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Borderline - Grenzfall oder Herausforderung?

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Fallstudie
Seit März 2003 bin ich in eigener Praxis für psychologische Beratung und Psychotherapie (HPG) tätig. Vorausgegangen sind dem sieben Jahre sozialpädagogische Tätigkeit in einem Kinderheim – v. a. mit Jugendlichen zwischen 16 und 21 Jahren. In dieser Zeit konnte ich weitreichende Erfahrungen in der Arbeit mit sexuell traumatisierten und v. a. Menschen mit Borderline-Syndrom sammeln und für mich erkennen, dass dieses Arbeitsfeld auch in meiner eigenen selbstständigen Arbeit erhalten bleiben soll, da es eine besondere Herausforderung darstellt. Aus diesem Grunde möchte ich im Folgenden auf einen Fall mit Borderline-Symptomatik eingehen.

ANAMNESE UND BEFUND

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Im Juni 2005 suchte mich nach telefonischer Vereinbarung eine 24-jährige Frau in der Praxis auf (im Folgenden Frau X. genannt). Sie begründete die Notwendigkeit einer Psychotherapie damit, dass sie sich von ihrem Partner nach sieben Jahren getrennt hatte. Im Behandlungsvertrag legten wir zunächst eine Frequenz im 14-tägigen Rhythmus fest.

Im Verlauf der ersten Sitzungen erfolgte eine Anamneseerhebung nach den Kriterien des "psychischen Befundes". Aus diesen Anhalts- punkten, wie auch aus der Durchführung des FPI und Leitfragen aus dem "Diagnostischen Interview für das Borderline- Syndrom" konnte ich nach einigen Sitzungen meinen Verdacht einer auftretenden Borderline- Sympto-matik bestätigen. Unterstützend waren dabei auch die Kriterien der DSM-IV (301.83). Hierbei müssen mindestens fünf Symptome diagnostiziert sein, um die Diagnose "Borderline" anzunehmen:

1) Muster instabiler, aber intensiver Beziehungen mit Wechsel zwischen Überidealisierung und Abwertung

Die Freundschaften und Beziehungen von Frau X. sind wenig von Stabilität gekennzeichnet, sie hat nur wenige Bekannte oder Freunde. Sie gibt an, dafür bekannt zu sein, sich um andere zu kümmern, möchte aber nicht, dass man sich um sie sorgt, um die eigene Verletzbarkeit zu verbergen.

Die Überidealisierung spüre ich als Therapeutin sehr deutlich, indem sie mir gegenüber ein starkes Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit bei gleichzeitiger großer Angst äußert, erneut verlassen zu werden. Für eine Instabilität im Beziehungsverhalten spricht ebenso, dass Frau X. erklärt, dass ihre "Freundschaften" in der Vergangenheit in erster Linie dadurch gekennzeichnet waren, dass sie Mutterersatz bei Frauen suchte. Auffallend ist weiterhin, dass sie in den ersten Sitzungen selbst angefertigte Geschenke mitbringt. Später schildert sie, dass sie ungeduldig auf die nächsten Sitzungen warte, die Stunden und Tage bis zum nächsten Termin zähle. Das verzweifelte Bemühen, tatsächliches oder erwartetes Verlassenwerden zu vermeiden, wird unterstrichen, indem sie mich auch nach unseren Sitzungen mit langen Briefen aus der Vergangenheit versorgen möchte und mit Therapieabbruch droht. Mit Respekt für die Situation stelle ich ihr frei, ob sie die Behandlung fortführen möchte. Sie entscheidet sich bewusst für eine Weiterführung, da sie inzwischen Vertrauen gefunden hat und auch erleben kann, dass die Therapie durchaus hilfreich für sie ist.

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Mehrfache Anrufe außerhalb der eigentlichen "Arbeitszeit" – abends, Samstag oder Sonntag – interpretiere ich als grenzüberschreitendes Verhalten und thematisiere es deshalb auch in darauffolgenden Sitzungen. Die Gespräche verlaufen diesbezüglich positiv, da die Klientin zunehmend in der Lage ist einen Perspektivwechsel vorzunehmen. Sie weiß nun, dass Beratung auf die gemeinsamen Stunden in der Praxis begrenzt ist. Dabei besprechen wir auch, dass in etwaigen Krisenzeiten auch zusätzliche Termine nach vorheriger telefonischer Absprache möglich sind.

