Störfeuer Prüfungsangst
Da ist nichts, absolut nichts – wo sich vorher noch eine Fülle von Gelerntem abrufbar in Bereitschaft hielt, um bei Bedarf erfolgreich erinnert zu werden, da ist auf einmal ein Loch, ein sehr großes schwarzes Loch, Blackout. Zugegeben, das ist der Worst Case. Doch wer ihn einmal erlebt hat, vergisst ihn nie wieder.
Nun könnte man zu dem Schluss kommen, dass ausreichende und perfekte Prüfungsvorbereitung die wirksamste Waffe gegen derartig katastrophale Erfahrungen wäre. Wie viele Schüler und Studenten haben es nicht immer wieder gehört: „Beim nächsten Mal bitte mehr lernen, dann klappt es auch mit der besseren Zensur.“ Oder aber: „Du kannst es doch, du hast doch so viel gelernt.“ Doch so funktioniert das menschliche Gehirn nicht.
Prüfungsangst - oder Lampenfieber, wie es in künstlerischen Kontexten heißt – ist ein weitverbreitetes Phänomen. Während Lampenfieber oft bei Künstlern noch als notwendiges Übel toleriert wird, solange der gefürchtete Blackout mit versagender Stimme oder vergessenem Text ausbleibt, sagt der Begriff Prüfungsangst eigentlich schon alles. Es geht um Angst, regelrechte Angst. Und Angst ist ein Gefühl, das in jedem Fall unangenehm ist, oft aber sogar unerträglich und extrem belastend.
Angst schränkt das Denkvermögen in erheblichem Maß ein. Das ist aber genau das, was man in Prüfungssituationen überhaupt nicht gebrauchen kann, denn eigentlich besteht der Wunsch, höchste Leistung souverän abzurufen und zu präsentieren. Die Folge ist das beschämende Gefühl, unter seinen Möglichkeiten geblieben zu sein und versagt zu haben.
Man könnte also meinen, Angst wäre etwas, auf das man im Leben gerne verzichten könnte – doch das Gegenteil ist der Fall. Die Fähigkeit, Angst zu empfinden, ist überlebensnotwendig. Hätten wir nicht von Geburt an die vorhandene Gabe, Angst zu verspüren, so wäre die Menschheit vermutlich schon ausgestorben. Angst warnt vor Gefahr und trägt dazu bei, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Angst empfinden zu können, ist daher etwas ungemein Wertvolles, denn bei erlebter Angst, was höchstes Stressempfinden bedeutet, stellt sich der Körper darauf ein, der Bedrohung zu entkommen. Er wird in die Lage versetzt, zu kämpfen, sich zu wehren oder zu fliehen.
Die daraus resultierenden Körperreaktionen sind bei allen, die an Prüfungsangst oder quälendem Lampenfieber leiden, hinreichend bekannt: Herzklopfen, Übelkeit, Mundtrockenheit und schweißnasse Hände, eingeschränktes Denkvermögen und das Gefühl, neben sich zu stehen.
Es geht um Gefahr
Die meisten Menschen schätzen Situationen als bedrohlich ein, in denen sie Gefahr laufen, zu versagen, nicht gut genug zu sein und abgelehnt zu werden. Peinlichkeit und Scham werden darüber empfunden, weder den vermuteten Erwartungen anderer und schon gar nicht den eigenen Erwartungen zu entsprechen oder entsprochen zu haben. Denn eines der wichtigsten Grundbedürfnisse des Menschen ist das nach Anerkennung und Wertschätzung und das wiederum steht in engem Zusammenhang mit dem Bedürfnis nach sozialer Verbundenheit.
Situationen, die geeignet sind, eben diese Grundbedürfnisse zu gefährden oder zu bedrohen, können sehr schnell als gefahrvoll gedeutet werden. Dies hängt allerdings immer von einer individuell vorgenommenen Einschätzung ab, die sich auf eigene Erfahrungen stützt. Wurde schon einmal etwas Ähnliches erlebt? Hat man sich schon einmal im Laufe des Lebens peinlich, ausgegrenzt, schamvoll, ungeliebt und negativ beurteilt gefühlt?
