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Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte

2010-03-Metapher1

Heilen mit Metaphern

Die Nadel im Heuhaufen - fotolia©volff„Das Leben ist schwer“: Zwei Menschen warten auf die Straßenbahn. Der eine Mensch bückt sich, nimmt imaginär etwas in die Hand und steckt es sich in den Mund. Der zweite fragt: Sagen Sie, was machen Sie da eigentlich? – Antwort: Ich esse imaginäre Steine. (Metapher für: jeder Schritt, jede Handlung im Leben ist beschwerlich). Der zweite: Na, wenn Sie schon imaginär Steine essen – dann könnten Sie die doch eintauschen gegen Schokolade, ein feines Dessert oder was Sie sonst gern essen, oder?!

Metaphern von Beratenden

Beratende, Helfende bezeichnen sich häufig als „Geburtshelfer“ oder „Hebamme“. Die Metapher gibt Auskunft darüber, wie sie sich selbst sehen (professionelles Selbstkonzept) und zudem darüber, innerhalb welcher Grundannahmen sie mit den Klienten interagieren. Geburtshelfer und Hebammen verhelfen dazu, etwas ins Leben zu bringen, das bereits im Klienten vorhanden ist. Nüchtern gesprochen, beanspruchen sie, mit dem zu arbeiten, was im Klienten als Ressource verborgen liegt. Implizit gilt eine subjektivistische oder individualistische Annahme, die die Arbeit leitet: Weniger das interaktive Moment zwischen Klient und Berater verhilft zu „hilfreichen Geburten“, sondern das, was als „Embryo“ im Individuum lebt.

Die Berater-Metapher des „Entdeckers” verlagert den Akzent dagegen auf das interaktive oder auch das synergetische Moment: Dank des Austauschs, der wechselseitigen Inspiration entsteht Hilfreiches. Gemeinsam mit der Klientin geht der Entdecker auf eine „Expedition“, auf Entdeckungsreise, um zu Tage zu befördern, was an Schätzen verschüttet liegt. Dieses symbiotisch-synergetische Moment springt ins Bewusstsein, wenn sich Beratende als „Tanzpartner“ ihrer Klienten schildern, die sie einladen, neue Schritte zu gehen, neue Choreografien zu probieren, um sich in gewandelter Weise in neue Richtungen zu bewegen.

Metaphern von Klientinnen und Klienten

Beispiel: Eine Klientin beschrieb ihr Lebensgefühl so: „Ein dunkelgrauer Schleier hüllt mich ein – ich kann kaum durchschauen und die Welt erkennen und erwarte ständig, dass es heftig regnet und hagelt, blitzt und donnert.“ Im Verlauf des Gesprächs mutete sie sich noch nicht zu, den Grauschleier einfach fortzuziehen. Annehmbar und hilfreich schien ihr etwas anderes: Sie wählte eine andere Farbe für den Schleier, eine Farbe, die in ihrem Erleben und Leben mit Wohlbefinden verbunden war: die Farbe Lila. Sie sah dadurch sowohl die Welt in einem anderen „Licht“ (Tönung), und mit der Farbgebung veränderte sich zudem die Funktion des Schleiers: „Ich will ihn nicht wegnehmen, weil mich der lila Schleier schützt und wärmt.“

Beispiel: Ein Klient schildert, wie er sich fühlt: als Blatt im Wind. Er fühlt sich von Fremden bewegt; er wirbelt hin- und her, ohne darauf Einfluss nehmen, ohne die Richtung bestimmen zu können; er fühlt sich Naturmächten ausgesetzt, erfährt sich als ohnmächtig, Zukünftiges zu gestalten. Er fühlt sich ohne Selbstwirksamkeit, nicht selbst-, sondern hochgradig fremdbestimmt.

Metaphern scheinen allgegenwärtig und unvermeidbar. Wir werden umweht von, sind eingebettet in und erzeugen Metaphern. Wir leben in und durch sie. Welche Funktionen erfüllen sie? Wodurch und wie wirken sie? Was eröffnen sie? Wodurch können sie in Kontexten heilender Bemühungen ihre hilfreiche Funktion entfalten?

