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Hilfreicher Umgang mit krebskranken Menschen

Gestern starb mein geliebter Onkel in Innsbruck hochbetagt nach einem vollen und erfüllten Leben mit 91 Jahren. Heute, nach einem Tag der seltsamen Ruhe, brechen die alten Wunden wieder auf und ich muss den ganzen Tag an ihn, aber auch an meine Mutter, seine Schwester, denken, die viel zu früh an Krebs verstorben ist und mich damals völlig überfordert und verstört zurückließ.

Meine Mutter bekam im Frühjahr 1995 nach einer geplanten Magenoperation, die gar nicht mehr durchführbar war, allein im Aufwachraum auf ihre Frage, wie die Operation verlaufen sei, die Prognose von drei Monaten an den Kopf geworfen. Ich war leider nicht da, ich war auf der Arbeit und erfuhr von meinem Onkel die niederschmetternde Botschaft am Telefon. Als meine Mutter mir Wochen vorher am Telefon erzählte, dass man nach einer Biopsie, die den Krebsverdacht leider bestä- tigte, und nach vielen Untersuchungen herausgefunden hatte, dass sie vermutlich Magenkrebs hätte, verschlug es mir komplett die Sprache und ich heulte fassungslos.

Meine Mutter war eine starke Frau und wollte mich bis zum Schluss beschützen. Auch ihre Nachricht am Telefon erfolgte nur, weil ihr Arzt sie nachdrücklich aufforderte, mir endlich die Wahrheit zu sagen.

Nach der Operation bekam sie sehr schnell ihre erste stationäre Chemotherapie im Schwarzwald und schon da begannen ihre Haare auszufallen. Kurz darauf trug sie schon eine Perücke. Es reihte sich Chemotherapie an Chemotherapie und tatsächlich konnte für einige Wochen der Verlauf der Erkrankung so gestoppt werden, dass wir beide einen gemeinsamen Urlaub in Österreich antreten konnten, in dem sie alle Menschen, die sie liebte, noch einmal wiedersehen konnte. Die darauffolgenden Nachuntersuchungen schenkten Hoffnung und wir alle hatten das Gefühl, noch einmal mit dem Schrecken davongekommen zu sein.

Aber schon im November kamen die Rü- ckenschmerzen massiv zurück und auch die im Anschluss stattfindenden Bestrahlungen konnten am fortschreitenden Krankheitsverlauf nichts mehr ändern. Meine Mutter verstarb dann am 24. Januar 1996 im Krankenhaus und für mich hörte die Welt auf, sich zu drehen.

Warum erzähle ich Ihnen das? Weil ich heute weiß, dass ich, obwohl ich oft zu Besuch zu Hause war und versuchte, meiner Mutter in dieser so schwierigen Zeit beizustehen, von der ganzen Situation völlig überfordert war. Ich war so sehr geschockt von der Erkrankung und der Behandlung meiner Mutter. Ich war so in Angst um meine Mutter und konnte mir ein Leben ohne sie gar nicht vorstellen, dass ich sicher auch den Ernst der Lage immer wieder total verdrängt habe.

Heute wüsste ich es besser. Heute würde ich mir viel mehr Zeit nehmen und diese Zeit mit Leben füllen. Heute würde ich mir als Angehörige mit Sicherheit auch professionelle Hilfe holen.

Doch warum war das so und ist sicher in vielen vergleichbaren Fällen noch immer so?

  • Warum tun sich die Angehörigen oder Freunde so schwer, einem krebskranken Menschen hilfreich zur Seite zu stehen?
  • Warum brechen manche Freunde sogar den Kontakt ab, wenn sie hören, dass man schwer erkrankt ist?
  • Warum müssen immer noch viele Menschen allein zu den angstbesetzten Vor- und Nachuntersuchungen ins Krankenhaus?
  • Warum stehen wir oft eben nicht als Gesprächspartner zur Verfügung ohne irgendwelche Allgemeinplätze wie „Das wird schon wieder“ oder „Du musst einfach kämpfen“?

Was meinen Sie?

Ich glaube, weil die Krankheit Krebs uns allen Angst macht, weil das Sterben uns allen Angst macht und weil der Tod uns allen Angst macht. Menschlich völlig verständlich, aber wenig hilfreich für die, die gerade aktuell davon betroffen sind und unsere ganze Hilfe, Unterstützung und Liebe brauchen.

In meiner Praxis für Psychotherapie hatte ich über die Jahre hinweg mehrere Klientinnen mit Brustkrebs. Alle haben die Erkrankung und die Behandlung gut überstanden und sind bis auf den heutigen Tag vollkommen gesund. Bei keiner ist ein Rezidiv aufgetreten – zum Glück!

