Coaching für introvertierte Frauen
Wenn innere Glaubenssätze uns daran hindern, erfolgreich zu sein und unsere Visionen zu leben.
Ich bin zutiefst berührt und betroffen davon, wie viele Frauen es gibt, die weit unter ihrem Potenzial leben, ihre Visionen unter Verschluss halten und eine durchschnittliche Version ihrer selbst durch den Parcours ihres Lebens treiben. Sie kämpfen – doch nicht einen ureigenen Kampf und für persönliche Ziele, sondern um zu gefallen, um es allen recht zu machen und so, als müssten sie dadurch überhaupt ihre Existenzberechtigung erlangen und jeden Tag erneut unter Beweis stellen.
Im Coaching-Kontext höre ich immer wieder von Frauen, dass sie es nicht schaffen, ihre Ziele und Träume zu verwirklichen, sich erst gar nicht erlauben, eigene Ziele und Träume zu haben und eigentlich gerne ganz anders leben möchten. Die meisten von ihnen haben stapelweise Ausbildungszertifikate und Kompetenzen, Fähigkeiten und Talente von einer beeindruckenden Bandbreite. Doch sie schaffen es nicht, „ihre PS auf die Straße zu bringen“, wie es ein Kollege einmal ausgedrückt hat.
Steigt man mit diesen Frauen tiefer ins Gespräch, dauert es meistens nicht lange, bis die Ursache gefunden ist: Glaubenssätze!
„Ach die!“ werden jetzt viele denken – wer hat denn nicht schon davon gehört? Wer hat die nicht und wer musste sie nicht bereits in irgendeinem – freiwilligen oder verordneten – Coaching oder Kompetenztraining thematisieren? So etwas gemacht zu haben, gehört heutzutage fast zum guten Ton in der Arbeitswelt.
Nicht selten werden die hinderlichen Glaubenssätze wie Dinge von einer Einkaufsliste aufgezählt:
„Ich bin nicht gut genug.“
„Ich bin es nicht wert.“
„Ich verdiene es nicht anders.“
„Es steht mir nicht zu.“
„Ich bin nicht liebenswert.“
„Ich muss bescheiden sein.“
„Ich bin mittelmäßig.“
„Ich bin langweilig.“
„Ich darf mich nicht zeigen, wie ich bin.“
Das sind nur einige Glaubenssätze, allerdings die am häufigsten genannten.
Wir werden von übernommenen Überzeugungen gesteuert, die wir jeden Tag denken und aussprechen. Das sind Sätze wie „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“, „Ohne Fleiß kein Preis“, „Das Leben ist kein Wunschkonzert“, „Geld macht nicht glücklich“ und viele, viele mehr.
Wir haben diese Glaubenssätze von unseren Eltern und frühen Bezugspersonen oft gehört und als unsere Glaubenssätze übernommen, ohne sie infrage zu stellen und zu überprüfen. Wir haben sie als Tatsachen in unser Leben integriert, ohne uns ihrer beschränkenden Wirkung bewusst zu sein.
Viele dieser Glaubenssätze agieren als innere Antreiber aus unserem Unterbewusstsein heraus. Sie spielen tagtäglich eine bestimmende Rolle dabei, wie wir unser Leben gestalten, ohne dass wir uns dessen überhaupt gewahr werden. Bis sich im Laufe des Lebens ein Unbehagen einstellt, das die Ausmaße eines enormen Leidensdrucks annehmen kann bis hin zur Depression.
Wie können wir uns nun diese Antreiber und Glaubenssätze bewusst machen und sie entkräften, damit der Weg frei ist für ein stimmiges Leben, für Entwicklung und Potenzialentfaltung, für Selbstliebe und Selbstakzeptanz? Um Wünsche und Ziele wahr werden zu lassen, wie: „Ich möchte mich selbst annehmen können, so wie ich bin“, „Ich möchte mein eigenes Ding machen“, „Ich möchte mir nicht mehr selbst im Weg stehen“, um nur einige zu nennen.
Mit einem integralen Ansatz, der aus nachfolgenden Schritten besteht, kann dies gut gelingen:
Bewusst werden
Glaubenssätze gewinnen ihre Macht dadurch, dass wir sie – meist unbewusst – jeden Tag „füttern“. Mithilfe von Techniken wie „Gedanken beobachten“ und „Gedankenstopp“ können wir sie jedoch für uns erkennbar machen. Und wem es gelungen ist, seine Glaubenssätze (oder ein paar davon) aufzudecken, kennt das befreiende Aha-Erlebnis. Bestimmte Zusammenhänge zwischen Denken und Handeln werden dadurch klar.
