus geheilt werden kann. Gesundheit war somit nicht das Ziel aller Aktivitä ten, sondern Bestätigung für die Führung eines christlichen und Gott gefälligen Lebens. Die Krankenpflege wurde vor allem von räuterkundigen Frauen und in den Klöstern und ihren Hospitälern
wahrgenommen. Dementsprechend gehörten ein Arztraum, eine Apotheke und ein Kräutergarten zur Ausstattung der meisten Klöster. Einen Höhepunkt der Klostermedizin bilden die Schriften der Äbtissin Hildegard von Bingen (1098-1179), die in ihren naturund heilkundlichen Abhandlungen die  Erkenntnisse von Volksmedizin, antiker Überlieferung und klösterlicher Tradition zusammenfasste.
Sie sah körperliche und geistige Leiden als unausweichliche Folgen des Sündenfalls an, gab jedoch gleichwohl ausführliche Anweisungen für die Zubereitung und Anwendung von Arneimitteln. Grundlegend
für eine Heilung sei jedoch eine angemessene Lebensführung des Menschen und vor allem der Wille Gottes. Arabische Medizin Stark von der griechisch -byzantinischen Kultur beeinflusst entwickelte sich mit dem Islam ab dem 7. Jahrhundert die arabische Medizin. Ihre Grundlage war die streng systematisierte Humoralpathologie oder Viersäftelehre des griechischen Arzts Galen (129- 199), wonach ein Ungleichgewicht der vier Kardinalsäfte Blut, Schleim, schwarze Galle und gelbe Galle im menschlichen Körper für Krankheit verantwortlich ist. Vermittelt über bedeutende arabische Übersetzerschulen wurden die antiken griechischen Schriften an den medizinischen Zentren z. B. in Bagdad, Damaskus und Kairo verbreitet und durch Arztphilosophen wie Rhazes (865-925), Avicenna (Abu Ali ihn Sina, 980-1037), Averroes (1126-1198 ) und Moses Maimonides (1135-1204) durch ihre Kenntnisse bereichert. Im 12. Jahrhundert entwickelte sich jedoch mit der so genannten Prophetenmedizin eine religiöse Heilkunst mit magischen Praktiken, welche die wissenschaftliche Medizin im 14. Jahrhundert verdrängte. Scholastische Medizin Medizinschulen und später Universitäten sorgten im Abendland wie im Orient für die Ausbildung der Ärzte. Neben der spätantiken Schule in Alexandria entwickelte sich ab dem 6. Jahrhundert Gondishapur bei Bagdad zur zweitwichtigsten Ausbildungsstätte. Im Abendland wurde um 900 die Schule von Salerno gegründet, die im 12. Jahrhundert ihre Blütezeit erlebte. Die Übersetzerschule von Toledo im christlichen Abendland wurde im 12. Jahrhundert zu einem wichtigen
Knotenpunkt für die Vermittlung arabischer, griechischer und lateinischer Schriften. Vor allem die Übertragungen der aristotelischen Texte ins Lateinische schufen die Grundlage für die Entstehung der christlichen Universitäten. Wichtige medizinische Schriften von Avicenna, Rhazes und Galen wurden ins Lateinische übersetzt und zu Standardlehrbüchern an den medizinischen Ausbildungsstätten in
Salerno, Padua, Bologna oder Montpellier. Mit der Entwicklung der Universitäten bildete sich eine feste Form des Lehrbetriebs heraus, mit dessen Hilfe das Wissen und die Thesen der antiken Autoren
mit dem christlichen Glauben in Übereinstimmung gebracht werden sollten. Dieses »scholastische« Lehrsystem ließ keinen Raum für Kritik und Widerspruch: In der Philosophie galt besonders Aristoteles als unanfechtbare Autorität, während in der Medizin die Schriften Galens kritiklos rezipiert wurden. Seine Viersäftelehre blieb bis ins 19. Jahrhundert von Einfluss.

