Kleine Fragen für mehr Zufriedenheit und Veränderung
Es war alles ganz „normal“ geworden. Sie fragen sich vielleicht, was ich mit „normal“ meine. Wie wir ja alle wissen, ist dieser Begriff sehr dehnbar. Normal. Was heißt denn hier normal?!
Es war für mich und in dieser Geschichte – in meiner Realität – „normal geworden“, dass ein kleines, freches Super-Einhorn und ein Mini-Einhorn-Lama namens Dalai bei mir zu Hause ein- und austrabten.
Da ist Jeffrey Psycho, das wilde Freie-Therapie-Einhorn. Vor einiger Zeit ist Jeffrey zu mir gekommen und zuerst hatte ich an eine Psychose meinerseits gedacht – doch dann glaubte ich recht schnell an die Wirklichkeit des Wesens mit Regenbogenmähne, denn Jeffrey konnte ganz schön auf die Nerven gehen. Er ist zum Dauergast geworden. In dieser Zeit hatte Jeffrey eine Art Wette ge wonnen. Er hatte nach einem Aufruf meinerseits viele E-Mails erhalten und konnte schon bald auf mehr Zufriedenheit hoffen.
Das zu uns gestoßene Dalai Lama, ein Einhorn-Lama auf Findungsreise, mit der perfekten Größe, um in meiner Hand Platz zu nehmen und über das Leben zu philosophieren – war für mich zu einem angenehmen Gesprächspartner geworden. Manch mal sagten wir beide nicht viel, verstanden uns aber doch. Noch gut kann ich mich an einen Morgen erinnern. Das niedliche Dalai Lama saß da schon im Schneidersitz auf den Händen meiner kniehohen, steinernen Buddha-Statue, umringt von ganzjährig wachsenden Kräutern. Dieser Ort auf meinem Balkon war zu seinem Lieblingsplatz geworden. Jeffrey schlief immer sehr lang. Das Dalai Lama nutzte diese Zeit und meditierte.
Als ich an jenem Morgen auf den Balkon heraustrat, meinen Kaffee auf dem Tisch abstellte und das Dalai Lama mit geschlossenen Augen dort sitzen sah, spürte ich trotz des kalten Windes eine Herzenswärme. Anders als sonst blickte das Dalai Lama aber diesmal sofort auf, verneigte sich kurz vor der Buddha-Statue und hüpfte zu mir. „Hey, einen schönen guten Morgen“, grüßte es bei mir angekommen, spuckte dann einmal kräftig Zuckerwatte-duftende Glitzerspucke aus, wie es immer zu tun pflegte und nahm dann, einmal eine Runde um sich selbst drehend, eine gemütliche Sitzhaltung auf dem Tisch ein.
„Hey, was ist los?“, wunderte ich mich, „sonst sitzt du da doch noch mindestens eine Stunde so, bevor du dein Schnäuzchen das erste Mal aufmachst, um meine Aloe vera-Pflanze auf der Fensterbank anzuknabbern. Hab ich dich gestört? Willst du allein sein? Soll ich wieder reingehen?“
„Zu viele Fragen“, kam es nur ruhig zurück.