Heilen mit Metaphern

Lassen Sie uns Heilen als ein Bemühen und zugleich als Prozess verstehen, etwas, das wir als „kaputt”, „entzweit“, „zerschlagen“, „zerrissen“ empfinden, „ganz“ zu machen. Der Aspekt des Bemühens meint den Versuch des Helfenden, im und/oder mit dem Gegenüber einen Vorgang zu initiieren, der Optionen eröffnet und dazu dient, dem Wunschziel oder der Wunschvision näher kommen zu können. Wenn ich Klienten fragte, wie sie sich fühlen möchten, dann kontrastierten sie „heil sein” mit – wie oben erwähnt – „kaputt“, „lädiert“, „zerstört“ und dergleichen. „Mich heil fühlen“ beschrieben sie mit den Worten „ganz und gesund“, „insgesamt wohl“, „in meiner Balance“, „mit mir und der Welt im Reinen“, „harmonisch“. An diese Bedeutungen knüpfe ich an.

Der Begriff Metapher

Wie ein Blatt im WindWeitläufig wird der Begriff Metapher als Synonym für bildliche Sprache oder Sprachbilder verwendet. Andere bekannte Sprachbilder sind die Allegorie und die Personifikation. Die Metapher gilt als prototypische oder paradigmatische (ursprünglich rhetorische) Figur, der ein spezifischer Prozess zu eigen ist: die Übertragung (sic!). Mittels sprachlicher Formulierungen übertragen (griechisch: „metapherein“) wir mit einer Metapher Worte, Begriffe, Bedeutungsfelder, Sachverhalte. Seit der griechischen Antike gehören Metaphern zu den Tropen. Charakteristisch für den Tropus ist eine sprachliche Einkleidung, die Bildliches transportiert bzw. erzeugt. Tropisches Reden nimmt einen Begriff aus dessen üblichem Bedeutungskontext heraus und trägt ihn an einen anderen Ort, in einen neuen Zusammenhang. Die „eigentliche“ (ursprüngliche, gewohnte, konventionelle) Bedeutung des Begriffs wandelt sich so zu einer „uneigentlichen“ (neuen, ungewohnten, originellen), der metaphorischen Bedeutung. Diese offenbart sich im sprachlichen Ausdruck.

Einige Beispiele haben Sie bereits gelesen: Beratende sehen sich als Hebamme, Entdecker, Tanzpartner. Die konventionellen Kontexte sind Geburtssituation, Abenteuer-, Expeditionsreise, Tanzveranstaltung. Das Pointierte wird genommen und in einen neuartigen Zusammenhang getragen: das Hervorbringen eines Lebens in die sichtbare Welt (z. B. Geburt einer neuen Strategie), das Aufspüren von Verborgenem (z. B. Aufdecken einer Präferenz), das gemeinsam zu Erschaffende (z. B. neue Kommunikationsqualität in einer Beziehung).

Die Klientin von oben nimmt den Schleier – ein Kleidungsstück. Indem sie ihm eine Farbe gibt und nicht anzieht, sondern über sich stülpt, determiniert er ihre Sicht der Welt. Sie überträgt ausgewählte Funktionen eines Schleiers, die zunächst ihre eher depressive oder sehr bedrückte Gestimmtheit spiegeln, nämlich grau. Später, in „heilender“ Wirkung, hebt sie andere Charakteristika des Schleiers hervor. Der Klient als Blatt im Wind überträgt Bewegung und Schicksal des völlig wirr durch die Luft geschleuderten Blattes „sinnbildlich“ in seine Lebenssituation und Befindlichkeit in der Welt.

Diese Beispiele demonstrieren eindrücklich, wie naheliegend die Redewendung: „Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“ ist. Wir bräuchten unzählbar viele Worte, um all das an Gefühlen, Gedanken und Intuitionen, an Assoziationen und Imaginationen auszudrücken (!), was eine Metapher transportiert (!). Hinzu kommt, dass jede gebrauchte Metapher gefärbt ist von all dem, was eine Persönlichkeit hervor- und mitbringt: neben biologischen Prädispositionen ihre Geschichte, ihren Lebenslauf und mit ihm die Gesamtheit der Erlebnisse und Erfahrungen; außerdem entscheiden der aktuelle Kontext, die spezifische Lebensphase, die konkrete Situation und alles sozial und kulturell Relevante (Prägungen) mit, welche Metapher gewählt wird. Das Gleiche gilt für den oder die Gesprächspartner. Und als drittes Moment tritt die Interaktion, die Wechselbeziehung zwischen Menschen hinzu, die ebenfalls Auswirkungen auf Metaphernwahl und darauf hat, wie sie von wem mit welchen Schwerpunkten gedeutet wird.

