Psychotherapie trifft Pharmazie
Vasily Prusakov, Apotheker und Heilpraktiker für Psychotherapie in der Offizin und Klinik
Der Beruf des Apothekers hat auf den ersten Blick wenig mit Psychotherapie gemeinsam, jedoch bin ich immer mehr davon überzeugt, dass beide Berufe viele Berührungspunkte haben. Kürzlich erfuhr ich, dass renommierte Psychologen wie Insoo Kim Berg (Gründerin von SFBT – Solution Focused Brief Therapy) und Lightner Witmer (Begründer der klinischen Psychologie) aus Pharmazeutenfamilien stammten. Insoo Kim Berg hat sogar selbst Pharmazie studiert. Meine Erfahrung als Heilpraktiker für Psychotherapie und Apotheker ist, dass beide Berufe eng miteinander verflochten sind und sich perfekt ergänzen!
Auch Sigmund Freud, der Vater der Psychotherapie, sprach sich für die medikamentöse Behandlung psychischer Erkrankungen aus. Er sah darin aber eine Zukunftsaufgabe. Vermutlich legten ihm seine Experimente mit Kokain nahe, dass psychische Zustände mithilfe chemischer Substanzen beeinflussbar sind.
Der Apotheker ist oft der erste Ansprechpartner, den Patienten um Rat in der seelischen Krise fragen. Dies ist durch unseren niederschwelligen Zugang möglich. Eine Beratung in der Apotheke ist kostenlos und bedarf keines Termins. Ich kann sagen, dass mir meine Ausbildung zum Heilpraktiker für Psychotherapie eine Tiefe in solchen Beratungssituationen gegeben hat.
Ich gebe ein paar Beispiele. Eine ältere Dame beschwert sich über ihre Vergesslichkeit. Sie meint, dass die Demenz anrückt, und möchte etwas „für den Kopf“. Früher hätte ich diese Selbstdiagnose nicht hinterfragt und ein Ginkgo-Präparat empfohlen. Heute sehe ich das grundlegend anders. Ich erkläre der Dame den Unterschied zwischen Altersdepression und Demenz. Ich habe bereits MMS- und Uhren-Test in einer Apotheke durchgeführt. Selbstverständlich nicht am HV-Tisch, sondern im Beratungsraum, der übrigens für jede Apotheke Pflicht ist.
Überraschenderweise habe ich eine sehr positive Reaktion von einem niedergelassenen Psychiater von nebenan erlebt, als ich ihm über solche vordiagnostische Abklärung in der Apotheke berichtete. Die Wartezeit zu einem Spezialisten mit einem Überweisungsschein vom Hausarzt beträgt in meiner Region einige Monate. Eine Entlastung des verunsicherten Patienten muss aber gleich her!
Als Apotheker und Heilpraktiker für Psychotherapie lasse ich solche Patienten nicht im Stich, abgespeist mit billigen Floskel-Trost (Es wird schon!) und teureren Nahrungsergänzungsmitteln. Ich versuche, ihnen die tatsächliche Situation besser zu erklären und die richtige Behandlung zeitnah anzufangen. Als eine solche Behandlung kommt natürlich Psycho- oder Pharmakotherapie oder eine Kombination aus beidem infrage.
Nach dem MMS-Test ist z. B. klar, dass die Beschwerden über Vergesslichkeit eher auf eine Depression und nicht auf eine echte Demenz hindeuten. Manche Patienten erleben bereits in diesem Moment so etwas wie einen Aha-Effekt und freuen sich sehr über die neuen Perspektiven.
Selbst wenn wir es mit echter Demenz zu tun haben, sind die modernen therapeutischen Möglichkeiten nicht erschöpft. Hier ist es wichtig, den Moment des Beginns der richtigen Pharmakotherapie abzupassen. Es stellte sich kürzlich in Studien heraus, dass Psychiater und Allgemeinmediziner unterschiedliche Ansichten darüber haben, wie und in welcher Reihenfolge Demenz behandelt werden sollte. Während sich Psychiater an Behandlungsprotokolle halten, handeln Hausärzte intuitiver und beginnen später mit den richtigen Medikamenten. Für mich als klinischen Pharmazeuten und Heilpraktiker für Psychotherapie ist dies ein wichtiger Interventionspunkt.
Beim Thema Demenz und Pharmazie scheint mir noch ein Punkt wichtig. Viele ältere Patienten nehmen mehr als fünf Medikamente regelmäßig ein. Leider wird die Zweckmäßigkeit einer solchen Behandlung zu selten überprüft. Führt man alle Arzneimittel in einer Gesamtschau zusammen, analysiert die Gesamtheit mithilfe spezieller Programme, ist es möglich, die sogenannte anticholinerge Last zu berechnen. Ein Laie kann dies nicht aus dem Beipackzettel ableiten. Hier spielt nicht nur ein einzelnes Medikament eine Rolle, sondern alle Medikamente tragen im unterschiedlichen Maße zu dieser Last bei. Anticholinerge Last manifestiert sich unter anderem als Vergesslichkeit und Verwirrtheit, was eine Demenz vortäuschen kann.
Ein zusätzliches Medikament in der Situation zu verordnen, kann fatale Folgen haben. Wie wichtig es ist, eine solche Pharmakotherapie zu hinterfragen, liegt auf der Hand. Ich fühle mich fast verpflichtet, nicht nur in einem Beratungsgespräch in der Apotheke, sondern auch beim Erstgespräch im Rahmen der Psychotherapie nicht bloß nach den „eingenommenen Substanzen“ zu fragen, sondern nehme mir Zeit, um eine kleine Medikationsanalyse (nach Typ 2a) durchzuführen. Ich bin überzeugt, dass genau eine solche Vorgehensweise eine wirklich ganzheitliche Medizin bedeutet.
