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Das ist Ihre Gelegenheit

fotolia© M. SchuppichOder wann sagen Sie Ja(!) zu der Gelegenheit?

Wenn man das Wort „Gelegenheit“ in eine Suchmaschine eingibt, werden einem unterschiedliche Möglichkeiten angezeigt, es zu verwenden. Zum einen gibt es die Definition, dass es bei der Gelegenheit (Substantiv, feminin) um geeignete Umstände, um etwas Geplantes auszuführen, oder um einen günstigen Augenblick geht.

Wir hören folgende Wörter: „Die Gelegenheit ist günstig.“ Neben der Gelegenheit als Möglichkeit für etwas, das man vielleicht als Nächstes tun möchte, bedeutet das Wort aber auch mitunter, dass der- oder diejenige eine Toilette sucht. Wenn Sie dann gefragt werden: „Wo ist hier die Gelegenheit?“, können Sie natürlich so etwas antworten wie „Die Gelegenheit ist überall.“ Oder „Wenn Sie nicht mehr nach der Gelegenheit suchen, wird die Gelegenheit Sie finden.“ Oder „Die Gelegenheit ist zum Greifen nah.“ Ich denke aber gerade mit einem Schmunzeln auf den Lippen, dass Sie das vielleicht nicht tun sollten. Alle drei Antworten wären wenig zielführend.

Das Wort Gelegenheit kann auch noch einen Anlass beschreiben. Stellen Sie sich mal vor, Sie würden nun nur die zweite Bedeutung und Benutzung dieses Wortes, also Gelegenheit als Toilette, kennen und hören dann von Ihrer Freundin: „Ich habe mir ein Kleid für alle Gelegenheiten gekauft.“ Auf eine amüsante Art verwirrend, oder? Wieder einmal zeigt sich, dass menschliche Kommunikation viele Gelegenheiten bietet, dass Missverständnisse zwischen Sender und Empfänger geschehen.

Wer uns aber tatsächlich verwirren möchte, das ist die Werbung. In der Werbesprache bedeutet „Gelegenheit“ ein besonders günstiges Angebot. An dieser Stelle wird die ursprüngliche gefühls- und bedürfnisorientierte Bedeutung und der dahinterliegende Zusammenhang für den Menschen benutzt, um zum Handeln aufzufordern. Und dabei geht es nicht um das Nutzen der Gelegenheit als solche, sondern um das Gefühl von „Kaufen Sie. Sonst verpassen Sie die Gelegenheit.“

Da sage ich gerne: „Gut, dann verpasse ich sie eben. Es kommt eine neue.“

fotolia© AntonioguillemDoch wie ist es sonst? Wie gehen Sie mit Gelegenheiten um, wenn sie sich auftun, wenn sie sich Ihnen zeigen möchten? Sind Sie ein Mensch, der die Gelegenheit wahrlich beim Schopfe packt oder ärgern Sie sich vielleicht auch mal, weil Sie Gelegenheiten nicht wahrgenommen haben? Ich glaube, dass „die Gelegenheit“ etwas sehr Individuelles ist.

So wie ich z. B. als Coach und Psychologische Beraterin meine Realität nicht der Klientin auferlege, so kann niemand dem anderen wirklich sagen, ob es für ihn oder sie ganz persönlich eine gute Gelegenheit ist. Das kann kein Mensch für jemanden entscheiden. Wenn Sie also von Ihrem Klienten oder Ihrer Klientin gefragt werden „Was meinen Sie? Sollte ich die Gelegenheit nutzen?“ oder „Können Sie mir sagen, wann dafür (die richtige) Gelegenheit ist?“, würde ich an Ihrer Stelle so etwas zurückgeben wie:

„Jeder Mensch kennt sich selbst am besten. Also fragen Sie sich das selbst. Nutzen Sie jetzt die Gelegenheit, denken Sie über die Gelegenheit nach, nutzen Sie Ihre Sinne und Ihr Bauchgefühl, um zu entscheiden, wann für Sie die richtige Gelegenheit ist. Sie werden es spüren, wenn die Gelegenheit da ist und Sie dafür bereit sind.“

Sie können supportiv einwirken, wenn jemand Angst vor der Gelegenheit hat oder jemand sich vielleicht verbietet, seine persönliche(n) Gelegenheit(en) und damit vielleicht ein Stück neuen Lebensinhalt zu entdecken und sich selbst auszuprobieren. Coaches und freie Psychotherapeuten zeigen mitunter neue Perspektiven und Gelegenheiten auf.