Hospitäler und Krankenhäuser
Im christlichen Abendland waren die Hospitäler eng mit der Kirche verbunden, entstanden also in Klöstern oder im Zusammenhang mit bischöflichen Kathedralen. Meist schloss sich an den Krankensaal ein Altarraum an, um so den Bedürftigen nicht nur körperlich, sondern auch geistig Linderung ihrer Leiden zu verschaffen. Erst im 13. Jahrhundert wurden verstärkt auch von den Städten selbst Hospitäler errichtet. So entstand 1286 in Lübeck auf Veranlassung der Bürgerschaft das Heilig-Geist-Hospital. Die Pflege wurde auch in diesem Bürgerhospital von einer klösterlichen Lebensgemeinschaft verrichtet, doch kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen mit der Kirche, welche die Krankenpflege als ureigene Aufgabe für sich beanspruchte. Im Orient entwickelten sich die Krankenhäuser schon bald zu
angesehenen Ausbildungsstätten, die eng mit den jeweiligen medizinischen Fakultäten vor Ort zusammenarbeiteten und so für eine praxisnahe Lehre sorgten. Die drei bedeutendsten Hospitäler waren das 982 gegründete Adudi-Krankenhaus in Bagdad, das mit einer Apotheke, einer Bibliothek und fließendem Wasser ausgestattet war, das ähnlich angelegte Nuri- Krankenhaus in Damaskus von 1154und das 1284 entstandene Mansuri-Krankenhaus in Kairo, die jeweils über vier unterschiedliche Krankensäle (für Infektionen, Augenleiden, chirurgische Fälle und Magen-Darm-Erkrankungen) verfügten. Ab 1150 errichteten die Seldschuken Krankenhäuser, die direkt dem Wesir für Gesundheit unterstanden. 1206 beispiels - weise wurde in Kayseri der so genannte Zwillingsbau, d. h. Krankenhaus und Medizinschule, mit einem Chefarzt und einem Verwaltungsdirektor  an der Spitze erbaut. Gesundheit als öffentliches Anliegen 1231 erließ der römisch -deutsche Kaiser Friedrich II. für sein Königreich Sizilien eine Medizinalordnung (die Erweiterung entsprechender Regelungen von 1224), die für Ärzte eine universitäre Ausbildung, eine fachliche Prüfung und eine Approbation vorsah. Indem sich die Medizin zum Hochschulfach entwickelte, verlor sie ein Großteil ihrer Praxisnähe und die Trennung von der  Chirurgie, die als Handwerk galt, verstärkte sich. 1255 schlossen sich in Paris die Chirurgen zu einer Bruderschaft zusammen, drei Jahre später wurden die ersten Prüfungen zur Aufnahme in diese Zunft durchgeführt. Die Aufgaben der Zunft bestanden in der Überwachung und Prüfung des eigenen Berufsstands. Im Lauf der Zeit entw ickelte sich in den oberitalienischen Städten die Institution des Stadtarzts. Dieser war in der Regel besonders qualifiziert und hatte folgende Aufgaben:
· Kostenlose Versorgung der Armen
· Residenzpflicht
· Anwesenheitspflicht bei Epidemien
· Erlass von Verhaltensregeln bei Epidemien

Venedig hatte um 1324 bereits 13 Ärzte und 18 Chirurgen, die aus öffentlichen Geldern ein hohes jährliches Honorar bezogen. Bei der damaligen Bevölkerungszahl Venedigs kamen auf 10 000 Bewohner drei Ärzte im »öffentlichen Dienst«. »Schwarzer Tod« und Aussatz Trotz der beginnenden öffentlichen Gesundheitsfürsorge waren die hygienischen ustände in den mittelalterlichen Städten des Abendlands miserabel. Dies begünstigte die Ausbreitung von Seuchen, die z. T. durch die Kreuzzüge in Europa eingeschleppt wurden. Nachdem sich eine erste Pestwelle in Europa bereits in den Jahren 531 bis 566 ereignet hatte (die so