  • In jeder Sitzung hörte ich immer wieder, wie sehr sich die erkrankten Frauen um ihre Angehörigen sorgten, auch um ihre Eltern.
  • Ich hörte immer wieder, wie sehr die Betroffenheit der Mutter über die an Krebs erkrankte Tochter diese wiederum daran hindert, ihre Mutter zur angstbesetzten Nachuntersuchung mitzunehmen, obwohl es für sie eine große Hilfe wäre.
  • Mehrere Klientinnen erzählten mir, dass es gar nicht ginge, ihrer Mutter oder auch ihrem Vater reinen Wein einzuschenken über die eigenen Gefühle von Angst vor dem Tod und dem Sterben, denn das würde sie zu sehr belasten.

Was also können wir alle tun und wie können wir krebskranken Menschen in dieser schweren Zeit sinnvoll helfen?

Wenn die Diagnose Krebs ein Familienmitglied, einen Freund, Kollegen oder Nachbarn (immer m/w/d) trifft, könnte aus meiner heutigen privaten und beruflichen Erfahrung Folgendes wirklich helfen:

  • Seien Sie da, zeigen Sie Präsenz vor und auch vor allem nach der Diagnose.
  • Rufen Sie an, machen Sie einen Besuch im Krankenhaus oder zu Hause, schicken Sie Karten, E-Mails oder telefonieren Sie, da, wo ein Besuch nicht möglich ist, via Internet.
  • Lassen Sie auf keinen Fall Ihre Lieben mit der Diagnose und der Angst alleine.
  • Vermeiden Sie von Anfang an gut gemeinte Ratschläge.
  • Begleiten Sie Ihre Angehörigen oder Ihre Freunde zu den Untersuchungen und Arztgesprächen, wenn sie es wünschen.
  • Sprechen Sie gemeinsam über die geplante Behandlung und wägen das Für und Wider ab.
  • Akzeptieren Sie aber dann auch die Entscheidung der erkrankten Person und unterstützen Sie sie auf ihrem gewählten Weg.
  • Bieten Sie bei Krankenhausaufenthalten praktische Hilfe an, wie Blumen gießen, die Katze füttern etc. 
  • Gehen Sie mit zum Friseur, unterstützen Sie Ihre Freundin bei der Auswahl der Perücke und halten Sie ihre Hand, wenn die Haare fallen.
  • Verzichten Sie bitte auf Floskeln wie „Die Haare wachsen doch wieder“, „Du musst einfach positiv denken“ oder „Du stirbst doch nicht“.
  • Halten Sie es bitte aus, wenn die Kranke über ihre Ängste reden möchte, und hören Sie einfach zu.
  • Stellen Sie dabei bitte so weit wie möglich Ihre eigene Befindlichkeit hinten an.
  • Vermeiden Sie das Erzählen von eigenen Krankengeschichten, außer Sie werden danach gefragt.
  • Suchen Sie sich selbst, wo nötig, professionelle Hilfe beim Seelsorger, beim Heilpraktiker für Psychotherapie etc.
  • Sorgen Sie bitte als Angehörige gut für sich, unternehmen Sie etwas Schönes, das Sie entlastet, wo Sie selbst wieder Energie auftanken können.
  • Besuchen auch Sie eine Selbsthilfegruppe und entlasten Sie sich psychisch, indem Sie dort über Ihre Verlustängste frei reden können, wenn Sie mögen. Lassen Sie Ihre Angehörigen an guten Tagen teilhaben an Ihrem Leben, am Kaffeeklatsch, an Geburtstagen, Taufen oder Hochzeiten.
  • Feiern Sie gemeinsam gute Nachrichten aus Nachuntersuchungen, wenn die Behandlung anschlägt.
  • Bitte akzeptieren Sie aber auch, so schwer es Ihnen fällt, die Entscheidung der Kranken, wenn sie sich nach mehreren belastenden Prozeduren nicht mehr behandeln lassen will.
  • Nutzen Sie die Zeit, die noch bleibt, für schöne gemeinsame Erlebnisse, denn diese Erinnerungen bleiben Ihnen als Schatz für immer.
  • Halten Sie es aus, wenn sie über ihren Tod und ihre Beerdigung reden möchte.

Natürlich kann diese Liste unendlich weitergeführt werden, aber ich denke, es ist schon so sehr viel erwähnt, was man tun kann.

Bestimmt übersteigt das eine oder andere auch Ihre Kräfte, ich weiß das nur zu gut aus eigener Erfahrung – aber dann ist das eben auch so.

Kommunizieren Sie auch das offen mit Ihren Lieben, denn sie spüren es sowieso. Alles, was Sie aussprechen, liegt auf dem Tisch und steht nicht mehr zwischen ihnen.

Wenn Sie wahre Größe zeigen, wachsen Sie dabei über sich hinaus und Ihre geliebte Person wird Ihnen für Ihre Unterstützung für immer dankbar sein, egal, wie es auch ausgehen wird.

Barbara Michaela Hux
Heilpraktikerin für Psychotherapie,
Trauerbegleiterin und Autorin, eigene Praxis in Bodolz
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