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Psychotherapie auf der Parkbank

2010-04-Parkbank1

Der Kurpark liegt für mich so günstig, dass ich, will ich die 2 km in die Stadt zu Fuß gehen, durch diesen Park im Stil der englischen Parks komme, mit weiten Wiesen, einzelnen großen alten Bäumen und einem Ententeich mit einer stattlichen Fontaine.

Ich hatte mich auf eine Bank gesetzt und in einem Buch gelesen, als ein junger Mann vorbeiging, der gleich darauf von einer älteren Frau eingeholt wurde, die kurz und ärgerlich auf ihn einsprach, sich abwandte und in Richtung Stadt zurückging.

Ich hatte nur verstanden wie die Frau zum Schluss zornig hervorstieß: „Sie kennen mich!“ Der junge Mann war ganz verdattert stehen geblieben, hatte sich umgewandt und blickte ihr verstört nach, sodass ich sein Gesicht sehen konnte. Um der Situation irgendwie den Stachel zu nehmen, sagte ich leichthin zu ihm: „Es gibt die seltsamsten Menschen“, denkend, dass er daraufhin lächeln und weitergehen würde. Das tat er aber nicht, sondern er ging mit seinem entgeisterten Gesichtsausdruck auf mich zu, sodass ich ihn mit einer Handbewegung einlud, sich zu mir zu setzen.

„Sie sind ganz irritiert, nicht wahr?“, sagte ich zu ihm, was er nickend bestätigte. „Nun“, sagte ich leichthin, „da sind Sie bei mir gerade richtig, denn ich mache Psychotherapie.“ Und so erfuhr ich, dass er die Frau überhaupt nicht kannte und dass sie ihn vorher schon einmal angesprochen hatte. Er verstand das Verhalten der Frau überhaupt nicht und war sehr betroffen. „Nun“, sagte ich, „vielleicht sehen Sie einem in ihrer Schulzeit gehassten Englischlehrer ähnlich, und ihr diesem geltender Hass hat sich nun Ihnen gegenüber Luft gemacht.“

fotolia©Susanne GüttlerUnd dann erklärte ich, dass Menschen gelegentlich sehr gefühlsgesteuert agieren und sich dabei ganz unlogisch und für Außenstehende unverständlich verhalten können. Wenn mir z. B. ein Mensch begegnen würde, der meinem Lateinlehrer ähnlich sieht, dann hätte ich selber große Schwierigkeiten, ihn sympathisch zu finden.

Und um sowohl die zornige Aktion der fremden Frau als auch seine Irritation darauf zu relativieren und gleichzeitig die zusätzliche Autorität einer historischen Persönlichkeit zu nutzen, sagte ich ihm, dass schon vor zweieinhalbtausend Jahren der griechische Philosoph Epiktet gesagt habe: „Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern ihre Meinungen und Urteile über die Dinge.“

Nun fragte ich den jungen Mann, ob er sich jetzt besser fühlen würde, und als er etwas halbherzig sagte: „Ein bisschen“, machte ich in diesem Sinne weiter. Dabei fiel mir jetzt auf, dass grammatikalisch gesehen „besser“ die Steigerung von „gut“ ist. Aber in diesem Fall wäre seine Aussage, dass er sich „gut“ fühle mehr, als dass er sich nur „besser“ fühle. Ich fragte ihn, ob er diese blöde Geschichte kennen würde: Der Chef brüllt seinen Angestellten an, der bricht zu Hause einen Streit mit seiner Frau vom Zaun, die schlägt den Sohn und der tritt dann den Hund.

Auch machte ich ihn darauf aufmerksam, dass jeder Mensch eine Art selektiver Wahrnehmung hat, d. h.; er nimmt keineswegs alles wahr, was ist, sondern nur einen kleinen Teil dessen, was er physisch sehen könnte, wenn er eben nicht nur selektiv, also ausgewählt wahrnehmen würde. So z.B. sieht der Briefmarkensammler das bisschen Zackenrand einer Briefmarke, das unter der Schreibtischunterlage hervorlugt, während der Münzsammler absolut nichts sieht, es sei denn, da schaut irgendwo ein Stückchen von einer Münze hervor, denn auf so etwas ist sein Interesse gerichtet, und damit auch seine Aufmerksamkeit.

