Aufbruch in ein neues Leben
„Nichts ändert sich,
bis man sich selbst ändert.
Und plötzlich
ändert sich
alles!“
Verfasser unbekannt
Jeder von uns hat sein Päckchen zu tragen. Selbst die, deren Kindheit eigentlich sorglos und unbeschwert war. Das liegt daran, dass jeder von uns in der einen oder anderen Form geprägt wurde. Dabei sind es nicht nur die großen, einschneidenden Erlebnisse, wie ein Todesfall in der Familie oder eine chronische Krankheit, die einen Einfluss auf uns haben. Allein die Art, wie wir erzogen wurden, hat uns zu unterschiedlichen Menschen gemacht, mit verschiedenen Einstellungen, Verhaltensweisen und Überzeugungen.
Natürlich kommen wir auch mit unterschiedlichen Anlagen auf die Welt, z.B. einer Persönlichkeitszusammensetzung, die einzigartig ist. Doch selbst unsere Anlagen sind kein in Stein gemeißeltes Gesetz, sondern entwickeln sich in einem Wechselspiel aus Genen und Umwelt. Je nachdem, welche Anlagen gefördert oder nicht gefördert werden, entwickeln wir uns in verschiedene Richtungen.
Die Erfahrungen, die wir im Leben machen, prägen uns
Es sind also die Erfahrungen, die wir im Laufe des Lebens machen, die uns prägen und maßgeblich zu den Menschen machen, die wir heute sind. Wir kommen nicht mit Selbstzweifeln oder Bindungsängsten auf die Welt. Wir entwickeln diese, je nachdem, was wir erleben, was uns vorgelebt oder von außen vermittelt wird.
Wer wiederholt verletzt wird, verliert das Vertrauen in seine Mitmenschen und irgendwann auch das Vertrauen in sich selbst. Wer in einem Umfeld aufgewachsen ist, in dem Gefühle totgeschwiegen wurden, hat den Zugang zu diesen nie erlernen können. Und wer stets dazu angehalten wurde, sich zurückzunehmen und nicht so wichtig zu nehmen, wird noch heute Probleme damit haben, für sich und seine Bedürfnisse einzustehen.
Wir sind uns dieser Prägungen nicht immer bewusst. Wir übernehmen einfach, was uns natürlich erscheint, was wir kennen oder was uns vermittelt wurde, und tragen diese Muster u. U. ein Leben lang fort (um sie dann wieder auf unsere eigenen Kinder zu übertragen).
Gewohnheiten bilden sich. Wenn wir erwachsen sind, haben wir unzählige davon. Wir haben Gewohnheiten dazu, wie wir uns verhalten, wenn uns jemand kritisiert, wenn wir überfordert sind oder wenn uns jemand lobt. Der eine geht in die Konfrontation, der andere entschuldigt sich, der Dritte ergreift die Flucht. Je nachdem, wie wir es in der Vergangenheit gelernt haben oder wie es sich als nützlich herausgestellt hat.
Wir haben Gewohnheiten dazu ausgebildet, wie wir uns bei der Arbeit verhalten – z. B. sich im Hintergrund zu halten oder immer die Arbeit der Kollegen (immer m/w/d) zu übernehmen –, wie wir mit anderen Menschen umgehen (z. B. es ihnen recht machen oder keinen Blickkontakt halten) oder über uns selbst denken „Das ist bestimmt meine Schuld“ oder „Das kann ich auf keinen Fall“.
Gewohnheiten bestimmen unser Lebensglück
Studien zufolge verbringen wir fast die Hälfte des Tages unbewusst. Statt die Kontrolle über unsere Gedanken, Gefühle und Handlungen zu haben, lassen wir uns von Automatismen leiten. Wir nehmen es zwar nicht wahr, aber es sind unsere Gewohnheiten, die den Großteil des Tages über uns bestimmen.
