Körperarbeit in der Psychotherapie am Beispiel der "Bioenergetischen Analyse"
„Stehen Sie mit den Füßen hüftbreit im Raum, lassen Sie die Knie locker, geben Sie Ihr ganzes Gewicht in die Beine und Füße und fühlen Sie, wie der Boden Sie trägt. Wenn Sie Schmerzen in den Beinen fühlen, dann stehen vielleicht die Waden noch sehr unter Spannung, Durch eine leichte Auf- und Abwärtsbewegung der Knie beim Ein- und Ausatmen können Sie diese Spannung etwas reduzieren.
Ich möchte Sie ermutigen, verschiedene Haltungen auszuprobieren. Atmen Sie mit leicht geöffnetem Mund, damit der Kiefer lokker ist, tief in den Bauch. Lassen Sie dabei einen Ton zu, der tief aus ihrem Inneren kommt. Der Ton kann laut oder leise sein, hoch oder tief. Experimentieren Sie mit ihrer Stimme, bis Sie den Ton gefunden haben, der zu Ihrer momentanen Stimmung passt. Vielleicht empfinden Sie ein leichtes Vibrieren in ihrem Körper, vielleicht fangen die Beine an zu zittern. Lassen Sie es zu und geben sich ganz den Gefühlen hin, die aufkommen.“ Das sind die Worte, die ich an einem Wochenende im Februar 1995 von dem Bioenergetischen Analytiker höre. Ich erlebe zusammen mit 14 anderen Menschen meinen ersten Bioenergetik- Workshop in einem sehr abseits gelegenen Tagungshaus in der Eifel. Die Menschen um mich herum, von denen ich keinen vorher kannte, folgen wie ich den Anweisungen des Therapeuten. Sie werden lauter, vibrieren, zittern, schreien, jammern, springen, machen tierische Geräusche. Ich frage mich leicht pikiert, ob ich nicht wieder gehen soll. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mich in ähnlicher Weise verhalten will. Ich kann nicht glauben, dass das Verhalten der Anderen echt ist. Ich sehe mich im Raum um und bin beruhigt, dass ich scheinbar nicht die Einzige bin, die mit der noch ungewohnten Situation nicht zurecht kommt. Im Verlauf des Wochenendes machen wir noch viele andere Übungen: laute und leise, sanfte und aggressive, zusammen mit einem Partner und alleine. Langsam beginne ich zu merken, dass die Anspannungen, die ich in meinem Körper festhalte, gelöst werden, dass ich Gefühle wie Freudeund Schmerz, Aggression und Zuneigung zulassen und empfinden kann. Traurige Erinnerungen, von denen ich vorher gedacht hatte, dass ich sie längst „bewältigt“ hätte, werden mir noch einmal schmerzlich bewusst. Ich durchlebe sie noch einmal gefühlsmäßig und räume ihnen schließlich einen Platz in meiner Vergangenheit, der ihnen zusteht, ein. Diese Erfahrung mit intensiver Körperarbeit bei meinem ersten Bioenergetik-Workshop setzte Gedanken und Gefühle in Bewegung, die noch lange nachwirkten. Heute sehe ich das Wochenende als ersten Schritt zu vielen Veränderungen in meinem Leben. Im Laufe des nächsten halben Jahres nach diesem Erlebnis beschloss ich, mich auf der Basis meines diplompädagogischen Studiums weiterzubilden. Ich hatte für mich ein neues Ziel gefunden, das ich heute erreicht habe: Die Behandlung von Patienten in einer eigenen therapeutischen Praxis, bei der die Körpertherapie ein wesentlicher Schwerpunkt ist.
In der Geschichte der Psychotherapie war Wilhelm Reich einer der ersten Pioniere in der Anwendung therapeutischer Methoden, die nicht nur Symptome der Geistes- und Gemütskrankheiten behandeln. Er bezog den „Körper als Sitz der Seele“ mit in seine Arbeit ein und entwickelte die „Orgontherapie“. Dr. Alexander Lowen erweiterte das Konzept von Wilhelm Reich zu einer tiefenpsychologisch fundierten Körperpsychotherapie, der „Bioenergetischen Analyse“.