Wer diese Aspekte bedenkt, gelangt zu der These: Eine Metapher lässt sich nicht komplett ausbuchstabieren. Sie entzieht sich der vollständigen Verbalisierbarkeit. - Oder? Dies leitet uns zu einem theoretischen Feld, auf dem die Metapher in anderer Weise erscheint.

Metapherntheorien

Mein Sonnenschein - fotolia©ChantalSIn der Tradition der von Aristoteles geprägten Rhetorik steht die Vielfalt der Substitutionstheorien: Metaphern sind durch klare Worte, präzise Beschreibungen ersetzbar. Wir brauchen sie bestenfalls in rhetorischer Absicht: als Schmuck, Zierde, Dekor der Rede; dieser Tand kann weggelassen bzw. durch nüchterne, abstrakte Worte substituiert werden, ohne inhaltliche Einbußen.

Wenn Sie mögen, testen Sie die These. Nehmen Sie eine Metapher, z. B. „Du bist mein Sonnenschein“, oder „Ich bin ein Trauerkloß“, oder „Ich fühle mich wie ein Schluck Wasser in der Kurve“: Erklären Sie mit Worten erschöpfend all das, was die Metapher im- und expliziert – und dies bitte so, dass Ihre Deutung mit derjenigen des Metaphernbringers bzw. mit dem, wie Sie Ihr Gegenüber versteht, weitgehend übereinstimmt!

Interaktionstheorien, ganzheitlicher Ansatz und Überlegungen aus den Neurowissenschaften vertreten die gegenteilige These: Metaphern sind keinesfalls akkurat in Worte übersetzbar.

George Lakoff und Mark Johnson, die Pioniere in der Erforschung von Alltagsmetaphern, haben ihr Buch „Metaphors we live by“ genannt: Metaphern, nach und in denen wir leben. Sie nennen ihren Ansatz selbst erfahrungsbasiert“. Sie leiten unter anderem her, inwiefern Menschen bereits dank ihrer Körperlichkeit dazu veranlasst sind, metaphorisch zu sprechen. Wir machen Erfahrungen immer mit unserem Körper. Erfahrungen beispielsweise, die mit Verortung und Bewegung im Raum zu tun haben, bringen Metaphern der Orientierung hervor. Beispiele: „Ich befinde mich in einem Hoch“ (sich glücklich fühlen); „Ich fühle mich nieder gedrückt“ oder „bin in einem Stimmungstief“ (sich unglücklich fühlen); sind wir krank, „liegen wir danieder“, fühlen wir uns körperlich wohl, „sind wir wohlauf“. Erfahrungen wie diese begründen basale metaphorische Konzepte unseres Denkens, Fühlens und Sprechens – und konzipieren dies reflexiv, das heißt: Wir bringen Metaphern hervor und gleichzeitig: Metaphern bringen uns (wie, wonach wir leben) hervor. Es ist eine Beziehung der Wechselwirkung.

Die beiden Pioniere werden der interaktionistischen Theorieströmung zugeordnet. Die gemeinsame Auffassung der interaktionistischen Teiltheorien lautet: 1) Metaphern lassen sich nicht vollständig mit ametaphorischen Worten ausdeuten. Sie entziehen sich der totalen Verbalisierung aus unterschiedlichen Gründen. Etwa, weil der Metapher ein „Mehrwert” zugeschrieben wird – daher der Ausdruck: Ein Bild sagt „mehr als 1000 Worte“ (und auch: anderes). 2) Weitere Gründe liegen (!) in dem interaktiven Moment, z. B. von subjektiver Sprache und Bildhaftigkeit, von partikularen Wort- Sinn-Kombinationen und deren Verarbeitung, von neuronalen Verknüpfungen von Erlebnissen etc.; ferner in der Kontextabhängigkeit einer Metapher: von Person(en), Bedeutung, Motivation oder Ambition und Wirkung. 3) Und selbstverständlich muss eine Metapher vom Empfänger verstanden werden. Die Begrenzung liegt dabei in dem, was nicht gewusst werden kann, nämlich wie der Adressat die Metapher genau versteht: auf der Basis welchen Wissensvorrats, welcher Deutungskodices, Motivationen und Intentionen. Metaphorische Verständigung birgt daher stets auch Rätsel, Unvorhersagbares und Unkalkulierbares. 4) Ein gemeinsames Verständnis, ein Raum geteilter Bedeutungen ist nötig, um fruchtbar mit Metaphern arbeiten und sich metaphorisch verständigen zu können.