2) Ausgeprägte und andauernde Identitätsstörung

Frau X. ist sich ihrer sexuellen Identität nicht bewusst und deswegen auch sehr irritiert. Sie beschreibt zu Beginn der Behandlung eine Tendenz zum weiblichen Geschlecht. Sie ist sexuell nicht eindeutig orientiert, sucht Nähe zu mir als Therapeutin. Ihre Erzählungen beinhalten, dass sie vorerst aufgrund der vergangenen Erfahrung mit ihrem Lebenspartner das männliche Geschlecht ablehnt.

Frau X. erlernt inzwischen den dritten Helferberuf (vorherige Abschlüsse mit "gut") – dies kann ein Hinweis darauf sein, dass das Helfen an sich das eigene Identitätsgefühl verstärkt, zu einer persönlichen Daseinsberechtigung führt, zum anderen aber auch die innere Leere mildert, die sie selbst beschreibt.

3) Impulsivität bei mindestens zwei potentiell selbstschädigenden Aktivitäten

Frau X. schildert, dass sie sich bewusst selbst schädigt, wie bspw. Nägelkauen und selbstverletzendes Verhalten durch "Ritzen" mit Rasierklingen an Armen und Beinen. Dies sind absichtlich herbeigeführte Selbstschädigungen, um die innere Leere zu kompensieren. Das risikoreiche Geschlechtsverhalten zu Personen ohne persönliche Beziehungen in der Vergangenheit kann hier ebenso als selbstschädigend bezeichnet werden wie auch die häufig übermäßige Alkoholeinnahme zur Stabilisierung des Ichs.

4) Instabilität im affektiven Bereich

Ich erlebe die Klientin mit ihren 24 Jahren als emotional auffällig im Bereich der Furchtsamkeit, Übervorsichtigkeit und Mangel an emotionaler Ansprechbarkeit, was sich v. a. dadurch verdeutlicht, dass Frau X. in den ersten Gesprächen rationalisiert, um etwaige auftretende Gefühle nicht zuzulassen. Sie ist anfangs sehr bemüht, während unserer gemeinsamen Sitzungen emotionale Reaktionen zu vermeiden. Sie überlegt sehr intensiv, was sie sagt, und auf die Frage nach tatsächlich auftretenden Gefühlen reagiert die Klientin in den ersten Sitzungen rational oder mit "ich weiß es nicht". Frau X. beschreibt außerdem ausgeprägte Stimmungsänderungen, welche teilweise einige Stunden andauern (Reizbarkeit, depressive Stimmung, Ängstlichkeit).

5) Chronisches Gefühl von Leere und Langeweile

Frau X. schildert, dass ihr das Alleinsein oft zu schaffen mache. Sie weiß dann nicht, wer sie eigentlich ist, fühlt sich existenzlos, wertlos, verlassen und leer. Auch hier finden sich Anhaltspunkte hinsichtlich ihrer Tendenz, andere (mithilfe eines Helfer-Berufs) versorgen und zufriedenstellen zu wollen und die innere Leere mit Selbstverletzungen und Alkohol aufzufüllen.

ZIELVEREINBARUNG UND THERAPIEABLAUF (AUSZUG)

Im Verlauf der ersten Sitzungen können wir erarbeiten, was sich Frau X. von der Therapie erhofft. Sie sagt sinngemäß: "Ich wünsche mir, dass meine Vergangenheit zwar ein Teil von mir ist, aber nie mehr weh tut – ich möchte nie wieder Opfer meiner eigenen Vergangenheit werden." Weiterhin trägt sie folgende Kognition in sich: "Niemand mag mich so, wie ich ihn mag, deshalb verliere ich jeden, der mir etwas bedeutet – trotz der verzweifelten Mittel, zu denen ich greife, um sie davon abzuhalten mich zu verlassen."