Der Unterschied zu herkömmlichen analytischen Techniken besteht darin, dass der Patient zuerst und vor allem als körperlich-geistige Einheit gesehen wird. Mit Hilfe der bioenergetischen Therapie wird im Unterschied zu anderen psychoanalytischen Techniken nicht nur das psychische Problem des Patienten analysiert. Es geht auch um den physischen Ausdruck dieses Problems und wie dieses sich in der Körperstruktur und in den Bewegungen des Patienten manifestiert. Zu der Technik gehört ein systematischer Versuch, die physische Spannung zu lösen, die in chronisch angespannten Muskeln zu finden ist. Übertragung und Gegenübertragung „sind die Brücke, über die zwischen zwei Menschen Gefühle hin- und hergehen. In der bioenergetischen Therapie bringt der körperliche Kontakt sowohl die Übertragung als auch die Gegenübertragung schärfer in den Brennpunkt. Dies erleichtert die affektive Seite der analytischen Arbeit“ (Lowen). Da außer der Analyse auf verbaler Ebene die Arbeit auch auf physischer Ebene getan wird, ist der Analytiker tiefer beteiligt als bei den konventionellen Techniken. Körper und Geist beeinflussen sich gegenseitig: Was ich denke, hat Einfluss darauf, was ich fühle. Was ich fühle hat umgekehrt aber auch Einfluss, darauf, was ich denke. Das Zusammenspiel von Denken und Fühlen können wir schon auf der bewussten Ebene der Persönlichkeit beobachten. In tieferen Schichten, d.h. auf unbewusstem Gebiet ist beides, Denken und Fühlen, von Energiefaktoren bestimmt. Die energetischen Prozesse und die Lebendigkeit des Körpers hängen unmittelbar zusammen und bedingen sich gegenseitig: Je lebendiger der Mensch ist, je mehr Energie hat er und umgekehrt. Anspannung von Atmung und Muskulatur ermöglicht die Abwehr von Emotionen, wie ängstliche Gefühle, Ärger und Wut. Gleichzeitig schränkt sie aber unsere Energie ein. Um uns vor verschiedenen Ängsten und Bedrohungen zu schützen, geben wir schon vom ersten Atemzug unseres Lebens an Teile unserer Vitalität auf. Wir „panzern“ uns gegen die Bedrohungen, die uns in der Welt begegnen. Diese „Panzerung“ resultiert schließlich in spezifischen Abwehrmustern, die unsere Charakterstruktur prägen. Die Charakterstruktur stellt den besten Kompromiss dar, den der Betreffende in Anbetracht seiner kindlichen Lebensumstände schließen konnte. Sie entscheidet darüber, wie ein Mensch sein Bedürfnis nach Liebe, sein Bemühen nach Intimität und körperlicher Nähe, sein Streben nach Lust und Selbst-Ausdruck umsetzt. Die grundlegenden Funktionen des Körpers, Atmung, Bewegung, Gefühl und Selbst-Ausdruck sind blockiert. Chronische Anspannungen finden ihren Ausdruck in Körperhaltung, Atmung, Mimik und Gestik. Wachsamkeit, „Panzerung“, Misstrauen und Isolation schränken das freie Fließen der Lebensenergie eines Menschen ein. Wir schützen uns so selbst davor, verletzt zu werden. Das erscheint vielleicht in der aktuellen Situation verständlich. Wenn aber solche Haltungen zum Bestandteil des Charakters oder der Persönlichkeitsstruktur werden, rufen sie bleibende Schäden hervor.
Ziel der Bioenergetik ist es, den Menschen dabei zu unterstützen, zu einem Zustand der Freiheit, Anmut und Schönheit zu finden. Freiheit ist die Hingabe an den Fluss der Gefühle. Anmut ist der Ausdruck dieses Flusses in Bewegungen. Schönheit ist die Äußerung der inneren Harmonie, die ein solcher Fluss erzeugt. „Zugelassene Lebendigkeit“ ist die Basis der bioenergetischen Therapie.
Lowens „Bioenergetische Analyse“ beinhaltet die Suche nach dem Miteinander zwischen den beiden Bereichen der Persönlichkeit, dem Körperlichem und dem Seelischem. Zum körperlichen Bereich gehören Bewegung, Atmung und deren Stärke. Der seelische Bereich umfasst alle Ich–Funktionen der Persönlichkeit, Imaginationen und deren emotionale Qualität. Wenn der Kontakt in einem der beiden Bereiche verloren geht, findet sich auch immer ein Äquivalent auf der anderen Seite. „Jede bioenergetische Veränderung wirkt gleichzeitig auf zwei Ebenen. Auf der somatischen Ebene findet eine Zunahme der Motilität, der Koordination und Steuerung statt; auf der psychischen Ebene werden Denken und Einstellungen neu geordnet. Bioenergetische Therapie ist nicht möglich ohne eine gründliche Durcharbeitung der gegenwärtigen Einstellungen und Verhaltensweisen und der genetischen und dynamischen Kräfte, die sie haben entstehen lassen.“ (Lowen)
Der Bioenergetik–Therapeut will durch eine sorgfältige Diagnose der physischen und psychischen Verfassung des Patienten verstehen, wie dieser sich und sein Leben aufgebaut hat. Das „Körperlesen“ ist eine der diagnostisch grundlegenden Techniken, denen sich der Bioenergetiker bedient. Er untersucht unter anderem genauestens die Struktur der Haut des Patienten, die Gesamtbeschaffenheit seiner Körpermuskulatur und seinen Körper in Bewegung. Dabei kann der Bioenergetiker viele Rückschlüsse ziehen: Zum Beispiel über das Verhältnis des Patienten zu seiner Mutter und zu seinem Vater, seinen allgemeinen Einstellungen zum Leben, zur Liebe, zu persönlichen Beziehungen, zur Bewegung, zur Veränderung und zur Leistungsfähigkeit. Körperarbeit und die Aufarbeitung von Konflikten im Gespräch ergänzen sich bei der Methode der Bioenergetischen Analyse gegenseitig. Die Lösung chronischer Muskelanspannungen und Blockierungen, die Befreiung unterdrückter Gefühle und die Analyse von zugrundeliegenden Konflikten stärken die Lebenskräfte des Patienten und fördern die Möglichkeiten seines Persönlichkeitswachstums. Er wird in die Lage versetzt sein Verhaltensmuster zu korrigieren.