Metaphern sind allgegenwärtig und wirkmächtig

Zusammenfassend: Unsere sprachliche Welt ist gefüllt mit Metaphern. Sie illustrieren, wecken Assoziationen, bahnen unser Denken und Fühlen, Reden und Handeln. Sie leisten dies und anderes, indem sie strukturelle, bildliche und funktionale Merkmale eines Erfahrungsbereichs in einen gänzlich anderen transportieren. Bei dieser Übertragung werden einige Aspekte hell erleuchtet und hervorgehoben, andere verdunkelt und verborgen. Gleichzeitig justieren sie Aufmerksamkeit, bewusst wie unbewusst, und stecken Möglichkeiten ab, die wir in (Selbstwie Fremd-)Diagnose und Behandlung nutzen; sie definieren Lebens-, Ziel(horizonte) und Interventionsräume. Sie entscheiden (mit) darüber, was wir wie wahrnehmen, empfinden und deuten, wofür wir sensibel: empfänglich und empfindsam sind. Metaphern bestimmen maßgeblich, wie wir die erlebte Wirklichkeit kodieren und welche Möglichkeiten wir als solche erkennen (was wir für möglich halten) und welche Möglichkeiten wir in Optionen verwandeln. Metaphern wirken erkenntnis- und handlungsleitend; insofern haben sie paradigmatischen Charakter. Und genau insofern können wir sie therapeutisch nutzen.

Mit Metaphern heilen

Neue Schritte gehen“Beispiel: Ein Klient (groß, stattlich, jungenhaft wirkend, Ende 40 Jahre) hängt eher, als dass er in dem großen Schwungsessel sitzt. Er erscheint mir wie ein Häufchen Elend (so meine Metapher für die Ausstrahlung). Gleich einem beständig fließenden Wasserfall ergießt er sich in fast monotonkraftarmer Stimmlage, die dennoch die Ausrufezeichen hörbar macht (als sprachliche Signale für die Bedeutung: Ich habe wirklich genug! Es reicht!): „Ich bin es leid, ehrlich! Endgültig! Bin total erschöpft. Mein Leben lang habe ich dafür gekämpft, im Dschungel zu überleben. Habe gelernt, getan und gemacht! Bin hingefallen, wieder aufgestanden, habe mich durchgesetzt, war mal Sieger, mal Verlierer. Alles in allem aber gehöre ich zu den Siegern. Jetzt zähle ich zu den Topmanagern, habe Frau und Sohn wunderbar versorgt - und fühle mich total fertig.“ Er schüttelt ungläubig den Kopf. Dann: „Die Hölle, sagt Satre, das sind die anderen. Recht hat er! Der Preis, zu kämpfen, ist zu hoch – ich habe keine Kraft und auch keine Lust mehr, zu kämpfen. Jetzt möchte ich mal verwöhnt werden.“ Und fügt nach einer kleinen Pause in pubertär-revoltierender Tonlage hinzu: „Jawoll!“

In der gemeinsamen Arbeit transformierte der Klient allmählich seine Lebensmetapher von „Kampf im Dschungel“ um. Zwar nicht eben hin zu einer Grundhaltung und dem dazu passenden Ethos, die Spezies Mensch entspringe einem Paradies, und es gehe den Menschen prinzipiell darum, friedvoll und im Geist von Gleichwertigkeit zusammen zu leben. Aber doch immerhin zu der Metapher der „Farm“: Die Farm oder der Bauernhof als Lebensmetapher ermöglichten es ihm unter anderem, das Denken und Sprechen, Fühlen und Handeln in Begriffen von Sieg und Niederlage, Über- und Unterlegenheit, Stärke und Schwäche zu ersetzen durch Begriffe der Kooperation: Zusammenarbeiten, wechselseitiges Unterstützen, sich als Teil der Gemeinschaft einbringen, Gleichwertigkeit aller Mitglieder und ausgehandelte Hierarchien. Mit dem Wandel der Metapher erlaubte er sich auch emotional anderes als vorher: War es ihm durch seine „Kämpfernatur“ verboten, Gefühle von Mitleid, Bedauern, selbst von zärtlicher Anteilnahme zu expressieren, gestattet das Leben als Farm und auf der Farm genau dies, ja fast: lädt dazu ein. „Denn“ – so der Klient – „je offener auch ich meine Gefühle zeige, desto besser können andere mich verstehen und auf mich eingehen – und das kommt dann zurück, sodass das gemeinsame Verstehen und Einanderkennen verbessert wird. Und dann lebt es sich leichter, als müsste jeder erst kilometerlange Umwege machen, um zu kapieren, was im anderen vorgeht.“

