Wissenschaft trifft Praxis
Was macht einen guten Psychotherapeuten aus und welche Faktoren stehen für den Behandlungserfolg?
Ein erfolgreicher Studienabschluss zum Psychotherapeuten (immer m/w) inklusive eines umfassend ausgestatteten Methodenkoffers sowie die Sicherheit im Umgang mit den Werkzeugen der unterschiedlichen Therapiemodelle sind noch lange kein Garant für den Behandlungserfolg in der Psychotherapie. Angesichts der zunehmenden und berechtigten Forderung des Gesundheitssystems der Postmoderne nach einer empirisch nachgewiesenen Wirksamkeit der Psychotherapie erscheint die Haltung immer offenkundiger, sorgfältig über geeignete Standards nachzudenken sowie nach wissenschaftlich abgesicherten Erkenntnissen zu forschen, anhand derer sich die Wirksamkeit von Psychotherapien überprüfen lässt.
Die Martin-Luther-Universität (MLU) in Halle-Wittenberg vereint Forschung und Lehre mit über 500 Jahren Tradition. Die größte und älteste Hochschule Sachsen-Anhalts zählt heute rund 20 000 Studierende und 340 Professoren.
Im Bereich für Pädagogische Psychologie geht Prof. Dr. Zoltán Samu der aktuell intensiv und kontrovers diskutierten Frage auf den Grund, welche Bedeutung dem Faktor „Persönlichkeit“ in pädagogisch-psychologischen Kontexten u. a. in der Beratung und Therapie zukommt.
Im Dialog mit der Autorin erörtert Prof. Samu anhand wissenschaftlicher Forschungsergebnisse zum Wirkmodell der Verhaltenstherapie den derzeitigen Stand der Psychotherapieforschung. Es ging zudem um die Frage, welche Faktoren für den Behandlungserfolg in der Psychotherapie stehen. Weiterhin wird der Fragestellung nachgegangen, ob die Wirkung des bisher sehr geringschätzig eingestuften Placeboeffekts neurobiologisch und psychologisch erklärbar ist bzw. ob und inwiefern er den Behandlungserfolg mitbestimmt.
? Herr Professor Samu, die gegenwärtig vorhandenen Wirkmodelle der Verhaltenstherapie bzw. der Kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) bieten eigene Konzepte ihrer Wirkung an. Kann denn nach jetzigem Forschungsstand ein neurobiologisches Verständnis für die Zusammenhänge der Entstehung psychischer Erkrankungen und der Wirksamkeit von Psychotherapie hergestellt werden?
! Natürlich kann es für eine glaubhafte neurobiologische Fundierung der Psychotherapie immer noch zu früh sein, obwohl erste Versuche diesbezüglich bereits auf die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückgehen. Eric Kandel hielt an der Vision einer neurobiologisch fundierten Psychotherapie fest. Er erhielt für die Erforschung von Gedächtnisprozessen auf molekular-zellulärer neurobiologischer Basis im Jahre 2000 den Nobelpreis für Physiologie/Medizin. Bereits 1979 entwickelte er in dem Aufsatz „Psychotherapie und die einzelne Synapse“ die visionäre Vorstellung, dass Psychotherapie notwendigerweise auf der synaptischen Ebene ansetze und deshalb aufgrund von synaptischen Veränderungen wirksam sein müsse. Rund 20 Jahre später konkretisierte er diese Anschauung in den zwei Aufsätzen „Ein neuer theoretischer Rahmen für die Psychiatrie“ und „Biologie und die Zukunft der Psychoanalyse“.
? Ist es möglich, ein neurobiologisches Verständnis für die seelisch-psychischen Zusammenhänge hinsichtlich der Entstehung psychischer Erkrankungen und der Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit als Träger der seelischen Komponente mit der Wirksamkeit von Psychotherapie zu erreichen?