Ich habe gelernt, dass Stille manchmal sehr wertvoll ist. Dass ein Gesprächspartner diese Stille mitunter braucht, damit Gedanken gefunden, geordnet und in Worte gefasst werden können. Nach einer Weile sagte das Mini-Einhorn-Lama:
„Jeffrey geht bald. Heute in zwei Wochen kommt unsere Studienleitung, Frau Doktor Flamingo, aus dem Land-für-mehr Zufriedenheit. Sie wird ihn prüfen, denn die denken, dass er für seine Verhältnisse genügend gelernt hat, um den nächsten Schritt zu gehen. Die Monate des An sich-Arbeitens sind vorüber. Wir alle – du, Jeffrey und ich – sind nun anders. Immer ist man anders und in Bewegung und in Veränderung ... auf dem Weg. Gut ist das – und so wichtig. Doch ich hätte es nie für möglich gehalten ... Jeffrey Psycho wird mir fehlen. Ich verspüre Verlust in mir und auch wenn ich weiß, dass es alles nur ein Spiel des Universums ist, das ich gerne mitspiele, anstatt zu kämpfen, kann ich die Energie nicht vollends ins Positive lenken, sondern denke auch mit Kummer im Herzen an die darauffolgende Zeit. Das beschäftigt mich an diesem Morgen. Was meinst du dazu? Wird Jeffrey dir auch fehlen?“
Ich hatte gewusst, dass Jeffrey nur mein Gast war, um – sagen wir mal – sich selbst zu trainieren und dann wieder zurück in das Land-für-mehr-Zufriedenheit zu können. Dennoch spürte auch ich, wie merkwürdig sich das anfühlte: Jeffrey würde bald weit, weit weg sein. In Kürze sollte also der Tag kommen, der die Veränderung brachte. Oder anders. Die Tage machten die Veränderung. Aber heute spürte ich sie nun auch. Wie das kleine, traurig dreinblickende Dalai Lama da. Ich hätte nicht gedacht, dass das Einhorn-Lama mit dem reinen, weißen Fell das egozentrische Freie-Therapie-Einhorn so ins Herz geschlossen hatte. Doch auch ich musste zugeben: Ja, Jeffrey war etwas ganz Besonderes. Ich erinnerte mich an all die inspirierenden, bunten Momente und lächelte dabei.
Er war zu mir gekommen, als der Einhorn-Trend in seinen Anfängen steckte. Da gab es noch nicht so viele Einhorn-Produkte auf dem Markt und in unserem Besitz. Das Freie-Therapie-Einhorn Jeffrey Psycho, wie er sich mit vollem Namen nannte, hatte die Entwicklung mitverfolgt. Alle hatten nach ihm gefragt. Die Nachfrage an Einhorn-Toilettenpapier, Einhorn-Duschgel und allerlei Glitzerklamöttchen zur Erfrischung und Erhellung des grauen Alltags war groß. Die schönste Form des Eskapismus! Der zurückgelegte Eulen-Trend machte Jeffrey keine Angst mehr. Doch das Ego des Super-Einhorns litt, als die Flamingos Einzug in die vier Wände der vom Marketing gepriesenen Zielgruppe hielten. Das erschreckte ihn noch mehr, als zu lesen, dass es Einhorn-Wurst und -Schokolade gab. Ich musste ihm versichern, dass dafür kein Einhorn zu Schaden gekommen war, bis er sich beruhigt hatte und mein Streichmesser wieder mühevoll neben mein Brötchen legte. Ich hatte echt für einen kurzen Moment die Sorge gehabt, er könnte auf die Straße rauslaufen und arme, unschuldige Passanten mit Butter beschmieren. Intervention geglückt.
Aber glücklich über den Flamingo-Trend war Jeffrey wirklich nicht. Oft schon hatte ich ihn und das Dalai Lama auch über ihre Studienleitung, Frau Doktor Flamingo, lästern hören. Ja, lästern, liebe Leute. Ich konnte es auch erst gar nicht fassen, dass die beiden ... oder anders: Dass das recht weise zu sein scheinende Dalai Lama lästerte. Doch wenn es ein Thema gab, das die beiden absolut verband – über ihre kleinen Rivalitäten hinaus – dann war es die Flamingo-Abneigung. „Was kommt als Nächstes?“, hatte Jeffrey einmal schnaubend am Frühstückstisch gewiehert, als er Werbeblättchen durchforstete und überall auf Flamingo- und -Paradieswelten stieß. Das Dalai Lama hatte, Aloe vera mampfend, nur grinsend in den Raum geworfen: „Wenn du immer den Trend reitest, Jeffrey, und dem Ganzen Bedeutung gibst, dann wirst du dich immer verändern müssen. Aber nicht aus dir heraus, sondern wegen des Außen. Du wirst nie Flügel wie ein Flamingo haben, aber du wirst beflügelt sein, wenn du dein Ego von innen nährst“ ... und hatte Jeffrey und auch mich damit zum Schweigen gebracht. Ich gebe zu: Manchmal hatte ich ein großes „Hä?“ im Kopf, wenn das Einhorn-Lama seine Worte ausspuckte. Manchmal war ich einfach nur sprachlos.