Beispiel: Eine Klientin, Mitte 40 Jahre, Mutter von zwei pubertierenden Söhnen, helle, matt-müde blickende Augen, ruhige, sparsame Gestik: „Ich mag nicht mehr. Immer wieder wird Hannes frech – und Sie müssten ihn mal hören! Was bleibt mir da anderes, als zur Flasche zu greifen?! Oder auch Jan – ja ja, sie pubertieren beide. Aber müssen sie sich deshalb so frech und unverschämt verhalten? Können die sich nicht zusammenreißen? Die wissen beide ganz genau, wie sie mir weh tun können! ...“ In langen Ausführungen schilderte sie mir, wie „unglaublich egoistisch und rücksichtslos“ sich ihre beiden 15-Jährigen (Zwillinge) ihr gegenüber verhielten. Die meisten der Vorfälle und auch ihre zugrunde liegende Logik kategorisierte ich unter „normal für Pubertierende“. Das ist insofern bedeutsam, als ich im weiteren Gespräch die Klientin via Fragen und simulierten Situationen zum kritischen Reflektieren darüber motivierte.

In einer Sequenz ging es um ihr Selbstbild, und ich provozierte sie: „Wenn mich eine fremde Person fragen würde, woran er sie am ehesten erkennen würde, dann würde ich sagen: Halte Ausschau nach einer attraktiven Mittvierzigerin, die herumläuft wie eine Prinzessin auf der Erbse und sich verhält wie eine Mimose.“ – Ungläubig und empört: „Was?! Mimose?! Prinzessin auf der Erbse?!“ Pause, Blick nach unten, dann geradeaus und nach oben – dann, mit scheelem Blick, schief gelegtem Kopf und einem angedeuteten Schmunzeln: „Meinen Sie? Hm. Soso. Naja, mir gefällt das zwar nicht, aber – hm, irgendwie hat es was. Würde auch passen dazu, wie ich auf meinen Partner reagiere.“ Das schilderte sie mir und fragte dann: „Na gut, also eine Mimose will ich nicht sein. Zickig und zimperlich und so. Nein. Aber was dann?!“ „Ja, hm, was dann – ?“ spiegelte ich.

Nachdem wir näher ausgeschmückt hatten, was die Blume (sie wollte eine andere Blume) versinnbildlichen soll, was ihr, der Klientin, beim (imaginierten wie realen) Anblick der Wunschblume besonders wichtig ist, sie anzieht, sozusagen einen Sog entfaltet, nachdem wir diese Fragen geklärt und geprüft hatten, wählte sie zwei Blumen: Sonnenblume und Rose. „Die Sonnenblume verkörpert das sonnige Gemüt, Heiterkeit, Fröhlichkeit. So bin ich eigentlich auch. Und Zuversicht, Lächeln und eine gewisse Robustheit oder – wie Sie immer sagen – Souveränität. So leicht lässt sich eine Sonnenblume nämlich nicht biegen!“

Diese Seiten nahm sie sich vor, vor allem im Alltag mit ihren drei Männern (den Zwillingen und ihrem Partner) zu leben. Dank der attraktiven und motivierenden Wirkung der Metapher konnte sie mit ihren pubertierenden Söhnen wie mit ihrem Partner leichter, zwangloser und – in Bezug auf die Jungs – gleichzeitig autoritativer umgehen. Das fiel den zwei Jungen auf: Sie brause nicht mehr so schnell auf; sie heule nicht mehr so schnell; sie frage viel mehr nach, interessiere sich offen für ihre Belange (ohne gleich einzuschnappen oder zu warnen oder zu motzen) und sehe mehr die positiven Seiten. Der Partner reagierte auf die (wieder) gewonnene Lockerheit und Fröhlichkeit und darauf, dass Eifersuchtsanfälle sich drastisch reduzierten.

