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Aktiv gesund werden

Dörthe Huth im Gespräch mit Sonja Kohn

Gesundheit ist unser höchstes Gut, das merken wir jedoch meistens erst, wenn unsere Gesundheit infrage gestellt oder angegriffen ist. Ein schwerer Unfall, eine unerwartete Diagnose, eine schleichend chronische Erkrankung können jeden von uns massiv aus der Bahn werfen. Nicht immer hat die moderne Medizin eine Lösung parat, dann ist Selbstinitiative gefragt.

SK: Frau Huth, wir sprechen heute nicht über Husten, Schnupfen, Heiserkeit, wir sprechen über Erkrankungen, die das Leben der Betroffenen massiv beeinflussen und die Lebensqualität deutlich mindern. Welche Probleme wirft ein plötzlicher Unfall, eine plötzliche schwere Erkrankung oder ein schleichend chronischer Krankheitsprozess für den Betroffenen auf?

DH: Die Probleme beeinträchtigen sozusagen das ganze Leben. Nämlich die Arbeit, den Alltag und auch die Familie. Das ist ein massiver Einschnitt ins Leben, der dem Betroffenen da passiert.

SK: Was geschieht mit der menschlichen Seele, wenn die körperliche Unversehrtheit nicht nur für kurze Zeit eingeschränkt ist?

DH: Zuerst einmal vollzieht sich eine große Verunsicherung. Da gibt es einen Körper, auf den man sich nicht mehr verlassen kann, und einen großen Verlust an Selbstvertrauen. Es kommen Selbstzweifel: Habe ich etwas falsch gemacht? Eventuell muss die ganze Lebensplanung überdacht werden. Ein Gefühl von Ohnmacht kann da aufkommen. Viele berichten von einer Art Vereinsamung, weil sie sich unverstanden fühlen, oder auch von dem Gefühl der Nutzlosigkeit.

SK: Sie schreiben in Ihrem Buch „Selbstheilung: Gesundheit ist regulierbar.“ Was steckt hinter dem Grundgedanken der Salutogenese?

DH: Die Salutogenese entstand in den 1970er-Jahren, als man noch den Blick in der Medizin besonders auf die Krankheitsentstehung ausgerichtet hat. Und bei diesem Konzept der Salutogenese geht es darum, wie Gesundheit entsteht, dass man die Blickrichtung verändert und – was ich besonders ansprechend dabei finde, ist – dass alle Menschen grundsätzlich in diesem Konzept als mehr oder weniger „krank“ gelten. Und der Verlust von Gesundheit in diesem Modell ganz normal ist. Man ist mal gesund und kann auch mal krank werden. Und es bezieht sich darauf, die Gesundheit wieder möglichst herzustellen, diese wieder aufzubauen, dass jeder dafür auch eine Verantwortung übernimmt, daran zu arbeiten, dass er wieder gesünder wird. Gesundheit ist darin nämlich kein passiver Zustand, sondern ein Geschehen, das dynamisch ist, das auch gestört werden kann und das man versuchen kann, wieder zu regulieren.

SK: Stichwort Resilienz. Welche Eigenschaften sind Ihres Erachtens nützlich, um Krankheiten besser zu meistern?

DH: Es gibt die sieben Säulen der Resilienz. Ich übersetze das gerne als „die Säulen für innere Stärke“. Resilienz kann man vielleicht auch übersetzen mit „Gedeihen trotz widriger Umstände“, also: Wie können wir wachsen, uns weiterentwickeln trotz widriger Umstände einer Erkrankung? Und diese sieben Säulen bestehen aus:

Optimismus: Den Glauben haben, dass eine Krise zeitlich begrenzt ist und dass wir sie überwinden können. Also, dass wir uns eventuell mit einem Zustand von Krankheit arrangieren oder sie auch überwinden können. Diese Hoffnung ist ganz wichtig, als eine Säule.

Akzeptanz: Denn erst, wenn man wirklich die Tatsache akzeptiert, dass man krank ist, man diesen Schmerz zulässt, dass man sagt: So ist das jetzt! Dann kann man auch weitere Schritte gehen und planen in Richtung Gesundung, Heilung, Genesung.

Lösungsorientierung: Hier geht es um die Überzeugung, dass es eine Lösung für die eigene Situation gibt und eine Idee von der Möglichkeit: Wie kann ich umgehen, mit dem, was mir da passiert ist? Wie kann ich mich verhalten, auch mit diesem Stress, der diese Situation begleitet?

Verlassen der Opferrolle: Das gibt es ja immer wieder, dass wir das Gefühl haben, wir können gar nichts tun. Wir sind in einer Opferrolle gefangen. Aber die Resilienzforschung sagt, dieses Verlassen ist ganz wichtig, damit man wieder selbst Akteur wird und dafür sorgen kann, sich besser zu fühlen. Zu einem Teil ist man tatsächlich Opfer der Krankheit, aber einen gewissen Anteil kann man auch daran haben, dass es einem besser geht. Und diesen Anteil herauszufinden, dass würde bedeuten, diese Opferrolle zu verlassen.

Verantwortung für sich selbst: Bei einer Krankheit bedeutet das z. B., darauf zu achten, wirklich die Tabletten einzunehmen, die vorgeschrieben sind und einem guttun. Und zu gucken: Was kann ich eigentlich selbst bewirken?

Netzwerkorientierung: Es geht darum, ein stabiles soziales Umfeld zu schaffen, dass Freunde, Bekannte, Arbeitskollegen da sind, mit denen man sich austauschen kann und die einen auch durch eine besonders schwere Zeit stützen und tragen.

