Skip to main content

Der Klopapier-Effekt - Ein Beispiel sich selbst erfüllender Prophezeiung in der Coronakrise

FP 0220 komplett App Page18 Image1Der niederländische Regierungschef Rutte meinte zur Versorgung mit Toilettenpapier: „Wir haben so viel Klopapier, wir können zehn Jahre kacken.“

Wie groß die Vorräte in Deutschland sind, weiß ich nicht, aber ich gehe von ähnlichen Kapazitäten aus.

Trotzdem: Überall begegnen mir Menschen mit mehreren Paketen Klopapier unter dem Arm. Teilweise haben die Geschäfte die Abgabe auf ein Paket pro Kunde beschränkt. Eine Kassiererin äußerte sich mir gegenüber: „Da kam ein Kunde im Abstand von fünf Minuten und hat immer ein weiteres Paket gekauft. Das habe ich eben unterbunden.“ In den sozialen Netzwerken kursieren lustige Videos zum kreativen Einsatz mit Toilettenpapier, Papierblätter werden als Ersatzwährung vorgeschlagen. Toilettenpapier ist „in aller Munde“ – kein wirklich schöner Gedanke.

Was hier wirkt, ist das psychologische Phänomen der „sich selbst erfüllenden Prophezeiung“. Menschen schaffen sich durch ihre Erwartungshaltung eine neue Realität, die dann wahr wird.

Wir kennen diese Wirkung auch beim Placeboeffekt. Der Ablauf ist so einfach wie wirkungsvoll:

Einige wenige Menschen, die gelegentlich als „Hamster“ bezeichnet werden, befürchten einen Versorgungsnotstand. Sie decken sich mit täglichen Verbrauchsprodukten ein. Dazu zählen neben Lebensmitteln auch Toilettenartikel und, in Zeiten von Corona, z. B. Desinfektionsmittel. Klopapier fällt schon deshalb mehr ins Auge als andere Produkte, weil es durch seine Abpackung deutlich sichtbar transportiert wird. Die Nachfrage steigt, aber bisher moderat.

Inzwischen sehen immer mehr Leute einzelne „Hamster“ mit größeren Mengen Klopapier durch die Straßen laufen und fragen sich: Warum kaufen denn jetzt alle Klopapier? Dabei ist dieses „alle“ natürlich nur subjektiv wahr. 95 % der Kunden haben an ihrem Konsumverhalten gar nichts geändert. Aber in Zeiten der Krise steigt die Sensibilität für das Verhalten der anderen. Wir werden vorsichtiger, einige sicher auch ängstlicher und dadurch verengt sich unsere Aufmerksamkeit. Die selektive Wahrnehmung lässt uns immer mehr Menschen mit Klopapier entdecken.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich auch andere beim nächsten Supermarktbesuch an das Klopapier erinnern: „Ach ja, Klopapier. Ich habe zwar noch ein Paket daheim, aber ich nehme vorsorglich mal noch ein oder besser gleich zwei Pakete mit.“ Sukzessive schwinden die Vorräte in den Läden. Zeitgleich erscheinen erste Bilder von leeren Regalen in den sozialen Netzwerken. Allein in WhatsApp werden täglich Tausende von Videos, Bildern und Witzen über die „Klopapier-Hamster“ verbreitet. Klopapier wird allgegenwärtig.

Die allgemeine (Medien-)Präsenz stimuliert weitere Gespräche über das Produkt. Und je mehr wir von etwas sprechen (auch vom nicht vorhandenen Mangel), desto realer wird es. Spätestens seit Paul Watzlawick wissen wir, dass „Nicht-Mangel“ im Kopf als „Mangel“ hängenbleibt. Für unser Gedächtnis gibt es keine Verneinung. Die nächste Nachfragewelle bahnt sich an. Inzwischen sind auch die letzten Skeptiker derart vom Corona-Klopapier-Virus infiziert, dass sie nicht umhinkommen, auch noch ein XXL-Paket (ist ja nur eins!) beim nächsten Einkauf mitzunehmen.

Tatsächlich haben einige Händler inzwischen keine Vorräte mehr, die Lieferzeiten werden länger, die Produktion kommt kaum mehr hinterher. Procter & Gamble, Kimberly-Clark etc. sind einige der wirtschaftlichen Gewinner dieser Krise, zumindest in einigen Produktsparten. Ganz platt ausgedrückt: Mit Scheiße lässt sich Geld machen.

Inzwischen stapeln sich Klopapierberge in vielen deutschen Haushalten. Auch hier ist „Kacken die nächsten zehn Jahre möglich“, um es in den Worten von Regierungschef Rutte zu wiederholen.

Mir ist natürlich eine Klopapier-Krise immer noch lieber als eine Coronakrise. Ein Verhalten mit Augenmaß ist in beiden Fällen wichtig, sonst werden weder Coronaviren noch Klopapier das Problem, sondern das Verhalten der Menschen. Bei sich selbst erfüllenden Prophezeiungen glauben die Akteure an ihre Vorhersagen. Daher kommt es zu einer bestätigenden Rückkopplung zwischen Erwartung und Verhalten. Watzlawick würde das mit Sicherheit als einen fantastischen Beweis des „radikalen Konstruktivismus“ bewerten:

Die Welt ist, wie du sie wahrnimmst.

Horst Lempart Horst Lempart
Heilpraktiker für Psychotherapie, Psychologischer Berater, Systemischer Coach

Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Foto: ©Tom Bayer