Trauerverarbeitung! Wie geht das?
Wiederholt habe ich Klienten in meiner Praxis mit dem Thema: Trauer um den Tod eines nahen Angehörigen oder Freundes. Auch gestern war eine neue Klientin da, die mir erzählte, dass ihr Mann vor eineinhalb Jahren verstorben sei, mit dem sie 49 Jahre zusammengelebt habe. Ihre erwachsene Tochter würde ihr dauernd gute Ratschläge geben, wie sie besser trauern könne. Sie solle doch in eine Trauergruppe gehen. Außerdem habe sie zwei Freundinnen, die auch ihren Partner verloren haben und ihr sicherlich bei ihrer Trauerverarbeitung helfen könnten. Ihre Tochter habe bei Google gesehen, dass es mehrere Trauerphasen gibt und sie sich in einer falschen Phase befinden würde. Oder sie solle wenigstens Bücher über Trauerverarbeitung lesen.
Beim Zuhören und Einfühlen schnürte sich mir ja schon der Hals zu. Diese vielen Angebote erzeugen viel eher ein Gefühl von „Hilfe, lasst mich doch alle in Ruhe!“ Wie erginge es da wohl erst meiner Klientin?
Sie meinte dann auch, sie fühlt sich eingeengt und bevormundet durch all die gut gemeinten Ratschläge. Da haben wir es wieder: gut gemeint ist bei Weitem nicht gut gemacht. Und Ratschläge sind immer noch Schläge des Verstandes. Fazit: Das ist keine Hilfestellung, wenn man selbst Betroffener ist.
Oft sind diese Angebote von außen eher der „Beweis“, dass es den anderen zu viel ist. Sie sind unsicher, wie sie mit einem Menschen, der jemanden durch den Tod verloren hat, umgehen sollen.
Es zeigt vielmehr die eigene Ohnmacht oder auch die Überforderung. Deshalb werden diese vielen Tipps gegeben. Denn wenn es „anschlägt“, ist der andere wieder normal und ich kann wieder wie früher mit ihm sein.
Doch zurück zu meiner Klientin. Im weiteren Gespräch sagte sie, dass sie das Gefühl habe, sie hätte keine Zeit zum Trauern, weil irgendjemand, insbesondere die Tochter, sehr oft irgendwas will. Ich fragte sie, wobei ich sie unterstützen solle? Was ist ihr Auftrag an mich als Therapeutin? Sie erwiderte, dass sie mehr zu dem stehen will, was in ihr vorgeht. „Sie wollen ihre eigenen Bedürfnisse aussprechen oder sich besser abgrenzen?“, vergewisserte ich mich.
Ein ausatmendes „Ja genau, das will ich“, antwortete sie, „vielleicht kann ich dann auch trauern.“
Ich fragte sie, wie sie darauf käme, dass sie noch nicht trauern würde, und woran sie das erkennen würde? Sie überlegte eine Weile und meinte dann, die anderen würden ihr das Gefühl geben, dass es nicht stimmt in ihr. Sie würde die Trauer nicht zulassen.
Ich fragte erneut: „Woran würden Sie denn erkennen, dass Sie die Trauer zulassen?“ „Ich weiß es nicht genau. Vielleicht würde ich mehr weinen und könnte dann die Trauer besser verarbeiten, “ antwortete sie. „Das heißt, weinen ist der Beweis für Trauer?“ war mein Kommentar.
Was heißt überhaupt Trauerverarbeitung? Wenn ich eine Tüte Mehl habe und das Mehl in einem Teig verarbeite, sehe ich dieses nicht mehr. Es ist ja verarbeitet und „weg“. Doch wieso darf ich meine Trauer nicht sichtbar lassen? Ich verarbeite ja auch nicht meine Freude oder meinen Spaß.
Es ging noch eine Weile hin und her, bis mir eine Metapher für Trauer einfiel.