Zukunftsplanung: Wir können von vornherein nicht davon ausgehen, dass unser Lebensweg immer gerade ist, sondern dass auch Abweichungen dazugehören, dass wir mit Dingen konfrontiert werden, die wir uns überhaupt nicht vorgestellt haben. Das alles kann passieren im Leben und wenn man das mit in Erwägung zieht, dann ist es nicht mehr so schwer, wenn der eigene Lebensweg einmal gestört wird.

SK: Krankheit bedeutet für viele Neuorientierung im Leben. Wie kann dieser Prozess unterstützt werden?

DH: Man muss erkennen, dass man bestimmte Schritte auch bewältigen kann, wo es langsam voran geht. Und darum erst einmal zu gucken: Was an meiner Krankheit belastet mich zurzeit? Worunter leide ich? Und was kann ich für mich tun?

Im zweiten Schritt geht es darum herauszufiltern: Welche Ressourcen habe ich? Also: Welche Fähigkeiten? Was kann ich besonders gut? Was unterstützt mich? Welche Menschen sind da, die ich aktivieren kann, die mir helfen können, ein Stück weiterzukommen? Was brauche ich und wer kann mir dabei helfen?

Drittens dreht es sich um die Fragen: Ist mein Denken eigentlich im Einklang mit meinen Gefühlen und mit meinem Körper? Habe ich schon genug getrauert um das, was mir da passiert ist? Möchte ich wieder in das normale Leben einsteigen, so wie es vorher war? Oder bin noch in meinem Trauerprozess gefangen und deshalb geht das nicht? Setze mich da selbst unter Druck?

Viertens: Wer bei der Bewältigung oder Neuausrichtung schon etwas weiter ist, der kann im Rückblick verstehen, was diese Krankheit – trotz aller Schwierigkeiten – eventuell gebracht hat. Wir werden ja auch stärker dadurch. Wir nehmen andere Schwierigkeiten nicht mehr so wichtig. Es fällt mir immer wieder auf, dass Leute sagen: Erst als mir so etwas Schlimmes passiert ist, da ist mir plötzlich klargeworden, wie unwichtig viele andere Probleme sind! Und wenn das in der Verarbeitung so weitergeht.

Dann gibt es den fünften Schritt: Dass man sich öffnet und wieder mehr Lebensfreude spüren kann und das Leben erneut mehr genießen kann.

Der sechste Schritt ist, dass man auf die Zeit zurückblicken und sagen kann: So war das. Das ist mir passiert. Trotzdem ist es jetzt so wie es ist in Ordnung. Damit lebe ich oder damit muss ich auch leben. Ich habe meine Erfahrungen daraus gezogen – im Guten wie im Schlechten – und auch eine Portion Weisheit mitgenommen, die eine Bereicherung darstellt, für mich und vielleicht auch für andere Menschen.

SK: Was gibt es für praktische Methoden, meine Selbstheilungskräfte zu stärken?

DH: Es gibt ganz viele Möglichkeiten und ich denke, jeder muss ein bisschen ausprobieren und herausfinden, was für ihn persönlich das Beste ist. Ich arbeite sehr gerne mit Achtsamkeit und inneren Bildern. Aber auch mit progressiver Muskelentspannung und „selbstunterstützender Kommunikation“. Die kann tatsächlich jeder für sich selbst ausprobieren. Wir reden ja auch mit verschiedenen inneren Stimmen mit uns, z. B.: Mensch, jetzt mach das doch mal! Oder: Mach das doch mal richtig. Die einen sind ein bisschen drohend, vielleicht „Elternstimmen“, und die anderen können unterstützend sein.

Bei der selbstunterstützenden Kommunikation im Krankheitsfall geht es für mich darum, dass eine liebevolle Stimme zu finden, die uns zur Seite steht, dass wir uns annehmen, so wie wir sind, und diese Stimme dann darauf zielt, Fragen zu stellen, mit denen es uns besser geht:

Was hilft dir jetzt gerade? Schau doch mal, was ist jetzt gut für dich? Und wirklich mit sich in einer liebevollen Variante zu sprechen.

Zudem könnte ich noch ein „Heilungsbuch“ empfehlen, weil ich finde, dass wir uns selbst unheimlich gut über das Geschriebene strukturieren können. Also, wenn wir etwas aufschreiben, dann können wir besser sortieren, was wir denken, fühlen oder auch wie wir handeln. So können wir das besser nachvollziehen.

Auch bestimmte Stationen im Leben, in denen wir bei der Gesundung vielleicht Fortschritte gemacht haben, sind darin dokumentiert. Ein Heilungsbuch ist für mich eine Art Tagebuch, in das man einträgt, was einen gerade beschäftigt.

Darin kann man etwas einkleben oder etwas schreiben und letztendlich hat es die Funktion, Gefühle nach außen zu transportieren. Also, da wo vielleicht etwas mit Angst verbunden ist, wo unangenehme Gefühle, wie Ohnmachtsgefühle oder Ähnliches da sind, was man nicht unbedingt jemandem erzählen möchte, das kann man in sein Heilungsbuch eintragen. Das sieht niemand, das geht niemanden etwas an, das ist nur für einen selbst.

Das kann ich nur herzlich empfehlen!

Buchtipp

Huth, Dörtthe: Selbstheilung. Wie Sie das innere Tief überwinden, Resilenz aktivieren und Ihr Lebensgefühl verbessern, amondis Verlag

Dörthe Huth, M. A.Dörthe Huth, M. A.
Heilpraktikerin für Psychotherapie, Autorin

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Sonja KohnSonja Kohn
Heilpraktikerin, Dozentin, freie Redakteurin

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