Ich schwieg auch an diesem Morgen, nachdem das Dalai Lama so ehrliche Worte ausgesprochen hatte. Was sollte man dazu schon sagen? „Ich finde es auch schade. Aber Jeffrey ist ja nicht aus der Welt“, sagte ich mehr zu mir als zum Dalai Lama. Es sagte nichts mehr. Es rappelte sich auf, klatschte drei Mal in die Hufe und machte sich dann wortlos auf den Weg, um Kräuter zu sammeln. Das war neulich.
Dann kam besagte Frau Doktor Flamingo. Ich kann Ihnen vorab etwas verraten: Die beiden mögen Flamingos oder speziell Frau Doktor Flamingo wohl nicht, weil sie angeblich perfekt sei. Absolut perfekt!
„Guten Tag. Ich hatte mich angemeldet. Ich suche den Psycho.“ Zuerst wollte ich mich unbeeindruckt und eloquent-witzelnd erkundigen, welchen Psycho die Flamingo-Dame suchte, doch bei ihrem Anblick wusste ich, dass ich mich an die Welt der Einhörner, Einhorn-Lamas und ... ähm ... Mini-Flamingos mit ... ähm ... dicken Beinen nicht wirklich gewöhnen würde. Das war doch nicht normal, oder was meinen Sie?
Ich glotzte: Da stand ein Flamingo. Auch etwa so groß wie meine Hand. Etwas größer als Jeffrey und Dalai. Doch perfekt? Hier stellte sich mir die Frage, was „perfekt“ bedeutete und was damit gemeint sein konnte. Auch so ein dehnbarer Begriff ...
Die Flamingo-Lady hatte am Kopf ganz verzottelte Federn, die zu allen Seiten abstanden, trug eine für ihre Verhältnisse viel zu große, sehr schrille, pinke Brille und hatte tatsächlich richtig dicke Beine ... also im Vergleich zu den Flamingos, die Sie und ich jemals gesehen haben. Können Sie sich das überhaupt vorstellen? Machen Sie‘s mal ... lustige Vorstellung, oder? Die dicken Beine der Flamingo-Dame waren perfekt, wenn man sich über Unperfektes keine Gedanken macht.
„Ihr habt gesagt, sie sei perfekt“, zischte ich leise in Dalais Richtung, das ich hinter einem Blumenkübel und in Hörweite ausmachte. Versteckte das sich da etwa? Das kleine Dalai Lama sagte nichts, sondern nickte nur schnell mit nervösem Blick, steckte seinen Kopf aber auch direkt wieder zurück. Ich schüttelte den Kopf. „Verzeihen Sie, dass ich so starre, Frau ... ähm ... Frau Doktor Flamingo“, lösten sich die Worte aus meinem Mund, „es liegt nur daran, dass in unserer Realität Flamingos sehr dünne Beine haben.“ So äußerte ich mich über die Beinchen der holden Flamingo-Dame und würdigte dabei mit einem langen Blick die karminroten Lack-Stiefelchen, in denen sie steckte. Ich war mir sicher, dass sie das mit dem ... perfekt ... nicht gehört hatte, aber meine Oberflächlichkeit ließ meine Wangen erröten.
