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Hochsensibilität und Mediation! Geht das überhaupt?

Die Hochsensibilität ist eine Veranlagung, bei der das Nervensystem der Betroffenen deutlich mehr Reize aufnimmt, als es bei der Mehrheit der Menschen der Fall ist. Durch die verstärkte Reizaufnahme ist das Nervensystem von hochsensiblen Menschen schneller übererregt. Diese Übererregungen („Reizüberflutungen“) können zu körperlichen und geistigen Symptomen führen. Dadurch stellt sich die Frage, ob die Mediation für hochsensible Personen ein geeignetes Verfahren zur Konfliktbearbeitung ist, und wenn ja, welche hilfreichen Komponenten Mediatoren (immer m/w/d) hierfür liefern können.

Begriff der Hochsensibilität

Der Begriff wurde maßgeblich durch die US-amerikanische Forscherin Dr. Elaine Aron geprägt. Anfang der 1990er-Jahre begann sie, sich mit der Hochsensibilität auseinanderzusetzen. Zwar gab es bereits vor ihr wissenschaftliche Denker und Forscher (z. B. Iwan Pawlow und C. G. Jung), die sich mit der Hochsensibilität beschäftigt haben, doch waren es die Studien und Veröffentlichungen von Dr. Elaine Aron, die dieses Phänomen in den wissenschaftlichen Fokus gerückt haben.

Was ist die Hochsensibilität

Es ist eine Veranlagung, die Menschen zu einer feineren Wahrnehmung befähigt. Ursächlich ist ein verstärktes Nervensystem, welches dazu führt, dass deutlich mehr Reize auf- und wahrgenommen werden, als dies mehrheitlich der Fall ist. Die Hochsensibilität ist keine Krankheit und auch keine Erkrankung, sondern ein Persönlichkeitsmerkmal, das gemäß den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen genetisch vererbt werden kann. Schätzungen zufolge sind ca. 15 bis 20 % der Menschheit hochsensibel veranlagt.

Die verstärkte Aufnahme von inneren und äußeren Reizen, z. B. Lärm, Geruch, Licht, Konflikten, Emotionen oder auch Stress, kann bei hochsensiblen Personen zu Reizüberflutungen führen. Dabei nimmt der Körper wesentlich mehr Reize auf, als er im Gehirn verarbeiten und weiterleiten kann. Solche Übererregungen können zur physischen und psychischen Überforderung führen.

Je nach Dauer und Stärke der Reizüberflutungen zeigen sich unterschiedliche Symptome bei den betroffenen Personen, wie z. B. Konzentrationsschwierigkeiten, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Ängste oder auch Aggressionen. In Extremfällen können diese sogar zu Depressionen, chronischen Schmerzzuständen oder zum Burnout-Syndrom führen.

Mediation und ihre Grundprinzipien

Die Mediation ist ein außergerichtliches Verfahren, bei der eine außenstehende, allparteiliche (neutrale) und fachlich ausgebildete Person zwischen Konfliktparteien vermittelt, um eine von den Konfliktparteien selbstverantwortete Konfliktlösung zu ermöglichen. Die Mediation ist geleitet von verschiedenen Grundprinzipien, z. B. der Allparteilichkeit von Mediatoren, der Einhaltung der Vertraulichkeit, der Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit der Konfliktparteien.

Die Bearbeitung von Konflikten im Rahmen einer Mediation ist für viele Menschen ein wahrer Kraftakt. Nicht selten werden Konfliktparteien ungehalten, laut oder im Rahmen der Konfliktbearbeitung emotional überwältigt. Besonders Mediationen, die hoch emotionsbeladene Themen wie Trennungen oder die Obsorge von gemeinsamen Kindern betreffen, können enorm viel von den betroffenen Personen abverlangen. Ein Mediationsverfahren kann somit sprichwörtlich eine Flutwelle an inneren und äußeren Reizen verursachen.

Bei hochsensiblen Personen stellt sich daher die Frage, ob es ihnen reiztechnisch überhaupt möglich ist, durchgehend aktiv an der Mediation teilzunehmen oder ob hochsensible Personen durch zu viele Reizwahrnehmungen quasi automatisch in eine passive Rolle verfallen – dies kann einerseits den Erfolg einer Mediation verhindern, als auch andererseits die Mediationsgrundsätze der Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit gefährden. Wenn dem so ist, wie können Mediatoren wirksame Abhilfen schaffen, sodass das Mediationsverfahren auch für hochsensible Personen passend ist? Oder ist Letzteres etwa gar nicht der Fall?

Studie Hochsensibilität in der Mediation

Die Studie der Autorin befasste sich unter anderem mit folgenden Fragestellungen:

  1. Was ist das Stressige für Hochsensible an Konflikten?
  2. Was wäre hilfreich für hochsensible Personen, damit sie Konflikte gut bearbeiten können?
  3. Womit können Mediatoren hochsensiblen Personen helfen, damit sie im Umgang mit Konflikten zu guten Ergebnissen kommen?

Im Rahmen der Studie wurden insgesamt 150 hochsensible Probanden mittels offener Fragen schriftlich konsultiert.

Anschließend wurden die Ergebnisse mit der Thematischen Analyse nach Braun/ Clarke (2006) qualitativ ausgewertet. Folgende Ergebnisse konnten von der Autorin ausgewertet werden:

Ergebnisse der Untersuchung

Bei der Frage des Stressfaktors zeigte sich, dass für 58 % der hochsensiblen Probanden die Reizwahrnehmung das Stressige an Konflikten ist. Unter Reizwahrnehmung fallen hier innere oder äußere Reize. 16 % gaben an, dass fehlende eigene Ressourcen ursächlich dafür sind, warum sie Konflikte als stressig erleben. Bei 13 % der hochsensiblen Probanden ist die Ungewissheit über den Verlauf von Konflikten ursächlich dafür, warum sie Konflikte als stressig erleben. Als weitere Stressfaktoren im Zusammenhang mit Konflikten wurden von 11 % die Angst vor Ablehnung und von 2 % eine allfällige Ungerechtigkeit im Konfliktfall genannt.