Auf rationaler Ebene wissen die meisten auch, dass die Glaubenssätze nicht stimmen. Sie sind jedoch so tief im Inneren verankert, dass es nicht ausreicht, sie kognitiv zu erfassen. Dies ist zwar der erste große Schritt, aber er ändert meistens noch nichts. Die Hoffnung, dass sich durch die Erkenntnisse nun alles ändert, ist groß – genau wie die Enttäuschung, wenn man nach einiger Zeit realisiert, dass sich im eigenen Handeln und Erleben nicht viel ändert.
Anerkennen und Selbstverantwortung übernehmen
Auch wenn unsere Glaubenssätze hinderlich sind, sie hatten und haben in unserem System ihren Sinn. Wir selbst haben sie gewählt bzw. übernommen und verinnerlicht. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass wir unsere Glaubenssätze verstehen und anerkennen. Wir haben sie zu einer Zeit erschaffen, in der unser Überleben von unseren Bezugspersonen abhing. Von diesen Bezugspersonen haben wir Signale bekommen, welches Verhalten erwünscht ist und belohnt wird und welches Verhalten unerwünscht ist oder sogar bestraft wird. Wenn ein Kind z. B. immer geschimpft worden ist, wenn es laut war oder wenn es sich selbst in einer Art gezeigt und zum Ausdruck gebracht hat, die seine Bezugspersonen gestört hat, so ist es kaum verwunderlich, wenn dieses Kind Glaubenssätze erschaffen hat wie: „Ich bin nicht o.k., so wie ich bin“, „Ich darf mich anderen nicht zumuten“, und innere Antreiber entwickelt hat wie „Sei unauffällig!“, „Bleib unsichtbar!“, „Sei leise!“.
Durch diese verinnerlichten Glaubenssätze war es dem Kind möglich, Verhaltensweisen zu entwickeln, mit denen es akzeptiert und angenommen wurde, und solche Verhaltensweisen abzulegen, die von seinem Umfeld unerwünscht waren. Damit hat es erreicht, dass es von seinen – lebensnotwendigen – Bezugspersonen nicht verlassen wurde. Sie haben ihm – in der Wahrnehmung des abhängigen Kindes – sozusagen das Leben gerettet.
Durch die fortwährende Wiederholung haben sich die Glaubenssätze im Innern verfestigt und sind zu Prägungen geworden. „So bin ich!“ Die Geburtsstunde des Egos. Ein Konzept von uns selbst.
Was auf der Strecke geblieben ist, ist das wahre, freie Selbst mit all den Potenzialen, die (noch) nicht zur Entfaltung gekommen sind, unsere wahre Natur.
Es geht mir hier ausdrücklich nicht darum, Eltern und Bezugspersonen zu verurteilen und ihnen eine Schuld zuzusprechen. Sie mögen mit ihrem Verhalten und durch die Einwirkung ihrer eigenen Glaubenssätze zweifelsohne den Samen gesät haben, aus dem die Selbstzweifel und Glaubenssätze ihrer Kinder erwachsen sind, doch sie haben es in der Überzeugung getan, dass es in dem jeweiligen Moment das Beste für die Situation ist, und es war das Beste, das sie selber in der Lage waren, zu geben. Mehr war ihnen zu dem Zeitpunkt nicht möglich.
Hierfür selbst die Verantwortung zu übernehmen, hört sich vielleicht erschreckend an, doch es ist ein – notwendiger – Schritt, der eine unglaubliche Erleichterung verschafft.
Selbstverantwortung übernehmen heißt nicht, sich selbst die Schuld zu geben. Selbstverantwortung übernehmen bedeutet, annehmen, was ist, sich selbst dafür anerkennen, dass man aus der hilflosen, abhängigen Situation heraus eine Lösung gefunden hat, auch wenn man sie aus heutiger Sicht, als der erwachsene Mensch, der man ist, mit den heutigen Handlungsoptionen und Möglichkeiten so nicht mehr erschaffen würde.
Das, was ich selbst verantworte, kann ich auch selbst verändern. Das ist der größte Vorteil der Selbstverantwortung. Sie befreit das Ohnmachtsgefühl, das einen in dem Gedanken-Teufelskreis: „Weil du … kann ich nicht …“ gefangen hält.
Selbstverantwortung übernehmen bedeutet somit auch, alle anderen aus ihrer Schuld zu entlassen und in Dankbarkeit anzunehmen, dass sie getan und gegeben haben, was sie konnten.
Eine neue Denkweise. Offenheit für einen neuen Weg!
Es ist von wesentlicher Bedeutung, uns bewusst zu machen, dass wir alle unsere Glaubenssätze selbst gewählt haben. Daher ist es uns auch möglich, sie wieder abzuwählen und uns bewusst für eine neue Denkweise zu entscheiden. Doch was macht das so schwierig?