Ehrlich ... ich wollte es sogleich ungeschehen machen, da es vielleicht doch zu ehrlich war. „Also, Verzeihung ... normalerweise ...“, begann ich erneut, da zischte Frau Doktor: „Da gibt es nichts zu verzeihen. Und da gibt es auch kein ‚normalerweise‘ oder ‚unsere Realität‘. Was denkt ihr oberflächlichen Menschen eigentlich? Hören Sie, Sie Mensch, Ihre Realität gibt es nicht. Ihr Normal gibt es nicht. Es gibt viele Realitäten. Sie sollten das wissen – Sie als Psychologische Beraterin. Sie Menschen haben alle eine eigene Realität. Sie sind in der Schwebe und fortwährend auf der Suche. Sie vertrauen noch nicht mal Ihrer eigenen Realität, meinen aber, dass Sie eine Vorstellung davon hätten, und beschränken sich damit Tag für Tag. Sie leben mit einem Bein in der Vergangenheit und können da nicht loslassen. Mit dem anderen Bein stehen Sie bereits in der Zukunft. Wie wollen Sie da in der Gegenwart leben, Sie Mensch? Sie denken, Sie wissen es besser oder stehen mitten im Leben? Ich sage, dass Sie eher von einer Realität in die andere springen und dabei in der Oberflächlichkeit umherwandern. Sie wollen z. B. einander und Ihrem Bauchgefühl vertrauen und merken im nächsten Atemzug, dass Selbstkontrolle und Kontrolle die angenehmeren Mittel sind. Da frage ich mich: Stehen Sie mit beiden Beinen fest im Leben? Sehen Sie mich an. Ich schlafe sogar auf nur einem Bein. Damit nutze ich effizient meinen Energiehaushalt und bin stets in Balance – quasi im Schlaf. Im Schlaf, Schätzchen. Und Sie?“
Ich sah an mir herunter. Sah meine Beine und sah auch, dass ich in mich hineinblicken hätte sollen, anstatt zu reden. Die rosarote Lady flatterte einmal stürmisch mit ihren Flügeln und sprach sogleich weiter: „Die Menschen suchen stets die Balance und wollen doch eher den großen Sprung oder rennen die ganze Zeit. Sich in Balance zu halten – wie geht das wirklich? Haben Sie sich das schon mal gefragt? So wirklich gefragt?“ Ich wollte etwas sagen, denn ob Achtsamkeitstraining oder Meditation, Yoga oder Seelenarbeit. Ich wusste ...
„Nein, Sie wissen nicht!“, flatterte es mir entgegen, „Sie Menschen fühlen sich so oft verloren und reden und reden ...“ Da konnte das Dalai Lama anscheinend nicht mehr an sich halten und fügte „weise“ ergänzend aus der Ecke heraustretend hinzu: „... und reden.“ Aber auch das Dalai Lama konnte Frau Dr. Flamingo nicht bremsen: „Menschen haben in sich mehrere Realitäten. Eine, die sie gerne verdrängen. Eine, die sie gerne hätten. Und wer weiß, was noch. Ich verrate Ihnen noch was: In Wirklichkeit ist Mitgefühl der Schlüssel zu mehr Zufriedenheit. Mitgefühl für sich, andere und anderes, für die eigene Realität und das gesamte Leben und die Realität der anderen. Da braucht es Mut, aber auch das Gefühl für die kleinen Dinge im Leben, die einen Unterschied machen. Da braucht es so viel mehr ... auch für mehr Zufriedenheit, die sich immer alle wünschen. Da braucht es Unperfektheit für das Perfekte, verstehen Sie? Apropos, unperfekt ... so soll also nun Jeffrey Psycho unter Beweis stellen, was er gelernt hat oder ob er eine Gefahr für die Volksgesundheit des Landes-für-mehr-Zufriedenheit ist. Wo ist er denn jetzt?“
„Er ist im Bad. Kommt gleich raus auf den Balkon. Er wollte sich noch kurz ...“, entschuldigte ich. „Da bin ich“, trällerte da Jeffrey, das wilde Einhorn, und hüpfte in wenigen Sätzen auf den Balkontisch. Wie niedlich. Er hatte sich fein gemacht. Schon seit einiger Zeit hatte ich ihn in Verdacht, meine Zahnbürste zu benutzen, um sich genüsslich daran zu schubbern und Fellpflege zu betreiben. Als ich mal nach dem Zähneputzen einen komischen Geschmack auf der Zunge gehabt hatte, ging ich im Kopf die möglichen Szenarien, dann die Verdächtigen durch. Das Dalai Lama konnte es wohl nicht gewesen sein. Es putzte sich ausschließlich mit Naturmaterialien. Leider mit Naturmaterialien, die ich für meine Seminare sortiert zusammengelegt hatte. Aber das ist eine andere Geschichte. Die beiden sorgten jedenfalls manchmal für Chaos in meinem Leben. Nicht nur in meinem Kopf.
