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Corona und die Psyche der Kinder

Eltern wenden sich an Fachheilpraktiker

Dass Kinder und Jugendliche von den Folgen der Coronapandemie besonders betroffen sind, ist bekannt. Die niedergelassenen Fachärzte können den Bedarf bei Weitem nicht decken – monatelange Wartezeiten sind die Regel. Auch in den Praxen unserer Mitglieder steigt die Zahl der Eltern, die Hilfe für ihren Nachwuchs suchen, rasant.

Aktuell hat eine Studie des RKI belegt, dass Kinder mit psychischen Auffälligkeiten ein erhöhtes Risiko haben, als Erwachsene ernsthaft psychisch zu erkranken:
Journal of Health Monitoring 6(4):3-20. DOI 10.25646/8862

Das RKI fordert, frühzeitig therapeutisch zu intervenieren – was aber schon ohne Pandemie zu selten gelingt.

Coronabedingt treiben Kinder und Jugendliche immer weniger Sport: Eltern berichten, dass selbst ihr eigentlich ausgesprochen bewegungsfreudiger Nachwuchs inzwischen „Corona-Speck“ ansetzt. Entsprechend steigt die Zahl der adipösen Jungen und Mädchen.

Gleichzeitig nimmt die ohnehin ausgeprägte Handynutzung weiter zu: Kinder und Jugendliche verbringen inzwischen wöchentlich 53 Minuten mehr am Smartphone als im letzten Vor-Corona-Jahr 2019. Laut einer Studie der DAK-Gesundheit und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) nutzen mittlerweile mehr als 4 % aller 10- bis 17-Jährigen in Deutschland Computerspiele „krankhaft“. Betroffen seien rund 220 000 Jungen und Mädchen, was – ebenfalls verglichen mit 2019 – einen Anstieg um 50 % bedeutet.

Laut COPSY-Studie („Corona und Psyche“) des UKE geben zwei Drittel der befragten Kinder an, durch die Pandemie stark belastet zu sein. Einrichtungen der kommunalen Jugendarbeit berichten, dass sie den Kontakt gerade zu psychosozial gefährdeten jungen Menschen komplett verloren hätten.

Kinder leiden unter eingeschränkten sozialen Kontakten; gleichzeitig entwickeln sich in vielen Kernfamilien stressbedingte Aggressionen. Ängste nehmen zu; scheinbar paradox erlitten manche Kinder bei der Wiederöffnung der Schulen regelrechte Panikattacken.

Die Uniklinik Essen hat im zweiten Corona-Lockdown einen deutlichen Anstieg von Suizidversuchen bei Kindern und Jugendlichen beobachtet: Die Zahl der bundesweit infolge eines Suizidversuchs auf Intensivstationen behandelten Kinder und Jugendlichen habe sich zwischen März und Ende Mai 2021 gegenüber Vor-Corona-Zeiten verdreifacht.

Dass die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen leidet, räumt auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ein. Allerdings: Lauterbach verortet die Ursache für die Zunahme psychischer Erkrankungen im Zusammenhang mit der Pandemie in erster Linie bei COVID-19 selbst, weniger bei Maßnahmen wie Lockdowns oder Schulschließungen. Ein solcher Zusammenhang lasse sich wissenschaftlich nicht belegen.

Es stimmt zwar – für einen wissenschaftlichen Beleg bräuchte es entsprechende Studien, die es nicht gibt. Gleichwohl erklärt Christine Freitag, Direktorin der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Uniklinik Frankfurt, dass z. B. Bewegungsarmut und deutlich verstärkte Nutzung sozialer Medien Risikofaktoren für die Herausbildung einer Depression seien. Damit lasse sich ein Zusammenhang zwischen Lockdown und psychischen Problemen herstellen. Auch der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, Dr. Dietrich Munz, bestätigt, man könne mit Blick auf die nationale wie internationale Datenlage „stark davon ausgehen“, dass insbesondere der reduzierte Sozialkontakt mit Gleichaltrigen während der Lockdowns zu erhöhten psychischen Belastungen bei Kindern und Jugendlichen führe.

Ältere Jugendliche erleben mit ihrem gerade erreichten Schulabschluss in der Tasche keine freie Welt der Chancen, sondern müssen sich mit reglementierten Kontaktmöglichkeiten online durchs Studium kämpfen. Viele sind mit Blick auf die Zukunft zutiefst verunsichert; dass oftmals auch die dringend benötigten Verdienstmöglichkeiten – vor allem in der Gastronomie – weggefallen sind, kommt erschwerend hinzu.

Die Verunsicherung wird nicht nur durch das Erleben der persönlich eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten verstärkt, sondern in vielen Fällen auch durch schwindendes Vertrauen in die Politik, die uneinheitlich agiert und entgegen ihrer Behauptungen nicht in der Lage ist, die Coronapandemie in den Griff zu bekommen.

Schon im vergangenen Jahr hatte der Spitzenverband ZNS, der Zusammenschluss der medizinischen Berufsverbände aus dem Bereich der Untersuchung und Behandlung des Zentralen Nervensystems, vor psychischen und nervlichen Langzeitfolgen der COVID-19-Pandemie gewarnt: Depressionen, Angststörungen und Suchterkrankungen nähmen zu. Der Andrang in neurologischen und psychiatrischen Praxen sei kaum noch zu bewältigen, hieß es bereits 2020.

Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass Heilpraktiker für Psychotherapie und Psychologische Berater (immer m/w/d) vermehrt von Unterstützung suchenden Eltern in ihren Praxen berichten – und das bezieht sich keineswegs nur auf solche Praxen, die bereits vor der Pandemie einen Schwerpunkt ihrer Arbeit auf die therapeutische Begleitung von Kindern und Jugendlichen gelegt haben.

Die aktuelle Entwicklung belegt, welche Rolle insbesondere die Heilpraktiker für Psychotherapie als Teil des deutschen Gesundheitswesens bei der Bewältigung der psychischen Folgen der Pandemie spielen. Da diese ihre Leistungen in der Regel aber nicht mit den Kassen abrechnen, ist ihre Bedeutung in der aktuellen Situation nur schwer konkret zu greifen.

Um im Gespräch mit der Politik und insbesondere mit den gesundheitspolitisch engagierten Abgeordneten des Bundestags konkrete Zahlen zu liefern und die Erfahrungen und Einschätzungen der Mitglieder in die politische Meinungsbildung einbringen zu können, hat der VFP seine Mitglieder gebeten, an einer Onlinebefragung zum Thema teilzunehmen. Die Ergebnisse werden im nächsten Magazin veröffentlicht.

Jens Heckmann
Mitglied im Service-Team des VFP e. V.

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