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Zielvereinbarungen für die kommenden Sitzungen, welche schriftlich festgehalten wurden, waren u. a.:
– Abbau von Selbstverletzungen
– Ausfüllen der inneren Leere
– Alkohol lediglich als Genussmittel einsetzen
– Erhöhung des Selbstwertgefühls

Frau X. ist bereits selbst über ihr Symptombild informiert und möchte von mir im Verlauf der Behandlung dieses bestätigt wissen. Ich biete ihr an dieser Stelle an, den Fokus auf Lösungen zu richten, mit dem Ziel, eine höhere Lebensqualität zu erreichen als auch unentdeckte Ressourcen aufzudecken.

Der lösungsorientierte Ansatz steht bei meiner Arbeit mit den KlientInnen immer im Vordergrund. Diesbezüglich fällt mir auf, dass Frau X. in der Vergangenheit (bringt in den ersten Sitzungen immer Briefe mit und beschreibt ihre Vergangenheit sehr detailliert) stagniert und die therapeutische Arbeit mit Blick auf die Zukunft durchaus hilfreich ist.

Hierbei nutze ich Hausaufgaben, in welchen ich Frau X. bitte, die nächsten Kapitel ihres Lebens zu schreiben ("Stellen Sie sich vor, Sie wären Autorin und der Roman, an dem Sie gerade arbeiten, beschreibt Ihr bisheriges Leben. Im nächsten Kapitel geht es darum, wie sich alles zum Guten wendet. Ich möchte Sie einladen, Ihrer Phantasie für das übernächste Kapitel freien Lauf zu lassen, indem Sie berichten, was nun Neues in Ihrem Leben geschieht …").

Option ist hierbei, dass Frau X. in der Gegenwart schreiben soll und sie ihren realistischen Wünschen und Phantasien freien Lauf lässt mit Blick auf eigene Emotionen und Erlebnisse in ihrem zukünftigen Leben. Es folgte eine ausführliche Beschreibung, welche mir Frau X. zum nächsten Termin mit den Worten überreicht, dass ihr diese Aufgabe unendlich gutgetan hätte. Also, mehr von dem, was funktioniert! Ich verwende Bögen zum Selbst- Erleben, um ihr somit in den "therapiefreien Zeiten" Zugang zu sich selbst und ihren Emotionen zu ermöglichen. Die Hausaufgabe: "was ich an mir mag" – "Was ich an mir nicht mag" (Aug. 2005) ist dabei eine besonders hilfreiche Strategie, bei welcher wir innerhalb der Sitzungen ihre Stärken lösungsorientiert herausarbeiten können. Wichtig scheint mir hier, dass Frau X. erkennen kann, dass es sich neben der Konzentration auf die eigenen "Schwächen" durchaus auch lohnt, die positiven Seiten des Selbst zu erkennen und damit auch die scheinbar negativen Seiten zu akzeptieren. Ich persönlich bin der Überzeugung, dass diese scheinbaren "Fehler" häufig ungesunde Gedanken und Ideen sind, um etwas zu reparieren oder zu kontrollieren, worüber man meist keine Macht besitzt. Lohnenswerter scheint mir der Gedanke, sich auf das Positive zu konzentrieren und vorhandene Stärken weiter auszuarbeiten und in das Leben zu integrieren. Das "Tagebuch über gelungene Ereignisse", welches ich Frau X. bitte zu schreiben, ist hierbei eine gute Möglichkeit, Ressourcen zu entdecken und sich der täglichen Leistung bewusst zu sein. Frau X. sagt hierzu, dass das Schreiben ein weiterer hilfreicher Schritt sei, den sie zukünftig in ihr Leben integrieren wolle, um auch in schlechten Zeiten sich immer wieder auch die durchaus positiven Dinge aufzurufen.

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Frau X. äußert explizit, dass die innere Zufriedenheit mit sich selbst auch dazu führe, Beziehungen zu Bekannten furchtloser anzustreben und sich auf ein Gegenüber einlassen zu können.Neben den aufgeführten Interventionen gibt es sicherlich noch weitere (lösungsorientierte und verhaltenstherapeutische) Techniken, welche letztlich zu einer entscheidenden Verbesserung der Lebensqualität von Frau X. beitrugen, hier jedoch aufgrund des inhaltlichen Rahmens nicht weiter ausgeführt werden.