! Im Zusammenhang mit der Erforschung der Effekte verschiedener psychotherapeutischer Verfahren gibt es einen erbitterten Streit, ob und in welchem Maße die Wirkung von Psychotherapie mit den Standardmethoden empirisch-experimenteller Forschung erfasst werden kann. Groß angelegte Metastudien zeigen über alle gängigen Psychotherapieverfahren hinweg einen relativ gleichförmigen Verlauf des Therapieerfolgs. Bei allen Personen, bei denen eine Besserung eintritt, vollzieht sich diese anfangs oft schnell und deutlich, später aber nur noch langsam und in kleinen Schritten. Diese Beobachtungen haben zu der „Theorie der gemeinsamen Faktoren“ geführt. Diese besagt, dass allen erfolgreichen Behandlungen wenige, immer gleiche Faktoren zugrunde liegen, die zwischen 50 und 70 % des gesamten Erfolgs ausmachen. In der Tat zeigen diese Metastudien, dass der wichtigste Faktor für den Behandlungserfolg ein positives Verhältnis zwischen Klient/Patient und dem Behandelnden ist, die „therapeutische Allianz“. Diese beruht auf einer vertrauensvollen Zusammenarbeit sowie auf der Fähigkeit des Behandelnden, die Befindlichkeiten des Patienten zu erfassen, zu verstehen und darüber zu kommunizieren. Auch das Vertrauen des Patienten in den Behandelnden und seine Vorgehensweise ist dabei von großer Bedeutung. Insgesamt ist die Qualität der therapeutischen Allianz der wahrscheinlich wichtigste Faktor jeder Psychotherapie. Viel wichtiger als die therapeutische Zugehörigkeit des Behandelnden (z. B. KVT) ist seine Fähigkeit, eine emotionale Bindung und ein Arbeitsbündnis mit dem Patienten herzustellen. Mehrere Untersuchungen belegen z. B., dass eine KVT-Behandlung umso wirksamer war, je mehr „emotionale“ Elemente sie enthielt (Beziehungsmuster, Aufarbeiten früherer Erfahrungen usw.), und umso weniger wirksam, je „kognitiver“ sie war.
? Was sehen Sie als die größte Herausforderung in der Psychotherapie an?
! Die große Herausforderung der gängigen Psychotherapierichtungen ist die Tatsache, dass der wichtigste Garant für einen Therapieerfolg das „Arbeitsbündnis“ zwischen Therapeut und Patient zu sein scheint. Eine bestimmte Therapierichtung ist offenbar umso erfolgreicher, je mehr positive Bindung zwischen Patient und Therapeut besteht und je mehr beide hinsichtlich der Behandlungsziele und der Aufgaben übereinstimmen. Allerdings gilt das Überwiegen des „Arbeitsbündnisses“ vornehmlich für den Beginn und die erste Phase der Therapie, in der die Linderung der Störungen schnell, aber vielleicht nur oberflächlich eintritt. In der zweiten Phase kommen andere Faktoren hinzu, die zu einer tiefer greifenden und längerfristigen Besserung führen könnten. Hierzu stellt sich die berechtigte Frage, ob und in welchem Maße diese lange als Placeboeffekt abgetane Wirkung der therapeutischen Allianz empirisch bzw. neurowissenschaftlich untermauert werden kann.
? Die Verhaltenstherapie ist eine ganz klassische Form der Psychotherapie. Was ist unter dem Verhaltenstherapie-Paradigma der „Löschung“ unangepasster Verknüpfungen zu verstehen?
! Nun ja, Verhaltenstherapeuten gehen der behavioristischen Lerntheorie folgend davon aus, dass durch massive Reizeinwirkungen im Rahmen einer Konfrontationstherapie, durch Techniken wie EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprogramming) sowie durch traditionelle Konditionierungsmaßnahmen nicht adaptive synaptische Verknüpfungen gelöscht werden. Obwohl die Löschung ein wichtiges Paradigma der Verhaltenstherapie darstellt, liegen hierzu aber kaum neurobiologische Studien an Patienten oder Versuchspersonen vor. Daher musste die Gültigkeit dieser Aussage zumindest teilweise anhand von experimentellen Untersuchungen an Tieren, meist Ratten geprüft werden. Diese Studien mit Furchtkonditionierung an Ratten haben gezeigt, dass frühe negative Erfahrungen durch spätere positive nicht gelöscht, sondern nur überlernt werden. Das heißt, die alten Erfahrungen verschwinden nicht, sondern werden durch neue „eingekapselt“. Das bedeutet, dass eine Konfrontationstherapie durchaus auf das bewusste Erleben der Furcht, wie auch auf die Furchtreaktion, einen deutlichen Besserungseffekt haben kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Furchtkonditionierung nicht zu stark war oder wenn sie in einem Alter, etwa in der späten Kindheit oder im Erwachsenenalter stattfand, in dem eine Person das Geschehen deutlich bewusst erlebte und sich deshalb in der Therapie auch bewusst damit auseinandersetzen kann. Aus neuropsychologischer Sicht ist eine Konfrontationstherapie also umso eher von Erfolg gekrönt, je leichter oder begrenzter das konditionierte Furchtereignis war und je später es im Leben stattfand. Unter diesen Umständen kann ein „Überlernen“ zu relativ stabilen Verhaltens- änderungen führen.