Dass es schwierig ist, zeigt sich oft genug. Wenn Neujahrsvorsätze scheitern. Wenn wir nach einem Seminar oder Workshop voller neuer Erkenntnisse neue Ziele aufstellen und ganz motiviert sind – nur um ein paar Wochen später festzustellen, dass der Alltag wieder mal alle guten Vorsätze verschluckt hat.
Unser Gehirn versucht, wo es nur geht, Energie zu sparen und in einem ausgeglichenen Zustand zu sein (Kohärenz). Es legt neuronale Muster an: Denk-, Fühl-, Wahrnehmungsmuster u. Ä.
Selbst wenn es sich hierbei um „negative“ Muster handelt, sprich solche, die uns hinderlich sind und die uns immer wieder in frustrierende und schmerzliche Situationen bringen, ist es für unser Gehirn – sind diese Muster erst einmal gefestigt – energiesparender, als auf neue Weise zu denken, fühlen oder wahrzunehmen.
Unsere Realität, also das, was wir für die Realität halten, ist eher unsere eigene, selbst kreierte Matrix.
Wenn wir nun darangehen, unsere alten tief verankerten Glaubenssätze ändern zu wollen, fühlt sich unser Gehirn aus dem Gleichgewicht gebracht und versucht, die gewohnte Ordnung wiederherzustellen. Wir fallen dann leider schnell wieder in unsere alten Denk- und Handlungsmuster zurück.
Die alten Glaubenssätze aufzudecken, ist bereits ein psychischer Kraftakt. Doch dies reicht für eine Veränderung nicht aus. Die kognitive Leistung muss weitergehen: Wenn das nicht mehr zutreffend ist, dass ich „nicht liebenswert“ bin, dass ich „nicht gut genug“ bin, dass ich es „nicht wert“ bin usw., was möchte ich dann glauben?
Für jeden negativen Glaubenssatz eine positive Aussage zu formulieren, bringt – vor allem introvertierte – Personen schon oft an ihre Grenze. Unsicher oder gar schamhaft werden langsam Sätze formuliert, wie: „Ich bin gut genug.“ „Ich bin liebenswert.“ „Es steht mir zu.“ „Ich darf sichtbar werden.“ Die ein oder anderen trauen sich sogar aufzuschreiben „Ich will, ich kann, ich werde!“ „Ich darf machen, was ich will!“
Das ist für unsere neuronalen Muster schon eine ganz schöne Erschütterung.
Doch die weitaus schwierigere Aufgabe ist es, die gedanklichen Neuformulierungen der Glaubenssätze im Unterbewusstsein zu verankern.
Oft bleiben sie leider auf einem Stück Papier verewigte Beweise dafür, dass man tief in seinem Inneren gegraben hat, um etwas Neues zu erschaffen. Um den inneren Leidensdruck zu lindern, den ein nicht gelebtes Leben erzeugt.
Spätestens wenn es mit der nächsten Beziehung nicht geklappt hat, die berufliche Herausforderung nicht gemeistert wurde, wird klar, man agiert immer noch in den gleichen alten Mustern.
Neue Absicht im Unterbewusstsein verankern
Der größte Irrtum bzw. die größte Falle, in die wir tappen, ist die, dass wir denken, es reiche aus, wenn wir alles auf der Verstandesebene erfasst haben. Doch die pure Erkenntnis reicht nicht aus, wenn sie allein auf dieser kognitiven Ebene bleibt.
Das Unterbewusstsein möchte auf das Abenteuer der Veränderung mitgenommen werden. Verstand und Unterbewusstsein müssen zusammenspielen, wenn Umdenken und Veränderung stattfinden soll. Sie müssen sich in gleichem Tempo in die gleiche Richtung bewegen.
Die meisten kennen sicherlich die Metapher des Eisbergs für unser Bewusstsein. Die kleine, aus dem Wasser ragende Spitze steht für unser Bewusstsein und der viel größere, massive Teil, der sich unter der Wasserlinie befindet, für das Unter- und Unbewusste.
Oder man stelle sich ein riesiges, träges U-Boot vor, das sich mühsam durch dunkles Gewässer bewegt (unser Unterbewusstsein), und einen blitzschnellen Wasserjet, der mit hoher Geschwindigkeit auf der Wasseroberfläche dahinrast (unser Verstand). Diese beiden Boote sind miteinander durch eine unsichtbare Leine verbunden. Wenn der Wasserjet nun plötzlich eine Wendung macht und in eine neue Richtung rast, dabei aber vergisst, seine Absicht an das U-Boot, mit dem er verknüpft ist, zu kommunizieren, das weiterhin den alten Kurs hält, dann wird er nicht weit kommen, bevor er unsanft ausgebremst wird.