Anhand konsequenter Verlaufskontrollen kann die Klientin im November für sich feststellen, dass sie Alkohol als Genussmittel (und weniger als Frustmittel) genießt. Sie bemüht sich intensiv um soziale Kontakte in- und außerhalb der Berufsausbildung und ist in der Lage, ihre arbeitsfreie Zeit zu nutzen, ohne sich allein zu fühlen. Wichtig für den Persönlichkeitstyp von Frau X. ist auch das Nutzen eines ausgewogenen Schlaf-Rhythmus. Dieses Bewusstsein führt dazu, dass sich Frau X. besser fühlt, ausgeruht und in der Lage, die eigenen Handlungen zu schätzen und wahrzunehmen.

Meine Intention für diese Fallanalyse ist es v. a., auf die "Hindernisse" und "persönlichen Herausforderungen" aufmerksam zu machen, besonders, was ich selbst aus der Begegnung lernte und welche Interventionen hilfreich schienen. Häufig schildern mir Klienten mit Borderline-Tendenzen ähnliche Gedanken wie die folgenden: "Es gibt doch tatsächlich Menschen, die sich für meine Person interessieren … Meistens kreisen ab einem bestimmten Zeitpunkt meine Gedanken nur noch um diese Person: Wie kann ich noch mehr Aufmerksamkeit von ihr bekommen? Wenn sie nicht da ist, überlege ich, was sie wohl gerade macht. Aber eigentlich fühle ich mich dann nur leer. Nur diese Person kann diese Leere dann ausfüllen. Wie es mir geht, hängt nur von ihr ab. Ist sie da, ist fast alles gut," … (zitiert aus: Knuf: "Leben auf der Grenze – Erfahrungen mit Borderline", S. 27)

Zur besonderen Herausforderung wird es dann, wenn diese EINE Person der/die TherapeutIn ist. Das Bewusstsein, dass es immer etwas Verschwiegenes gibt, weil jeder Klient möchte, dass man ihn auf eine ganz bestimmte Art und Weise sieht, ist in unserer therapeutischen Beziehung von hohem Stellenwert.

Ich möchte im Folgenden näher auf die Therapeutenrolle eingehen und eigene Ansätze und Denkweisen meiner Tätigkeit näher erläutern, welche letztendlich auch zu einem Fortschritt der gemeinsamen Arbeit geführt hat.

HERAUSFORDERUNGEN IN DER THERAPIE

Ich erhalte von Frau X. mehrere Briefe, welche sie mir in den Therapiesitzungen am Ende übergibt. So bspw. Auszüge aus einem Brief von August letzten Jahres: "… ich habe so Angst, Sie zu verlieren, Sie geben mir so viel … Ich sehne mich nach einer tiefen innigen Freundschaft zu Ihnen … Nun bleibt mir nur noch die Angst vor dem, wie Sie auf den Brief reagieren, ich bitte Sie, dass wir erstmal in der Therapie nicht darüber reden, Sie können mich aber gern anrufen …" Hier macht sich die Ambivalenz der Klientin sehr deutlich, da sie zum einen große Angst hat mich zu verlieren bzw. die Rückmeldung zu erhalten, dass ich ihre Gefühle negiere oder in Frage stelle. Zum anderen wird der Wunsch sehr deutlich, Kontrolle über die Therapiesitzungen zu haben, indem sie bestimmt, was gesagt oder nicht gesagt wird. Sie ruft noch am selben Tag bei mir an, um sich rückzuversichern, da sie die Ungewissheit nicht mehr aushält – auf ihre Nachfrage hin sage ich ihr am Telefon, dass ich sie in diesem Brief als Person nicht in Frage stelle, das Thema aber dennoch in der nächsten Sitzung besprechen möchte – damit zeigt sie sich einverstanden.

Frau X. ist stets mit der Beziehung zu mir beschäftigt, sodass diese Thematik an sich auch immer wieder Inhalt der Therapiesitzungen wird – zum einen die Glorifizierungen als Therapeutin, zum anderen der ständige Wunsch der Klientin, über das therapeutische Verhältnis hinaus mit mir zusammen sein zu wollen bzw. "Freunde" zu sein.

