Die Begleitung von „verwaisten Eltern“ als besondere Herausforderung in der Beratungstätigkeit
Zweimal pro Stunde bleibt in Deutschland die Welt stehen. 20.000 Mal im Jahr. Die Welt bleibt stehen, wenn ein Kind stirbt, sei es durch Frühtod, Totgeburt, plötzlichen Kindstod, Unfall, Krankheit, Suizid oder Gewaltverbrechen. Manchmal kommt der Tod ganz plötzlich, ganz unangekündigt, manchmal ist es eine lange Zeit des Abschiednehmens. Aber immer, immer ist der Schmerz der Eltern unermesslich. Unfassbar!
Dafür gibt es in Berlin den Verein Verwaiste Eltern und Geschwister Berlin e. V., der anderen betroffenen Eltern beratend, begleitend und unterstützend zur Seite steht. (Der Ausdruck „verwaiste Eltern“ bezeichnet Eltern, die Kinder durch den Tod verloren haben, unabhängig von der Todesursache, dem Alter oder dem Todesdatum.) Nachdem zwei meiner Kinder tot geboren wurden, habe ich begonnen, beim Verein Verwaiste Eltern und Geschwister Berlin e. V. mitzuarbeiten.
Aufgrund meiner Arbeitserfahrungen bei dem Verein wurde deutlich, dass gerade im Beratungsbereich ein besonders sensibler Umgang und eine besondere Begleitung mit den betroffenen Eltern notwendig ist. Deshalb soll in der vorliegenden Arbeit der Grundfrage nachgegangen werden, wie man trauernden Eltern begegnet, welche Besonderheiten in der Begleitung zu beachten sind.
Trauer
Früher war der Tod ein normaler Teil des Lebens, er gehörte zum Alltag. Heute tritt durchschnittlich nur noch alle 15 bis 20 Jahre ein Todesfall im engeren Familienkreis auf. Tod und Trauer treten allein dadurch schon im allgemeinen Erleben und in der Wahrnehmung zurück und folglich wird auch ihre Bewältigung immer weniger geübt.
Die Säuglings- und Kindersterblichkeit in Deutschland ist heute auf ein Minimum von unter 1% gesunken. Der Tod eines Kindes ist daher umso mehr katastrophal, widernatürlich und unfassbar. Man spricht auch von einem „Tod zu Unzeiten“. Er ignoriert die natürliche Abfolge der Generationen, und die Eltern werden gezwungen, ihr Kind zu begraben, anstatt dass das Kind seine Eltern begräbt! Dadurch wird den Eltern ein Stück Zukunft geraubt. Das alte vertraute Leben mit seinen Zukunftsplänen, Hoffnungen und Wünschen endet jäh mit dem Tod des Kindes. Es ist sehr schwer für die betroffenen Eltern, mit solch starken, schmerzhaften und existenziellen Gefühlen umzugehen.
Forschungsstand
Bevor ich auf die Definition von Trauer eingehe, möchte ich kurz etwas zum Forschungsstand zu Trauer und Trauerbegleitung sagen. Deutschland ist in diesem Thema noch in einem frühen Stadium. Einschlägige Forschungen kommen überwiegend aus den USA und Großbritannien; seit 1998 versucht das neugegründete Trauerinstitut Deutschland e. V. (TID) hier Forschungen zu bündeln und ein Netzwerk zu schaffen. In Deutschland sind in den letzten Jahren vor allem durch Chris Paul, Roland Kachler und Kerstin Lammer neue Ansätze in der Trauerbegleitung entwickelt worden.
