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Streit um die Wissenschaftlichkeit von Psychotherapieverfahren ... Bundespsychotherapeutenkammer (BPTK) zeichnet falsches Bild der Heilpraktiker für Psychotherapie ... Apotheken-Umschau verbreitet das ... dabei ist das Methodenpapier des „Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie“ selbst in hohem Maße interessengeleitet und keineswegs wissenschaftlich fundiert ... das zeigt eine neue Metastudie aus den USA und Norwegen ...
Ein vernichtendes Urteil über die Arbeit des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie: University of Wisconsin-Madison und des Modum Bad Psychiatric Center (Norwegen) vom 15. Februar 2021 – „Methodenpapier fehlerhaft in allen Bereichen“.
In der jüngsten Ausgabe der „Apotheken-Umschau“ werden die Heilpraktiker für Psychotherapie (immer m/w/d) in ein schlechtes Licht gerückt: Der Text zieht ihre Qualifikation in Zweifel, die Fachheilpraktiker werden dabei mit obskuren Therapiemethoden in Verbindung gebracht. Patienten müssten sich darauf verlassen können, dass eine Therapie wirksam sei – beim Heilpraktiker für Psychotherapie könne man das „am Praxisschild nicht erkennen“. Zugangsvoraussetzungen, Ausbildung und Prüfung werden als ausgesprochen minderwertig dargestellt. Die therapeutische Qualität, so suggeriert der Text, gäbe es nur bei Studierten; idealerweise beim Psychologischen Psychotherapeuten.
Interessant ist in diesem Zusammenhang das Ergebnis einer Untersuchung von Prof. B. Wampold von der University of Wisconsin-Madison und des Modum Bad Psychiatric Center in Norwegen (Evaluation: Methodology Paper of the Scientific Advisory Board on Psychotherapy According to Section 11 PsychThG (Psychotherapists Act). Der weltbekannte Psychotherapieforscher hat das „Methodenpapier des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie“ (WBP) unter die Lupe genommen. Dieses Methodenpapier von 2019 ist eine Sammlung von großformatigen, anspruchsvollen Prüfkriterien für wissenschaftliche Studien, die der Laborforschung entlehnt sind. Dort geht es jedoch nicht in erster Linie um die Erfassung des zwischenmenschlichen Beziehungsraumes wie in der Psychotherapie. Dennoch gelang es dem WBP mit diesem Kriterienkatalog, die Anträge der Humanistischen Psychotherapien und der Gestalttherapie 2018 auf vermeintlich wissenschaftlicher Grundlage abzuschmettern.
Der WBP, der aus Richtlinien-Vertretern zusammengesetzt (also nicht neutral) ist, vermag bislang auf diese Weise das gesetzliche Monopol der 1998 im Psychotherapeutengesetz (PTG) festgeschriebenen Therapieformen (Richtlinienverfahren) zu verteidigen. Nach der offiziellen Lesart soll er „sichere und wirksame“ Psychotherapieverfahren identifizieren. Laut Untersuchung der University of Wisconsin-Madison und des Modum Bad Psychiatric Center in Norwegen hat der WBP dieses Ziel allerdings klar verfehlt.
Der wissenschaftliche Leiter der Metastudie aus den USA und Norwegen ist Prof. emer. Bruce E. Wampold, US-amerikanischer Psychotherapieforscher, selbst ursprünglich ausgebildet in psychodynamischer und Verhaltenstherapie. 2020 wurde er zum Vorsitzenden der weltweit arbeitenden SPR (Society for Psychotherapeutic Research) gewählt – Beleg für sein internationales Renommee auf dem Gebiet der Psychotherapieforschung. In Deutschland sind Wampolds Forschungsergebnisse spätestens seit 2018 allgemein bekannt geworden (Wampold, B. E., Imel, Z., Flückiger, C.: Die Psychotherapie-Debatte. Was Psychotherapie wirksam macht. 2018, Hogrefe, Bern).