Neue Handlungen folgen lassen – neue Erfolgsroutine
Um wirklich langfristig eine Veränderung zu erzielen, muss als dritter wichtiger Schritt das Handeln kommen. Der Bewusstwerdung muss die Handlung folgen. Wir müssen Dinge wirklich tun. Wir brauchen ein Kontinuum in die neue Richtung.
Veränderung braucht Zeit. Wir haben die alten Glaubenssätze in vielen Jahren und Jahrzehnten gefestigt. Es ist unrealistisch zu erwarten, dass sich von heute auf morgen alles ändert.
Aus der Weltraumforschung kennen wir die 21-Tage-Regel, die besagt, dass unser Gehirn 21 Tage braucht, bis es eine neue Gewohnheit akzeptiert. Bis es quasi merkt, dass es mit der Veränderung ernst gemeint ist und es sich nicht um eine der unzähligen kurzfristig aufblitzenden Vorsätze handelt, die nach wenigen Tagen wieder aufgegeben werden.
Mit diesen 21 Tagen ist es zwar noch nicht erledigt, was viele irrtümlich denken. Aber unser System stellt sich auf die neue Richtung ein. Der Fokus unseres Denkens verlagert sich sinnbildlich gesprochen von: Ich will zurück in die alte Routine zu: Wie schaffe ich am besten eine neue Routine? Unser Gehirn bildet neue neuronale Strukturen aus. Unser Unterbewusstsein realisiert, dass wir die alten Glaubenssätze nicht mehr benötigen, und lässt sie los.
Es ist daher wesentlich, dass wir eine tägliche Übungssequenz in unseren Alltag integrieren. Viele kleine Schritte, dauerhaft durchgeführt, führen zum Ziel.
Selbstakzeptanz und Selbstliebe
Spätestens wenn wir verstanden haben, wie wir unsere Glaubenssätze erschaffen haben und welchen Dienst sie uns geleistet haben, ist es an der Zeit, uns so anzunehmen, wie wir sind, mit allem, was zu uns gehört. Unser Unterbewusstsein hat einen höchst kreativen schöpferischen Akt geleistet und uns überlebensfähig gemacht. Dafür dürfen wir uns selbst Dankbarkeit und Liebe entgegenbringen.
Wir sind alle würdevolle und wertvolle Menschen. Auch die Veränderung darf liebevoll geschehen. Nicht indem wir etwas wegmachen wollen, was schlecht ist, sondern weil wir unserem Potenzial mehr Entfaltungsraum geben möchten. Das Alter spielt hierbei keine Rolle. Die neuere Hirnforschung bestätigt uns, dass es nie zu spät für eine Veränderung ist (Neuroplastizität).
Begriffsklärung
Ich werde oft gefragt, ob es einen Unterschied gibt zwischen inneren Antreibern (wie sie die Transaktionsanalyse definiert) und Glaubenssätzen oder ob es sich nur um unterschiedliche Bezeichnungen handelt.
Nach meinem Verständnis gibt es einen Unterschied sowohl die Entstehung betreffend als auch in der Art und Weise, wie sie ihre Wirksamkeit entfalten.
Innere Antreiber agieren auf unbewusster Ebene. Um sie darstellen zu können, werden ihnen (in der Transaktionsanalyse) Imperativsätze zugeschrieben: „Sei perfekt!“ „Sei pünktlich!“ Bis hin zu „Sei nicht!“ Sie müssen anhand einer Analyse aufgedeckt und benannt werden. Ihr negativer oder destruktiver Charakter ergibt sich aus der verbindlichen Maximalforderung, die in jeder Situation versucht wird zu erfüllen. Psychoanalytisch betrachtet, stammen sie aus dem Über-Ich.
Glaubenssätze wie „Ich bin …“ sind m. E. Schlussfolgerungen aus dem kindlichen Erleben heraus und der Versuch, die unberechenbare Umwelt einzuordnen und sich ein- bzw. anzupassen.
Verstandesmäßig sind sie leichter aufzudecken (Gedanken beobachten, Gedankenstopp) und zu widerlegen (durch ganz reale Fakten).
Es sind letztendlich beides Konzepte, die uns helfen, die Mechanismen und ihre Wirkung verständlich zu machen. Auch das Ego ist ein Konzept. Der integrale Ansatz verfolgt das Ziel, Konzepte über uns selbst aufzulösen, sich also vom Ego immer mehr weg und immer mehr hin zum wahren Selbst zu entfalten.
Anemone Alischer
Heilpraktikerin für Psychotherapie, Mediatorin und Coach
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