Wozu brauchte sie die Rose? „Manchmal“, dachte sie hörbar nach, „brauche ich aber Arroganz. Also, vor allem wenn ich mit bestimmten Frauen und Männern zusammen bin, die zum Beispiel sportlicher sind als ich, dann will ich auch mal überheblich sein können. Und ich möchte in bestimmten Situationen mich einfach nur schön und begehrenswert fühlen – nicht wie die Prinzessin auf der Erbse, sondern wie eine Königin, ein bisschen unnahbar, unverletzlich. Und dazu brauche ich die Rose.“ Die Rose ermutigte sie dazu – eine ihrem Empfinden nach Majestätik, Unerreichbarkeit und Eleganz ausstrahlende Blume, ohne jedoch Ablehnung, vielmehr Bewunderung hervorzurufen. Beide Blumen zusammen, nebeneinander und in voller Blüte, spornten sie an, zunehmend dem zu widerstehen, dem sie vorher erlag und sich allmählich „heil“ zu fühlen.

Metaphern und Interventionen im Umfeld von Gesundheit/Krankheit

Wie in einem anderen Licht - fotolia©Frank EckgoDie Beispiele veranschaulichen: Metaphern fungieren als emotionale, mentale und psychische Anker, als Referenzrahmen auf der kognitiven, affektiven, leiblichen, der Ebene des Verhaltens und Handelns. Sie sind wirkmächtig, weil sie auf der nicht bewussten wie auf der bewussten, auf der intentionalen wie der nichtintentionalen Ebene angeben, woran sowie wohin wir uns in unseren Lebensäußerungen orientieren. Metaphern als die Hauptvariante sprachlicher Bilder stricheln den (mentalen, emotionalen, behavioralen) Raum, in dem sich Klienten wie Beratende verorten und wohnen und in dem beraterische Interventionen erfolgen. In Bezug auf den Intervenierenden heißt das: Metaphern formulieren im- und explizit Gebote und Verbote, Freiräume und Grenzen des Für-möglich-Gehaltenen und Zu-tun- Erlaubten und deren Gegenteil. Sie wirken als Paradigma wie – auf der Ebene von Bedeutung und Sprache – als Dispositiv, als semantische Rahmung, die ihrerseits bahnt, was in Diskursen mit welchen Worten formuliert werden kann und darf.

Krankheit als Schrei, Hilferuf, Antwort, Lösung oder kompetente Reaktion – Krankheit als Gefängnis, als Strafe (des Gottes, als negative Reaktion auf einen bestimmten Lebensstil), als Lock- oder Weckruf (zu Veränderung), als Ausweg (Umlenken), als weiches Bett (mit dem sekundären Krankheitsgewinn). Gesundheit als Verdienst (eines moralisch guten Lebens, einer aus diversen Gründen erwünschten Lebensweise, Gesundheit als das Lachen der Götter, als Sprudelquelle, als Ei des Kolumbus, als Schöpferin (für und des Lebendigen). Wir finden darin analogisierende und metaphorisierende Redeweisen, die zugleich jeweils ein Konzept (Paradigma von Mensch und Welt, von Mensch als Mensch) im Gepäck tragen: wie Krankheit verstanden, Therapien gedacht werden, wie gesprochen, wie geheilt wird.