Aber es sind alles nur Vorschläge. Nur Sie allein und jeder für sich kann die Gelegenheit nur echt erleben, wenn er oder sie dahintersteht. Wenn er oder sie die Gelegenheit lebt – oder auch nicht. Mit allem, was dazugehört. Und ich rede nicht davon, dass man durch die Welt läuft und ständig getrieben ist, weil man jede Gelegenheit wahrnehmen möchte aus einem suchenden Gefühl heraus. Da bekommt dann die Gelegenheit noch eine ganz andere Bedeutung.

Die Gelegenheit ist und bleibt eine spannende Angelegenheit, wenn man sich damit einmal beschäftigt. Ich habe mich vergangene Woche auch mit einer Frage beschäftigt und konnte so mal ausgiebig mit mir sprechen. Ich mag es, mir darüber Gedanken zu machen, ob ich eine Gelegenheit wahrnehmen soll. Es gibt mir die Gelegenheit, mich besser kennenzulernen und mich in Situationen, in denen sie sich auftun, manchmal sogar neu zu entdecken.

Die Situation: Mein Partner und ich hatten beide am Samstag gearbeitet. Ich hatte ein Seminar bei Paracelsus gegeben. Der Sonntag sollte uns gehören und die Abendsonne lockte trotz niedriger Temperaturen an die frische Luft.

Wir sind selten in Innenstädten unterwegs, wir bevorzugen die Natur. Doch diesen Sonntag nutzten wir, um mal wieder durch die ruhigen Einkaufsstraßen zu flanieren. Einige Cafés hatten geöffnet und … natürlich das Kino. Mein Partner und ich können uns fürs Kino begeistern, hatten aber schon seit Monaten keinen Fuß mehr in ein Kino gesetzt. Auch da, an diesem Sonntag, standen wir vor dem Kino und parlierten nur über die Plakate und verfilmten Lebensszenarien. Ein Film hatte es uns beiden ganz besonders angetan, doch auf dem Programm-Monitor war zu lesen, dass der Film erst um 23.15 Uhr laufen sollte. Und das an einem Sonntagabend!

Wir beide mussten am Montag früh raus. Mein Partner um Punkt 8 Uhr und ich noch früher. Wir dachten also, dass wir beide „ganz vernünftig“ sein wollen und kehrten dem Kino schon den Rücken, als auf einmal eine freundliche, wenn auch leicht verunsicherte Frau auf uns zukam und uns folgende Gelegenheit offerierte:

„Möchten Sie heute später noch ins Kino? Ich habe hier einen Gutschein für zwei Personen. Ich kann die Gelegenheit leider nicht wahrnehmen, mir den Film um 23.15 Uhr anzusehen, aber vielleicht kann ich Ihnen damit eine Freude machen. Die Gutscheine für diesen Film verfallen sonst. Hier, nehmen Sie. Ich würde mich freuen, wenn Sie sie nutzen.“ Wir schauten uns an. Wir schauten die Frau an und dann die Gutscheine. Da war sie. Die Gelegenheit. Der Zufall. Oder was Sie auch dazu sagen möchten.

Ich bin ein Mensch, der sich gerne auch mal treiben lässt. Ich besitze einen Armreif mit der Aufschrift „Everything happens for a reason“ und erfreue mich an Gelegenheiten und unverhofften Gegebenheiten, die das Leben so spannend und bunt machen. Doch was war mit dieser Gelegenheit – da vor dem Kino? Wir schauten auf die Uhr. „Und was machen wir in der Zwischenzeit? Es sind noch drei Stunden bis zum Start des Films“, holte mich mein Partner aus meinen eigenen Gedanken und Abwägungen.

Tja – ja. Da war es wieder einmal. Da diskutierten … nennen wir es mal … der abenteuerlustige, spontane Typ mit dem etwas strengen, rationalen und früh aufstehenden (sehr erwachsenen) Erwachsenen. Und ich rede hier nicht von uns beiden, sondern von meinen inneren Anteilen. „Wie lange dauert der Film? Oh, sogar Überlänge …“, sprach mein Partner mehr mit sich selbst als mit mir. Die Frau schaute amüsiert. Was sie wohl dachte? „Nun, nehmen Sie schon. Ich glaube, der Film könnte etwas für Sie sein. Und Sie müssen die Gutscheine allein schon nehmen, damit ich gutes Karma sammeln kann“, ermutigte sie uns beide.