Ende September gibt die Klientin in einer Sitzung an, dass sie kein Geld mehr zur Verfügung habe und die Sitzungen nicht mehr wahrnehmen könne. Ich biete ihr daraufhin an, zu einer Kollegin zu wechseln (welche kassenärztlich abrechnet), um das Therapieergebnis nicht zu gefährden, was jedoch von ihr abgelehnt bzw. nicht beantwortet wird. Hier wurden die BL-Tendenzen mehr als deutlich, denn sie brach zunächst die Therapie ab und zwar auf für meine Begriffe "dramatische Art und Weise", so z. B., dass ich am späten Abend vor meiner Wohnungstür einen Brief fand, in dem sie mich plötzlich duzte (grenzüberschreitend) und mir auf dramatische Art und Weise "alles Glück dieser Welt" wünscht ("mach dir bitte keine Sorgen, schaff das schon alles, war ja schon immer so").

Dieser Brief löst in mir folgende Gefühle und Reaktionen aus: Ich bin irritiert, da dieses Verhalten (Brief vor der Tür, inhaltliche Dramatik des Briefes …) nicht der üblichen Reaktion (wie bspw. ein Anruf, wie es weitergeht oder Vermittlung an Kollegen …) entspricht. Frau X. weiß nach meinem Eindruck nicht, wie sie zukünftig am effektivsten für sich sorgen kann.

Ich meine, dass mich die Klientin zum Handeln bringen bzw. manipulieren möchte mit dem Ziel, dass ich agiere und in ihrem Sinne funktioniere – entweder mit kostenfreien/ kostengünstigeren Sitzungen oder – und das erscheint mir naheliegender: der Versuch, aus einer therapeutischen Beziehung eine freundschaftliche, wenn nicht gar eine Liebesbeziehung zu machen. Um die therapeutischen Rahmenbedingungen aufrechtzuerhalten, sowie Neutralität zu wahren, entscheide ich mich nicht auf den Brief zu reagieren. Ich bin mir meiner eigenen Realitätswahrnehmung bewusst und erahne andererseits auch die Befürchtungen der Klientin.

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Die Aussage von Irvin D. Yalom ist mir dabei immer wieder hilfreich: "Der Therapeut hat viele Patienten, der Patient nur einen Therapeuten." Ich gehe davon aus, dass ich für "meine" Klienten einen wesentlich größeren Raum einnehme als umgekehrt und dieser Gedanke unterstützt mich auch bei den Aktionen von Frau X., da sie sicherlich gern mehr Raum in meinem Leben einnehmen und mein Verhalten nach ihren Vorstellungen ändern möchte, auf der Suche nach Sicherheit und Struktur. Diese Erkenntnis lässt mich abwarten und wahrt den emotionalen Abstand.

Eine Woche später meldet sich Frau X. telefonisch bei mir und bittet um einen neuen Termin.

In der nun folgenden Sitzung mache ich die vergangenen Wochen zum Thema, spare aber bewusst mit Deutungen.

Die Klientin gibt an, dass sie diesen Therapieabbruch herbeiführen wollte, um somit alle Tore offen zu haben, um mit mir in engeren, intimeren Kontakt zu treten. Thema der Sitzung ist dann die Aufarbeitung des Gesagten. Auch hier hilft mir mein Verständnis für die Situation: "Patienten entwickeln regelmäßig liebevolle und/oder sexuelle Gefühle für ihren Therapeuten. Die Dynamik einer solchen positiven Übertragung ist oft überzogen. Schließlich sind die Patienten in einer sehr seltenen, befriedigenden und delikaten Lage. Jede ihrer Äußerungen wird mit Interesse aufgenommen, jedes Ereignis aus ihrem vergangenen und gegenwärtigen Leben wird ergründet, sie werden gehegt und umsorgt und bedingungslos unterstützt" (zitiert aus: Yalom "Der Panama- Hut", S. 207). Damit erscheint es mir realistisch, dass Klienten natürlich mehr über uns Therapeuten erfahren wollen, was über die Grenzen der Beratung hinausgeht. Dieses Verständnis schützt mich selbst auch in meiner therapeutischen Neutralität.

