Zum Hauptinhalt springen

Einsamkeit kommt selten allein und ist lebensgefährlich

Die Fachzeitschrift „PiD, Psychotherapie im Dialog“ widmet sich in ihrer neuesten Ausgabe dem Thema Einsamkeit. Bedingt durch die sozialen Folgen der Coronapandemie hat sich die Zahl der Menschen, die sich zumindest zeitweise einsam gefühlt haben, im Jahr 2020 drastisch erhöht. Als Dauerzustand ist Einsamkeit lebensgefährlich. Zumal dieser Zustand meist in kritischer Wechselwirkung mit anderen negativen Faktoren steht.

Während dem Alleinsein im allgemeinen Verständnis eine selbst getroffene Entscheidung zugrunde liegt, wird Einsamkeit als wahrgenommene Diskrepanz zwischen den gewünschten und den tatsächlichen sozialen Beziehungen definiert. Mit anderen Worten: Ich wünsche mir soziale Kontakte, habe aber keine oder zu wenige, um mich wohlzufühlen.

Laut den Ergebnissen des Sozio-Ökonomischen Panels (SOEP) aus den Jahren 2013 und 2017 fühlten sich in diesen beiden Jahren etwa 14 % der in Deutschland lebenden Menschen zumindest zeitweise einsam. Im SOEP 2021 stieg diese Zahl nach Angaben des Bundesfamilienministeriums auf rund 42 %.

Arme Menschen sind häufiger von Einsamkeit betroffen; insbesondere dann, wenn die Armut ein vergleichsweise „neuer“ Zustand ist: Der soziale Abstieg führt meist zu einem ausgedünnten Freundeskreis. Kontakte brechen ab, ohne dass in ausreichender Zahl neue entstehen. Und dies nicht nur aufgrund sozialer Unsicherheiten der Betroffenen: Erfahrungsgemäß ist es im Erwachsenenalter wesentlich schwieriger, neue Kontakte zu knüpfen als in Kindheit und Jugend. Häufig beschränken sich erwachsene „Freundschaften“ auf Kontakte zu Kolleginnen und Kollegen.

Besonders häufig von Einsamkeit betroffen sind auch Menschen mit chronischen Erkrankungen: Zum einen fühlen sie sich aufgrund ihrer Einschränkungen oftmals als „Belastung“ für den Bekanntenkreis. Und zum zweiten führt die Erkrankung in vielen Fällen zu Antriebsschwäche und birgt ein erhöhtes Risiko depressiver Verstimmungen.

Angesichts der allgegenwärtigen sozialen Netzwerke könnte man glauben, dass das Thema Einsamkeit an Brisanz verliert. Doch das scheint nicht der Fall zu sein. Inwieweit Instagram, YouTube & Co. Defizite im Bereich realer Kontakte ausgleichen können, ist nicht abschließend geklärt.

Sicher scheint aber, dass Social Media als (weitestgehend) einzige Quelle sozialer Kontakte zu anderen Menschen das Einsamkeitsgefühl und die damit einhergehenden Risiken eher verstärken. Dies auch, weil in den sozialen Netzwerken fast durchgehend massiv geschönte Fotos und Lebensbeschreibungen präsentiert werden, die hervorragend geeignet sind, eigene Zweifel oder eben Einsamkeitsgefühle noch zu verstärken.

Einsamkeit ist aber nicht einfach „nur“ ein schlechtes Gefühl. Nach den Worten von Dr. Roland Prondzinsky, Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie in Halle, erhöht Einsamkeit die Gefahr für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall um rund 30 %. Tenor: Je größer die – empfundene – Einsamkeit, desto höher das Risiko.

Das bestätigt auch das Deutsche Ärzteblatt. Danach bedeutet Einsamkeit permanenten Stress. An Einsamkeit leidende Menschen schliefen außerdem schlechter und könnten sich weniger gut erholen. Sie bewegten sich weniger, ernährten sich ungesünder, griffen häufiger zu Alkohol und Zigaretten, entwickelten häufiger Depressionen und ebenso Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Einsame Menschen hätten häufiger Suizid-Gedanken und sterben durchschnittlich früher als Menschen, die sich nicht einsam fühlen.

Wie einsam jemand ist, lässt sich schlecht messen, da das subjektive Empfinden – und das ist ausschlaggebend – höchst unterschiedlich ist. Der einen würde es schon reichen, zweimal in der Woche eine Stunde mit einem vertrauenswürdigen Menschen spazieren zu gehen – mehr muss gar nicht sein, stört vielleicht sogar. Der andere braucht jeden Tag über Stunden sozialen Kontakt. Bis zu einem gewissen Grad lässt sich der Umgang mit dem Alleinsein zwar trainieren; grundsätzlich aber ist der Mensch ein soziales Wesen und als solches auf – reale – zwischenmenschliche Kontakte angewiesen.

Werden die individuellen Kontaktbedürfnisse auf Dauer nicht erfüllt, führt das leicht zu Ängsten und depressiven Verstimmungen. Die wiederum machen es noch schwieriger, aus sich selbst heraus Kontakt zu suchen. Eine subjektiv erlebte Ablehnung bei einem solchen Versuch der Kontaktanbahnung verstärkt den Effekt und kann eine lebensbedrohliche Abwärtsspirale einleiten – Stichwort Depression – bis hin zum Suizid.

Dass Heilpraktiker für Psychotherapie sich für ihre Patienten (immer m/w/d) Zeit nehmen, macht die therapeutische Arbeit mit an Einsamkeit und deren Folgen beziehungsweise parallel auftretenden Beschwerden leidenden Menschen also doppelt wertvoll.

Grundsätzlich ist Einsamkeit ein Thema für jede Altersgruppe, scheint bei älteren Menschen aber häufiger und prägender aufzutreten. Auch das ist offenbar nicht ohne Folgen: Von 2002 an beobachteten US-amerikanische Forscher 823 ältere Menschen aus Seniorenheimen über einen Zeitraum von vier Jahren. Anfangs war keine der beteiligten Personen an einer Alzheimer-Demenz erkrankt. In der Verlaufsbeobachtung kam es bei denjenigen, die sich einsam fühlten, wesentlich rascher zu einem geistigen Abbau als bei den sozial Aktiveren.

Jens Heckmann
Experte für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit, Mitglied im Service-Team des VFP
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Foto: ©PBStudio | adobe stock.com