Fallstudie: Burnout und Hochsensibilität
Der Klient war zu Beginn der Therapie 52 Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder (17 und 19 Jahre). Er lebte mit der Familie im eigenen Haus und hatte ein gutes finanzielles Auskommen. Er arbeitete als Ingenieur mit einem Geschäftspartner im eigenen Bauunternehmen. Obwohl er beruflich erfolgreich war, kam er mit dem Eindruck, nicht genug zu leisten, zu mir. Alles strenge ihn sehr an und nehme ihn emotional mit.
Herr M. ist ca. 1,85 m groß, hat ein offenes Lächeln, geht etwas nach vorne geneigt. Sein Gesicht wirkt angestrengt, die Augen traurig.
Wegen eines Zusammenbruchs nach großer Erschöpfung, depressiver Phasen und eines Burnouts war er in einer Reha. Während des Aufenthaltes dort machte ihn eine Mitarbeiterin darauf aufmerksam, dass er möglicherweise hochsensibel sei.
Nach der Reha suchte er nach einem unterstützenden Angebot, um die gewonnene Entspannung nicht wieder zu verlieren und seiner Hochsensibilität auf die Spur zu kommen. Außerdem stand das Thema der bevorstehenden Trennung von seiner Frau im Raum, das ihm große Angst machte. Er fand meine Angebote (Kunsttherapie, ganzheitliches, systemisches Coaching, MFT) durch meine Vorträge über Hochsensibilität bei der Volkshochschule und über meine Internetseite.
Insgesamt arbeiteten wir etwa 1,5 Jahre miteinander, erst in engem Rhythmus, später mit längeren Abständen.
Er erzählte, dass er sehr viel arbeitete und seine Kinder dennoch immer begleitete, wenn sie besondere Termine hätten. Er war im Fußballverein des Sohnes engagiert und bei jedem Arzttermin dabei. Seine Frau ging gerne einkaufen, arbeitete nur stundenweise und war nicht bereit, mehr zu arbeiten. Herr M. merkte seit Jahren, dass er unzufrieden war und sich eine Änderung wünschte. Er traute sich jedoch nicht, es zur Sprache zu bringen, denn er habe sich nicht vorstellen können, ein Recht dazu zu haben. Er fühlte sich schuldig und unsicher, als Versager und schlechter Ehemann. Wenn er mit seiner Frau sprach, fühlte er sich „wie ein kleiner Junge, der den Kopf einzieht und allem zustimmt.“
Über Themen, die ihm wichtig sind, wie den Sinn im Leben, tiefergehende Gefühle und innere Prozesse, konnte er mit ihr nicht reden. Deshalb dachte er über eine Scheidung nach, machte sich aber große Sorgen, was eine Trennung mit sich bringen würde.
Oft wünschte er sich, allein zu sein, seine Ruhe zu haben, ungestört seinen Gedanken nachgehen zu können. Früher war er gerne in der Natur gewesen und hatte Interesse an kreativem und handwerklichem Tun, konnte sich aber schon lange nicht mehr dazu entschließen.
Er hatte einen Test zur Hochsensibilität gemacht und sah sich in seinem Verdacht bestätigt, dass er zu den Menschen mit besonders hoher Aufmerksamkeit und intensiver Reizverarbeitung gehört. Er ist sehr aufmerksam gegenüber Kleinigkeiten, spürt die Emotionen seiner Mitmenschen und war abends meist nicht mehr in der Lage, wegzugehen. Vieles beschäftigte ihn wochenlang, abends konnte er oft nicht abschalten, weil sich seine Gedanken im Kreis drehten.
Wenn es von ihm erwartet wurde, ging er mit zu Veranstaltungen und Familientreffen, fühlte sich aber oft unwohl, müde und überfordert. Wenn er mit den Freunden aus dem Verein sprach, hatte er das Gefühl, nicht wirklich das sagen zu können, was ihn interessierte. Er fühlte sich unsicher und frustriert, wurde schnell gereizt und hatte Sorge, wieder in das Gefühl völliger Erschöpfung zu rutschen.