Ein Architekt im Petersdom sieht die phantastische Kuppel, auf die ein Tischler keinen Blick verschwendet, weil er sich für die Kirchenbänke interessiert. Und der nach Rom gereiste Priester einer kleinen, kaum besuchten Dorfkirche ist von den vielen Menschen beeindruckt und sieht weder Kuppel noch sieht er Kirchenbänke – wenn es denn dort welche geben sollte.

Und dann erzählte ich ihm eine Geschichte, die der österreichische Psychologe Paul Watzlawick, bekannt durch sein Buch „Anleitung zum Unglücklichsein“, in einem anderen Buch, glaube ich, zum Besten gab; es war wohl sein Buch „Wie wirklich ist die Wirklichkeit“.

Ein Mann wollte ein Bild aufhängen und dazu einen Nagel in die Wand schlagen, hatte aber keinen Hammer. Da kam ihm die Idee, dass er sich einen Hammer von dem über ihm wohnenden Mitbewohner seines Hauses ausleihen könnte. Dann fiel ihm allerdings ein, dass jener Nachbar ihn gestern im Treppenhaus nicht gerade freundlich gegrüßt hatte. Vielleicht würde er ja den Hammer nicht so einfach herausgeben, sondern als Pfand einen 5-Euro- Schein verlangen. „Na gut, wenn Sie derart misstrauisch sind“, könnte man ja sagen. Vielleicht würde er aber gleich 20 Euro verlangen. So viel ist der Hammer gar nicht wert! Tja, aber was, wenn er 50 Euro verlangen würde – eine ganz schöne Unverschämtheit. Jemand stand vor der Wohnungstür und klingelte. Schritte näherten sich der Tür, die geöffnet wurde, dahinter stand der Nachbar und sagte: „Guten Abend, was kann ich für Sie tun?“ „Ihren mistigen Hammer können Sie behalten!“, brüllte der vor ihm Stehende voller Wut.

„Tja, so kann’s gehen“, sagte ich zu meinem Banknachbarn. „Fühlen Sie sich jetzt gut?“ Das bejahte mein Gesprächspartner, und damit war die Therapie im Park beendet.

Ich fühlte mich ganz wohl nach diesem Gespräch; endlich hatte ich mal wieder etwas Nützliches getan.

Jetzt will ich dem Gespräch aber noch etwas erläuternde Theorie folgen lassen.

1. Ich habe ihn wahrgenommen und seine plötzliche Verwirrung ebenfalls.

2. Ich habe seine Partei ergriffen, indem ich sagt: „Es gibt die seltsamsten Menschen!“

3. Da dies nicht ausreichte, habe ich ihn zu mir auf die Bank, und damit zu einem klärenden Gespräch eingeladen.

4. Jetzt erklärte ich ihm, dass Menschen sich unlogisch verhalten können und für innere Spannungen ein Objekt suchen, um diese daran abzureagieren.

5. Dann lenkte ich mithilfe der geistigen Autorität des griechischen Philosophen Epiktet seine Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass Menschen, also sowohl die fremde Frau als auch er selbst, mehr unter der Beurteilung eines Ereignisses leiden können als unter faktisch Geschehenem selbst.

6. Ich erklärte ihm, was selektive Wahrnehmung ist, die sich möglicherweise ihn als Objekt gesucht habe.

7. Mit meiner Frage, ob er sich jetzt besser fühle, zeigte ich, dass mir sein Befinden wichtig ist und kontrollierte gleichzeitig, ob der erwünschte Erfolg eingetreten war.

8. Dann gab ich ihm weitere Beispiele für irrationales Verhalten von erwachsenen Menschen. Durch die Erwähnung des Psychologen Paul Watzlawick gab ich dem Erzählten mehr, nämlich seine Autorität.

9. Mit der grotesken Geschichte vom Hammer setzte ich den Beispielen die Krone auf.

10. Mit der Frage, ob er sich jetzt gut fühle, die ich seinem Gesichtsausdruck nach für angemessen hielt, führte ich sein Denken auf ihn selbst zurück und zum Gewahrwerden, dass dieses unangenehme Erlebnis ihn nicht mehr belastete. Das bestätigte ich ihm, indem ich mich von ihm verabschiedete.

Peter BernhardPeter Bernhard,
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