„Stellen Sie sich vor, Ihre Seele, Ihr Herz (wählen Sie eine Bezeichnung, die Ihr Innenleben ausdrückt) ist ein Garten. In diesem Garten wachsen verschiedene Pflanzen, Büsche, Blumen, eine Wiese etc. All dies steht für Ihre Gefühle oder besser gesagt, Ihre gefühlten Erlebnisse.
Wenn nun ein geliebter Mensch gestorben ist, kommt in Ihren Seelengarten eine weitere Pflanze – z. B. die Trauerweide. Sie verbindet Gegensätze: das zierliche und lichtgrüne Blatt im Frühling – die schweren Zweige, die im Herbst hinunterhängen. Ebenso wie die Trauer. Denn es gibt Momente, da können Sie sogar mit einem leichten Gefühl vom Tod des geliebten Menschen sprechen, und dann ist es wieder schwerer und trauriger.
Um nun dieser Trauerweide in ihrem Seelengarten den stimmigen Platz zu geben, braucht es Ruhe. Wer einen eigenen Garten hat, weiß, dass er bei einem neuen Busch oder Baum sehr wohl schaut, wo dieser Baum den besten Platz hätte. Sicherlich nicht direkt vor dem Wohnzimmerfenster, wo er die Aussicht versperrt. Denn dann würden Sie in dieser Metapher ständig auf die Trauer schauen. Es gilt vielmehr, der Trauer einen würdigen Platz in ihrem Seelengarten zu geben – sprich in ihren Innenleben. Es benötigt Zeit, um den stimmigen Platz zu finden. Und in dieser Zeit leben sie ihr Leben mit all dem, was dazu gehört: ihren Mitmenschen, den Angehörigen und Freunden, dem Beruf, den alltäglichen Anforderungen usw.
Es gilt die Trauer(-weide) anzuerkennen, dass es sie gibt – auch in Ihrem Seelengarten. Und sie ist da. Ganz gleich, ob Sie schon wissen, wo in Ihrem Seelengarten die Trauer den Platz finden soll. Ganz gleich, wie andere Sie in Ihrer Trauer wahrnehmen. Ganz gleich, wie Sie sich gerade fühlen oder wie Sie damit umgehen.
Es ist ihre Trauer(-weide) und es sind Ihre Zeit und Ihr innerer Prozess, wann die Trauer(-weide) einen ruhigen und friedlichen Platz in Ihrem Seelengarten, Ihrem Seelenherz gefunden hat. Die Trauer ist ein Teil von Ihnen und wird es bleiben. Genau wie die Freude in Ihnen einen Platz hat oder die Angst oder die Zuversicht.
Machen Sie sich bitte frei davon, wie die Trauer ‚richtig‘ sein soll. Auch Google weiß das nicht. Trauer ist ein Gefühl, sie kommt und geht und versteckt sich (auch das darf sein). Oftmals kann man es gar nicht beeinflussen, denn unsere Psyche gibt das frei, wofür sie reif ist.
Es gilt, die Trauer zu akzeptieren und anzuerkennen. Denn so, wie Sie Ihren Garten mit allen Pflanzen wertschätzen, gilt es Ihre Seele, Ihr Herz mit allem, was darin ist, wertzuschätzen, auch mit Ihrer Trauer. Und denken Sie daran: Das richtige Trauergefühl gibt es nicht. Es gibt Sie als Mensch mit allem, was gerade in Ihnen ist – und dazu gehört die Trauer, die durch den Tod eines geliebten Menschen ausgelöst wurde – sie ist einfach da.
So wie die Trauerweide im Garten. Auch wenn Sie nicht ständig im Garten stehen und sie anschauen.“
Christiane Hintzen
Heilpraktikerin für Psychotherapie, Praxis für ganzheitliche Psychotherapie, Schwerpunkte Angststörungen, Traumata, Burnout und psychosomatische Störungen
Foto: ©The Wolrld Treveller