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Der Wald als Heiler und Co-Therapeut

FP 0118 Inhalt End A4 Page16 Image1Der Wald schüttet fast 40 000 verschiedene Terpene aus. Das sind eine Art chemischer „Wörter“. Die dazu dienen, dass die Bäume untereinander kommunizieren können. Um benachbarte Bäume vor Schädlingsbefall zu warnen, damit diese Abwehrkräfte mobilisieren können oder Fressfeinde dieser Schädlinge anlocken.

Unser menschliches Immunsystem geht mit diesen Terpenen, wer kennt den würzigen Duft des Waldes nicht, ebenso in Verbindung – in Kommunikation. Diese Terpene erhöhen laut verschiedener Studien die Anzahl der Killerzellen im Blut und aktivieren somit die Immunabwehr. Darüber hinaus haben japanische Forscher festgestellt, dass der Aufenthalt im Wald den Cortisol- und den Adrenalinspiegel signifikant sinken lässt. Ebenso sank der Noradrenalinspiegel und die Forscher konnten nachweisen, dass die Waldatmosphäre den Parasympathikus aktiviert und die Ausschüttung von Serotonin erhöht.

Die Schlussfolgerung daraus: Der Aufenthalt im Wald reduziert Stress, senkt den Blutdruck und sorgt für eine entspannte Grundstimmung.

Das allein wäre schon Grund genug, den Klienten (immer m/w) einen Waldaufenthalt anzuraten. Wenn wir dann noch hinzunehmen, dass Frau Shapiro die Bewegung der Blätter zur Entwicklung von EMDR veranlasst hat, ist das ein weiterer Grund, den Wald als Heiler und Co-Therapeuten zu entdecken.

Aber es kommt noch besser

Der Wald stellt eine Bühne mit unendlichen Möglichkeiten zur Verfügung, zu dem, meiner Meinung nach, kein noch so gut eingerichteter Praxisraum in der Lage wäre.

Seit über zehn Jahren begleite ich nun schon Menschen in „Waldtherapieräume“. Es ist immer die gleiche Stelle und noch kein einziges Mal war es die gleiche Ausgangssituation. Mir scheint, dass sich der Wald auf jeden meiner Klienten neu einstellt und für jedes Thema eine eigene Bühne eröffnet.

Da diese Art zu arbeiten vielleicht erwas ungewöhnlich anmutet und auch nicht leicht zu beschreiben ist, möchte ich Ihnen anhand eines Falls meine Art der Arbeit näherbringen.

Fallstudie

FP 0118 Inhalt End A4 Page17 Image2Eine 40-jährige Klientin kam mit immer wiederkehrenden unerklärlichen Kopfschmerzen zu mir. Die Schmerzen traten plötzlich auf und waren gepaart mit erhöhter Temperatur und einem Krankheitsgefühl. In unzähligen ärztlichen Untersuchungen konnte nicht festgestellt werden, was für dieses Befinden hätte ausschlaggebend sein können. Ihr Hausarzt riet ihr, dies psychotherapeutisch abzuklären. Auf meine Frage, seit wann sie diese Kopfschmerzen habe, berichtete sie mir von einer Panzershow, die sie besucht hatte. Sie hatte dabei das Gefühl, dass einer der Panzer direkt durch ihren Kopf gefahren sei. Das Dröhnen hätte den ganzen Tag nicht aufgehört und endete mit Kopfschmerzen, erhöhter Temperatur und einem Krankheitsgefühl. Am nächsten Tag war es vorbei. Aber die Schmerzen kamen in unterschiedlichen Abständen immer wieder.

So nahmen wir diese, wie sie es formulierte, Auslösesituation mit in den Wald. Ich bat die Klientin, sich an das Dröhnen in ihrem Kopf zu erinnern. Als sie es spüren konnte, sollte sie sich für dieses Gefühl einen Platz im Wald suchen. Wir fanden uns auf einem Baumstumpf in einem dichten, dunklen Teil des Waldes wieder.