Bewusst oder unbewusst werden alle Ereignisse und die daraus resultierenden Emotionen wieder abgerufen, die schon einmal erlebt wurden. So entsteht Angst, sie soll uns helfen, einer erneuten möglichen Bedrohung zu entgehen. Angst löst also immer wieder eine Reaktionskette im Organismus aus, in deren Folge Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol ausgeschüttet werden, um den Körper in die Lage zu versetzen, entweder wegzulaufen oder anzugreifen, dies immer mit den schon erwähnten unangenehmen Körperempfindungen.
Das, was wir uns aber im Moment der Prüfung wünschen, ist etwas vollkommen anderes: fokussierte Aufmerksamkeit, uneingeschränkte kognitive Leistung, eine geschmeidige Stimme, authentische Präsenz und ein angenehmes Körpergefühl. Doch wenn das Stressniveau im Körper sehr hoch ist, wird genau das verhindert. Eine erneute unangenehme Erfahrung reiht sich an eine alte: Wieder einmal unkonzentriert gewesen zu sein, zu wenig gewusst zu haben, wieder einmal den Text vergessen zu haben, die Stimme versagte und die Bühnenpräsenz war zu wenig authentisch.
So setzt sich der Kreislauf fort. Denn das, was erneut als Bedrohung und Gefahr erlebt wurde, wird bei nächster Gelegenheit wieder abgerufen. Das Ergebnis ist, dass der Stress sich schon lange vor dem zukünftigen Ereignis einstellt und auf diese Weise dazu beiträgt, dass sich die Erfahrung von Angst und Versagen immer wiederholt.
Mit Prozess- und Embodimentfokussierter Psychologie (PEP®) der Prüfungsangst begegnen
Die Prozess- und Embodimentfokussierte Psychologie (PEP®) ist eine Kombination verschiedener Ansätze. Sie umfasst sowohl psychodynamische und hypnosystemische als auch verhaltenstherapeutische und systemisch-transgenerationale Ansätze, Interventionen und Strategien. Hinzu kommt das Klopfen von Körperpunkten, die durch die Akupunktur aus der traditionellen chinesischen Medizin bekannt sind. Über den haptischen Stimulus (Klopfen) der Haut kommt es infolge zur vermehrten Ausschüttung endogener Botenstoffe wie Serotonin und Oxytocin, die stressreduzierende Wirkung haben.
Während des Prozesses der Bearbeitung von Prüfungsängsten mit PEP® geht es in einem ersten Schritt darum, belastende Erinnerungen zu identifizieren und emotional zu regulieren. Dabei ist das Klopfen der unterschiedlichen Körperpunkte bei gleichzeitiger Fokussierung auf die belastende Erinnerung äußerst effizient und hilfreich.
Oft erleben die Prüfungsangstgeplagten schon in diesem ersten Schritt eine deutliche emotionale Entlastung. Doch reicht das häufig nicht aus. Denn in den meisten Fällen sind an die Erinnerungen ungünstige und wenig hilfreiche Beziehungsmuster und Kognitionen gekoppelt. So ist in einem zusätzlichen Schritt die Herausarbeitung eben dieser Muster und Kognitionen von großer Bedeutung.
Ein unverzichtbarer Bestandteil der Arbeit ist die eingebundene Selbstbestätigungs- und Selbstakzeptanzübung
Die Bearbeitung dieser Muster erfolgt durch das Aussprechen von Sätzen, die in ihrer Struktur immer ähnlich sind und der Aktivierung und Verbesserung der Selbstbeziehung dienen. So könnte ein Satz bei vorliegender Prüfungsangst folgendermaßen lauten:
„Auch wenn mir bei der mündlichen Prüfung wieder einmal zu wenig eingefallen ist und ich total versagt habe, liebe und akzeptiere ich mich genau so, wie ich bin“. Oder: „Auch wenn ich mich so klein mit Hut gefühlt habe, nehme ich mich genau so an, wie ich bin.“
Derartiges laut auszusprechen, fällt den meisten Menschen schwer. Sich anzunehmen mit allen tatsächlichen oder vermuteten Fehlern, ist häufig ein ganz neuer Gedanke, doch sehr heilsam. Oft schließt sich dann daran eine Übung des Verzeihensan, sich selbst gegenüber gnädig zu sein und sich zu verzeihen für das, was man sich eigentlich vorwirft und was man am liebsten vergessen würde, reduziert das Stresserleben noch einmal mehr und verbessert die Selbstbeziehung in beeindruckender Weise. Und die Entlastung ist unmittelbar zu spüren.