Definition von Trauer
Nach Kerstin Lammer ist „Trauer eine normale Reaktion auf einen bedeutenden Verlust“. Diese Definition erscheint aus mehreren Gründen sehr sinnvoll, denn damit wird Trauer als Verlustreaktion bewertet und so die sinnvolle und positive Funktion der Trauer hervorgehoben. Trauer dient also zur Verlustbewältigung und tritt auf, wenn sie notwendig ist. Trauer ist dann auch etwas normales, keine Krankheit, keine psychische Schwäche, sondern ein gesunder, normaler und psychohygienisch unabdingbarer Prozess, um Verluste zu verarbeiten. Die hier vorgestellte Definition ist auch weit genug gefasst, um die bekannten mannigfaltigen Erscheinungsformen von Trauer mit einbeziehen zu können. Damit sind die Veränderungen in verschiedenen Bereichen wie des Geistes, des Körpers, der Psyche und des (Sozial-)Verhaltens mit eingeschlossen.
Neuere Erkenntnisse über Trauer
Es gibt einige sehr spannende neuere Erkenntnisse aus der Trauerforschung, die meiner Meinung nach für die Begleitung von verwaisten Eltern sehr bedeutsam sind. Ein neuerer Befund ist, dass Trauer kein klar umrissenes Symptombild hat, sondern vielfältig ist: Trauer verläuft nicht uniform, sondern verschieden, individuell verschieden. Der Fachbegriff dafür ist Diversität. Kerstin Lammer spricht auch von dem „ganz normalen Chaos der Trauer“. Genau wie jeder Mensch individuell ist, so ist auch die Trauer individuell und kann sehr unterschiedlich durchlebt werden. Dies kann für die Betroffenen zum einen als Chance gesehen werden, zum anderen aber auch als Problem: So können sich verwaiste Eltern, also Vater und Mutter, in ihrer Trauer um ihr totes Kind gegenseitig helfen oder gerade nicht, weil sie unterschiedlich trauern. Geschwisterkinder trauern noch mal ganz anders als Eltern.
In der Beratungstätigkeit kann gerade Diversität zuerst einmal Unsicherheiten hervorrufen, da unklar bleibt, was „normal“ ist. Es gibt kein festes, starres Schema, an dem man sich orientieren kann, an das man sich halten kann. Gab es bisher klare Erwartungen an das Verhalten von Trauernden und ist dieses nicht eingetreten, bestand die Gefahr für den Betroffenen selbst und in der Beratungstätigkeit, dass das Verhalten als unnormal, manchmal sogar als krankhaft, also als komplizierte Trauer eingeschätzt wurde. Aber durch Diversität wird nochmals deutlich, dass es kein „richtiges“ oder „falsches“ Trauern gibt. Es ist wichtig, dies in der Beratungstätigkeit sich selbst und den Klienten immer wieder vor Augen zu führen. Jeder hat seinen eigenen, individuellen Trauerweg und Trauerstil und durch das Wissen, dass es vielfältige Reaktionen gibt, kann man den Trauernden gezielter dazu ermutigen, seinen eigenen Weg zu gehen, ihn auf diesem Weg begleiten und – nicht zu vergessen – diesen Weg auch zu akzeptieren. Denn der Trauernde ist der Fachmann für seine eigene Trauer, nicht der Begleiter.
Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit wird stets die männliche Form benutzt, sie schließt aber natürlich auch immer die weibliche Form mit ein.
Eine weitere neue Erkenntnis ist, dass Trauer viel länger dauert als erwartet. Trauer ist ein Prozess, der über vier oder fünf oder mehr Jahre dauern kann, gerade die Eingangsphase der Trauer ist besonders bedeutend. In wissenschaftlichen Studien hat man Trauernde befragt und herausgefunden, dass die heftigsten Trauerreaktionen (z. B. Weinen, Schmerzen, Angst) perimortal, also innerhalb der ersten Minuten und Stunden nach dem Tod und den Tagen bis zur Bestattung erlebt werden. Dies bedeutet für die praktische Arbeit, dass Trauernde gerade von einer frühen Begleitung sehr „profitieren“ können.
Modelle zur Trauerbewältigung
Zum Thema Trauerbewältigung gibt es verschiedene Modelle und Theorien. Allerdings müssen diese Modelle und Theorien zur Trauerbewältigung, die meist den Ablauf von Trauer beschreiben, kritisch hinterfragt werden. Denn wie wir bereits gesehen haben, gibt es keine richtige oder falsche Trauer, sondern Trauer ist vielfältig!