Wir machten den Fragebogen zur Hochsensibilität nach Dr. Aron, der seine Vermutung erneut bestätigte. Beim Gespräch über das Thema stellte sich bereits Erleichterung ein, weil er viele seiner Reaktionen besser verstehen konnte. Er fragte, warum er das nicht früher über sich erfahren habe.
Wir vereinbarten, zum einen den bewussten Umgang mit seinen Grenzen und den Aufbau seines Wohlbefindens mithilfe von Entspannungstraining zu üben und die Mentalfeld-Technik nach Dr. Klinghardt (MFT) als Selbsthilfemethode zu trainieren, damit er wirksame Werkzeuge gegen Stress und Unsicherheit für zu Hause zur Verfügung hat.
Zum anderen wollte er herausfinden, warum er sich so unsicher fühlt und sich den Wünschen anderer Menschen meist anpasst, anstatt zu sagen, was ihm wichtig ist. Dies wollten wir mithilfe von systemischen Aufstellungen (mit dem Aufstellungsbrett) und der Kunsttherapie sowie MFT zu erreichen versuchen.
Die Entspannungsübung: Die Lenkung der Aufmerksamkeit durch den Körper, von den Fußsohlen bis zu den Haarspitzen, genoss er sehr und er wollte die Übung auch zu Hause machen. Dann übten wir die neun Linien der MFT-Klopf-Technik ein und das Bilden der Sätze. Leider schaffte er es zu Hause nur selten, diese Methode anzuwenden, und wir entschieden uns dazu, sie in die Therapie-Settings einzubauen.
Zu Beginn unserer gemeinsamen Arbeit ging es hauptsächlich um die aktuellen Themen. Er musste allen Mut zusammennehmen, um ein ehrliches Gespräch mit seiner Frau zu führen. Dieser Schritt bereitete ihm großen Stress.
Um seine Perspektive zu erweitern und das Verständnis für sich selbst zu vergrößern, stellte er seine Familie auf einem Brett mithilfe von Figuren auf. Er selbst stand dabei ganz am Rand, den Blick auf die Kinder gerichtet, während seine Frau nach außen schaute, weg von der Familie. Im Laufe der Aufstellungsarbeit kam seine Ursprungsfamilie hinzu und er erkannte, dass die Konflikte mit seiner Frau dem Muster folgten, das er als Kind in der Beziehung zu seiner Mutter erlernt hatte. Diese Erkenntnis verschaffte ihm große Erleichterung: Ihm wurde klar, dass nicht er allein Ursache der Problematik war.
In den folgenden Wochen konzentrierten wir uns auf die Reduzierung des Stresses mit Entspannungsübungen und kreativen Settings. Außerdem bearbeitete er seine Beziehung zur Mutter und die gebildeten Glaubenssätze mit MFT. Da die Mutter ihm gegenüber gewalttätig war, erhielten seine kindlichen Bedürfnisse nur wenig Raum.
Langsam veränderte sich seine negative Sicht auf sich selbst hin zu mehr Selbstvertrauen. Auch die großen Ängste, seine aktuellen Themen zu formulieren, bearbeitete er sehr erfolgreich mit MFT. Schicht um Schicht tauchten tief verankerte Glaubenssätze und destruktive Einstellungen auf, die nun verarbeitet wurden und Platz machten für neue, positive Gefühle.
Kunsttherapeutisch unterstützten wir den Prozess, indem wir den verschiedenen Aspekten seines Erlebens Ausdruck verschafften. Dazu verwendeten wir z. B. verschiedene Papiere, Modelliermasse, Zeichenstifte und Acrylfarbe. Vor dem Gespräch mit seiner Frau malte er auf einem schwarzen Tonpapier mit weißer Acrylfarbe. Die Frage lautete: Wie kann es aussehen, wenn das Gespräch gut läuft?
Er malte ein großes, weißes Dreieck in das Schwarz, das am oberen Rand beginnt und dessen Spitze den unteren Rand berührte. Er sei sehr überrascht, meinte er, er habe anfangs nur das Schwarz gesehen und das habe seinen inneren Zustand gespiegelt. Dass er dem Weiß darin so viel Raum gönnte, habe ihn erstaunt und erfreut und machte ihm Mut.