genannte Justinianische Pest), kam es ab 1347 zu einem zweiten, weit verheerenderen Pestzug. Etwa 25 Millionen Menschen, d.h. etwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung Europas, wurden bis 1352 durch die Pest dahingerafft. In den meisten Fällen fielen sie der Beulenpest zum Opfer, die durch eine Schwellung und Eite rung der Lymphdrüsen unter der Achsel und in der Leistengegend gekennzeichnet ist. Bei der Lungenpest, bei der es zu umfangreichen inneren Blutungen kommt, nimmt die Erkrankung einen besonders schnellen Verlauf: Die Betroffenen sterben innerhalb weniger Tage. Sowohl die Ursachen der Pest als auch ihre wirksame Behandlung waren den Ärzten des Mittelalters unbekannt. Während manche Mediziner die Theorie vertraten, die Pest würde durch faulige Stoffe in der Luft (Miasmen) verbreitet, waren andere der Ansicht, die Krankheit würde durch spezielle Erreger (Kontagien) ausgelöst. Zur Vorbeugung gegen die Ansteckung und zur Behandlung der Pest wurden Räucherung, Aderlass und bestimmte Diäten durchgeführt, blieben jedoch unwirksam. In einigen Städten wurden von der Stadtverwaltung Quarantänen verhängt, die jedoch selten effektiv waren, da sie nicht rigoros genug durchgesetzt werden konnten. Auch Privatleute versuchten, sich durch Isolation einer Ansteckung zu entziehen wie es Giovanni Boccaccio in »I1 Decamerone« (1349-1353) schilderte.

Das Massensterben und die damit verbundene Angst und Verzweiflung führten zu Massenbewegungen wie Geißlertum, Tanzwut und der Verfolgung von Juden und anderen Randgruppen, denen die  Schuld am Ausbruch der Seuche zugeschrieben wurde. Gleichzeitig war auch eine verstärkte Hinwendung zu christlichen Praktiken wie Bußprozessionen und religiösen Stiftungen zu beobachten, da man annahm, die Pest sei die Strafe Gottes für Verfehlung und Sünde. In den folgenden 300 Jahren wurde  Europa immer wieder von der Pest heimgesucht. In Venedig spielte bei der Bekämpfung der Seuche die 1486 gegründete staatliche Gesundheitsbehörde Magistrato della Sanitä eine  herausragende Rolle. Sie überwies die Erkrankten in eigens errichtete Pestspitäler, erfasste die Opfer sowie die abgesperrten Häuser von Pestkranken in Listen und zeichnete alle besonderen Vorkommnisse auf - ein erster Versuch, den Verlauf der Seuche statistisch zu erfassen. 1665 ereignete sich in London eine der letzten großen Pestepidemien in Westeuro pa, bei der 70 000 bis 100 000 Menschen starben. Den Erreger der Seuche konnte erst 1894 der schweizerische Bakteriologe Alexandre Yersin in toten Ratten identifizieren: die Yersinia (oder Pasteurella) pestis. Eine zweite bedeutsame Geißel der Menschen im Mittelalter war der »Aussatz«. Unter diesem Begriff wurde nicht nur die Lepra verstanden, sondern eine Reihe von Infektionen zusammengefasst, die mit entstellenden Hautveränderungen einhergehen. Die Erkrankten wurden aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und seit dem frühen Mittelalter in eigens eingerichtete Leprosorien eingewiesen. Um sich kenntlich zu ma chen, mussten sie bestimmte Kleidung tra gen und sich in manchen Gegenden Europas mit einer Klapper bemerkbar machen. Im 14. Jahrhundert ging die Zahl der Erkrankten in Europa allmählich zurück. 1873 entdeckte der norwegische Forscher Armauer Hansen den Erreger der Krankheit, das Lepra-Virus Mycobacterium leprae.