Trotzdem kann das Wissen um diese Modelle in der Beratungstätigkeit hilfreich sein. So können diese Modelle sowohl für Betroffene als auch für Beratende eine Orientierungshilfe sein und Halt im Trauerprozess geben. „Sie reduzieren die vielen komplexen Phänomene des Trauerns auf ein überschaubares Maß“, geben einen Überblick, was auf einen zukommen kann und weisen auf Handlungsmöglichkeiten hin. Dies kann durchaus entlastend für den Trauernden wirken.
Lange Zeit waren sogenannte Phasenmodelle vorherrschend, „die der Trauer und deren Bewältigung einen gewissen schematischen Rahmen gaben”. Zunehmend finden jetzt aber Aufgabenmodelle Beachtung, die eine Reihe von Aufgaben in der Trauerbewältigung beschreiben und dabei die chronologische Abfolge von Phasen vermeiden.
Meine Erfahrungen in der Praxis haben gezeigt, dass Aufgabenmodelle durchaus hilfreiche wie praktische Modelle für die Begleitung von trauernden Eltern sind. Denn Aufgabenmodelle werden den individuell gemachten Trauererfahrungen gerecht, geben Struktur und Ordnung, ohne Trauerverhalten zu normieren, und lassen Raum für individuellen Stil, eigene Strategien und eigene Wege. Dadurch übernimmt der Trauernde eine aktive Rolle, wird also selbst zum Handelnden. Zudem können aus den Aufgaben, die Trauernde zu bewältigen haben, auch Aufgaben des Begleiters abgelesen werden.
Kerstin Lammer hat meiner Meinung nach ein Aufgabenmodell entwickelt, das für die Beratungstätigkeit mit trauernden Eltern sehr gut geeignet ist. Dieses Aufgabenmodell umfasst sechs Schritte, die dabei helfen die Trauer bewältigen zu können.
Aufgaben der Trauerbegleitung nach Kerstin Lammer
T od begreifen helfen (Realisation)
R eaktionen Raum geben (Initiation)
A nerkennung des Verlustes äußern (Validation)
U ebergänge unterstützen (Initiation)
E rinnern und Erzählen ermutigen (Rekonstruktion)
R isiken und Ressourcen einschätzen (Evaluation)
Details und Erläuterungen zu den einzelnen Punkten finden sich in der Vollfassung dieser Arbeit.
Aufgabenmodelle eignen sich also besonders gut, um eine sinnvolle und unterstützende Orientierung im Trauerprozess zu geben, nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Begleiter. Eine besondere Aufmerksamkeit sollte als Begleiter immer auch auf der letzten Aufgabe, den Risikofaktoren, liegen, ohne allzu schnell eine komplizierte Trauer zu diagnostizieren.
Komplizierte Trauer
Von komplizierter Trauer wird in der klinischen Literatur dann gesprochen, wenn es dem Hinterbliebenen nicht gelingt, den Tod eines nahestehenden Menschen zu verarbeiten. Heutzutage ist die Annahme, dass es normale und komplizierte Trauer gebe, weit verbreitet. In der Literatur wird für kompliziert manchmal pathologisch, krankhaft, chronisch benutzt und für normal manchmal einfach. Komplizierte Trauer wird demnach als pathologisches Phänomen angesehen und damit von der normalen Trauer getrennt. Allerdings entsteht dadurch eine Reihe von Schwierigkeiten. Was ist eine normale Trauerreaktion? Wie wir bereits gesehen haben, gibt es keine genormte Trauerreaktion. Trauer kann länger dauern, und Trauer ist durchaus vielfältig (Diversität).