Die Achtsamkeitsübung durch den Körper verhalf ihm immer wieder zu einer Verankerung im Körper sowie im Hier und Jetzt. Dennoch schwankte seine Stimmung in Phasen auf und ab. Dazu kam immer wieder das Gedankenkreisen, das ihn nicht zur Ruhe kommen ließ. Das unterbrachen wir u. a. mit dem beidhändigen freien Kritzeln auf großem Papier. Dazu zeichnete er gleichzeitig mit links und rechts mit Bleistiften, ohne abzusetzen und ohne ein Motiv darzustellen, zehn Minuten lang, ohne zu sprechen. Diese Übung schenkte ihm oft Gedankenstille und innere Ruhe.
Schließlich schaffte er es, mit seiner Frau zu sprechen, die mit einer Trennung einverstanden war, vorausgesetzt, sie könne das Haus behalten. Das zog sich monatelang hin und belastete ihn sehr, da er sehr viel Arbeit und Geld in das Haus gesteckt hatte und er sich ihm verbunden fühlte. Lange traute er sich nicht, das auszusprechen. Der Verdacht, egoistisch und kleinlich zu sein, tauchte immer wieder in ihm auf. In manchen Sitzungen war er so frustriert, dass er auf alle Ansprüche verzichten wollte, nur um endlich seine Ruhe zu haben.
Auch diese Gefühle konnten durch die Kombination aus achtsamen Entspannungsübungen, kunsttherapeutischen Übungen und der Mentalfeld-Technik bearbeitet werden. Nach und nach fühlte er sich freier. Hilfreich dabei war auch der Muskeltest aus der Psychokinesiologie, mit dem seine inneren Ziele überprüft wurden. Damit gelang es ihm, klarer zu erkennen, was wirklich stimmig für ihn war und wofür er kämpfen musste, wenn er zufrieden sein wollte.
Mit den Kindern hatte er gesprochen; er hat heute ein gutes Verhältnis zu ihnen und sie haben Verständnis für ihre Eltern. Es war klar, dass sie weiterhin im Haus wohnen wollten.
Mit weiterer Unterstützung gelang es ihm nach und nach, klare Pläne zu machen und seine eigenen Wünsche zu formulieren.
Durch die Arbeit mit MFT und das kunsttherapeutische Gestalten wurde langsam eine stabilere Einstellung sichtbar. Bei der Arbeit mit Modelliermasse erlebte er seine eigene Selbstwirksamkeit und Veränderung, die er in Gang gesetzt hatte. So erlebte er sich als Akteur, anstatt nur zu reagieren, und nahm seinen Einfluss direkt wahr.
Seine Frustration, durch den Rückzug im Gespräch um das Haus ausgelöst, drückte er mit einem Markierstift auf Papier aus. Zuerst lustlos, dann zunehmend energischer zeichnet er das Haus, die Kinder, seine Frau und sich und füllte Flächen mit dem Stift aus. Er begann, verschiedene Farben übereinanderzulegen und experimentierte mit Holz- und Filzstiften. Seine anfängliche Motivationslosigkeit wandelte sich zu Interesse. Durch die Veränderung des Motivs schienen ihm auch reale Veränderungen möglich zu sein.
Er wollte auch zu Hause malen, kaufte sich eine Staffelei, Farben und Leinwand, schaffte es aber nicht, dort zu malen, wo er meint, nicht „er selbst sein zu können.“
Einige Wochen später gelang es ihm, seinen einzigen Wunsch zu äußern, den er bei der Scheidung hatte: das Haus zu behalten. Er konnte sich mit der Frau einigen, die mit einer großen Geldsumme zufrieden war. Sie durfte dort wohnen, bis sie eine eigene Bleibe gefunden hatte, während er schon seit Monaten bei seiner Schwester in einer kleinen Wohnung lebte.
Ein weiteres Thema war für ihn die Aggression, die immer öfter in ihm auftauchte. Manchmal sei er so frustriert, dass er Dinge an die Wand werfe und sie zu Bruch gingen, erzählte er. Das zeigte er niemandem, doch er befürchtete, dass er auch Menschen gegenüber unbeherrscht sein könnte.
