Versöhnung - der Schlüssel zum gesunden Selbstbewusstsein
Schon mehrfach habe ich in der „Freien Psychotherapie“ über meine Arbeit mit der Tiefenentspannung mit ihren vielfältigen Möglichkeiten der Problembewältigung geschrieben (Ausgaben 04/2005, 01/2010, 01/2011).
Hier eine kurze Zusammenfassung meiner Arbeitsweise
Die Tiefenentspannung, wie ich sie anwende, ist der Hypnose verwandt, unterscheidet sich jedoch von dieser nicht nur durch eine geringere Tiefe, sondern auch dadurch, dass ich nicht mit Suggestionen arbeite. Ich führe meine Klienten in einen leicht eingeengten Bewusstseinszustand, in dem sie durchaus ihre Kritikfähigkeit beibehalten. Während der Sitzung kommen sie häufig an Bilder und Szenen aus ihrer Vergangenheit, die sie mir schildern und die häufig mit körperlichen und/oder emotionalen Empfindungen verbunden sind.
Ich begleite meine Klienten auf ihrem Weg und verstehe mich dabei lediglich als Moderatorin ihrer seelischen Prozesse. Die Bilder und Szenen können real Erlebtes noch einmal wachrufen, können aber ebenso Metaphern sein, die während der Sitzung als ganz real erlebt werden.
Da alles, was geschieht, von der Klientin/dem Klienten im Hier und Jetzt erlebt wird, entsteht subjektiv eine ganz neue, positive Realität, durch die früher gemachte negative Erfahrungen aufgelöst werden können. Diese neuen Erfahrungen schaffen – ebenso wie real Erlebtes – neue Verknüpfungen im Gehirn, womit die alten, negativen Muster überflüssig werden. Auf diese Weise kann ein tiefgreifender innerseelischer Heilungsprozess in Gang kommen, in dem die Symptome, unter denen der Klient bisher gelitten hat, jegliche Relevanz verlieren.
Seelische Probleme haben häufig ihre Wurzeln in einer misslungenen Beziehung zur Mutter und/oder zum Vater. Menschen, die als Kinder nicht im ausreichenden Maß die elterliche Anerkennung, Liebe und Geborgenheit erfahren konnten, haben oft seelische Defizite, die sich – unter anderem – durch mangelndes Selbstwertgefühl äußern können.
Mir geht es bei meiner Arbeit jedoch keineswegs darum, einen Schuldigen zu finden, der für die Probleme des Klienten verantwortlich wäre. Eltern, die ihrem Kind zu wenig emotionale Wärme schenken, können es im Allgemeinen deshalb nicht, weil sie selbst von ihren Eltern zu wenig davon bekommen haben. Das Wissen allein um diese Zusammenhänge hilft allerdings niemandem. Die eigenen seelischen Verletzungen können sich dadurch nicht aufl ösen, denn sie liegen in einer viel tieferen Schicht, die wir weder mit unserer Einsicht, noch mit unserem Verstand erreichen können. Erreichen können wir sie hingegen mit der Tiefenentspannung.
Das Ziel bei meiner Arbeit ist also nicht rationales Verständnis für, sondern innere Versöhnung mit den Eltern. Was für bemerkenswerte Folgen eine solche Versöhnung mit sich bringt, möchte ich hier schildern.
Fallstudie
Die Klientin war Ende 60, eine schlanke, lebhafte Frau. Hier nenne ich sie Anna. Auch wenn man es ihr nicht anmerkte: Anna litt Zeit ihres Lebens unter ihrem mangelnden Selbstwertgefühl und Unsicherheit gegenüber anderen Menschen, wie sie berichtete, und sie hatte immer das Gefühl, von einer inneren Unruhe getrieben zu sein.