? Die Kognitive Verhaltenstherapie ist ebenfalls ein sehr häufig angewendetes Modell der Psychotherapie. Weshalb spricht man auch hier vom „Paradigma der KVT“?
! Die KVT basiert auf der glaubhaften Annahme, dass bei vielen psychischen Stö- rungen eine Minderaktivität kognitiver corticaler Strukturen, vornehmlich des dorsolateralen präfrontalen Cortex (dlPFC) als Sitz von Einsicht, Vernunft und Verstand vorliegt. Deren Hauptfunktion ist es, die oft „irrationale“ Aktivität subcorticaler Zentren wie der Amygdala, des Nucleus accumbens oder des Striatum insgesamt zu zügeln. Zu erwarten wäre deshalb, dass man in den bildgebenden Studien an Patienten mit Angststörungen, Depression, Zwangsstö- rungen oder Phobien, bei denen die KVT oft zum Einsatz kommt, vor Beginn der Therapie eine abnorm verminderte Aktivität des dlPFC und eine abnorm erhöhte Aktivität der genannten subcorticalen Zentren findet. Einschlägige Studien zu Zwangsstörungen erzielten recht inkonsistente Ergebnisse. Im Falle depressiver Erkrankungen fand man in zahlreichen Studien eine anfängliche Hyperaktivität der Amygdala sowie eine Minderaktivität des dlPFC. Dies deutete man anfangs dahingehend, dass hier der dlPFC in seiner Fähigkeit beeinträchtigt sei, die durch die Amygdala vermittelten und überschießenden negativen Gefühle im Zaun zu halten. Analog dazu war die Erwartung, dass eine erfolgreiche KVT zu einer Reduktion der überschießenden Amygdala-Aktivität und einer Erhöhung der zu geringen Aktivität des dlPFC führt. Die Erwartungen erfüllten sich allerdings auch hier nicht. Seit 2004 ist eine Reihe von Bildgebungsstudien zur Wirkung von Psychotherapie bei depressiven Patienten hinzugekommen, die auf KVT, Psychodynamischer Kurzzeittherapie oder längerfristiger psychoanalytischer Therapie (15 Monate und länger) basieren und mit Zahlen von 12 bis 23 untersuchten Patienten mehr oder weniger als repräsentativ gelten. Die meisten dieser Studien zeigen eine erhöhte Aktivität der Amygdala und des Hippocampus sowie limbischer Cortexareale, anterior cingulärer Cortext zu Beginn der Therapie, die nach erfolgreicher Therapie unterschiedlichster Art auf einen Normalzustand zurückgeht. Einschlägiger Literatur kann entnommen werden, dass in keiner der Untersuchungen nach erfolgreicher Therapie eine Aktivitätserhöhung des dorsolateralen präfrontalen Cortex zu beobachten war. Die wesentliche Wirkung der KVT ist hiernach eine Veränderung – in der Regel eine Verminderung – der Aktivität emotionaler und nicht kognitiver Strukturen. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass emotionale Hirnstrukturen wie die Amygdala oder der ventromediale präfrontale Cortex bei vielen depressiven Patienten sowie bei sozialer Phobie, Panik- bzw. Posttraumatischen Belastungsstörungen eine erhöhte Aktivität aufweisen.
