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Harmloser Babyblues oder schwere Depression?

Postpartale psychische Störungen – Teil 1

Postpartale psychische Probleme werden auch heute noch tabuisiert. Eine junge Mutter, die ein gesundes Kind entbunden hat, muss glücklich sein. Diesen Anspruch erhebt unsere Gesellschaft, dieser Anspruch wird auch in Presse und Werbung suggeriert. Man berichtet von Freudentränen, verschweigt die Heultage, man schwärmt von Mutterglück und vergisst, dass es auch Mutterleid gibt.

Schon während der Schwangerschaft wird den werdenden EItern nur eine wunderschöne, rosarote Zukunft mit Baby avisiert. Niemand erzählt, dass es nach einer Geburt auch ernste seelische Krisen geben kann. Immerhin erkranken 10–15 % aller Mütter im ersten Jahr nach der Geburt an einer Wochenbettdepression.

Leider sind auch Gynäkologen, Kinderärzte und Hebammen beim Thema "PPD" überfordert. Während in angelsächsischen Ländern auf die Rückbildung der Gebärmutter ebenso selbstverständlich wie auf die seelische Verfassung der Mutter geachtet wird, gehört dieser Teil der Nachsorge bei uns nicht zum Standard. Mütter werden in ihrem Unglück häufig alleine gelassen.

WIE ÄUSSERT SICH EINE WOCHENBETTDEPRESSION, WIE ENTSTEHT SIE, WELCHE LEITSYMPTOME GIBT ES?

2005-04-Babyblues1Eine Postpartale Depression (PPD) oder Wochenbettdepression kann sich aus dem ganz normalen "Babyblues" (den nach einer Geburt als "normal" geltenden Heultagen)
heraus entwickeln. Es erkranken aber auch Frauen, die nie unter den "Heultagen" gelitten haben. Die Symptome treten schleichend auf, für die Betroffenen und Angehörigen zunächst unbemerkt. Später werden die Probleme verdrängt, bis eines Tages die Illusion des glücklichen Familienlebens unter den nicht mehr zu verheimlichenden Symptomen zerbricht.
Die PPD wird auch "smiling depression" genannt, weil die Betroffenen – solange es irgendwie geht – die Fassade der strahlenden Mutter aufrechterhalten.

 

Der Verlauf der Wochenbettdepression kann alle erdenklichen Schweregrade aufweisen. Sie kann leicht verlaufen und nur wie ein prolongierter Babyblues wirken, aber genauso zu schwerster depressiver Symptomatik mit Suizidgedanken führen.

Jede Betroffene erlebt ihren ganz persönlichen Albtraum, der sich nur schwer in das Schema einer Liste von Symptomen pressen lässt. Bei den folgenden Problemen sollte man an PPD denken:
  • Starke Schlafstörungen und Müdigkeit (Vorsicht! Bei PPD geht es etlichen Betroffenen am Morgen besser als am Abend. Es gibt also nicht das für die üblichen Depressionen typische Morgentief!)
  • Psychomotorische Störungen
  • Veränderungen des Appetits (während die "üblichen" Depressionen eher – aber auch nicht in der Regel! – von Appetitlosigkeit gekennzeichnet sind, kann es bei der PPD sogar zur Ausbildung übermäßigen Appetits kommen)
  • Exzessive Schuld- und Versagensgefühle. Die Mütter glauben, sie seien nicht in der Lage, ihr Kind angemessen zu versorgen. Sie sind überzeugt, alles falsch zu machen.
  • Angstgefühle, die quälend sind, z. B. die Angst, dem Kind etwas anzutun, es zu ersticken, oder auch Panikattacken treten auf (begleitet von Beklemmungsgefühl, Kurzatmigkeit, Schwindel, Kribbeln in Händen und Füßen, Zittern, Schweißausbrüchen usw.)
  • Zwiespältige Gefühle dem Kind gegenüber, z. B. Probleme, eine emotionale Beziehung zum Kind aufzubauen. In seltenen Fällen kann es zur Vernächlassigung des Kindes kommen.
  • Suizidale Gedanken. Die Mütter haben die Vorstellung, wenn sie aus dem Leben schieden, könnten alle anderen wieder ein glückliches und normales Leben führen.
  • Die Frau fühlt sich generell in ihrer Funktionstüchtigkeit eingeschränkt.

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Diagnostik: zunächst ausführliche Exploration, möglichst anhand des "Gesprächsleitfadens bei Verdacht auf PPD" (Neuseeländischer Fragebogen von Maternal Mental Health). Bestätigt sich hierbei der Verdacht, sollte man als nächsten Schritt die "EPDS", die Edinburgh Postnatal Depression Scale, einsetzen. Dieser Fragebogen besteht aus zehn Fragen, zu denen es je vier Antwortmöglichkeiten gibt. Die Frau wird gebeten, die Fragen in Ruhe zu beantworten. Bei einer Gesamtpunktzahl von 12 und darüber liegt die Vermutung nahe, dass die Patientin an einer PPD leidet.