Die Untersuchungsergebnisse der US-amerikanischen und norwegischen Wissenschaftler stehen in krassem Gegensatz zu den Aussagen in der „Apotheken-Umschau“, die auf die wissenschaftliche Belegbarkeit der anerkannten Richtlinienverfahren abzielt und suggeriert, eine qualitätvolle Therapie gäbe es nur beim niedergelassenen Psychotherapeuten. So seien Grundsatzentscheidungen, die sich auf randomisierte klinische Studien stützen, generell fehlerbehaftet, weil sie nicht erkennen, wie schwierig es ist, die Ergebnisse der Studien auf lebensnahe Bedingungen zu übertragen.
Zum Beispiel werden in klinischen Studien zu Depressionen Patienten ausgeschlossen, die Persönlichkeitsstörungen oder Selbstmordgedanken haben, Antidepressiva oder andere psychotrope Medikamente einnehmen, psychotische Merkmale aufweisen oder andere Formen einer Behandlung für die psychische Gesundheit erhalten.
Auch ist es nicht so, dass eine Therapieform eine konstante Einheit ist, völlig unabhängig vom Umfeld oder Therapeuten. Vielmehr verändere sie sich im Laufe der Zeit oder auch in ihrer Zusammensetzung. Das heißt, die Generalisierbarkeit für angewandte Settings, oft als externe Validität bezeichnet, ist bei der Psychotherapie recht begrenzt – so die Evaluation.
Zudem ist tatsächlich mittlerweile allgemein bekannt, dass die Schulverbundenheit der Forschenden (z. B. zur Psychoanalyse, Tiefenpsychologie oder Verhaltenstherapie) das Resultat des Methodenpapiers des WBP beeinflusst hat, insbesondere durch die Art und Weise, wie die Studien konzipiert wurden, einschließlich der Konstruktion der Kontrollbedingungen.
Fehlerhaft sei auch die Unterstellung, dass bestimmte Therapieformen wirken, weil sie bestimmte Verfahren und Methoden beinhalten – dass also im Umkehrschluss andere Therapieformen, die diese Methoden nicht beinhalten, unwirksam sind: Es sei nicht nachgewiesen, dass spezifische Therapiebestandteile notwendig sind, um eine Therapie wirken zu lassen.
Und schließlich ignoriere das Methodenpapier wichtige Faktoren für einen Therapieerfolg. Zuallererst wird hier die TherapeutPatient-Beziehung genannt: Die Qualität dieser Beziehung sei für den Erfolg jeder Psychotherapie unerlässlich; sie sei wichtiger als die spezifischen Faktoren, die für die Anerkennung einer Therapiemethode ausschlaggebend seien.
Im Gesamtfazit fällen die Wissenschaftler aus Norwegen und den USA ein vernichtendes Urteil: Das Methodenpapier sei unwissenschaftlich; es ignoriere Belege dafür, was Psychotherapie insgesamt wirksam mache. Vielmehr würden auf unwissenschaftliche Weise bestimmte Behandlungsverfahren bevorzugt. Das schränke die Wahlmöglichkeit der Patienten ein. Das Methodenpapier habe die Qualität der psychischen Gesundheitsversorgung nicht verbessert und sei dazu auch nicht in der Lage.
Der gesetzlichen Zulassung der Richtlinienverfahren durch das PTG (1998) lag ein Forschungsgutachten zugrunde (Meyer, A. E., Richter, R., 1991), deren Autoren gegenüber dem Gesetzgeber behaupteten, dass aus dem Datenmaterial Klaus Grawes Metaanalyse (1994, Hogrefe, Bern) allein die psychoanalytischen und die verhaltenstherapeutischen Verfahrensgruppen als Grundrichtungen nachweisbar seien.
