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Veränderung braucht eine Linie

Wie der rote Faden in der Beratung wirkt

Die Formulierung eines konkreten Beratungsanliegens ist Voraussetzung und zentraler Bestandteil der psychologischen Beratung. Erfahrungsgemäß wissen viele Klienten, was sie nicht wollen. Und das sehr konkret. Sie planen ihr Leben nach dem Ausschlussverfahren: Ich will nicht mehr klein beigeben. Ich möchte nicht mehr fünftes Rad am Wagen sein. Ich werde keine Zugeständnisse mehr machen. Jetzt kommt die schwierige Frage: Was wollen Sie stattdessen?
An dieser Stelle beobachte ich oft das "Dicke-Backen-Syndrom". Die unklare Vorstellung einer hilfreichen Alternative gesellt sich zu der belastenden Ausgangssituation. Ratlosigkeit entsteht. Für den Klienten wird das Dilemma deutlich: Ich möchte zwar eine Veränderung, weiß aber gar nicht in welche Richtung. Das wirkt in etwa so, als würde er auf gepackten Koffern sitzen und noch nicht weiß, wohin er verreisen soll. In meiner Beratungspraxis greife ich an dieser Stelle gerne zur "Roten Linie".


Dazu dient mir ein Seil in roter Farbe, das ich der Länge nach durch mein Beratungszimmer lege. Es unterstützt den Klienten in zweifacher Hinsicht: Einerseits trennt es den Istzustand vom Sollzustand und symbolisiert dadurch den Übergang in die Zielsituation. Andererseits gibt er als roter Faden die Linie vor, die der Klient einschlagen wird, um sein Ziel zu erreichen. Das Besondere ist, dass zu diesem Zeitpunkt die Zielformulierung im Detail noch nicht abgeschlossen sein muss. Insofern hilft mir diese Visualisierung dabei, den Klienten mit seinen Gedanken und Gefühlen in Kontakt zu bringen und Schritt für Schritt die Zielformulierung zu erarbeiten.

Das Überschreiten der Linie und das-Schrittfür- Schritt-Abgehen des roten Fadens nehme ich sehr wörtlich. Der Klient bewegt sich in seinem Tempo entlang des Seils und erspürt dadurch eine Dauer für seinen Veränderungsprozess. Angeleitet durch offene Fragen lasse ich ihn am Start nochmal sinnhaft wahrnehmen, wie sich die Ausgangssituation für ihn darstellt. Dabei bediene ich mich des V A K O G - Prinzips (visuell, auditiv, kinästhetisch, olfaktorisch und gustatorisch) aus dem NLP.

Zuerst steht der Klient frontal zum Seil und erlebt eine Art Konfrontation, einen Bruch mit dem Gewohnten. An dieser Stelle beobachte ich regelmäßig, dass es den Klienten oft schwer fällt, einen ersten Schritt zu tun. Manche stehen wie angewurzelt am Boden und können keinen Fuß vor den anderen setzen. Wie sieht es auf der anderen Seite aus? Wie fühlt es sich da an? Was sagt Ihr Bauch? Hierüber lassen sich viele Stichworte finden, die später für die Zielformulierung ganz wesentlich sind.

Wenn sich der Klient dann mal in Bewegung gesetzt hat, weil er Motive für eine Veränderung auf der anderen Seite entdeckt, ist die deutlichste Hürde die rote Linie. Oft hält er hier inne, reflektiert nochmal, was er aufgeben würde und prüft seine Kraftquellen für die Veränderung. Ich lasse diese Phasen unkommentiert, weil der Klient hier ganz intensiv mit sich selbst beschäftigt ist und meine weiteren Fragen stören würden. Ich beobachte lediglich seinen körpersprachlichen Ausdruck und seine Physiognomie.

Ist das rote Seil erst mal überschritten, fallen die nächsten Schritte oft wesentlich leichter.

Mit den hier gewonnenen Erkenntnissen hat der Klient eine erste gute Basis, um ein vorläufiges Ziel zu formulieren. Dieses Ziel nehmen wir dann mit in den nächsten Übungsteil.

