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Progressive Muskelentspannung in der freien Psychotherapie

2015 03 Muskel1

Die progressive Muskelentspannung nach Jacobson ist eine willentlich ausgeführte Methode zur fortschreitenden Spannungsminderung spezifischer Muskelgruppen. Ihre Wirkung beschränkt sich nicht nur auf körperliche Prozesse, sondern wirkt auch herrlich entspannend und regenerierend auf die Psyche. Sie beruht im Wesentlichen auf den Forschungen von Dr. Edmund Jacobson, der seine Erfahrungen bereits 1929 der medizinischen Fachwelt in seinem Buch „Progressive Relaxation“ vorstellte.

Jacobsons Verdienst ist, dass er herausgefunden hat, dass sich zentralnervöse, emotionale und mentale Vorgänge in der Spannung der Muskulatur niederschlagen. Betroffen hiervon ist nicht nur die Skelettmuskulatur, sondern auch die glatte Muskulatur der inneren Organe. Diese Anspannung betrifft aber auch seelische und geistige Prozesse. Eine Entspannung der Muskulatur, führt zu einer Entspannung des vegetativen Nervensystems und dadurch kommt der Mensch in eine entspannte Geistes- und Gemütslage.

fotolia©vadymvdrobotDie progressive Muskelentspannung hat eine regulierende, balancierende und aufbauende Wirkung auf unseren Organismus, unsere Seele und unseren Geist.

Wer die progressive Muskelentspannung beherrscht, hat ein wunderbares Werkzeug zur Verfügung, um jederzeit ohne Hilfsmittel zu entspannen. Er ist in der Lage, jederzeit Stress abzubauen, kann seine Energie effektiver einsetzen und körperliche und seelische Symptome lindern. Körper, Geist und Seele können sich regenerieren und Kraft tanken und sich selbst wieder ins Lot bringen. Gerade in der Einzelarbeit hat sich die Methode bewährt und bietet ideale Möglichkeiten zur Selbsthilfe.

Ziele der progressiven Muskelentspannung

  • Optimierung unseres Energiehaushaltes im Alltag
  • Reduzierung der Muskelspannung
  • Psychohygiene
  • Entspannung der Haltemuskeln
  • körperliche Schmerzustände lindern
  • Einschlafschwierigkeiten auflösen
  • muskuläre Durchblutungsstörungen lindern
  • Muskulatur kräftigen
  • Alltagsstress abbauen
  • Linderung von Angst-und Panikattacken

Indikationen

  • Stressabbau
  • Vegetative Dystonie
  • Spannungskopfschmerz
  • Ein- und Durchschlafprobleme
  • Prüfungsangst
  • Phobien
  • Entspannung der Muskulatur nach intensivem Sport
  • muskuläre Durchblutungsstörungen
  • Immunsystem stabilisieren und fördern
  • Atemprobleme
  • Konzentrations- und Aufmerksamkeitsspanne fördern
  • Tinnitus
  • Nervosität
  • Unruhe
  • Bluthochdruck
  • niedriger Blutdruck
  • Verdauungsprobleme
  • chronische Schmerzen
  • während und nach einer Chemotherapie

Kontraindikationen

  • Akuter Lumbago
  • Rheuma im akuten Schub
  • dekompensierter Hypotonus
  • dekompensierte Herzinsuffizienz
  • Neurosenformen, die nicht entspannen sollten

Der Weg der progressiven Muskelentspannung

  • willentlicher Spannungsaufbau der angesprochenen Muskelgruppen
  • aktives Halten der Spannung
  • bewusstes Wahrnehmen der Spannung
  • plötzliches Loslassen
  • aktives Wahrnehmen und Nachspüren

Die Progressive Muskelentspannung lehrt uns, den Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung wahrzunehmen. Man kann auch sagen, dass es sich bei der Methode um Bewegung, Wahrnehmung und Beobachtung handelt.

1. Phase
Aktiver Spannungsaufbau – Bewegung

Der Spannungsaufbau während der Übung sollte immer gleichmäßig, sanft (20 % der Kraft des Probanden reichen völlig aus) und fließend erfolgen.

2. Phase
Halten und Wahrnehmen der Spannung – Beobachtung

Das Halten und Wahrnehmen der Spannung darf niemals schmerzhaft sein und der Muskel sollte auch nicht zu zittern oder zu krampfen beginnen. In der Regel halten wir die Spannung ca. 10 Sekunden. Keine Regel ohne Ausnahme: Stirnübung und Fußübung dauern nur 6 Sekunden. Ermuntern Sie den Übenden während der Spannungsphase, aktiv in den Muskel zu spüren und ganz bewusst wahrzunehmen.