Metaphorisches Sprechen verdankt seinen Einfluss u. a. diesen Gründen. Sprache aktiviert verbal-assoziative und imaginative Prozesse im Gehirn. Mittels bildgebender Verfahren belegen Neurowissenschaftler, dass Metaphern in beiden Hemisphären der Großhirnrinde zahlreiche Teilareale erregen. Ferner: Die breite Verteilung der Stimulierung in senso-motorischen Feldern (also auch in Feldern für körperliche Bewegung) wird damit erklärt, dass Sprache sprechen, hören, schreiben, lesen Handlungen sind: motorisch (Sprechen), auditiv (Hören), visuell (Lesen). Sprachregionen sind über beide Hemisphären des Neocortex verteilt. Linke und rechte Hirnhälfte mit ihren verschiedenen Schwerpunkten für Sprachverstehen und Sprachproduktion sind durch ein Nervenfaserbündel, den Balken, und weitere Kommissuren verbunden und kommunizieren miteinander, sodass auseinanderliegende Assoziationsfelder zusammenwirken. Entdeckt wurde zudem, dass die seitliche Rinde des Kleinhirns eine große Rolle für Semantik und Bedeutung spielt. Bilder ohne Bedeutung sind wie – um mit Immanuel Kant zu sprechen – Wahrnehmungen bzw. Erfahrungen ohne Sprache: leer, und Sprache ohne Wahrnehmungen/ Erfahrungen sind blind. Dank der Vernetzung unterschiedlicher Areale und Neuronenverbindungen, auch solche, die weit auseinander liegen, erzeugen wir sprachlich vermittelte Seh-, Hör-, Tast-, Riechbilder – und ermöglichen Kommunikation mit und durch Metaphern.

Im interdisziplinär angelegten Forschungszweig Kognitive Neurowissenschaften kooperieren Neurobiologen, Kognitionswissenschafter aus Psychologie und Pädagogik, Philosophen, Linguisten und Computerwissenschaftler. Forschungen erweisen, dass Menschen geistige Bilder formen und imaginativ manipulieren können. Neuroimaging- Aufnahmen zeigen, dass bei diesen Visualisierungen neben motorischen Feldern auch Sehfelder im Cortex beteiligt sind, beim imaginativen Hören auditive, ferner – je nach (affektiver) Intensität der Vorstellung - zudem Felder, die kinästhetische und olfaktorische Daten verarbeiten. Unklar ist noch, ob die Aktivitätsmuster, die bei Imaginationen oder Visualisierungen sich formieren, mit denen übereinstimmen, die bei realer Betrachtung bzw. beim Hören realer Laute und weiterer sensorischer Wahrnehmungen entstehen. Da Metaphern eine Vielfalt an Regionen und Verknüpfungen aktivieren, eignen sie sich in ausgezeichneter Weise, gewünschte Veränderungen in Denken, Fühlen, Sprechen, Handeln herbeizuführen oder zu flankieren.

Für mit Metaphern Arbeitende ist (neben anderen Differenzierungen) dieses Faktum relevant: Die beiden Hirnhälften werden unterschiedlich beansprucht, sobald es darum geht, Metaphern zu erkennen, zu produzieren, zu verstehen. Die Inanspruchnahme korreliert mit der Abhängigkeit von Bekanntheit und Art der Metapher. Metaphern, die in unser alltägliches Lexikon eingegangen bzw. konventionalisiert sind, wirken derartig vertraut, dass ihre Metaphorik nicht oder kaum bewusst registriert wird. So etwa bei: Motorhaube, Wolkenkratzer, globales Dorf, auf den Weg bringen. Diese Metaphern erregen vornehmlich die linke Hemisphäre, während neuartige, kreative, innovative, poetische Metaphern eine komplexere Verarbeitung in Gang setzen. Sie sind nicht vertraut und stimulieren daher mehr Areale in beiden (!) Hemisphären. Es ist aufwändiger, sie zu produzieren und zu verstehen, weil sie ein Überraschungsmoment in sich tragen: Wir müssen überlegen oder benötigen Zeit, uns das Bild vor Augen zu führen. Die notwendige Kooperation der zwei Hirnhälften untermauert, dass Metaphern kein rein kognitives Phänomen sind, sondern eines, das in der Kommunikation, in der Interaktion zwischen sprachlichem und bildlichem Denken hergestellt wird und insofern ein synergetisches Phänomen sind. Die Bedeutung einer Metapher erschließen wir als Zusammenspiel von Bild und Wort. Angesichts des Umstandes, dass in jedem Denken emotionale Zentren und die gesamte Ausstattung unserer Biologie mitwirken, sei ergänzt: Menschen erschließen Metaphern rational, emotional oder affektiv und leiblich.