Im Gegensatz zu anderen Gebieten der Psychopathologie liegt im Fall der Trauer also keine übereinstimmende Definition vor, was man unter „normaler“ Trauer versteht. Deshalb kann man nicht einfach annehmen, dass intensives Trauern gleich pathologisch sei oder dass, wenn Krankheiten auftreten, man diese als Zeichen pathologischer Trauer deuten könne, „denn eine erhöhte Krankheitsanfälligkeit Trauernder gehört zu den häufigsten Trauersymptomen“ und somit quasi zur normalen Trauerreaktion.
Ein weiteres Problem ist, dass im Fall der Trauer, wie auch in anderen Gebieten der Psychopathologie, die „Grenzen, dessen, was normal ist, fließend sind und das Urteil darüber“ von sozial bedingten, geschichtlich und kulturell geprägten Konventionen abhängt. Im Umkehrschluss ist somit natürlich auch klar, dass es schwierig ist, „klare Kriterien wie Dauer [und] Intensität verschiedener Anzeichen einer komplizierten Trauer festzulegen”. Es gibt allerdings verschiedene Versuche in der klinischen Forschungsliteratur, komplizierte und normale Trauer zu definieren.
In der ICD-10 gibt es kein eigenes Diagnosemanual für die komplizierte Trauer. Dies liegt daran, dass klare Diagnosekriterien für die komplizierte Trauer fehlen und keine epidemiologischen Daten für die komplizierte Trauer vorliegen. Deshalb müssen für die komplizierte Trauer alternative Kategorien benutzt werden. Die am ehesten in Frage kommenden Kategorien sind die aus dem Bereich F43 – Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen. Im Einzelnen also besonders F43.0 – akute Belastungsstörung, F43.1 – posttraumatische Belastungsstörung sowie F43.2 – Anpassungsstörungen. Unter Umständen und unter Ausschluss der einfachen Trauer auch F34.1 – Dysthymia aus dem Bereich der affektiven Störungen.
Differenzialdiagnostisch bleibt es aber dennoch schwierig, komplizierte Trauer von affektiven Störungen und Depressionen abzugrenzen. Eine Abgrenzung gegenüber der PTB ist oft schwierig. Festzuhalten bleibt, dass komplizierte Trauer selten alleine auftritt und sehr häufig von anderen psychischen und somatischen Symptomen begleitet ist. Trauer ist zwar keine Krankheit, wie wir gesehen haben, aber Trauer kann durchaus krank machen. Angststörungen und Depressionen sind die häufigsten komorbiden Störungen einer Trauer. Aber auch Alkohol- und Substanzmissbrauch stellt ein weiteres Komorbiditätsrisiko dar. Gerade bei Trauernden ist zudem das Risiko für Suizid erhöht. Erhöht wird diese Suizidalität vor allem durch Faktoren wie Einsamkeit, wenig soziale Kontakte, Alleinewohnen, Substanzmissbrauch, Zugang zu einer Waffe, agitierte Depression. Auch somatische Störungen treten häufig auf, oft mehrere zeitgleich. Die Zunahme von Herzerkrankungen und der Anstieg der Sterblichkeit sind am besten erforscht.
Im Jahr 2005 hat das Danish Epidemiology Science Centre unter der Leitung von Jiong Li eine der bisher umfangreichsten Studien zur mentalen Gesundheit von verwaisten Eltern durchgeführt unter dem Titel Hospitalization for Mental Illness among Parents after the Death of a Child. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass Eltern durch den Tod eines Kindes ein höheres Risiko der Einweisung in eine Klinik wegen psychischer Erkrankungen haben, besonders die Mütter. Vor allem in den ersten fünf Jahren nach dem Tod des Kindes wiesen die betroffenen Eltern eine hohe Rate vor allem an Depressionen auf und neigten zu Substanzmissbrauch. Diese Studie gibt somit wichtige Einblicke in ein Feld, welches bisher nur wenig wissenschaftliche Beachtung fand.
Es bleibt also festzuhalten, dass meiner Meinung nach die Unterscheidung zwischen normaler und komplizierter Trauer schwierig zu treffen ist und zudem problematisch ist, weil sie auch zu einer unnötigen Stigmatisierung der „normalen“ Trauersymptome führen kann.