Auch diesem Thema wurde im kunsttherapeutischen Rahmen Raum gegeben, indem er mit Modelliermasse „Druck“ ausüben und Kraft einsetzen konnte. Außerdem bat ich ihn, Dinge aus seiner Kindheit und der Ehe mitzubringen, auf die er verzichten könne. Diese durfte er zerstören und daraus etwas Neues bauen. Diese Übungen setzten viel innere Dynamik und kreative Ideen frei. Seine aggressiven Phasen wurden dagegen seltener und verloren ihre Intensität. Auch bearbeiteten wir seine Einstellung zur Aggression, die ja auch eine positive Energie sein kann. Hier kamen Schuldgefühle an die Oberfläche, die sich gebildet hatten, als er als kleiner Junge seine Meinung äußern wollte und dies als Widerstand gegen die Mutter bewertet wurde.
Die Beziehung zur Mutter war sehr angespannt, obwohl sie mittlerweile sehr alt und dement war. Es wurde ihm klar, wie oft er sich eingeschüchtert und gedemütigt gefühlt hatte. Durch die Arbeit mit MFT, den aufkommenden Emotionen und den entsprechenden Glaubenssätzen fand langsam ein Prozess des Trauerns um die nicht erfüllten Bedürfnisse in der Kindheit und des Loslassens statt. Weitere Aufstellungen mit Fragestellungen zu seiner Familie halfen ihm, eine distanziertere Sicht zu seiner Kindheit zu gewinnen und sich selbst als kompetent und verantwortungsvoll für sein Erwachsenenleben zu entscheiden.
Nachdem er seine Eltern – mithilfe einer kleinen Zeremonie aus der phänomenologischen Psychotherapie – als die Begründer seines Lebens ehren konnte, ging eine intensive Wandlung in ihm vor: Seit diesem Schritt kann Herr M. seine Mutter, die mittlerweile im Pflegeheim lebt, besuchen gehen und ihr mit Geduld begegnen. Ein großer Schritt auf dem Weg zur Eigenverantwortung und des inneren Friedens, wie er selbst sagte.
Zu diesem Zeitpunkt wurde auch deutlich, dass er mehr Selbstvertrauen entwickelt hatte. Er löste sich von früheren Freunden, die kein Verständnis für seine Lage und seine Interessen hatten, und lernte eine Frau kennen, in die er sich verliebte, was auf Gegenseitigkeit beruhte.
Nach und nach sorgt er für seine Bedürfnisse. Er geht mehr in die Natur, trifft sich mit Freunden zum Wandern und wird in der Freizeit kreativ. Damit erfüllt er auch die Bedürfnisse seiner Hochsensibilität, die ihn zu regelmäßigen Ruhephasen und Achtsamkeit auffordert.
Einige Monate nach der Scheidung fand seine Ex-Frau eine eigene Bleibe und er konnte zurück ins Haus ziehen. Seine Aggressionen verloren an Häufigkeit und Intensität. Es gelang ihm, seine Wünsche und Bedürfnisse in Worte zu fassen.
Noch immer ist es schwer für ihn, am Abend abzuschalten und sich aktiv zu entspannen, doch es gehe ihm viel besser. Er besorgte sich ein Klavier, weil er immer schon spielen lernen wollte, und spielt regelmäßig für sich und ohne sich unter Druck zu setzen. Auch begann er, regelmäßig mit seiner Freundin in den Urlaub zu fahren, und baute sich mit ihr ein neues Leben auf.
Die gemeinsame Arbeit empfand er als äußerst wertvoll und hilfreich und er bedankte sich dafür. Im Abstand von einigen Monaten kam er für eine „Auffrischung“ von Entspannung und neuen Themen vorbei. Er wollte mit seiner Freundin zusammenziehen und hatte Angst, die alten Fehler zu wiederholen. Wenn der Stress zunimmt, tauche seine Unsicherheit wieder auf und er neige dazu, in alte Verhaltensmuster zu rutschen.
Allerdings könne er schneller darauf reagieren und auf seine Bedürfnisse achten, so schrieb er beim letzten Kontakt.
Petra Birgit Klein
Heilpraktikerin für Psychotherapie, Kreativ- und Kunsttherapeutin,
Therapeutin für energetische Psychologie (MFT) und EMDR,
psychosozialer Coach, ganzheitlich ausgebildete Lebensberaterin
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