Jeffrey hatte aber oft viel mehr Unfug im Kopf und lebte nach dem Motto: „Das da, das ist meins, es war mal deins.“ So kleine Wesen brauchen nicht viel, aber Jeffrey bediente sich jeden Tag in meinem Büro. Das kleine Einhorn mopste auch Ideen für Seminarübungen und die Klientenarbeit. Als ich mal in meiner kleinen, gemütlichen Küche Spaghetti kochte und die beiden sich unbelauscht fühlten, da im Brotkasten (wie süß, wenn die wüssten, dass das keine abhörsichere Geheimkammer ist), konnte ich Jeffrey vor Dalai tönen hören, wie wichtig das Konzept der Selbstwirksamkeit sei – auch im Rahmen der Positiven Psychologie.
Eine Woche zuvor hatte Jeffrey auf meinem Bücherregal gesessen und mich zu diesem Thema ausgefragt. Ich hatte ihn gebeten, für sich zu behalten, dass ich ein Buchkonzept zu diesem Thema im Schreibtisch hatte. Ich hatte von Jeffrey die Bitte erhalten, das Wort „Selbstwirksamkeit“ für ihn auf einen Zettel zu schreiben. Im Brotkasten nun wieherte er ein paar Tage später, er hätte das Thema lang und breit studiert und sogar angefangen, ein Buch darüber zu schreiben. Ich sage nur: Jeffrey war so was von verdächtig. Finden Sie nicht auch?
Hier stand es nun, das Mini-Super-Einhorn, herausgeputzt. Voller Tatendrang. Frau Dr. Flamingo kam ihm entgegen.
„Jeffrey, mein Guter. Jeffrey, Jeffrey, Jeffrey.“ Sie zückte ein Blöckchen und stieß ihn dann mit ihrem Flügel in die Seite. Nicht fest. Aber Jeffrey war irritiert. Ich musste grinsen. „Kann ich Ihnen etwas anbieten?“, fragte ich höflich und erhielt eine fast perfekte Antwort von einem ... ähm ... ja, wie bereits erwähnt ... bestimmt perfekten Vogel: „Hören Sie, Fräulein, ich habe hier zu tun. Sie haben genug gefragt. Hier geht es um die wichtigen Prüfungen des Lebens.“ Dann überlegte sie aber noch einmal und meinte: „Also, ich bin Veganerin. Kein Krill, keine Krabben, Shrimps oder dergleichen bitte. Langusten und Hummer müssen Sie gar nicht erst anschleppen, hören Sie.“
„Aber wie wäre es mit einem schönen Glas Rotwein für den Erhalt der Gefiederfarbe?“, konnte ich die Frage nicht unterdrücken. Frau Doktor Flamingo sah mich mit zusammengekniffenen, prüfenden Augen von unten an. Ihre Kopffedern wippten. Ihr Schnabel war ganz weit aufgerissen, als sie jetzt sprach: „Wie können Sie das wissen? Ja, bitte. Einen Chianti oder einen Rioja bitte. Die beerige Note und Farbe dürfen nicht fehlen. Ich sage ja immer: Wir Veganer müssen zusehen, dass wir unsere innerliche Balance halten – auch was das Gefieder betrifft. Danke sehr, eine ganze Karaffe bitte.“
Ich ging verblüfft in die Küche und kam mit einem kleinen Schnapsglas mit Merlot wieder. Eigentlich hatte ich die Frage nicht ernst gemeint und nur den angefangenen Merlot im Angebot. Die Flamingo-Lady konnte ja wohl kaum den Unterschied schmecken und wir hatten ja auch Wichtigeres zu tun. Also sie. Also Jeffrey. Zeit für seine Abschlussprüfung. Ich war schon sehr gespannt.
