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Logotherapie trifft Natur

Sinnsuche in Wanderschuhen

Vor einiger Zeit fragte mich ein etwa siebenjähriges Mädchen bei einem Projekt, das ich begleitete: „Was ist eigentlich Sinn, Frau Willems?“ Ich staunte nicht schlecht über diese kurze, aber doch so treffende Frage der kleinen Lady, die offensichtlich bei meiner Vorstellung als Logotherapeutin gut aufgepasst hatte.

Glücklicherweise fielen mir die Worte der von mir sehr geschätzten Dr. Elisabeth Lukas ein. „Nun“, sagte ich, „mit dem Sinn ist es wie mit der Luft, die siehst du auch nicht, aber sie ist immer da. Erst wenn sie fehlt oder sie besonders schlecht riecht, fällt es dir auf, und dann kann es sehr unangenehm werden.“

Das Mädchen schaute mich aufmerksam und fragend an. So ergänzte ich unsere kleine Unterhaltung: „Du aber kannst selbst etwas für gute Luft und auch für Sinn in deinem Leben tun.“

Wir sammelten gemeinsam, wie es uns bei schlechter Luft ginge. Sie steuerte bei, dass sie das Fenster öffnen oder in den Wald gehen würde, um gute Luft zu atmen.

Anmerkung: Wie gut das einmal zu meiner beruflichen Arbeit in meiner Praxis passen würde, konnte ich damals noch nicht ahnen.

Das Gespräch mit der Kleinen ging weiter: „Beim Sinn kannst du auch wählen“, sagte ich. „Frag dich einfach bei deinen kleinen und auch großen Entscheidungen, welche Reaktion gerade die sinnvollste ist.“ „Und woher weiß ich, was sinnvoll ist?“ hakte sie nach. Und nun überlegten wir gemeinsam, wie sich solch gute, sinnvolle Entscheidungen im Bauch und im Kopf anfühlten. Ein wunderbares Gespräch mit einer kleinen, weisen Lady.

Die Professorin Dr. Tatjana Schnell, die sich an der Universität in Innsbruck mit der empirischen Sinnforschung beschäftigt, geht in ihrem Buch „Psychologie des Lebenssinns“ auf die Frage des kleinen Mädchens wie folgt ein: Sie schreibt, das, was unserem Leben Sinn und Bedeutung verleiht, uns oft wenig bewusst ist. Sinn wird insbesondere dann registriert, wenn er fehlt. Und genau da bietet die Logotherapie Sinnentdeckungshilfe und hilft, das Fenster zu öffnen, um bei dem Luftbeispiel zu bleiben, und frische Luft hineinzulassen – gerade dann, wenn wir zuvor in „Luftnot“ geraten sind.

Die Erkenntnis, dass Sinn ein Grundbedürfnis des Menschen ist, steht im Mittelpunkt der Logotherapie, jener sinnzentrierten psychotherapeutischen Schule, die der Wiener Arzt und Neurologe Viktor E. Frankl (1905-1997) begründet hat und die nach den Schulen von Freud und Adler die dritte Wiener Schule der Psychotherapie genannt wird.

Immer mehr Menschen leiden heute darunter, dass sie ihrem Leben keinen Sinn mehr abgewinnen können. Oder sie leiden unter der Last der herausfordernden Lebensbedingungen und geraten so in eine existenzielle Frustration – vergleichbar mit einem Vakuum. Dieses Alarmsignal ist kein Zeichen von Krankheit, vielmehr ein „gesunder Schmerz“, der die notwendende Kurskorrektur im Leben anzeigt und – sofern wir ihm nachgehen – auslösen kann.

Logotherapie in und mit der Natur

Neu jedoch ist der Beratungsansatz, die Logotherapie in und mit der Natur durchzuführen. Warum aber ist gerade das eine sinnvolle Kombination?

Die Natur ist, wie kaum ein anderer Ort, voller Sinnbilder. Beides – Sinn und Natur – hat Aufforderungscharakter. Mittlerweile ist wissenschaftlich bewiesen, welch hohe Bedeutung die Natur für unser körperliches und mentales Wohlbefinden hat. Die Schönheit und Ruhe der Natur, die Bewegung, die Luft – all das kann helfen, den Geist zu klären und eine tiefe Verbindung zu den eigenen Werten, zu dem, was wirklich wichtig ist, zu erreichen. Dies ist ein hervorragendes Fundament, um an persönlichen Fragestellungen zu arbeiten. Durch individuelle, gezielte Interventionen wird der jeweilige Entwicklungsprozess unterstützt. Die Natur fungiert dabei als Co-Therapeutin.

Es ergeht über die Natur die Aufforderung an uns, das, was sich um und in uns tut, wahrzunehmen und darauf zu reagieren. Ebenso ist es mit dem Sinn. Sinn ist nichts Abstraktes, sondern etwas sehr Konkretes und Persönliches - und zwar zwischen jedem von uns und dem Leben.