Gerade aus der Praxis weiß ich, dass es nur ein kleinerer Teil der betroffenen Eltern ist, deren Trauer kompliziert verläuft. Im Gegenzug dazu haben wir im Verein aber viele Rückmeldungen, dass gerade Psychologen und Psychiater verwaisten Eltern oft mit mangelnder Empathie und unsensiblem Umgang begegnen. So erzählte eine verwaiste Mutter über ihre Psychologin: „Sie hat zu mir gesagt, ich solle mir einfach vorstellen, dass meine Tochter in eine andere Stadt gezogen sei.“ Eine andere Mutter sagte: „Die Psychologin hatte an ihrem Schlüsselbund ein paar Babyschuhe von ihrem Kind und überall hingen Babyfotos von ihm. Da konnte ich einfach nicht mehr hingehen.“ Anja Wiese schreibt in ihrem Buch dazu so treffend: „Das sind für mich Beispiele von pathologischem Umgang mit trauernden Eltern.“
Dies macht deutlich, dass gerade diese Spezialisten sich dem Thema Trauer nicht nur von der klinischen Seite nähern sollten, sondern sich auch kundig machen sollten in der einschlägigen Trauerliteratur und bei reflektierten professionellen Betroffenen. Denn der deduktive Zugang der Psychologen und Psychiater nur über die ICD-10 oder die klinische Forschungsliteratur ist meines Erachtens nicht ausreichend und kann zu einer vorschnellen Diagnose führen. Das Allerschlimmste daran aber ist, dass die Betroffenen sich weder verstanden noch ernst genommen fühlen und ihnen somit auch eine Chance auf „Bewältigung“ der Trauer genommen wird.
Dies bedeutet aber nicht, dass ich als Begleiterin der komplizierten Trauer keine Beachtung schenke. Vielmehr fordert es mich auf, genau hinzuschauen und hinzuhören, auf der Hut zu sein und Risikofaktoren (wie beispielsweise Äußerungen über Todeswunsch, große Schuldgefühle, Alkohol und andere Substanzen als Hilfe zur Bewältigung, besonders traumatisierende Todesumstände etc.) abzuklären, die auf eine komplizierte Trauer hinweisen oder dorthin führen können. Gerade wenn bereits psychische Vorerkrankungen vorliegen, kann die Gefahr einer komplizierten Trauer erhöht sein.
Zusammenfassung
Auf der Reise durch die Trauer hat sich gezeigt, dass die Trauer genauso vielfältig ist, wie die Menschen verschieden sind. Falsche und richtige Trauer gibt es nicht. Aufgabenmodelle bieten eine Art Leitplanke, an der sich sowohl die Trauernden als auch die Begleiter orientieren können, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Besonders wichtig bleibt dabei, als Begleiter immer ein Auge auf die Risikofaktoren zu haben, ohne allerdings eine voreilige Diagnose der komplizierten Trauer zu stellen. Trauern braucht Zeit. Der Schmerz der Trauer vergeht nicht von alleine, Trauernde müssen sich der Trauer stellen, eigene individuelle Wege aus und mit der Trauer gehen. Gerade der Tod eines Kindes, der Tod zu Unzeiten, ist unfassbar. Der Schmerz der Eltern ist unermesslich. Die Welt bleibt für die verwaisten Eltern stehen. Trauer um ein Kind, das gestorben ist, bleibt ein lebenslanger Prozess. Tote Kinder sind nicht einfach weg, sie sind immer da, sind immer in den Herzen der Eltern und gehören zu ihrem Leben dazu. Eltern lernen mit der Trauer zu leben, vor allem, wenn es ihnen ermöglicht wird, ihren toten Kindern einen bleibenden Platz in ihrem Leben geben zu können. Es geht also nicht um Abschied, sondern es geht darum, mit dem Verlust des Kindes weiterzuleben. Das Kind erhält einen anderen, neuen Platz in der Familie.