Manchmal muss man ja ein bisschen zu seinem eigenen Glück gezwungen werden. Oder wie war das? Wir zwei Beschenkten mussten breit grinsen, ich streckte meinen Arm aus und nahm die Gelegenheit dankend und dankbar entgegen. Da die Frau es angesprochen hatte, wünschte ich ihr dann auch gutes Karma, einen angenehmen Abend mit ihrem Alternativ-Lebensprogramm und hakte mich bei meinem Partner unter. „So. Das Schicksal hat also für uns entschieden. Nutzen wir die Gelegenheit!“, trällerte ich.

„Wir können ja nochmals überlegen. Ich habe morgen mehr Flexibilität in meinem Tagesablauf als du“, gab der Mann an meiner Seite noch die Gelegenheit zum Überdenken. Einer von uns beiden musste also die Entscheidung treffen. Aber mein Bauchgefühl und seine glitzernden Augen zeigten bereits, dass wir am morgigen Tage den Herausforderungen etwas müde begegnen würden – aber vielleicht zufrieden zurückblickend auf einen tollen gemeinsamen Kinoabend … ähm … Kinonacht … auf eine tolle gemeinsame Kinonacht.

Ich kann Ihnen sagen: Ich bin jetzt noch sehr glücklich darüber, dass wir da, als man uns und sich die Gelegenheit anbot, sie ergriffen haben. Diese Begegnung mit der Frau und was daraus resultierte ... sehr schön finde ich das. Es wird in unserer Erinnerung bleiben. Den Schlaf haben wir nachgeholt. Aber die Gelegenheit hätte sich nicht so einfach nachholen lassen. Ein deutsches Sprichwort besagt: „Wer die Gelegenheit versäumt, dem zeigt sie den Rücken.“

Natürlich hätten wir den Film an einem anderen Tag zu einer anderen Uhrzeit sehen können. Doch in dieser Konstellation mit diesem Geschenk – das war unsere Gelegenheit. Die Zeit bis zum Film sind wir spazieren gegangen und sind dann in ein Café eingekehrt. Dort haben wir ein sehr langes, intensives Gespräch geführt. Es hat sich aus der Gelegenheit entwickelt und thematisierte auch das Thema dieses Textes. Das Thema der Gelegenheit. Wir freuten uns wie Kinder. Wir freuten uns über eine Möglichkeit und dass wir uns darauf einließen.

Wie gehen Sie mit Gelegenheiten um? Es geht nämlich nicht nur um diese eine Gelegenheit oder dieses Beispiel. Es geht um so viele Beispiele von Ihnen allen da draußen. Hätten Sie auch den Kinogutschein in Empfang genommen und somit die Gelegenheit? Wann haben Sie mal eine Gelegenheit wahrgenommen, die vielleicht sogar Ihr Leben verändert hat? Ich denke da an berufliche und private Gelegenheiten … Jedenfalls finde ich, dass wir uns mehr mit den kleinen Dingen des Lebens beschäftigen sollten.

Unsere eigene Introspektionsfähigkeit und immer wieder neue Betrachtungen des Lebens dienen nicht nur der persönlichen Entwicklung. Meiner Meinung nach sollten wir uns mehr Alltägliches und unsere Möglichkeiten zu jeder Minute bewusst machen, wie z. B. auch das „kleine Wunder der Gelegenheit“. Wenn wir uns mit der Gelegenheit auseinandersetzen, können wir nicht nur uns, sondern auch unsere Klienten besser verstehen. Wir bekommen vielleicht ein klein bisschen ein warm-wohligkindliches Gefühl für die Eigenarten und Wege des Lebens. Wir spüren, dass alles durch Momente passiert und durch Nichtgeplantes, auch wenn man dafür nach Gelegenheiten sucht.

Vielleicht können wir durch unsere Lebenseinstellung, durch unsere offene Art und unser Verhältnis zu Gelegenheiten unsere Klienten inspirieren, für sich nach neuen Gelegenheiten zu suchen und Gelegenheiten zu fi nden, ganz sie selbst zu sein. Dann spüren wir tief in uns allen das Leben, wie es der deutsche Zeichner, Maler und Schriftsteller Wilhelm Busch (1832–1908) einst auch wohl spürte:

„Die Tugend will nicht immer passen,
im ganzen lässt sie etwas kalt
und daß man eine unterlassen,
vergißt man bald.
Doch schmerzlich denkt manch alter Knaster,
der von vergangnen Zeiten träumt,
an die Gelegenheit zum Laster,
die er versäumt.“

Jenny MiosgaJenny Miosga
Heilpraktikerin für Psychotherapie, Geprüfte Psychologische Beraterin, Trainerin, Kommunikation, Image und Psyche
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Fotos: fotolia© M. Schuppich, fotolia© Antonioguillem