Depressionen sowohl bei Senioren als auch bei Jugendlichen begegnet man sehr oft in der Offizin. Spezielle Johanniskrautextrakte geben uns die Möglichkeit, den Gemütszustand positiv zu beeinflussen. Der Apotheker tritt in diesem Fall analog zu dem Arzt auf, der nach der Befragung ein Medikament aus dem Spektrum der OTC-Produkte empfehlen kann. Ein interessantes Detail: Eins der wirksamen Johanniskrautpräparate existiert in Deutschland in zweifacher Ausführung.
Die Zusammensetzung ist die gleiche, der Unterschied liegt in der Indikation (leichte oder mittelschwere Depression). Dementsprechend wird das Präparat entweder von der Krankenkasse übernommen oder nicht.
Bei leichten Depressionen kann das Medikament von einem Apotheker quasi verschrieben werden, die beträchtlichen Kosten werden vom Patienten getragen. Der Hintergrundgedanke ist sehr einfach: Leichte Depression muss nicht zwingend mit Medikamenten behandelt werden, sondern es stehen andere (psycho-)therapeutische Alternativen zur Verfügung.
Inwieweit es zulässig ist, mich sofort als Therapeut anzubieten, habe ich für mich noch nicht eindeutig entschieden. Immerhin habe ich immer die Visitenkarten von Kollegen zur Hand, die ich ohne Interessenkonflikte sofort aushändigen kann.
Bei mittelschweren oder schweren Depressionen werden die Kosten für das identische Johanniskrautpräparat auf die ärztliche Verordnung hin auch von den gesetzlichen Krankenkassen getragen.
Eigentlich nur mein Heilpraktiker-Wissen berechtigt mich dazu, eine solche diagnostische Abklärung durchzuführen und eine Differenzialdiagnose zwischen Depressionsgraden gemäß ICD-10 durchzuführen. Die Pharmazeuten lernen an der Uni nicht, Depressionen zu diagnostizieren, geschweige denn zu behandeln.
Dass Johanniskraut durch die Heilpraktiker für Psychotherapie in ihrer Funktion als Heilpraktiker nicht empfohlen werden darf, halte ich dennoch für absolut richtig. Diese Zubereitungen aus speziellen Extrakten aus der Apotheke haben ein erhebliches Interaktionspotenzial. Und dieses Potenzial gilt es richtig einzuschätzen. Ein synthetisches Präparat kann schon aus diesem Grunde eine viel bessere und verträglichere Alternative sein.
Eine ähnliche Situation, in der der Psychotherapeut in mir den Apotheker schlägt, sind Schlafstörungen. Das Gespräch über die Regeln der Schlafhygiene, über die Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie zur Behandlung solcher Schlafstörungen darf in meiner Beratung nicht fehlen. Glücklicherweise versorgen viele Apotheken ihre Patienten mit Spickzetteln zur Schlafhygiene, denn es hat sich rumgesprochen, dass leichte Schlafstörungen nicht medikamentös, sondern eben psychotherapeutisch behandelt werden sollen.
Am 23. Dezember 2019 veröffentlichte die Cochrane Library eine umfassende Übersichtarbeit über die Rolle des Apothekers bei der Unterstützung von Menschen mit Depressionen (Pharmacybased management for depression in adults. Jennifer Valeska, Elli Brown et al.). Die Präambel dieser Studie ist bemerkenswert: Offizin-Apotheker können aufgrund ihres einzigartigen pharmakotherapeutischen Wissens und ihres niederschwelligen Zuganges gut geeignet sein, eine Rolle im Management der antidepressiven Therapie zu spielen. Apotheker sind in einer idealen Position, um Menschen mit Depressionen oder depressiven Symptomen proaktive Interventionen anzubieten.
Die Wirksamkeit und Akzeptanz bestehender apothekerbasierter Interventionen wird jedoch noch nicht gut verstanden. Inwieweit ein apothekerbasierter Managementansatz vorteilhaft, für die Menschen akzeptabel und als Teil des Gesamtmanagements für Menschen mit Depressionen wirksam sein könnte, ist bis heute unklar.
Leider fand die Studie keinen statistisch signifikanten Nutzen einer solchen Unterstützung für Patienten mit Depressionen. Meiner Meinung nach haben viele Apotheker einfach zu wenig Wissen über psychische Erkrankungen und die Grundlagen psychotherapeutischer Techniken. Gleichzeitig ist alles, was in der Präambel der Studie steht, sicherlich wahr und richtig. Dieses Potenzial kann und soll von denen, die neben der Pharmazie die Grundlagen der Psychotherapie erlernt hatten, erfolgreich ausgeschöpft werden.
Im Rahmen der Depression sowie anderer neurotischer Belastungs- und somatoformer Störungen halte ich mein Wissen als Heilpraktiker für Psychotherapie für unentbehrlich! Obwohl kein Mediziner, mit beiden Füßen auf dem Boden der wissenschaftlichen Medizin stehend, verfolge ich den ganzheitlichen Einsatz als Apotheker und Heilpraktiker für Psychotherapie und bin stolz darauf!
Vasily Prusakov
Studium der Pharmazie und Theologie, seit Mai 2022 als Heilpraktiker für Psychotherapie zugelassen, Spitalapotheker im Landeskrankenhaus Feldkirch (Österreich). Bevorzugte Behandlungsmethode SFBT unter Supervision
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