Dank der bereichernden Kontroversen innerhalb einer transdisziplinären Debatte können wir davon ausgehen, dass:

  • Metaphern weder reine Sprach- noch reine Bildphänomene sind, sondern eine komplexe mehrdimensionale Modalität des Denkens bezeichnen, indem sie bildhaftsymbolische mit kognitiv-sprachlichen, emotionalen und körperlichen Dimensionen verbinden
  • Metaphern Denkmöglichkeiten aufschließen – ebenso, wie sie Denken, Fühlen, Sprechen, Handeln kanalisieren
  • Metapherngebrauch ein eher prozessuales oder dialektisches Denken befördert als ein statisches, faktisches des „Das ist soundso“; metaphorisches Denken ist ein Übertragen von Bedeutungen, das Bedeutungen verändert und insofern einen Qualitätswechsel bewirkt
  • Metaphern allgegenwärtig und daher als anthropologisches Charakteristikum anzunehmen sind
  • Metaphern Gestalten hervorbringen, vor allem visuell: Sehbilder, auditiv: Hörbilder, aber auch synästhetisch; es können sämtliche Sinne beteiligt sein, sodass Fühlbilder entstehen, die vorzüglich physisch verankert (somatisiert) sind
  • Metaphern uns ermöglichen, Dinge, Visionen, Szenen, Empfindungen und Gefühle anschaulicher zu beschreiben und schneller zu erfassen, als es rein begriffliche Sprache könnte

Auf beiden Seiten: auf der der Klienten wie auf der der Beratenden, tragen Metaphern reiches Gepäck: Konzepte, Modelle und Theorien und Heuristiken zu Gründen, Ursachen von Krankheit, Gesundheit sowie dazu passende kurative und präventive Instrumentarien, therapeutische Interventionsmodi. Vermittels Sprache bewegen sich Beratende wie Beratene innerhalb eines solchermaßen gespurten Weges, der Art und Inhalte des Redens definiert und bestimmte Ideen und Deutungen wahrscheinlicher macht als andere, und im Gefolge auch professionelle Praktiken. Folgerichtig legen Metaphern (mit) fest, wo Möglichkeiten und Grenzen von Vorstellbarem, Annehmbarem, von Zielen, Interventionen, Diagnose und Beratung/Behandlung zu ziehen sind.

Aufgrund ihrer durch Sprache vermittelten Anschaulichkeit entfalten Metaphern eine Wirksamkeit, die seit Jahrtausenden (besonders im Gewand von Imaginations- und Visualisierungstechniken) genutzt wird, um Heilungsprozesse in Gang zu setzen. Sie leisten dies, indem sie – multisensual und „ganz“heitlich – sämtliche Wahrnehmungskompetenzen und Denk- und Sprachfertigkeiten anregen: den Körper und damit Sinnlichkeit, den Verstand und damit Sprache und Denken, psychophysische Wechselwirkungen und damit spürbare Befindlichkeit und Gestimmtheit, Fühlen und Intuieren.

Wenn Sie ein Einmachglas mit einer Kerze darin geschenkt bekommen, dann können Sie beleidigt sein, weil Sie sich wenig wertoder gar gering geschätzt fühlen. Oder Sie können daraus Aladins Wunderlampe machen. Wie oben: Steine sind nicht immer Steine.

Literatur der Referentin zum Thema Metaphern

  • Sprachbilder: Metaphern & Co. Einsatz von sprachlichen Bildern in Beratung, Training, Coaching. Beltz Verlag, Weinheim Basel 2010
  • Bildliche Beratung: Beratung mit Sprachbildern. Metaphern im Coaching. In: Manager- Seminare, Mai-Heft 2010
  • Metaphern in der Führungspraxis. In: Der Arbeitsmethodiker. Zeitschrift für erfolgreiche Lebens- und Arbeitsgestaltung, Heft 1, 2009, 3f

Dr. rer. soc. M.A. phil. Regina Mahlmann
Bis 1990 in Forschung und Lehre tätig. Seit 1990 arbeitet sie als Trainerin/Beraterin, Coach und Referentin. Ihr thematisches Spektrum umfasst Persönlichkeitsentwicklung und Selfcoaching, Kommunikation/ Kooperation, Konfliktmanagement, Führung und Kultur in Organisationen. In München arbeitet sie zudem als philosophischpsychologische Beraterin (Einzelne, Paare, Workshops, Vorträge). Sie hat zahlreiche Artikel und Bücher publiziert und berät bei der Erstellung von Texten/Vorträgen bis hin zum Ghostwriting.

Dr. Regina Mahlmann Dr. Regina Mahlmann
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