Die Behandlung umfasst Massage, Druckanwendungen und sanfte Berührungen um kontrahierte Muskeln zu entspannen. Die Übungen sollen dem Patienten den Zugang zu den eigenen Verspannungen ermöglichen und sie durch geeignete Bewegungen lösen. Sie bieten zudem einen Raum sich selbst kennen zu lernen. Weil jeder Mensch in seinen Möglichkeiten und Grenzen einmalig ist, kann er sich auch bei jeder Übung wieder neu entscheiden, wie er sie annimmt. Was bei dem einen ein Wohlgefühl auslöst, kann beim anderen neutral wirken oder beim nächsten können starke negative Emotionen auftreten. Aufkommende Bilder, Körpergefühle, Emotionen und Widerstände sind erwünscht. Am wichtigsten ist es bei den Übungen, immer wieder den eigenen Kontakt mit dem Boden und den Atem zu kontrollieren. Das „Erden“, d.h. in Kontakt mit dem Boden zu kommen, ist neben der kontrollierten Atmung eine der grundlegenden bioenergetischen Übungen. Wer seinen Atem blockiert, schneidet sich von seinen Gefühlen ab. Wenn Gefühle aufkommen, egal ob Körpergefühle oder sonstige Emotionen, bedeutet das, dass wir mit unserer Lebendigkeit in Kontakt kommen. Ich glaube, dass es sinnvoll ist, wenn wir uns als Heilpraktiker im Bereich der Psychotherapie auch zusätzliche Kenntnisse aneignen, die kassenrechtlich nicht abgerechnet werden können. So sollte „Körperlesen“ meines Erachtens in das Repertoire jedes Therapeuten gehören. Darüber hinaus kann die Teilnahme an einer bioenergetische Übungsgruppe für viele unserer potentiellen Patienten ein Wegbereiter zur weiteren „Arbeit am Selbst" sein. Entspannungstechniken unterstützen zudem in der Therapie einen besseren Zugang des Therapeuten zu den tiefer liegenden Schichten der Persönlichkeit des Patienten. Damit können wir dem Patienten außerdem neue Wege vermitteln, Selbstverantwortung zu übernehmen.
Ich beabsichtige daher in Zukunft in unterschiedlichen Themenschwerpunkten Seminare aus dem Bereich der Körperarbeit anzubieten.
Literatur:
Alexander Lowen,
Körperausdruck und Persönlichkeit;
Wilhelm Reich, Charakteranalyse;
Ken Dytchwald, Körperbewusstsein
Kurzdarstellung meiner Person:
Margarete Rodenbach-Stadler Diplompädagogin, Dozentin, Praxis für Psychotherapie(HPG)
Als Sozialpädagogin arbeitete ich 10 Jahre in der Kinder- und Jugendarbeit in einer Einrichtung des Jugendamtes der Stadt Düsseldorf. Gleichzeitig qualifizierte ich mich durch das Studium der Erziehungswissenschaft an der Universität Düsseldorf mit dem Abschluß „Diplompädagogin“ im Jahr 1985 weiter. Ich besuchte die Deutsche Paracelsus Schule in Düsseldorf und nahm dort an der Ausbildung zur „Psychologischen Beraterin“ teil. Zusätzlich absolvierte ich weitere Ausbildungen zum „Trainer in Progressiver Muskelentspannung“ und „Autogenem Training“. Anschließend erlernte ich den Umgang mit dem „Katathymen Bilderleben“. Im Dezember 1999 begann ich eine Ausbildung beim Norddeutschen Institut für bioenergetische Analyse (NIBA) zur „Bioenergetischen Analytikerin“.
Seit 1999 unterrichte ich an den Deutschen Paracelsus Schulen als Dozentin für die Ausbildung zum „Psychologischen Berater“. Im März 2000 bekam ich nach einer Überprüfung beim Gesundheitsamt in Krefeld die „Zulassung zur Ausübung der Heilkunde im Gebiet der Psychotherapie“
Margarete Rodenbach-Stadler
Otto-Beche-Straße 26,
40627 Düsseldorf,
Tel.: 0211 / 27 59 87,
Fax: 0211 / 2 70 05 77