? Was genau bedeutet das für die Kognitive Verhaltenstherapie?
! Die bei aller Heterogenität der Befunde vorliegende eindeutige Sachlage, dass der dorsolaterale präfrontale Cortex nicht beteiligt ist, hat verständlicherweise zu Irritationen geführt. Insbesondere bei den Theoretikern der KVT einschließlich Aaron Beck wurde in jüngerer Zeit eine Reihe von Publikationen ausgelöst, in denen man versuchte, das ursprüngliche KVT-Modell der neuen Befundlage anzupassen. Das Ziel der KVT ist nunmehr nach Aussage der Autoren die Stärkung der bewussten emotional-kognitiven Kontrolle durch den ventrolateralen und ventromedialen Cortex über eine „Neubewertung“ (reappraisal) der Situation. Dies entlaste zudem den dlPFC, was das weitere Absinken der dortigen Aktivität nach erfolgreicher Therapie erkläre. Das Ganze wird aber nach wie vor als eine primär kognitive und nicht primär emotionale Umstrukturierung angesehen, da nach dem zugrunde liegenden Konzept die Gedanken die Emotionen beeinflussen und negative Emotionen von negativen Gedankengängen bewirkt werden. Leider kann man sich hierbei nicht des Gedankens erwehren, dass alle Hinweise zugunsten einer primär emotionalen Umstrukturierung, die natürlich auch ein kognitives Reframing nach sich ziehen kann, letztlich doch nicht genügend berücksichtig werden, weil dies das vermeintliche Herzstück der KVT zu bedrohen scheint.
? Gibt es Untersuchungen, die zu einem Abschied vom Paradigma der kognitiven Kontrolle oder kognitiven Umstrukturierung beitragen können? Wenn ja, wie sind sie konzipiert?
! Es gibt schon aus jüngster Vergangenheit Studien zur Konnektivität frontaler Cortexbereiche untereinander und mit subcorticalen limbischen Zentren. In solchen Konnektivitätsstudien wird mithilfe unterschiedlicher neuroanatomischer Techniken untersucht, in welcher Weise Hirnzentren miteinander interagieren, ob also z. B. eine bestimmte Hirnregion eine andere stärker beeinflusst als umgekehrt. Die Ergebnisse dieser Studien zeigen, dass nur die über der Augenhöhle, vorne im Schädel gelegenen limbischen Hirnrindenbereiche direkt mit der Amygdala verbunden sind und diese auch beeinflussen können. Der dorsolaterale präfrontale Cortex hingegen hat keine unmittelbaren Verbindungen zur Amygdala. Dies deutet darauf hin, dass die Emotionen die Kognitionen beherrschen und nicht umgekehrt! Dies wird auch durch die bereits erwähnten Studien belegt, die zeigen, dass eine KVT-Behandlung umso wirksamer war, je mehr „emotionale“ Elemente sie enthielt, und umso weniger effektiv, je „kognitiver“ sie war.
? Wie würden Sie der Fragestellung nachgehen, ob die Wirkung des bisher sehr geringschätzig eingestuften Placeboeffekts neurobiologisch, psychologisch erklärbar ist bzw. ob und inwiefern er den Behandlungserfolg mitbestimmt.