Die Medizinerin und Dipl.-Psychologin Prof. Dr. Lotte Hartmann-Kottek, die sich seit Jahren intensiv mit den Hintergründen des Themas „Richtlinienverfahren in Deutschland“ befasst, glaubt nicht an ein „Versehen“: Ihrer Überzeugung nach handelte es sich bei dieser Behauptung um eine bewusste Falschaussage der seinerzeit verantwortlichen Berufspolitiker. Sie hätten verschwiegen, dass die Psychoanalyse und die Verhaltenstherapie, die sich 1998 zu „Richtlinienverfahren“ krönten, die beiden wirkungsärmsten(!) Verfahrensgruppen waren; dagegen die der Humanisten und Systemiker die beiden wirksamsten. Hartmann-Kottek: „Diese fähige und in der Bevölkerung beliebte Konkurrenz wurde mithilfe der Falschaussage gegen- über dem Gesetzgeber ausgelöscht. Damit wurden auch die Patienten um bessere Heilungschancen betrogen. Der Datenbetrug ist belegt und wird demnächst dem Gericht vorgelegt.“
Die Vertreter der Richtlinienverfahren hätten der Öffentlichkeit keine ausreichenden Wirkstudien vorgelegt. Auf Anfrage bekomme man keine Einsicht gewährt. Die Verhaltenstherapie (VT) sage von sich selbst, dass sie keine Einheit sei, sondern eine Gruppe von sehr, sehr unterschiedlichen Verfahren, weswegen eigentlich jede der Untergruppen genügend eigene Wirksamkeitsnachweise vorlegen müsste. Die Psychoanalyse (PA) habe ihren Nachweisversuch von Wirksamkeitsstudien für Erwachsene 2019 offiziell eingestellt, die für die Kinder und Jugendlichen waren schon einige Jahre früher auf Eis gelegt worden, ohne ein Ergebnis zu erreichen, das von ausgegrenzten Verfahren, wenn sie um Zulassung nachsuchen, verlangt werde.
Fazit: In Deutschland sind auf zumindest fragwürdiger Grundlage vier Psychotherapiemethoden als „Richtlinienverfahren“ anerkannt. Das diskriminiert alle anderen Psychotherapieverfahren und suggeriert mangelnde Wirksamkeit dieser Verfahren. Auf diese Suggestion fallen die meisten Menschen – Laien ebenso wie Fachpolitiker und Psychotherapeuten – herein, wenn sie nicht ausgesprochene Fachleute in diesem Metier sind und keine Möglichkeit haben, hinter die Kulissen zu schauen. Allerdings: Wer sieht, dass im Rest der Welt eine andere Einschätzung gilt, kann stutzig werden.
In Österreich, wo es kein reglementierendes Gesetz auf der Basis von mehr oder weniger wissenschaftlich abgesicherten Studien gab, ist die Gruppe der „Humanistischen Psychotherapieverfahren“ die größte und die der Verhaltenstherapie die kleinste bezüglich der spontanen Verbreitung in der Bevölkerung.
Das ergibt sich aus den Zahlen des dortigen Gesundheitsministeriums.. Deutschland ist das einzige Land mit einer sozialrechtlichen Spaltung der Psychotherapieszene und mit einem „Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie“, der mit – so das Wampold-Gutachten – zum Teil unwissenschaftlichen Mitteln die auf zweifelhafter Basis erworbene berufspolitische Vormachtstellung der Richtlinienverfahren verteidigt.
Die meisten Heilpraktiker für Psychotherapie in Deutschland arbeiten mit mindestens einem evidenzbasierten Verfahren – oft ergänzt durch neue, inzwischen aber auch schon bewährte Methoden der lösungsorientierten Kurzzeittherapie, Körperpsychotherapie, Gestalt-, Kunst-, Musiktherapie usw. Diese Verfahren abzuqualifizieren, weil man sie durch die Beschränkung auf „Richtlinienverfahren“ für die Abrechnung mit den Krankenkassen nicht ausführen darf, hat mit wissenschaftlicher Argumentation nichts zu tun. Zumindest in der Sache unzutreffend, wenn nicht sogar bewusst irreführend ist die Behauptung von BPTK-Präsident Dietrich Munz im Interview der „ApothekenUmschau“, die Standards der Berufsordnung seien in der Heilpraktikerpraxis wesentlich geringer als bei approbierten Psychotherapeuten. Davon, wie es sich wirklich verhält, kann sich jeder selbst überzeugen, wenn er die Berufsordnung des VFP liest: https://www.vfp.de/verband/berufsordnung
Quellen
https://bvvp.de/wp-content uploads/2021/08/20210803-Langfassung-aus-PPP-3_21-Bowe_ Evidenz-fuer-Politikaenderung_public.pdf
https://www.gwg-ev.org/aktuelles/blog/ beitraege/beitrag/wann-reagiert-der-wbp-aufdie-argumente-aus-der-wissenschaft
Dr. Werner Weishaupt
Heilpraktiker für Psychotherapie, Dozent, Präsident des VFP
Foto: ©Sergey Nivens/adobe.stock.com