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Nicht jeder Chat ist nett

2010-03-Chat1

Gefahren im Internet für Kinder und Jugendliche

Warum flüchten so viele Kinder und Jugendliche ins Internet?

otolia©AlexanderGitlitsFestzustellen ist, dass sich das soziale Umfeld signifikant verändert hat. Dies bleibt natürlich nicht ohne Auswirkungen auf die familiären Lebensgemeinschaften. Wir haben zunehmend unvollständige Familien, d. h. Scheidungs-, Patchwork- und Trennungsfamilien.

Diese Veränderungen wirken sich auch auf die in diesen Gemeinschaften lebenden Kinder aus. Weiterhin resultiert daraus die Verschiebung von Werten und Normen in einem dahinrasenden Lebensalltag. Finanzielle und berufliche Sorgen kommen hinzu und führen zu existenziellen Ängsten, die ebenfalls ihre Auswirkungen auf die Kinder und Jugendlichen haben.

„Unsere Kinder sollen es einmal besser haben und gute Chancen in Schule und Gesellschaft haben.“ Mit einer guten Schulbildung soll die Basis für einen erfolgreichen Beruf geschaffen werden. Daher stellen Eltern ihren Sprösslingen alle erdenklichen Möglichkeiten zur Verfügung, um zu lernen, aber auch um sich in ihrem Umfeld zu behaupten.

Lernen am Computer mag in dem einen oder anderen Fall mit einem entsprechenden Lernprogramm auch sinnvoll sein. Aber wie viel nutzen unsere Kinder wirklich die Medien Computer und Internet, um zu lernen? Untersuchungen ergaben, dass die Heranwachsenden diese Medien ausschließlich nutzen, um erreichbar und „in“ zu sein. Die verbale Kommunikation bleibt dabei auf der Strecke, da der Kontakt meistens via SMS und E-Mail erfolgt.

Aber auch für Mobbing wird das Internet genutzt. Schüler kompromittieren Eltern, Lehrer und sich untereinander im Web. Dabei lässt man kein gutes Haar am anderen. Da unsere Kinder und Jugendlichen noch keine gefestigten Persönlichkeiten sind, prallen negative Äußerungen an ihnen selten ab. Ganz im Gegenteil, die Heranwachsenden fühlen sich verletzt, hilflos, schämen sich und erwägen als Ausweg einen Schulwechsel. Die Praxis zeigt, dass dies kein Einzelfall ist.

Das Gefühl, ständig erreichbar und transparent zu sein, zeigt negative Seiten. Jugendliche surfen nach ihrer Lieblingssendung, günstigen Klamotten, Musiktiteln und nach neuen Freunden. Mancher ist bei diesen Aktionen schon auf unseriöse Machenschaften gestoßen, die dann für die Eltern finanzielle Auswirkungen hatten. Es wird beobachtet, dass Mädchen häufiger das Web zur Pflege von Kontakten nutzen, während bei Jungen das Spielen im Vordergrund steht.

Manfred Spitzer, Hirnforscher an der Universität Ulm, schreibt in seinem Buch „Vorsicht Bildschirm“, dass Bildschirmmedien sich ungünstig auf die Ausbildung von internen Wahrnehmungsstrukturen auswirken und somit auch zu Aufmerksamkeitsstörungen führen. Weiterhin erwähnt er, dass diese Medienform die schulischen Leistungen beeinträchtigt, zu Lese-/Rechtschreibstörungen, sozialem Rückzug und zur Vereinsamung bis hin zu Depression und Ängsten führen.

Dazu passt auch der Artikel im „Rheinischen Merkur“ vom 18. März 2010. Dort erwähnt Andreas Öhler, dass Neurologen von einem Umbau der Gehirne sprechen, von einer Umkodierung der Synapsen, die den intensiven Computernutzer zwar immer mehr befähigen, schneller auf visuelle Reize zu reagieren, aber um den Preis, dass komplexe geistige Zusammenhänge nicht mehr erfasst werden.

Ein weiteres Thema ist Gewalt im Internet, die dort trainiert wird. In vielen Spielen findet eine Identifikation mit dem Aggressor statt und im Gegensatz zu Film oder Fernsehen – so Spitzer – wird in Videospielen Gewalt belohnt. Man erreicht höhere Punkte oder kommt eine Ebene weiter. Sehr häufig finden solche Spiele mit mehreren Spielern gleichzeitig statt.

In diesem Themenbereich ist auch das „Happy Slapping“, auf Deutsch „Fröhliches Schlagen“, angesiedelt. Hier werden Prügelszenen mit dem Handy aufgezeichnet, via Mobiltelefon weitergeschickt und dann ebenfalls im Internet verbreitet.

