Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Unfallversicherung
Für Psychologische Berater und Coaches kann
Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Unfallversicherung
bestehen – auf das individuelle Tätigkeitsfeld kommt es an
Dem Sozialstaat mit seiner Lobby und seinen Wohlfahrtspolitikern ist die Grenzenlosigkeit immanent. Die Ausdehnung von Versicherungspflichten bringt erst einmal Geld in die Sozialkassen. So wie die EU-Staaten mittlerweile gemerkt haben, dass sie nicht nur Schulden machen, sondern auch zurückzahlen müssen, stellt man bei der Sozialversicherung verwundert fest, dass die neuen Beitragszahler auch Leistungsempfänger sind.
Heilpraktiker für Psychotherapie sind bei den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 4 Abs. 3 SGB VII beitragsfrei. Ob Psychologische Berater und Coaches bei der Ausübung ihrer Tätigkeit in der gesetzlichen Unfallversicherung nach dem Sozialgesetzbuch – Siebtes Buch (SGB VII) beitragsfrei oder pflichtversichert sind, wurde von Berufsgenossenschaften unterschiedlich beurteilt.
Ausnahme nach § 4 Abs. 3 SGB VII
Von der generellen Versicherungspflicht nach § 2 Abs.1 Nr. 9 SGB VII sind nach § 4 Abs. 3 SGB VII selbstständig tätige Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, psychologische Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Heilpraktiker und Apotheker ausgenommen. Zu den Heilpraktikern gehören auch nichtärztliche Psychotherapeuten, die nach dem Heilpraktikergesetz tätig sind (Ricke, Kasseler Kommentar, Loseblattsammlung, Stand: Juni 2012, Anmerkung 12 zu § 4). Die in § 4 Abs. 3 SGB VII vorgenommene Aufzählung ist abschließend (Schmidt, SGB VII, 2 Auflage München 2004, Anmerkung 26 zu § 4).
Psychologische Berater und Coaches werden von dieser Ausnahmeregelung nicht erfasst. Wenn aber die Ausnahmeregelung von § 4 Abs. 2 SGB VII nicht eingreift, wären Psychologische Berater und Coaches nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII pflichtversichert, wenn sich ihre selbstständige Tätigkeit auf das Gesundheitswesen oder die Wohlfahrtspflege bezieht.
Versicherungspflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII
Eine Versicherungspflicht besteht nur dann, wenn sie sich aus dem Gesetz ergibt und keine Ausnahmen zugelassen sind. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII besteht eine Versicherungspflicht für Personen, die selbstständig oder unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig sind. Etwas anderes gilt nur, wenn eine Ausnahmeregelung greift.
Tätigkeit im Gesundheitswesen?
Das Gesundheitswesen erfasst Tätigkeiten und Einrichtungen, deren Hauptzweck auf die menschliche Gesundheit einschließlich der Hygiene zielt (Besserung oder Beseitigung krankhafter Zustände, Vorbeugung gegen Gesundheitsschäden einzelner oder der Allgemeinheit u. Ä.). Versichert sind z. B. Hebammen, Krankenschwestern, Masseure, Bademeister (medizinischer, anders bei nichtmedizinischen Reinigungsbädern), Fußpfleger (sofern sie nicht reine Schönheitspflege betreiben), sämtliche medizinische Heil- und Hilfsberufe, Desinfektoren, Kammerjäger, medizinische Studenten in praktischer Ausbildung, dem Heilpraktikergesetz nicht unterliegende nichtärztliche Psychotherapeuten, Logopäden, nichtärztliche Betreiber eines medizinschen Labors. Wesentlich für die Definition des Gesundheitswesens ist eine Tätigkeit, die auf die menschliche Gesundheit einschließlich der Hygiene zielt.
Psychologische Berater und Coaches haben nicht geregelte Berufsbilder. Jedenfalls sind sie außerhalb der Heilbehandlung tätig und nicht im „Gesundheitswesen“ integriert. Allgemein sind Psychologische Berater und Coaches unterstützend zur Regelung sozialer Konflikte tätig und ihre Beschäftigung ist kein „gesundheitliches“ Handeln. Dies ergibt sich auch aus § 1 Abs. 3 Satz 2 PsychThG: „Zur Ausübung von Psychotherapie gehören nicht psychologische Tätigkeiten, die die Aufarbeitung und Überwindung sozialer Konflikte oder sonstiger Zwecke außerhalb der Heilkunde zum Gegenstand haben.“ Selbsterfahrung, Persönlichkeitsbildung, Stressbewältigung, Konfliktbewältigung, Selbstmanagement, Entspannung, Kreativitätsförderung, gesunde Ernährung, Sportförderung und Wellness sind also Bereiche, in denen die Berufsangehörigen tätig sind. Damit stehen sie außerhalb des „Gesundheitswesens“, so wie dieser Begriff im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung verstanden wird.
Ein Beispiel:
In den letzten Wochen haben wieder zahlreiche Erstklässler das erste Mal den Schulweg hinter sich bringen müssen. Eltern haben die Aufgabe, ihre Kinder langsam zu ermutigen, den Schulweg allein zu gehen. Hierbei kann die Unterstützung durch andere Kinder sinnvoll sein. Wann der richtige Zeitpunkt für den ersten Weg zusammen mit einer Schulfreundin ist und wie auf die Sorgen und Nöte der Kinder reagiert werden kann, wissen Psychologische Berater und Coaches, die hier Tipps und Hilfestellungen geben können. Die Beratung der Eltern in einem solchen Fall, z. B. durch das Erklären sozialer Mechanismen, fällt nicht unter die Heilkunde.
Individuell bestimmtes Berufsbild
Da Psychologische Berater und Coaches keinen geregelten Berufszugang haben und auch kein einheitliches Berufsbild existiert, kommt es entscheidend auf die individuelle Bestimmung des Tätigkeitsfeldes an, also auf die eigene Wahl des Tätigkeitsschwerpunktes und des Selbstverständnisses. Für die Feststellung der Versicherungspflicht wird geprüft, ob eine „Tätigkeit im Gesundheitswesen“ im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII ausgeübt wird. Anhand der Berufsbezeichnung allein kann eine „Tätigkeit im Gesundheitswesen“ nicht fixiert werden, gerade weil es eben kein einheitliches Berufsbild und keinen geregelten Berufszugang gibt.
So ist denkbar, dass sich Berufsangehörige innerhalb des Gesundheitswesens platzieren (vergleichbar mit „ehrenamtlich im Gesundheitswesen tätige Personen“) oder außerhalb des Gesundheitswesens. Indizien für die Prüfung sind u. a. der Internetauftritt und sonstige Werbung.
Dr. jur. Frank A. Stebner
Fachanwalt für Medizinrecht und Praxisberater, MedTrainer® in Salzgitter