Zur Frage nach hilfreichen Faktoren, damit Konflikte gut bearbeitet werden können, gaben 26 % an, dass sie bestimmte Verhaltensweisen ihrer Konfliktpartner brauchen. Genannt wurden Verständnis, Offenheit, Wertschätzung, Selbstreflexion und ein respektvolles Handeln. 23 % gaben an, dass sie konkrete äußere Bedingungen brauchen, und zwar genügend Zeit zum Nachdenken oder eine ruhige Atmosphäre. Weitere 21 % führten an, dass sie mehr persönliche Stärke brauchen, um Konflikte gut bearbeiten zu können, und weitere 20 % nannten das Vorhandensein einer außenstehenden Person. Zu guter Letzt wurden von 8 % der Einsatz von Konfliktbearbeitungsmethoden und von 2 % eine gesellschaftliche Änderung als hilfreiche Faktoren für eine gute Konfliktbearbeitung angegeben.

Zur Frage, wie Mediatoren helfen können, damit sie im Umgang mit Konflikten zu guten Ergebnissen kommen, gaben 47 % der hochsensiblen Probanden an, dass hierfür ganz bestimmte Verhaltensweisen der Mediatoren entscheidend sind. Diese Verhaltensweisen sind Struktur geben, Wahrung der Neutralität, Ermöglichung eines Perspektivenwechsels, Vermittlung von Empathie und Zuhören im Allgemeinen. #

42 % nannten hier, dass eine ausschließliche Unterstützung der eigenen Person dazu beitragen kann, dass sie im Umgang mit Konflikten zu guten Ergebnissen kommen können. Als direkte Unterstützungshandlungen wurden genannt: Stärkung des Selbstvertrauens, Unterstützung im Umgang mit Gefühlen und Emotionen, Förderung der Selbstreflexion und die Zurverfügungstellung von Argumenten und Worten. Abschließend gaben 11 % an, dass Mediatoren durch die Herstellung von Rahmenbedingungen beitragen können, damit gute Ergebnisse für sie möglich sind. Diese Hilfestellung untergliedert sich in ausreichend Zeit geben sowie in der Schaffung einer ruhigen und sicheren Atmosphäre.

Interpretation der Gesamtergebnisse und Ausblick

Aus der Zusammenschau der Ergebnisse dieser Studie mit den theoretischen Grundlagen und den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Hochsensibilität ist erkennbar, dass das Mediationsverfahren in seinen Grundzügen und Merkmalen für hochsensible Menschen ideal geeignet ist. Die besonderen Bedürfnisse von hochsensiblen Menschen (Stichwort: Reizaufnahme) können in einer Mediation gut beachtet werden. Zusätzlich können Mediatoren – im Einklang mit ihrer Position und mit ihren Aufgaben – hochsensible Personen unterstützen, damit diese Konflikte in den für sie passenden Rahmenbedingungen austragen können (Stichworte: genügend Zeit geben, ruhige Umgebung).

Selbst der Fall, dass eine hochsensible Person einen erhöhten Unterstützungsbedarf hat, der nicht mehr durch Mediatoren abdeckt werden kann (Stichwort: Allparteilichkeit/Neutralität), findet in den Grundsätzen der Mediation eine Berücksichtigung. So sind in solchen Fällen betroffene Personen von Mediatoren auf die Einholung von externen Hilfestellungen aufmerksam zu machen, z. B. Kontaktaufnahme mit Beratern oder Therapeuten.

Zusätzlich können diese im Bedarfsfall auch zur Mediation hinzugezogen werden, sodass betroffenen Personen eine direkte (nur sie selbst betreffende) Unterstützung in der Mediation zur Verfügung steht (Stichwort: Schutzengelmediation).

Werden Mediatoren über eine bestehende Hochsensibilität informiert, ist es im Mediationsprozess sinnvoll, auf Symptome einer Reizüberflutung zu achten. Aus der Kenntnislage einer Hochsensibilität kann resultieren, dass mehr Pausen, Erholungs- und Ruhephasen im Mediationsverfahren eingeplant werden (Stichwort: Rahmenbedingungen). Hinzu kommt, dass auch die Emotionen und Gefühle der anderen Konfliktpartei sowie negative Stimmungen auf hochsensible Personen einwirken.

Daher ist es zweckmäßig, auch diesen Faktor zu bedenken, um Abhilfe schaffen zu können, z. B. Trennung der Konfliktparteien in den Pausen oder regelmäßiges Lüften, um frische Luft in den Raum zu bekommen.

Zusammenfassend berachtet können Mediatoren auf die Bedürfnisse von hochsensiblen Personen sehr gut eingehen, und zwar ohne die Grundprinzipien der Mediation zu verletzen. So liegt es sogar in der Verantwortung von Mediatoren, geeignete und passgenaue Rahmenbedingungen zu schaffen.

Die Grundprinzipien der Mediation ermöglichen es, dass das Mediationsverfahren für hochsensible Personen besonders gut geeignet ist, um bestehende Konflikte bearbeiten und lösen zu können.

Mag. Katrin Trimmel, M. Sc.
Juristin, eingetragene Mediatorin, Konflikttrainerin, Expertin für Hochsensibilität

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