ABSCHLUSS UND PROGNOSE

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Frau X. hat von August bis Dezember 05 in einer Frequenz von 14 Tagen die Sitzungen wahrgenommen. Seit Januar beansprucht sie Termine im Abstand von 3 bis 4 Wochen mit dem Ziel, spätestens im Sommer die Therapie zu beenden.

Erreicht werden konnte, dass sich Frau X. inzwischen nicht mehr selbst verletzt, da sie gelernt hat, sich in Krisensituationen anders zu verhalten. Die auftretende Leere und Langeweile kann sie inzwischen ausgleichen durch Kochen, Lesen, Schlafen, Einladen von Bekannten, Aufbau von Freundschaftsbeziehungen und dem Nutzen positiver Dinge (Tagebuch). Frau X. spürt wachsendes Selbstvertrauen und kann sich zunehmend auf ihre Fähigkeiten verlassen, ohne diese in Frage zu stellen.

Sie realisiert zunehmend, dass die vergangene Situation nicht zu ändern ist, sie aber nun und zukünftig für sich sorgen kann, ohne sich vom Gegenüber abhängig zu machen. Meiner Ansicht nach trug auch das bestehende Klient-Therapeut-Verhältnis dazu bei, Grenzen klarer definieren zu können. So erkannte sie, dass Manipulationen nicht dafür sorgen, die Beziehungen zum anderen aufrechtzuerhalten.



HILFREICHE ANSÄTZE WÄHREND DER THERAPIE
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Anhand der Verabreichung von Hausaufgaben (Führen eines Tagebuchs, verschiedene Therapieoptionen etc.) konnte die Patientin ihre erlernten Therapieelemente integrieren.

Eine Verlaufskontrolle im Januar zeigt, dass sich die Klientin mit der längeren Frequenz zwischen den Sitzungen arrangieren kann, da sie inzwischen zahlreiche Lösungsansätze für sich verinnerlicht hat, die ihr bei der Alltagsbewältigung behilflich sind. Dienlich für den therapeutischen Ablauf war weiterhin: meine klare und deutliche Position, Grenzen zu ziehen (Therapeut vs. Privatperson), ruhig und beherrscht zu bleiben und konzentriert zu sein, auch wenn die Klientin immer wieder versuchte, mich abzulenken oder mich in ihre Geschichten zu "verstricken", um von "schwierigen Themen" abzulenken. Weiterhin hilfreich – v. a. in der Arbeit mit Menschen, welche unseren Rat aufgrund eigener Hilflosigkeit suchen – ist es, zur eigenen Realitätswahrnehmung zu stehen, dabei aber gleichzeitig offen für die Befürchtungen des Betroffenen zu bleiben.


Neben den angeführten Interventionen ist mir eines noch wichtig mitzuteilen: Bei aller therapeutischen und beraterischen Professionalität bin ich doch der festen Überzeugung, dass Ergebnisse innerhalb unserer Tätigkeit in erster Linie abhängig davon sind, welche therapeutische Beziehung besteht – sei es das Vertrauen des Klienten zu uns bzw. dass uns die Klienten sympathisch sind. Immer wieder sollten wir gespannt sein, was sie uns mitzuteilen haben und therapeutische Abläufe auf die Autonomie des Klienten fokussieren. Klare Zielvereinbarungen stärken den Blick auf Veränderungen und bestimmen damit unseren therapeutischen Erfolg.

 

Nadine Fornaçon
Dipl.-Sozialpädagogin
Heilpraktikerin für Psychotherapie (HPG)
Jahrgang 1975, Ausbildungen zur Diplom- Sozialpädagogin und Heilpraktikerin für Psychotherapie. Es folgten zahlreiche Weiterbildungen im psychotherapeutischen Bereich. Schwerpunkte ihrer Tätigkeit sind vor allem jugendspezifische Problematiken, Verhaltensauffälligkeiten und Reintegration von traumatisierten bzw. "verhaltensoriginellen" Jugendlichen.

Praxis Nadine Fornaçon
Kiliansgraben 15a, 99974 Mühlhausen
Telefon (0 36 01) (81 24 84)
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