Mit den Ausspruch „Alles halb so schlimm“, kann man solche Geschehnisse nicht abtun und ich möchte an dieser Stelle kritisch darauf hinweisen.

Ist denn das Internet grundsätzlich schlecht und kann es unsere Kinder süchtig machen?

fotolia©ElviraSchäferDiese Frage lässt sich nicht pauschal mit ja oder nein beantworten. Nehmen wir dazu ein weiteres Beispiel. Das Nachschlagewerk Wikipedia ist dem jungen Menschen oft sicherlich eine Hilfe bei der Bearbeitung von schulischen Fragestellungen. Aber es reißt Themen nur an und zeichnet Wege auf, eine Thematik zu bearbeiten. Hier werden auch Literaturstellen genannt und somit also eine Zielrichtung hin zu Büchern. Auf diese Verknüpfungen sollte der junge Mensch aufmerksam gemacht werden.

In meiner Praxis stärke ich in Elternseminaren die elterliche Kompetenz. Wenn Eltern gefestigt sind, klare Ziele definieren und eine liebevolle Konsequenz praktizieren, geben sie ihren Kindern ein Urvertrauen, Sicherheit und Stabilität. Eltern sollten ihre Kinder im Umgang mit dem Internet begleiten. Sprechen Sie mit ihnen über den Gebrauch dieses Mediums und lassen Sie es nicht zu, dass andere dies übernehmen. Auch die rechtlichen Gesichtspunkte müssen klar erläutert werden. Spielen Sie selbst die Spiele, die Ihre Kinder spielen. Hören Sie gemeinsam die im Web angebotenen Musiktitel. Nehmen Sie sich Zeit und beobachten Sie das Surfverhalten Ihres Kindes im Netz. Führen Sie danach konstruktive Gespräche und zeigen Sie in diesen auf, dass es auch Alternativen zum Internet gibt.

Da ich immer häufiger feststelle, dass Kinder selten oder gar nicht lesen, sollte das Buch erwähnt sein. Gönnen Sie aber auch Fernseher und Computer in der Woche einen freien Tag und nutzen Sie diesen Abend zu gemeinsamen Gesprächen, zum Lesen und Spielen. Kinder reagieren auf solche Gemeinsamkeiten sehr positiv und das daraus resultierende Zusammengehörigkeitsgefühl stärkt Selbstbewusstsein und soziale Kompetenz.

Diese Maßnahmen haben die Konsequenz, Zeit zu investieren. Machen Sie auch deutlich, dass man im Internet keine Sozialkompetenz erlangen kann. Hier handelt es sich meist um alleinige Aktivitäten ohne soziale Kontakte. Einen Chat mit einer „verstümmelten“ Wortwahl möchte ich nicht als einen Sozialkontakt gelten lassen.

Der Schulalltag und später das Berufsleben erfordern soziale Verknüpfungen. Im täglichen Miteinander gilt es Meinungen auszutauschen, konstruktiv, emotional und verbal zu streiten, mit der Zielsetzung zum positiven Selbstwertgefühl.

Stellen Sie dar, dass Sie als Eltern einen Weg gegangen sind, der nicht mit dem www verknüpft war und der zu dem geführt hat, was Sie jetzt als Erzieher darstellen.

In unserer komplexen Welt, um die ich unsere Kinder nicht beneide, wird es keine Patentrezepte geben. Aber versuchen Sie Neugier zu wecken, die außerhalb dieser mobilen Vernetzung liegt. Aber dies bedeutet zeitlichen, emotionalen und zielgerichteten geistigen Einsatz, um Ihre Kinder von der Sackgasse des Internets zu überzeugen. Machen Sie klar, dass es sich um nichts anderes als ein Tool, also ein Werkzeug bzw. Hilfsmittel, handelt. Zeigen Sie an einem Beispiel wie Sie es erfolgreich genutzt haben, um einen von Ihnen schon lange beobachteten Wunschartikel preisgünstig zu ersteigern.

Hiermit machen Sie deutlich, dass Sie dieses Medium nicht verteufeln, sondern es dann nutzen, wenn Sie es benötigen. Sie geben ihm also einen Stellenwert unter einer Vielzahl von Möglichkeiten, die unseren Lebensalltag auch gewinnbringend unterstützen können.

Das www ist nur ein geringer Teil des Alltags!

Es ist nicht mehr als ein Medium. Familie, Freunde, Sport und Freizeitaktivitäten sollten den Mittelpunkt des Lebens bilden.

Karin Staab Karin Staab
Kinder- und Familientherapeutin,
seit 19 Jahren in eigener Praxis in Rheinbach