Borderline Sonderfachtagung des VFP
Störung auf zwei Beinen oder begabter Mensch?
Am 28. September 2018 erblickte in der Paracelsus Schule Hannover ein neues VFP-Fortbildungsformat das Licht der Welt. Die ständigen Anfeindungen mit damit verbundenen ungerechtfertigten Unterstellungen seitens selbst ernannter Qualitätssicherungshüter waren Anlass und Motivation zugleich. So drehte sich doch alles um eine der schillerndsten und komplexesten Persönlichkeitstypisierungen überhaupt: die Borderline-Persönlichkeitsstörung. Der Tag stand im Zeichen von Informationen, Begegnung und Austausch, Diskussion und Entmystifizierung. Sechs Programmpunkte trugen dazu bei, Stigmata aufzuweichen oder sogar abzuschaffen, Vorurteile geradezurücken und Wege zur Hilfe und Selbsthilfe aufzuzeigen, an die bislang vielleicht noch gar nicht gedacht worden ist.
Und wie das bei Erstgeburten manchmal so ist, musste auch an diesem Tag beim einen oder anderen Programmpunkt ein kleiner Abstrich gemacht werden, weil technisch oder organisatorisch Ausfälle vorlagen, die auf die Schnelle nicht behoben werden konnten. Ein Workshop zur Selbsterfahrung konnte daher nicht stattfinden. Stattdessen sprach Sabine Thiel, Heilpraktikerin für Psychotherapie und Mitglied im VFP über ihre Erfahrungen als Angehörige mit ihrem an der BPS erkrankten Sohn und darüber, wie wichtig Öffentlichkeitsarbeit sowohl mit Betroffenen als auch deren Angehörigen ist.
Ihre Co-Referentin Monika Richraht ergänzte ihre Ausführungen durch Anmerkungen zur Feststellung eines individuellen Behinderungsgrades und die Möglichkeit zum Erhalt eines persönlichen Budgets für Teilhabe und Wiedereingliederung in einen sozialen Kontext.
Dr. med. Natalie Kirstein, Fachärztin für psychosomatische Medizin und Oberärztin an den Sana Kliniken Duisburg, gab in einem sehr plastischen Vortrag einen allgemeinen Überblick über die Besonderheit der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Absolut authentisch vermittelte sie ihre Freude an der Arbeit mit ihren Borderline- Patienten und gab damit verbunden auch einige Grundpfeiler der therapeutischen Arbeit preis: absolute Wertschätzung und Respekt, die Einhaltung klarer Regeln und Absprachen und konsequentes Handeln bei Nichteinhaltung, um den Teufelskreis der negativen Verstärkung z. B. bei Selbstverletzung zu durchbrechen.
Nach einer Mittagspause stellte noch einmal Sabine Thiel ein von ihr, Betroffenen und Angehörigen entwickeltes therapeutisches Spiel vor. Das Spiel „side by side“ soll dazu beitragen, die Schwere der Diagnose und die Unsicherheit, die bei Betroffenen und Angehörigen entsteht, zu mildern.
Die acht Teilspiele regen dazu an, sich mit den einzelnen Aspekten der BPS auseinanderzusetzen, und fördern ein wechselseitiges Verständnis dadurch, dass ein bewusster Perspektivenwechsel herbeigeführt wird. So wird auf einmal der Patient zum Therapeuten seines Therapeuten, ja kann denn das gut gehen? Sicher nicht ohne eine gehörige Portion Humor und Spaß!
Die Planung und die Erprobungsphase sind bereits abgeschlossen. Das Spiel soll noch in diesem Jahr auf dem Markt erscheinen.
Zum Thema Diagnosestellung einer BPS kam die psychologische Psychotherapeutin Frau Dr. Nora Heine aus Braunschweig zu Wort, wobei neben der reinen Wissensvermittlung auch dem Dialog mit der Zuhörerschaft viel Raum gelassen wurde. „Über Rückfragen und Diskussion kommt man am besten in den Kontakt. Und lebendig war es ohne Frage, was ich immer am wichtigsten finde“, so Frau Dr. Heine.
Nun, langweilig war es ganz sicher nicht! Neben der Erläuterung der Diagnosekriterien des DSM-V gab es noch Anmerkungen zu drohendem Hospitalismus bei stationären Patienten. Auch hier wieder der Appell an die klare Vermittlung und Einhaltung von Absprachen und Regeln, aber auch das konsequente Ahnden von Regelbrüchen, „denn ich will, dass du lebst!“
Für psychologische Berater war besonders der nächste Programmpunkt interessant. Vorgestellt wurde von der Ergotherapeutin Ulrike Siepelmeyer-Müller zusammen mit ihrer Co-Referentin Nora Erkelenz das nicht therapeutische Trainingsprogramm STEPPS. In drei verschiedenen Phasen wird in einer festen Gruppe daran gearbeitet, emotionale Krisen zu bewältigen, Probleme zu lösen, den Alltag zu gestalten und tragfähige Beziehungen aufzubauen. Dieser Vortrag verdeutlichte, dass nicht ausschließlich auf Psychotherapie zurückgegriffen werden muss, sondern zusätzlich noch andere, sozial interaktive Möglichkeiten bestehen, hocheffektive Hilfestellungen mit verblüffender Wirkung zu leisten.
Beim Abschlussgespräch wurde deutlich, dass besonders niederschwellige Angebote für Betroffene von großer Bedeutung sind. Einen Anstoß könnte das in Duisburg von der Novitas BKK finanzierte Projekt „Ich höre dir zu“ bieten. Fernab von jeglichem therapeutischen oder Trainingskontext trifft man sich auf neutralem Boden und ein Betroffener erfährt durch die emphatische Annahme desjenigen, der ihm einfach nur zuhört, dass er eben doch kein Alien ist, für das er sich vielleicht schon gehalten hat. In diesem Zusammenhang sollte auch die Seelsorge nicht unterschätzt werden. Selbsthilfegruppen gibt es noch immer viel zu wenige und worin besonderer Bedarf besteht, ist der Trialog, der wertfreie Austausch zwischen Betroffenen, deren Angehörigen und Therapeuten.
Es bleibt zu hoffen, dass an diesem Tag mehrere Steine ins Wasser geworfen wurden, die große und größere Kreise ziehen. Zum einen, dass sich das Format der Sonderfachtagungen des VFP bundesweit etabliert, um über psychische Krankheitsbilder und deren Therapiemöglichkeiten aufzuklären und Anregungen zu geben. Zum anderen, dass Betroffene und deren Angehörige durch und mit uns Heilpraktikern für Psychotherapie und psychologische Berater Anlaufstellen erhalten, die genau da zur Verfügung stehen, wo Hilfe anderenorts nicht gewährleistet werden kann.
Heidi Kolboske
Heilpraktikerin für Psychotherapie, Supervisorin (VFP)