! Wie bereits erwähnt, scheint bei Psychotherapien ein gemeinsamer Faktor zu wirken, nämlich die therapeutische Allianz, also das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Therapeut. Man hat in diesem Zusammenhang lange Zeit abwertend von einem Placeboeffekt im Sinne einer Scheinwirkung gesprochen. Allerdings konnte vor einigen Jahren im Zusammenhang mit der Schmerzbehandlung gezeigt werden, dass die Verabreichung eines pharmakologisch unwirksamen Mittels (des Placebos) und die damit verbundene Minderung des Schmerzgefühls auf realen neurobiologischen Prozessen basiert. Es besteht kein Zweifel, dass freundliche, lobende oder aufmunternde Worte, aber auch nicht verbale Kommunikation wie Blicke, Gestik, Mimik und sanfte Berührungen die Ausschüttung „positiver“ neuroaktiver Substanzen wie etwa endogener Opioide, Serotonin und Oxytocin auslösen können. Für eine solche Wirkung im Zusammenhang mit der therapeutischen Allianz liegen inzwischen zahlreiche neurobiologische Belege vor. So werden vertrauensvolle Interaktionen von Menschen, die sich in irgendeiner Weise aneinander gebunden fühlen, im Gehirn von einer Oxytocinausschüttung begleitet. Werden etwa Geheimnisse ausgetauscht, so finden sich anschlie- ßend erhöhte Oxytocinkonzentrationen im Blut. Man kann davon ausgehen, dass auch die Wirksamkeit der therapeutischen Allianz auf einer erhöhten Oxytocinfreisetzung im Gehirn des depressiven Patienten beruht, und zwar aufgrund von dessen Überzeugung, dass der Therapeut gewillt ist, ihm zu helfen, und über eine wirksame Therapiemethode verfügt. Oxytocin kann dann im Gehirn eine Reihe von Veränderungen in Gang setzen und hierüber die Funktionsweise psychoneuronaler Grundsysteme beeinflussen, die bei bestimmten psychischen Erkrankungen gestört sind. Eines dieser Systeme ist das Bindungssystem. Patienten mit einer depressiven Erkrankung haben häufig einen unsicheren Bindungsstatus und daher kein stabiles Modell einer verlässlichen Bindung zur Bezugsperson. Wie Studien zeigen, können sowohl eine intranasale Oxytocinverabreichung als auch Psychotherapie nachweislich die Bindungssicherheit fördern. Der erhöhten Bindungssicherheit infolge einer Psychotherapie könnten sowohl die aufgrund der therapeutischen Allianz erhöhte Oxytocinfreisetzung als auch eine verringerte Ausbildung von Rezeptoren zugrunde liegen.
? Was bedeuten diese Erkenntnisse für die moderne Psychotherapie?
! Eine für die Psychotherapie zentrale Erkenntnis betrifft die hohe Bedeutsamkeit der „therapeutischen Allianz“ zwischen Patient und Therapeut sowie dem Glauben, helfen zu können bzw. Hilfe zu erhalten. Wie gezeigt, führt dies zu einer massiven Erhöhung des Oxytocinspiegels und einer dadurch verstärkten Ausschüttung von endogenen Opioiden und Serotonin sowie zu einer Senkung des Stresshormonspiegels. Diese Vorgänge innerhalb der therapeutischen Allianz machen nach einschlägigen Studien 50-70 % der schnell einsetzenden Linderung psychischen Leidens aus, wie sie für die erste Phase einer Psychotherapie charakteristisch ist. Dies mag in Fällen leichterer psychischer Störungen, besonders solcher, die nicht mit einer frühkindlichen Traumatisierung zusammenhängen, auch einen wesentlichen Therapieerfolg herbeiführen. Die Ursachen und Folgen einer tief greifenden Traumatisierung werden hiervon aber nicht berührt. Die Wirksamkeit von Psychotherapien lässt sich in zwei Phasen differenzieren. Die erste Phase ist meist von einer schnellen Besserung der Befindlichkeit des Patienten gekennzeichnet, die jedoch in aller Regel nicht nachhaltig ist. Es kommt zu einer scheinbaren Normalisierung, indem das eigene Leiden vermehrt unbeachtet bleibt, d. h. das psychische Leiden „interessiert“ den Patienten nicht mehr so intensiv wie früher.
Aufbauend auf den wichtigen Prozessen der ersten Phase einer Psychotherapie besteht dann die zweite, oft langwierige Phase der Therapie in einem impliziten Umlernen tief eingegrabener Gewohnheiten des Fühlens, Denkens und Handelns. Hierbei scheint die Neubildung von Nervenzellen in limbischen Strukturen eine wichtige Rolle zu spielen. Die Einsicht in die Ursachen der Erkrankung hilft hierbei nur wenig. Viel wichtiger ist das fortbestehende Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Therapeut, dessen ständige Ermutigung und Richtungsgebung. Die eigentliche therapeutische Arbeit muss indessen der Patient selbst leisten.