Dazu lasse ich den Klienten seinen eigenen Rucksack packen mit aller Ausrüstung, die er für den Weg braucht und auf die er zurückgreifen kann. Ich bin immer wieder fasziniert, wie gut sich die Klienten selber einschätzen und welche Kraftquellen sie entdecken:

28-01-linie1Durchhaltevermögen, Einfühlungsvermögen, Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit oder Toleranz gehören ebenso dazu wie Hilfe von nahestehenden Menschen. Der Klient packt den Rucksack dann auch wirklich, indem er für alle Ressourcen ein geeignetes Symbol findet und einsteckt. Wenn er den Rucksack dann aufsetzt, kann er sogar spüren, dass er noch etwas als Hilfe im Rücken hat. So marschiert er dann los.

Der Klient folgt seiner roten Linie. Sie muss nicht immer ganz gerade verlaufen. Manchmal wird die Führung des Seils der Prognose des Klienten angepasst und es gibt ein paar Windungen. Dann ist es vielleicht nicht der kürzeste Weg zum Ziel, für die Ökonomie des Klienten aber womöglich der beste.

Auf seinem Weg beobachte ich vor allem solche Signale wie Tempo, Rückschritte, Körperhaltung, Gesichtsausdrücke, Atmung, Pausen und Zögern. Sie geben mir die Möglichkeit, nachzufragen und eventuell Hindernisse zu erkennen. Diese Hürden werden von mir ebenfalls entlang der roten Linie gekennzeichnet. Damit wird für den Klienten das Profil seines Weges auch rückblickend ersichtlich bleiben. Wichtig ist, dass er den roten Faden ausbaut und seinem Lösungsweg dadurch eine Kontur verleiht.

Bei möglichen Hindernissen prüft der Klient, ob er die passende Ausrüstung dabeihat, um diese Herausforderung zu meistern. Fehlt ihm etwas, halten wir es als Bedarf auf einem Zettel fest und stecken ihn ebenfalls in den Rucksack. Somit wächst die Lösung kontinuierlich.

Am Ziel angekommen fasst der Klient nochmal seine Eindrücke vom Weg zusammen: Wie hat er rückblickend die Strecke empfunden? Wurden seine Befürchtungen bestätigt? Was fiel leichter, was schwerer als erwartet?

28-01-linie2Danach überprüft er seine Zielposition: Stimmt der Endpunkt noch mit dem vorläufigen Ziel überein? Muss das Ziel umformuliert werden oder gibt es gar ein anderes, wichtigeres Ziel?

Auch hier macht der Klient erneut einen Ökologie-Check und prüft, ob seine Zielvorstellungen verträglich sind mit seinen anderen Lebensbereichen. Ergeben sich Widersprüche, muss es Nachbesserungen an der Zielformulierung geben. Ist das Ergebnis stimmig, halten wir die Zielformulierung schriftlich fest.

Für den Klienten liegt der wesentliche Vorteil des roten Fadens darin, dass er bereits im Zielfindungsprozess eine Struktur und Richtung vorgibt. Diese Orientierung ist meines Erachtens für den gesamten Veränderungsprozess von außerordentlicher Bedeutung. Wann immer ich innerhalb der Beratung an diese Startphase erinnere, schöpft der Klient erneut Potenzial hieraus. Sie gewinnt dadurch die Bedeutung eines zusätzlichen Ankers.

Besonders wichtig ist natürlich diese Arbeit als Visualisierungstechnik. Das rote Seil hat sich bei meinen Klienten immer sehr nachhaltig eingeprägt und spielte sogar noch nach der Beratung eine Rolle. Teilweise habe ich meinen Klienten einfach ein Stück rotes Seil nach Beendigung der Beratung überreicht. Ich weiß, dass es bei einigen heute noch verwahrt wird.


Horst Lempart
Jahrgang 1968
Seit 14 Jahren arbeitet er als Kundendienstleiter in der Werbe- und Verpackugnsbranche. Er betreut hausintern und in eigener Praxis Kollegen und Klienten, besonders häufig aus dem Vertrieb. Er ist Betriebswirt, Business Coach und macht zurzeit eine Ausbildung zum NLP-Practitioner und in gewaltfreier Kommunikation. Neben Einzelcoachings und Gruppentrainings gibt er Kurse an der VHS Köln zum Thema Business Coaching.
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