Annas Geschichte
Sie wurde mitten im Krieg als drittes Kind ihrer Eltern geboren, später kam noch ein Bruder dazu. Die ältere Schwester war noch als „unser Sonnenschein“, der ältere Bruder als „unser Stammhalter“ von den Eltern willkommen geheißen worden. Anna wurde 15 Monate nach dem Bruder geboren, womit ihre Mutter – hier nenne ich sie Edith – vollkommen überfordert war. Als sich zwei Jahre später erneut ein Kind ankündigte, wurde die kleine Anna für ein halbes Jahr zu ihrer Großmutter gegeben, von der sie liebevoll betreut wurde. Die Trennung von ihren Eltern verstärkte allerdings noch ihr Gefühl, unerwünscht zu sein. Nach der Geburt des jüngeren Bruders kam sie wieder zurück zu ihren Eltern. Aber sie war ein weinerliches Kind und ihre Mutter hatte für die „Heulsuse“ keinerlei Verständnis. Allerdings in diesen furchtbaren Zeiten auch keine Nervenkraft, was Anna ihr – später als erwachsene Frau – durchaus zugute hielt. Es gibt viele Parallelen zur Geschichte ihrer Mutter:
Ediths Geschichte
Edith wurde 1909 als zweite Tochter von insgesamt vier Töchtern geboren. Sie kam – ebenso wie Anna – 15 Monate nach ihrer älteren Schwester zur Welt. Wäre sie als „Stammhalter“ geboren worden, hätte sie vielleicht einen besseren Start gehabt. So war die Enttäuschung ihrer Eltern groß, als es wieder ein Mädchen wurde. Auch sie wurde zur „Heulsuse“. Ihr Vater wurde bereits 1915 im Ersten Weltkrieg eingezogen und fiel zwei Jahre später. Ihre Mutter erlernte den Beruf der Schneiderin, um ihre vier kleinen Mädchen durchzubringen. So hatte sie neben großen Geldsorgen auch herzlich wenig Zeit und Geduld für ihre Kinder. Edith entwickelte wenig Selbstwertgefühl und wurde später depressiv.
Annas Tiefenentspannung
Anna konnte sich gut auf die Tiefenentspannung einlassen. Sie kam jedoch nicht an real erlebte Situationen aus ihrer Vergangenheit heran. Stattdessen entwickelte sich eine Geschichte, die als Metapher nicht nur für ihre frühen Lebensjahre, sondern auch für die ihrer (längst verstorbenen) Mutter angesehen werden kann und die damit eine ungeahnte positive Wirkung für Annas weiteres Leben nach sich zog.
Es entwickelte sich folgendes Geschehen, das ich hier sehr verkürzt wiedergeben möchte (die Sitzung dauerte insgesamt etwa zwei Stunden):
Die kleine Anna geht einen schmalen Weg entlang, um sie herum ist es grau und trübe. Sie kommt an eine alte, verfallene Holzhütte, die sie zögernd betritt. In einem dunklen Raum sitzt eine alte Frau auf einer Bank, in der sie ihre Großmutter erkennt. Diese lächelt sie freundlich an und nimmt das kleine Mädchen liebevoll auf den Schoß.
Als Anna aufschaut, sieht sie ihre Mutter mit verschränkten Armen vor sich stehen. Böse betrachtet sie ihre kleine Tochter und ihr Blick sagt: „Die bekommt von meiner Mutter, was ich nie von ihr bekommen habe“. Die kleine Anna rückt beiseite und macht Platz für ihre Mutter, die nun auch ein kleines Mädchen geworden ist.
Die Großmutter/Mutter drückt nun beide kleine Mädchen, die sich wie Zwillinge ähneln, an ihr Herz. Anna und Edith genießen die zärtliche Umarmung. Nach einiger Zeit springen sie vom Schoß herunter und beginnen fröhlich im Raum herumzutollen, bis sie hungrig geworden sind. Auf einem groben Holztisch steht eine Schüssel mit Suppe, aus der beide Kinder sich satt essen. Dann beginnen sie übermütig mit den Löffeln in der Suppe herumzupatschen, so lange, bis sie über und über mit Suppe bekleckert sind. Sie ziehen ihre beschmutzten Sachen aus und jagen nackt und übermütig durch den Raum. Im Hintergrund steht nun eine große Wanne und im warmen Wasser spielen sie lange und ausgiebig, bis die Mutter/Großmutter beide mit einem großen Badetuch trockenrubbelt. Dann bringt sie die beiden kleinen Mädchen zu Bett, wo sie in einen tiefen Schlaf fallen.
Auf dem Gesicht der erwachsenen Anna, die mit geschlossenen Augen vor mir liegt, hat sich ein Leuchten eingestellt, das ihren inneren Frieden widerspiegelt. Ich gebe ihr noch viel Zeit, bis ich sie zurückführe ins Hier und Jetzt.
Dieser innere Frieden, der aus der tiefen Versöhnung mit ihrer Mutter und deren Schicksal zu erklären ist, lebte weiter in Anna. Die innere Unruhe war vollkommen verschwunden und ihr Selbstwertgefühl war von nun an stabil und gesund, was nicht nur sie selbst spürte, sondern auch von ihrer Umgebung deutlich wahrgenommen wurde. Ihre Verkrampftheit, die sie bisher in der Begegnung mit anderen Menschen hatte, stellte sich nicht mehr ein.
Amrei Spalek
Privatpraxis für Psychologische Beratung in Braunschweig, Schwerpunkt Tiefenentspannung.
Ausbildung zur Psychologischen Beraterin an der Deutschen Paracelsus Schule. Seminarleiterin Autogenes Training und Progressive Muskelentspannung. Fortbildung in Hypnose.