Allgemein ist wohl davon auszugehen, dass eine erfolgreiche Psychotherapie zumindest beim Vorliegen vorgeburtlicher oder frühkindlicher psychischer Schädigungen nicht in einer „Heilung“, also der völligen Wiederherstellung früherer gesunder Zustände besteht, sondern im deutlichen Lindern der Befindlichkeit des Patienten und im Einstellen eines neuen psychischen Gleichgewichts, mit dem der Patient ein weniger eingeschränktes Leben führen kann.
? Welche Schlussfolgerungen ergeben sich aus den von Ihnen referierten Forschungsergebnissen hinsichtlich der Ausbildung zukünftiger psychologischer Berater bzw. Psychotherapeuten sowie für die Weiterbildung in diesem Bereich?
! Dazu kann ich meinerseits lediglich einige kritisch-konstruktive Aspekte nennen. Wir müssten uns stärker bemühen, Menschen für die Ausbildung zu motivieren, die bereits in ihren gewöhnlichen Beziehungen mit anderen ein hohes Maß jener psychosozialen Qualitäten aufweisen, die wir bereits erörtert haben. Wir bräuchten Menschen, die warmherzig sind, spontan, echt, verständnisvoll und sich von Vorurteilen fernhalten. Auch müssten wir uns für diese Personen um ein Ausbildungsprogramm bemühen, das ihnen zunehmend das Erlebnis von Empathie und emotionaler Zuwendung vermittelt. Wenn sie bei ihren Ausbildern Echtheit, Freiheit von Fassaden vor Augen haben, dann werden sie sich peuàpeu zu kompetenten Therapeuten entwickeln. Bei einer so konzipierten Ausbildung stünden zwischenmenschliche Komponenten ebenso intensiv im Mittelpunkt wie das intellektuelle Lernen. Man würde erkennen, dass auch noch so viele Kenntnisse über empirische Tests und psychologische Messverfahren, psychotherapeutische Theorien oder diagnostische Vorgehensweisen dem Auszubildenden in seiner persönlichen Begegnung mit den Klienten nicht zu größerem Erfolg verhelfen.
? Was wäre folglich der Kern eines solchen Ausbildungssystems?
! Der Grundgedanke wäre vom echt sichtbaren und kongruent gelebten Paradigmenwechsel geprägt. Man ginge weg von eindimensional ausgerichteter Spezialausbildung in testorientierter klinischer Psychologie sowie statistischer Verfahren hin zur Grundphilosophie mit mehr Zentrierung auf den Menschen. Diese Denkschule fühlt sich keinem Dogma und keiner geheiligten Theorie verpflichtet, sondern speist sich offen von den verschiedensten Denkrichtungen sowie Geistesströmungen. Das gilt insbesondere für all die Professionen, in denen es auf die Qualität der Beziehungskultur, der Beziehungsgestaltung in besonderer Weise ankommt: auf dem Gebiet der Medizin, des Pflegeberufs, in der Beratung und Psychotherapie, in der Seelsorge und natürlich auch im pädagogischen Sektor wie Erziehung und Schule. Kurzum im sog. Human-Dienstleistungssektor. In diesen Domänen hat die Kompetenz der Beziehungsgestaltung eine besondere Schlüsselrolle. Des Weiteren ist eine regelmäßig durchdachte, selbstreflexive sowie -kritische Evaluation der therapeutischen Beziehung von unschätzbarer Bedeutung.
? Inwieweit kommen die gegenwärtig vorhandenen und bekannten Ausbildungsprogramme für Beratungspraktiker, klinische Psychologen, Psychiater und Psychotherapeuten an diese Zielsetzungen heran?