Die Reise durch die Trauer um das eigene Kind hinterlässt tiefe Spuren und Narben, wird zum Wegbegleiter, es gibt die blauen und die schwarzen Tage, aber das Leben wird zunehmend wieder bunter und es wird auch ein Weiterleben, ja ein Überleben und in ferner Zukunft auch ein „gutes“, wenn auch anderes Leben als zuvor möglich
Als betroffene Begleiterin erhält man in der Regel einen Vertrauensvorschuss von den Klienten. Dies alleine reicht aber nicht aus, um verwaiste Eltern auf ihrer Reise durch die Trauer angemessen begleiten zu können. Neben fachlich fundiertem Wissen, Empathie, kontinuierlicher Supervision und Weiterbildung ist vor allem die Balance zwischen eigener Betroffenheit und Professionalität zu wahren.
Abschließend möchte ich gerne etwas Praktisches mit an die Hand geben, was für eine Begleitung verwaister Eltern hilfreich sein kann.
Praktische Hinweise im Umgang mit verwaisten Eltern
– Für die Eltern gibt es keinen Trost. Aushalten, Zuhören, Dasein – das sind die drei wichtigsten Eckpunkte.
– Verstecken Sie Ihre Unsicherheit nicht, sondern verbalisieren Sie diese Ich- statt Du-Botschaften: „Ich weiß nicht, was ich sagen soll, ich bin so traurig mit Ihnen.“
– Machen Sie sich frei von eigenen Vorstellungen, denn sonst kann der Betroffene in seiner individuellen Befindlichkeit und seiner individuellen Trauer nicht wahrgenommen werden. Jeder Mensch trauert anders. Sagen Sie nicht: „Ich kann Sie verstehen“ oder „Ich weiß, was Sie fühlen“, sondern sagen Sie: „Ich fühle mit Ihnen“ oder fragen Sie: „Wie geht es Ihnen heute?“
– Den Schmerz nicht mindern. Also nicht sagen: „Das wird schon wieder“ oder etwas positives zum Tod des Kindes sagen wie: „Es war eine Erlösung.“ Auch nicht sagen: „Du bist jung, du kannst noch viele Kinder bekommen!“ Oder: „Sie haben noch andere Kinder.“ Kein Kind ist ersetzbar! Kein Kind ist austauschbar!
– Nennen Sie den Tod beim Namen: immer tot und gestorben sagen (Namen des Kindes erfragen!), nicht umschreiben wie: „Das, was mit Ihrem Kind geschehen ist ...“ Zum einen trägt man dazu bei, dass der Tod realisiert wird, zum anderen macht man deutlich, dass man bereit ist über Trauer und Tod zu sprechen.
– Zum 1.000. Mal der Geschichte zuhören. Durch Erinnern und Wiederholen der Geschichte verarbeiten Trauernde den Verlust. Sagen Sie also nicht: „Es macht dich bloß traurig, darüber zu reden.“
– Verfügen Sie nicht über den Trauernden, fragen Sie: „Was tut Ihnen gerade gut?“
– Geben Sie den Eltern Zeit und Raum zum Trauern. Der Trauernde selbst bestimmt, was er machen möchte, er gibt die Richtung und das Tempo an. Sie sind der Hörende, der Wahrnehmende, der Anbietende, der Haltgebende und der Impulsgebende.
– Schweigen aushalten!
– Fragen Sie nach dem Kind, interessieren Sie sich dafür, was es für ein Mensch war: „Möchten Sie etwas über Ihr Kind erzählen?“ Dies darf aber nicht im Stile eines Verhöres passieren!
– Passen Sie auch gut auf sich auf! Nur wer gut für sich sorgt, kann auch gut für andere da sein bzw. sie gut begleiten. Nach schwierigen Situationen reflektieren und eine Supervision in Anspruch nehmen.
Literatur kann bei der Autorin erfragt werden.
Carmen Mayer M.A., Heilpraktikerin für Psychotherapie und Trauerbegleiterin (BVT)