Ich hatte mit ihm einen Vortrag zum Thema Gleichzeitigkeit (Fühlen und Erleben) erarbeitet. Sogar eine Übung hatte ich ihm vorgestellt, die näherbringen soll, den Frieden in sich zu spüren – die innere Zufriedenheit – auch wenn die Welt da draußen keinen Frieden bietet, laut ist und Glückserhalt(ung) nicht gerade einfach ist. Einen ganzen Haftnotizzettel hatte Jeffrey mitgeschrieben. Und dann am Tag danach im Aschenbecher verbrannt. Dabei hatte er sich im Regentanz-Move um den Aschenbecher bewegt und laut gewiehert: „Ich kann das so. Ich kann das so. Ich bin ich und ich bin froh.“ Das Dalai Lama hatte zurückgeblökt: „Du kannst das so. Du kannst das so. Du fällst gar häufig auf den Po.“ Es sollte sich nun zeigen, was Jeffrey konnte.
„Fangen Sie bitte an“, bat Frau Dr. Flamingo das Freie-Therapie-Einhorn. Jeffrey räusperte sich. Er hatte ein wenig Prüfungsangst. Das wusste ich. Wir hatten daran gearbeitet. Jeffrey atmete tief ein und aus. Der Flamingo schlürfte aus dem Schnapsgläschen und errötete beim ersten Schluck vor Wohlgefallen. Jeffrey konnte beginnen.
Was in den nächsten Minuten folgte, verblüffte und faszinierte mich. Jeffrey war gut. Er referierte: „Es braucht nicht viel, um positive Gehirnaktivität anzuregen. Das wissen wir. Manchmal hilft uns eine kleine Atemübung oder das bloße Umlenken oder Umformen von Gedanken und Gedankenmustern, damit es uns besser geht. Meine Probandin war Jenny Miosga. Sie hat mitgemacht.“ Was hatte ich? Ich? Eher im Gegenteil – schrie es in mir. Ich hatte zwar so manches mitgemacht, aber wusste nicht, wovon Jeffrey sprach, bis das Dalai Lama schnaubend vor Anstrengung mein kleines „Tagebuch“ heranschleppte – eher zog.
Ich hatte seit Jeffreys Ankunft, weil ich meinen Sinnen nicht getraut hatte, jeden Abend notiert, was ich Auffälliges oder Besonderes gesehen, gehört, gerochen, geschmeckt oder gefühlt/gespürt hatte. Nachdem Jeffrey und das Dalai vermeintlich normal für mich geworden waren, hatte ich aber gemerkt, dass mir die kleine Fokussierung auf den Tag und auf die Sinne guttat und machte weiter mit dem Schreiben. Ich erweiterte die Fragen und schrieb jeden Tag nieder, was ich auch an anderen Menschen bemerkt hatte oder ob ich was besonders Nettes getan hatte. Ich spürte dadurch am Abend vor dem Schlafengehen den Tag nach. Dankbarkeit und Zufriedenheit breiteten sich in mir aus. Ich war mit so vielem zufrieden. Jeffrey und das Dalai Lama hatten mir manchmal Gesellschaft geleistet und dann hatten wir zusammen die Fragen beantwortet. Das war fast ein kleines Ritual geworden. In meinem Heft hatten wir gemeinsame Momente festgehalten – für die Ewigkeit und für die Erinnerung. Wir hatten uns am Abend nochmals über die Highlights des Tages gefreut und konnten danach sehr gut und zufrieden einschlafen. Es waren eben Fragen für mehr Zufriedenheit mit Fokus auf dem Positiven. Frau Dr. Flamingo blätterte einige Seiten um. Sie schien sehr zufrieden.