Sie setzte sich auf den Baumstumpf und spürte in sich hinein. Es kamen ihr Bilder ihres Opas in den Sinn. Ich fragte, was denn der Opa mit Panzern zu tun hätte. Daraufhin erzählte sie mir, dass ihr Opa im Zweiten Weltkrieg in Russland war und dort ein Bein verloren hatte. Mit dieser Information spürte sie sich noch tiefer ein. So kamen wir darauf, dass es um die Teile ging, die der Opa in Russland gelassen hatte. Diese waren, rein anatomisch betrachtet, ein Bein, aber natürlich auch Teile seiner selbst.

Ich bat sie, zu spüren, was der Opa denn in Russland gebraucht hätte, und so gaben wir dem Baumstumpf, der die Rolle des Opas übernahm, alles das was nötig gewesen wäre. Es waren Qualitäten wie Verstehenkönnen, Kraft, Lebensmut, Zuversicht, Vertrauen. Um nur ein paar zu nennen. Diese Qualitäten wurden symbolisch durch Hölzer, Tannenzapfen, Moos, Blätter usw. an den Opa-Stellvertreter gegeben.

Nach diesem Prozess bat ich sie, erneut an die Auslösesituation zu denken – es fühlte sich für sie schon viel freier und leichter an. Wir vereinbarten zwei weitere Termine, in denen wir noch verschiedene Dinge lösen konnten. Nach diesen Terminen kam der Kopfschmerz nicht wieder.

Für mich ist die Arbeit im Wald eine Verbindung von verschiedenen Tools, die sich ganz wunderbar von der Praxis in den Wald verlagern lassen. Ganz unabhängig von der übertragenen Methode spielen hier die genannten Botenstoffe und Terpene, die die höchste Konzentration in Bodennähe haben, eine ganz entscheidende Rolle. Diese versetzen den Klienten in eine offene, entspannte Stimmung, die in der Praxis viel Mühe kosten würde.

Kommen dann noch Bewegung – also das Tun, das Tun-Können – hinzu, gibt man dem Klienten die Macht zurück, sein Thema aktiv anzugehen und eine Veränderung aus sich selbst heraus (mit etwas Anleitung) zu bewirken. Die neue Situation, der heile Zustand, lässt sich durch ein Foto des Erarbeiteten oder des Erinnerungsgegenstands ganz wunderbar in den Alltag transportieren, um auch da einen Anker zu haben.

Der Wald gibt zahllose Möglichkeiten des Ausdrucks und ebenso unzählige Möglichkeiten der Projektion. Denn wenn der Klient sein Thema in ein abstraktes, neutrales Außen projektieren kann, gibt es die Möglichkeit, einfach mal einen Schritt zurückzugehen und eine gute, sichere Beobachterrolle einzunehmen. Durch diesen Schritt zurück geht der Klient aus seiner Emotion heraus und hat so die Option, eine andere Art der Veränderung sehen zu können.

Diese Alternative kann dann gleich ausprobiert werden. Und sollte sie nicht zum gewünschten Erfolg führen, ist es ein Leichtes, die Naturmaterialien wieder zu entfernen oder zu verändern.

Die Bühne Wald bietet mir als Therapeutin ebenso die Möglichkeit, aus meinem Denken herauszutreten und vorhandene Gegenstände (Äste, Pflanzen, Wurzeln etc.) in meinen Impulsprozess miteinzubeziehen. So kommen auch vermeintlich festgefahrene Prozesse wieder in Fluss. Durch meinen eigenen Perspektivwechsel sehe ich neue Impulse und darum geht es schließlich.

So ist jede Sitzung im Wald ein ganz eigener individueller Prozess. Keiner gleicht dem anderen. Die Bühne Wald stellt sich immer wieder auf den Klienten ein.

Und auch für mich als Therapeutin, die diese Prozesse begleiten darf, ist es immer wieder erstaunlich, zu was der Co-Therapeut Wald alles in der Lage ist.

Literatur

  • Arvay, Clemens G.: Der Biophilia-Effekt – Heilung aus dem Wald. Verlag edition a, ISBN 978-3-99001-113-3
  • Arvay, Clemens G.: Der Heilungscode der Natur: Die verborgenen Kräfte von Pflanzen und Tieren entdecken. Riemann Verlag, ISBN 978-3-57050-201-3

Fotos ©Elke Sendler

Elke SendlerElke Sendler

Heilpraktikerin für Psychotherapie, Natur- und Waldtherapeutin, Praxis für Mensch und Erde, Berglen-Stöckenhof
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