Wichtig ist nun eine differentialdiagnostische Abklärung durch einen Arzt. Depressionen können durch körperliche Erkrankungen ausgelöst sein und nur zufällig in zeitlichem Zusammenhang zur Geburt stehen.

Die Ursachen sind multifaktoriell. Es gibt mehrere "Risikofaktoren", die das Auftreten begünstigen, wobei das größte Risiko zu erkranken bei Frauen besteht, die schon einmal eine psychische Erkrankung durchmachen mussten. Andere Ursachen sind:

  • Psychologische Faktoren, wie das Gefühl der Unzulänglichkeit, mangelndes Selbstwertgefühl, ambivalente Gefühle zur Mutterschaft
  • Körperliche Erschöpfung, Schlafentzug
  • Schwierige Mutter-Tochter-Beziehung
  • Fehlendes soziales Netz
  • Temperament des Kindes (Schreikind, Schlafprobleme des Babys)
  • Fehlen von stabilen Verwandtschaftsbeziehungen
  • Traumatische Geburtserlebnisse
  • Demographische Faktoren (sehr junge oder sehr alte Mutter, Sozialstatus, gesellschaftliche Krisen, Ortswechsel kurz vor oder nach der Geburt)
  • Hormonelle Veränderungen sind nach einigen Studien nicht direkt mit PPD in Verbindung zu bringen, andere Forschungsergebnisse lassen eine Besserung der Beschwerden durch Substitution mit Östrogen oder Progesteron erkennen.

Die Überwindung der PPD kann ein langer, mühsamer Weg sein mit Hoffnungsschimmern und verzweifelten Momenten. Patientinnen, die Hilfe bekommen, sei es psychotherapeutisch, medikamentös oder in Kombination von beidem, haben eine sehr große Chance, dass die Krankheit geheilt wird.

Die "Kognitive Verhaltenstherapie" eignet sich besonders gut zur Behandlung. Sie ist eine problemorientierte, strukturierte, konkrete und spezifische Therapie. Sie motiviert zum aktiven Erproben neuer Verhaltens- bzw. Erlebnisweisen und Problemlösungsstrategien. Zusätzlich gehören Aktivitätsaufbau, Verbesserung sozialer Kompetenz, Problemlösungstraining und Kommunikationsübungen zum therapeutischen Repertoire. Ziel des Therapeuten muss sein, die "depressive Spirale" zu stoppen, umzukehren und eine konstruktive Entwicklung einzuleiten.

Eine enge Zusammenarbeit zwischen Psychotherapeut, Arzt (Gynäkologe, Psychiater, Kinderarzt) und Hebamme ist dringend erforderlich, um adäquat zu helfen. Wichtig ist, auf Verschlechterungen im Befinden zu achten und notfalls auch eine stationäre Behandlung einzuleiten, da die Gefahr des Suizids besteht. In ganz Deutschland gibt es mittlerweile psychiatrische Einrichtungen mit Mutter-Kind- Einheiten.

Generell wäre es aus meiner Sicht dringend erforderlich, über das Thema Wochenbettdepression in der Geburtsvorbereitung (sei es beim Gynäkologen oder einer Hebamme) aufzuklären. Aufgeklärte Frauen würden die Symptome an sich deutlich schneller erkennen und würden deutlich früher Hilfe suchen. Wenn die Mütter dann auch noch um die Häufigkeit dieser Störungen wüssten, käme es nicht mehr so häufig und lang anhaltend zu den verzweifelten Versuchen, den Schein der glücklichen Mutter zu wahren – bis zum Zusammenbruch. Die Scham, an "so etwas" zu leiden, würde im gleichen Maße abnehmen, wie Verständnis und Mitgefühl für die Betroffenen steigen würden. Eine Einbeziehung des werdenden Vaters ist überaus wünschenswert, um auch bei ihm die Aufmerksamkeit für das Befinden seiner Partnerin zu schärfen.

 

Claudia Ascher
Geboren 1962 in München. Verheiratet, Mutter von vier Kindern und einem Pflegekind. Nach dem Abitur Arbeit in einer Frauenklinik und danach in einer Kinderklinik. Danach Ausbildung zur Arzthelferin, diverse Fortbildungen (Praxismanagement, optimale Patientenbetreuung, Basic-Life-Support, Diabetes- und Hypertonieberatung, Professionelle Praxiskommunikation usw.)
Langjährige Berufserfahrung bei zwei Ärzten und in der Notaufnahme eines Krankenhauses. Nebenbei "Sozialpädagogische Familienhilfe" für das Jugendamt. Ausbildung zur Psychologischen Beraterin an der Paracelsus-Schule Mönchengladbach.