! Bei dieser Fragestellung stößt man auf ein recht heterogenes Bild. Einige einschlägige Ausbildungsanstalten mit primär kognitivem Fokus erschweren es den Studierenden, sie selbst zu sein. Diese Systeme bringen sie weg davon, den Klienten ganzheitlich zu betrachten, und drängen sie eher dazu, irgendeine professionalisierte Rolle im Geiste eines „Technikers“ oder „Vollzugsbeamten“ zu übernehmen. Häufig werden sie mit theoretischem und diagnostischem Ballast dermaßen überfrachtet, dass die Lernenden kaum oder weniger imstande sind, die Innenwelt des Gegenübers zu begreifen. Zudem geschieht es im Verlauf der beruflichen Weiterbildung nur allzu oft, dass der anfängliche Enthusiasmus, die zu Beginn vorhandene intrinsische Motivation und warmherzige Zuneigung für andere Menschen in einem Meer theoriebehafteter, technokratischer und sinnfreier Grundhaltung des Systems untergeht. Zum Glück gibt es einige erfrischende Ausnahmen, sog. Leuchttürme in der deutschen Ausbildungslandschaft, an deren Modell man sich idealtypisch orientieren könnte.
? Worin besteht Ihres Erachtens das Ziel der meisten helfenden Berufe, einschließlich der Psychotherapie?
! Es ist meine Überzeugung, dass das Ziel immer und ohne Ausnahme in einer Förderung der persönlichen Entwicklung und des psychischen Wachstums des Klienten in Richtung auf eine gesellschaftsbezogene Reife besteht. Bei Angehörigen dieser Berufe lässt sich ihr Erfolg am angemessensten durch das Ausmaß bestimmten, in dem sie in ihrer Arbeit mit den Klienten das genannte Ziel erreichen. Unsere gegenwärtigen Kenntnisse weisen darauf hin, dass eine konstruktive Änderung beim Klienten besonders dadurch bewirkt wird, dass er in der Beziehung zu seinem Therapeuten bestimmte Qualitäten erlebt. Einschlägige Untersuchungen aus transdisziplinärer Perspektive zeigen, dass diese Merkmale der Beziehung empirisch konstant einer persönlichen Entwicklung und Veränderung zugeordnet werden können.
? Was ist Ihr ganz persönliches Fazit?
! Konstruktives Wachstum der Persönlichkeit ist mit dem realen Zugegensein von Therapeuten verbunden. Gute Therapeuten zeichnen sich durch eine echte und vorurteilsfreie Zuneigung zum Klienten sowie ein einfühlendes situatives Verstehen von dessen persönlicher Welt aus. Schlussendlich durch die Fähigkeit, dem Klienten eine wachstumsfördernde, wertschätzende Annahme seiner Person zu spiegeln. In einer mit diesen Qualitätsmerkmalen aufgebauten und gepflegten Beziehungskultur können Prozesse in Gang gesetzt werden, die für die Psyche heilsam oder zumindest lindernd sind. Vor diesem Hintergrund haben die lediglich fluchtartig erwähnten Ergebnisse weitreichende Folgen für die Theorie und Praxis von Beratung, Psychotherapie wie auch für die Ausbildung in diesem Bereich. Dies ist und bleibt eine essenzielle Transferaufgabe der Psychotherapie als lernende Organisation in der Gegenwart für die Zukunft.
? Frau Hanke, wie ist Ihre Auffassung zu diesem Thema?
! Meinen Klienten, Herr Prof. Samu, begegne ich unvoreingenommen und wertneutral. Es ist entscheidend, einer hilfesuchenden Person das Gefühl zu geben, sich gut aufgehoben und geborgen fühlen zu können. Eine fundierte Ausbildung sowie ein gut angelegter Methodenkoffer bilden die notwendige Basis für den professionellen Umgang mit dem Klienten. Weiterhin wichtig sind die eigene entwickelte und reflektierte Persönlichkeit und die Fähigkeit, sich empathisch in sein Gegenüber hineinzufühlen, die Person wahrzunehmen. Authentizität und Lebenserfahrung sind ganz elementare Faktoren für einen erfolgreichen gemeinsamen Weg mit dem Klienten in der Beratung bzw. Therapie. Mein schönstes Geschenk ist ein offenes und zufriedenes Lächeln meines Klienten am Ende einer Sitzung und das Gefühl, diesen ein Stück näher zu sich selbst und seine innere Kraft begleitet zu haben.
Literatur: Quellenangaben und Hinweise zu Fachliteratur erhalten Sie hier:
D. Hanke
Heilpraktikerin für Psychotherapie, Coachin, Psychologische Beraterin, Praxis für Seelische Gesundheit, Leipzig