Die Logotherapie spricht von der kopernikanischen Wende, die besagt, dass nicht wir zu fragen haben, sondern wir sind die Befragten des Lebens. Sozusagen vom Warum hin zum Wozu. Wozu ruft mich die jeweilige Lebenssituation auf? Wie will ich auf die Herausforderung, den Schicksalsschlag, den Streit, die Trennung und vieles mehr in meinem Leben reagieren.

Indem ich Antwort gebe verantworte und gestalte ich mein Leben. „Herrlich ist es, zu wissen, dass die Zukunft, meine eigene und mit ihr die Zukunft der Dinge, der Menschen um mich, irgendwie – wenn auch in noch so geringem Maße – abhängig ist von meiner Entscheidung in jedem Augenblick.“
Viktor Frankl

Sich als Gefragte zu erleben – das macht das Leben spannend. Ich bin gefragt! Sinnanregende Fragen können sein:

  • Was sind die Fragen, die das Leben derzeit an mich stellt?
  • Wo fühle ich mich gefragt? Wozu ruft mich das auf?
  • Was wäre zu tun? Zu ändern? Worauf warte ich?
  • Was ist vielleicht aus meinem Blickwinkel geraten? Was ist das Gesollte?
  • Wie hast du bisher Schwierigkeiten in deinem Leben gemeistert?
  • Was für ein Mensch möchtest du werden?
  • Worauf möchtest du verzichten?
  • Auf welche Taten und Einstellungen möchtest du eines Tages zurückblicken?

Seit meine Klienten (immer m/w/d) zu Mitwanderern geworden sind, hat sich alles verändert.

Die Mitwanderer gehen, entdecken und erkennen meist selbst. Diese Handlungsfähigkeit trägt viel Gesundes in sich. Weg von einer einseitigen Problemorientierung hin zur Wiederentdeckung von Neugier und Hoffnung.

Wenn Ratsuchende Menschen selbst erkennen können, handlungsfähig bleiben und das Leben wieder unter dem Aspekt des Gelingens erleben, wird die seelische und körperliche Kraft mobilisiert. Weg von der Ohnmacht hin zu dem Weg, den ich selbst wählen und gestalten kann.

In der Logotherapie wird der Mensch gerne mit einem Bild beschrieben: Der Mensch verfügt über Wurzeln auf der Erde und ist aufgerufen, auch seine Himmelswurzeln zu erkennen. Die Erdenwurzeln repräsentieren alles Körperliche bis hin zu den hochkomplexen Vorgängen des Nervensystems, welches das leiblich-seelische Wechselgeschehen steuert. Die Himmelswurzeln dagegen verweisen auf die geistige Freiheit des Menschen. Diese ermöglichen, uns mit körperlichen und seelischen Herausforderungen auseinanderzusetzen. Die Himmelswurzeln werden oft als der in uns wohnende heile Kern bezeichnet. Ein Kern, der bleibt.

Eine passende Übung: deine Wurzeln – deine Krone

Suche dir in deiner Umgebung einen Baum, der dich fasziniert, dich berührt oder neugierig macht. Nimm dir die Zeit, ihn wahrzunehmen mit dem, was du siehst, und erahne das Wurzelwerk, das im Verborgenen liegt.

Welcher Gedanke kommt dir spontan? Was beeindruckt dich? Was gefällt dir?

Gehe nun dem Gedanken nach, was es für dich bedeutet, fest verwurzelt zu sein?

Welche Wurzeln hast du und welche möchtest du noch weiter stärken, um auch in den stürmischen Momenten des Lebens Kurs halten zu können? Wie kannst du deine Wurzeln tief in die Erde graben, um jene Standhaftigkeit zu erreichen, die dich wachsen lässt? Was hält dich in Balance? Was gibt dir Kraft?

Dann schau auf die Krone des Baumes. Was soll in dir wachsen? Wonach streben deine Himmelswurzeln? Wie soll deine Krone aussehen?

Vielleicht machst du ein Foto von deinem Baum und nimmst somit ein Stück Natur als Erinnerungshilfe zum Weiterdenken mit nach Hause.

Die Logotherapie gepaart mit Naturinterventionen ist sowohl für Therapeuten als auch für Klienten ein wirksames Instrument in den Bereichen Prävention, Beratung und Therapie, denn ... alles geht einfacher in Wanderschuhen!

Alexa Willems:
Der Wald weist Dir den Weg.
7 Fragen, die Dich zum Sinn in Deinem Leben führen.
Verlag bene!

Alexa Willems
Dipl.-Logotherapeutin, Heilpraktikerin für Psychotherapie, sinn- und wertorientierter Coach, Dozentin, Autorin
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Fotos: ©matho | adobe stock.com, ©candy1812 | adobe stock.com, ©Gudrun_Webel