All diese Gewohnheiten machen es unserem Gehirn einfach, in jeder Situation die passende Reaktion herauszufiltern. Wir greifen einfach auf die vorhandenen Nervenverbindungen zurück (z. B. Stress = Schokolade). Aber sie führen leider auch dazu, dass wir immer wieder dieselben Erfahrungen machen (z. B. ausgenutzt oder zurückgewiesen zu werden) und nur schwer aus unserer Haut können.
Unsere Gewohnheiten können dazu beitragen, dass wir unabhängig von den äußeren Umständen und den Zielen, die wir im Leben erreichen, unglücklich sind und bleiben. Weil wir immer wieder in Sorgenspiralen verfallen, statt den Moment auszukosten, oder immer wieder vom Schlimmsten ausgehen, statt an einen guten Ausgang zu glauben.
Doch die Probleme, die uns heute zeichnen, müssen uns nicht in die Zukunft begleiten. Veränderung ist möglich. Und zwar zu jedem Zeitpunkt, denn das Gehirn bleibt bis ins hohe Alter hinein formbar. Gerade die Tatsache, dass sich unser Gehirn, je nach seinen Erfahrungen, in einem stetigen Umbauprozess befindet (Neuroplastizität), ist Anlass zur Hoffnung. So geht der Psychotherapieforscher Klaus Grawe davon aus, dass, wenn schlechte Lebenserfahrungen das Gehirn in Richtung einer psychischen Krankheit verändern, gute Erfahrungen es auch wieder heilen lassen können.
Denn Erfahrungen verändern das Gehirn. Das ist spätestens seit dem Erfolg von Konfrontationstherapien in der Behandlung von Angststörungen bekannt. Bei einer Konfrontation wird das eigene Gehirn gezwungen, eine neue Erfahrung zu machen, nämlich, dass die Situation ausgehalten und unbeschadet überstanden werden kann. Die ursprünglich angstbesetzte Verknüpfung im Gehirn wird dabei durch eine angstfreie überschrieben: Das Gehirn verändert sich und damit verschwindet die Angst.
Aufbruch in ein neues Leben
Wenn wir genug davon haben, immer an letzter Stelle zu stehen, wenn wir nicht länger an die falschen Menschen geraten und Ängste und Selbstzweifel hinter uns lassen wollen, brauchen wir nichts anderes als neue, gute Erfahrungen. Natürlich ist das leichter gesagt als getan.
Neue Erfahrungen entstehen nicht von allein. Sie entstehen, indem wir uns von nun an so häufig wie möglich anders verhalten; indem wir anders denken und anders reagieren, als wir es üblicherweise tun würden. Sie entstehen, indem wir die alten Gewohnheiten (wie Mark Twain es ausdrückte) „Schritt für Schritt die Treppe hinuntergeleiten“ und neue Wege einschlagen.
Wir müssen uns nicht für den Rest des Lebens schwach, hilflos oder unglücklich fühlen. Wir sind nicht dazu verdammt, die Erfahrungen der Vergangenheit zu wiederholen. Wenn wir uns der Muster bewusst werden, die uns leiten, können wir ändern, was uns stört, und eine neue Realität gestalten.
Wer etwas anderes vom Leben möchte, der kommt nicht umhin, sich selbst zu verändern. Aber das sollte uns nicht abhalten oder schrecken. Denn das Selbst, an das wir uns bislang geklammert haben, ist lediglich das unserer Vergangenheit. Es ist das Selbst, das durch die Erfahrungen dieser geprägt wurde. Es ist eine Variante unseres Selbst – nicht aber die einzige und schon gar nicht die „wahre“ Variante.
Wer weiß, zu was wir alles fähig sind und wer wir werden könnten, wenn wir uns trauen, das Gewohnte hinter uns zu lassen und in eine neue Zukunft aufzubrechen.
Dr. Katharina Tempel:
Schenk dir das Leben, von dem du träumst.
Mit alltagsnahen und psychologisch fundierten Tipps, wie man mit alten Mustern brechen und Schritt für Schritt eine erfülltere Zukunft erschaffen kann.
Verlag Gräfe & Unzer
Dr. Katharina Tempel
Expertin für positive Psychologie, Coachin und Autorin
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