In den Prozess eingebunden ist also die abwechselnde Bearbeitung von belastendem biografischen Material mit den damit verbundenen störenden, heftigen und angstvollen Emotionen und die Herausarbeitung von dysfunktionalen und demotivierenden Glaubens und Beziehungsmustern.
Für viele, die Prüfungsangst auf eine lähmende und quälende Weise erleben, ist es erst einmal überraschend, zu erkennen, dass sie selbst es sind, die in erheblichem Maße die Situation durch die Kraft ihrer Grundüberzeugungen und Beziehungsmuster gestalten. Mit jeder unangenehmen Erfahrung, die im Leben gemacht wird, entstehen Glaubenssätze, Grund- überzeugungen und Wahrheiten, die sich als Gedanken zur befürchteten Prüfung einstellen.
- Es wäre die absolute Katastrophe, wenn ich durchfallen würde.
- Alle anderen sind bestimmt besser.
- Es ist peinlich, wenn ich eine Antwort nicht weiß.
- Ich habe immer Pech bei Prüfungen.
- In Prüfungen war ich noch nie gut.
- Es kommt bestimmt genau das dran, was ich nicht so gut kann.
- Ich fühle mich bei den Prüfungen hilflos ausgeliefert.
- Ich schlafe vor Prüfungen extrem schlecht.
- Ich hab bestimmt Lücken, der Lernstoff ist einfach zu umfangreich.
- Der Lehrer mag mich sowieso nicht.
Wenn man also Menschen, die von derartigen Ängsten betroffen sind, fragt, wie es ihnen „gelingt“, sich so zu fühlen, wie sie es tun, erhält man immer wieder Antworten aus fünf wesentlichen Kategorien, die in PEP® die Big-Five-Lösungsblockaden genannt werden.
- Vorwürfe sich selbst gegenüber
- Vorwürfe anderen gegenüber
- Erwartungshaltungen sich selbst oder anderen gegenüber
- Altersregressionen, das Gefühl, sich kleiner und jünger zu fühlen, als man eigentlich ist
- Loyalitätskonflikte
Vorwürfe uns selbst gegenüber sind uns meist nicht unbekannt. Einfach nicht gut genug zu sein, versagt zu haben, sich dumm verhalten zu haben, zu spät aufgestanden zu sein, zu wenig gelernt zu haben und vieles mehr gehören zu den häufig genannten Gedanken zu misslungenen Prüfungen.
Oder aber es bestehen Vorwürfe anderen gegenüber: Der Lehrer hat etwas gegen mich, die kleine Schwester hat verhindert, dass man genügend gelernt hat, die Eltern haben zu viel Druck gemacht, die Prüfung war zu schwer, der Fahrprüfer war schlecht gelaunt. Auch Erwartungshaltungen spielen eine entscheidende Rolle, entweder sich selbst gegenüber oder aber es handelt sich um Erwartungen anderen Beziehungen gegenüber. Man wünschte oder erwartete mehr Unterstützung von den Eltern, den Lehrern, den Freunden, den Musikern, dem Dirigenten, dem Regisseur, den Kollegen, um nur einige zu nennen.
Und ein Phänomen taucht in Prüfungs- und Lampenfiebersituationen immer wieder auf, das der Altersregression. Für den Betroffenen erscheint es meist unerklärlich. Auf einmal fühlt man sich klein, viel kleiner, viel jünger, weniger erwachsen, als man eigentlich ist. Durch das oft unbewusste Andocken an frühere, vielleicht auch weit zurückliegende Ereignisse werden Emotionen und Gefühle erlebt, die schon zu früherer Zeit im Leben bedeutsam waren. Plötzlich fühlt man sich nicht mehr als die erwachsene Person, die man ist, sondern wie damals an der Tafel vor der Klasse, als einem nichts einfiel, um die Matheaufgabe zu lösen.
Auch der fünfte Aspekt ist in seiner Bedeutung nicht unerheblich. Es geht um Loyalitätskonflikte. Ob bewusst oder unbewusst entwickelt jeder Mensch im Laufe seines Lebens Zugehörigkeiten, sogenannte Loyalitäten. Dahinter verbergen sich innere Verbundenheit, Zuneigung und Übereinstimmung mit Zielen, Werten und Normen einer Gruppe.