Ich wusste, Jeffrey würde die Prüfung bestehen, denn es kommt auf die kleinen Dinge an. Durch die regelmäßige Beantwortung der kleinen Fragen hatte ich meine Aufmerksamkeit geschult und es war eine Veränderung in meiner Wahrnehmung erfolgt. Wenn ich nun auch die Seiten sah, erinnerte ich mich durch die kurzen Stichpunkte an die Momente und lächelte. Jeffrey hatte erkannt, dass wenige Fragen an sich selbst manchmal reichen, um den Tag und das Sein anders zu erleben.
Ein paar Tage nach der bestandenen Prüfung reiste Jeffrey in das Land-für-mehr-Zufriedenheit auf einem Regenbogen ab. Es war fast perfekt, dass die vielleicht perfekte Frau Dr. Flamingo sofort nach der Prüfungsabnahme von dannen gezogen war – mit Verlaub: leicht torkelnd und gar nicht mehr so standhaft und standfest wie zu Beginn der Prüfung. Und das kleine Dalai Lama und ich? Wir hofften und hoffen auf Jeffreys baldigen Besuch und nutzen die Veränderung. Wir nehmen uns nun mehr Zeit und üben gemeinsam Yoga für mehr Zufriedenheit. Wir führen viele tolle Gespräche und machen manchmal Unfug à la Einhorn-Manier. Erst gestern – aber davon erzähle ich Ihnen gerne ein andermal.
Heute habe ich einen Wunsch an Sie: Die Fragen, die Jeffrey während seiner Prüfung auf einen kleinen Block gekritzelt hat, habe ich an meine Pinnwand gehängt und möchte Sie anhalten, diese mal heute für sich zu betrachten – zu beantworten. Vielleicht mal ein paar Tage am Stück. Schauen Sie auf die Welt, auf sich und in sich hinein ... nehmen Sie dabei eine akzeptierende, mitfühlende, verständnisvolle und freundliche Haltung ein. Üben Sie das! Vielleicht spüren Sie dann schon bald die Veränderung im Kleinen ... in sich. Hier geht es um die Fokussierung auf das Positive, auf die Sinne ...
Hier die kleinen Fragen für mehr Zufriedenheit und Veränderung für Ihre Pinnwand und/oder für Ihr Tagebuch:
- Was habe ich heute an einem anderen Menschen bemerkt, was besonders (o. k., nett, erwähnenswert, schön ...) war? Was hat jemand anders heute getan, womit ich zufrieden bin?
- Was habe ich heute an mir bemerkt, was besonders (o. k., nett, erwähnenswert, schön ...) war? Was habe ich selbst heute getan, womit ich zufrieden bin?
- Was haben heute meine Sinne erfahren, was besonders (o. k., nett, erwähnenswert, schön ...) war? Was habe ich auf sinnlicher Ebene erlebt, was mich zufrieden macht?
– Was gesehen?
– Was gehört?
– Was gerochen?
– Was geschmeckt?
– Was gefühlt bzw. gespürt?
Ach ja ... halt!
Ich muss noch etwas ausrichten: erst einmal Grüße von Jeffrey. Und das Dalai Lama freut sich über Ihre Fragen zum Thema „Mehr Zufriedenheit“.
Einfach eine E-Mail an:
Das kleine Freie-Therapie-Einhorn-Lama arbeitet ausschließlich für sein gutes Karma und antwortet immer. Sein Motto: „Es gibt kein Problama für das Dalai Lama.“
Wir werden sehen ... tschüss und bis zum nächsten Mal!
Jenny Miosga
Heilpraktikerin für Psychotherapie, Geprüfte Psychologische Beraterin, Trainerin, Dozentin, Autorin, VFP-Mitglied
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