Das können die Familie, die Freunde, die Firma oder irgendein anderes System sein, dem man im Laufe seines Lebens zugehörig oder zumindest verbunden ist. So kann z. B. die innere Verbundenheit oder Liebe zu einer Familie, die bisher wenig mit Studium und Karriere zu tun hatte, unbewusst verhindern, dass eine Prüfung erfolgreich bestanden wird, aus Furcht, dadurch die Liebe und Zugehörigkeit zu dieser Familie zu verlieren.
Die Bearbeitung von Prüfungs- und Auftrittsängsten wird schließlich mit einem hochwirksamen Selbstwerttraining abgerundet. Ungünstige Gedankenmuster und Grundüberzeugungen werden durch gemeinsam entwickelte hilfreiche, motivierende und stimmige/kongruente Affirmationen ersetzt. Oft geht es dabei um Veränderungen an der inneren Haltung zu den Themen Leistung, Perfektion, Fehlerfreundlichkeit und Erfolg. Denn ob eine Prüfung oder ein Auftritt bedrohlich erlebt wird, hängt davon ab, welche Einschätzung der Betroffene im Vornherein vornimmt und wie eine anschließende Bewertung nachfolgend ausfällt.
Bei dieser abschließenden Herausarbeitung von kraftvoll motivierenden Affirmationen, der „Werbeclaims in eigener Sache“, ist die aktive und eigenverantwortliche Mitarbeit der Betroffenen unbedingt erforderlich. Genau wie mit allen anderen Dingen, die wir uns zu eigen machen möchten, muss mit dem Material beständig gearbeitet werden, um Denkstrukturen und Grundüberzeugungen dauerhaft zu verändern und Neuvernetzungen im Gehirn zu erreichen.
Selbstvertrauen und die Steigerung des Selbstwertgefühls dürfen wachsen und brauchen Zeit, um sich zu integrieren. Je öfter und intensiver die „Werbeclaims“ wiederholt werden, je öfter sie ausgesprochen, gelesen oder geschrieben werden, desto nachhaltiger integriert sich der Inhalt und kann aktiv erlebt und gelebt werden.
Neben allen schon genannten äußerst effizienten Aspekten der Bearbeitung von Prüfungsängsten mit der Embodimentfokussierten Psychologie (PEP®) zeichnet sich diese Technik dadurch aus, das sie ein leicht erlernbares Verfahren ist, die von jeder Frau/jedem Mann selbst angewendet und geübt werden kann. Die Erfahrung von Selbstwirksamkeit ist daher eine nicht zu unterschätzende Bereicherung im nachhaltigen Umgang mit Situationen, denen man sich zuvor hilflos und ohnmächtig ausgeliefert fühlte.
Literatur
- Aalberse, M. /Geßner-van Kersbergen, S. (Hrsg.): Die Lösung liegt in deiner Hand! Von der Energetischen Psychologie zur bifokalen Achtsamkeit. dgvt-Verlag, 2012
- Bohne, M. (Hrsg.): Klopfen mit PEP. Prozessorientierte Energetische Psychologie in Therapie und Coaching. Carl-Auer Verlag, 2013
- Bohne, M.: Prozess- und Embodimentorientierte Psychologie (PEP) – weit mehr als eine Klopftechnik. In: Michael Bohne, Matthias Ohler, Gunther Schmidt, Bernhard Trenkle (Hrsg): Reden reicht nicht!? Bifokal-multisensorische Interventionsstrategien für Therapie und Beratung. Carl-Auer Verlag, 2016
- Bohne, M.: Klopfen gegen Lampenfieber. Rowohlt Verlag, 2013
- Grümmer-Hohensee, C.: Klopfen gegen den Stress - Prozess- und Embodimentfokussierte Psychologie (PEP®) im Pflegealltag nutzen. Mabuse Verlag, 2017
Christiane Grümmer-Hohensee
Heilpraktikerin für Psychotherapie, Hypnosetherapeutin, Mentalcoach bei Stresserleben in Auftrittssituationen sowie Prüfungs- und Alltagsängsten
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