3. Phase
Plötzliches Loslassen – Bewegung

Das plötzliche Loslassen ist ein wesentlicher Teil des Verfahrens und immens wichtig für den Erfolg der Session. Je plötzlicher und schneller losgelassen wird, umso größer das Kontrasterlebnis. Durch das bewusste Wahrnehmen wird die Muskulatur schneller in die Entspannung kommen. Beim langsamen Loslassen bleibt eine Restspannung in der Muskelspindel übrig und der Patient hat eine weniger intensive Wahrnehmung.

4. Phase
Aktives Wahrnehmen und Nachspüren – Beobachtung

Während dieser Zeit kann das Nervensystem regenerieren. Die Phase des Nachspürens ist immer länger, als die Phase der Anspannung. Ein ungefähres Zeitfenster sind 40 Sekunden bis hin zu drei Minuten. Der Übende atmet während dieser Zeit in seinem eigenen Rhythmus weiter. Alle Prozesse, die bewusst wahrgenommen werden, verankern sich fest im Gehirn und bei der nächsten Übungseinheit gelangt man schneller in die Entspannung.

Im Folgenden möchte ich eine kurze Übungssequenz vorstellen, die sich als Einstieg in die progressive Muskelentspannung bewährt hat

Lege dich entspannt auf die Unterlage.

Räkele und strecke dich und nimm dir Zeit, die perfekte Position zu finden, in der du die nächste Zeit verweilen kannst.

Deine Füße liegen nebeneinander – die Fußspitzen weisen leicht nach außen.

Die Handflächen ruhen neben deinem Körper auf der Unterlage.

Während du diese Position genießt, richtest du deine Aufmerksamkeit auf alle Geräusche, die dich umgeben – sie sind wichtig, um den den Weg nach innen zu finden, und verankern dich gleichzeitig im Hier und Jetzt.

Spüre nun ganz intensiv in dein Gesicht und fühle, wie du mit jedem Ausatmen alle Anspannung loslässt und Ruhe und Entspannung einatmest.

Vertraue dich diesem Prozess an, denn die wichtigsten Dinge im Leben geschehen ganz von selbst – dein Herz schlägt ja auch, ohne dass du dir Gedanken darüber machen musst (diese Suggestion bitte nicht bei Menschen mit Herzangst nehmen, dann vielleicht besser die Atmung ansprechen) im richtigen Rhythmus.

Fühle, wie sich dein ganzes Gesicht entspannt und du die Gedanken loslässt, die eben noch wichtig waren.

Deine ganze Aufmerksamkeit kannst du nun auf den Weg der progressiven Muskelentspannung richten und wahrnehmen, wie dein Körper in einen heilsamen und entspannenden Zustand gleitet, mit jedem Atemzug tiefer und tiefer.

Jetzt gibt es nichts zu regeln, nichts zu klären, du musst für niemanden da sein, du musst dich um niemanden kümmern. Du bist jetzt einzig und alleine für dich und dein Wohlbefinden da.

Lenke deine Wahrnehmung nun auf deine rechte Hand.

Atme dabei in deinem Rhythmus weiter und konzentriere dich weiter auf die rechte Hand. Balle diese nun zu einer Faust und spüre, wie die Muskeln der Hand und des Unterarms sich mehr und mehr anspannen.

Plötzlich loslassen – richte deine Aufmerksamkeit auf die Entspannung der Handmuskulatur, die sich nun entwickeln mag.

Wir wiederholen diesen Übungsschritt noch einmal – anspannen und … loslassen.

Konzentriere dich wieder auf das Gefühl der Entspannung und bleibe mit deiner ganzen Aufmerksamkeit wieder in der rechten Hand. Vielleicht spürst du schon jetzt oder gleich, dass die rechte Hand immer tiefer und tiefer entspannt.

Wir belegen den ganz angespannten Zustand der Hand in der aktiven Übungsphase mit der Zahl 100, den Zustand der absoluten Entspannung belegen wir mit der Zahl 0.

Der Zustand 0 stellt den Zielzustand dar – Gelöstheit, Freiheit, Weite.

Balle nun noch einmal die rechte Hand zu einer Faust – achte darauf, dass du nicht verkrampfst und die Spannung gleichmäßig aufrechthalten kannst. Diesen Spannungszustand belegen wir nun mit der 100.

Nun werden wir in 5 Schritten zur 0 kommen, in aller Ruhe und Bewusstheit.

Reguliere nun deine Spannung auf 80 – finde in aller Ruhe die Spannung, die 80 repräsentiert. Wenn du sie gefunden hast: Speichere bewusst diese 80er Spannung ab und nicke bitte mit dem Kopf.

Reduziere deine Spannung auf 60 – finde in aller Ruhe die Spannung, die 60 repräsentiert. Wenn du sie gefunden hast: Speichere bewusst diese 60er Spannung ab und nicke bitte mit dem Kopf.

Im nächsten Schritt reduzierst du diese Spannung auf 40. Wenn du sie gefunden hast: Speichere bewusst diese 40er Spannung ab und nicke bitte mit dem Kopf.

Reduziere diese Spannung auf 20 – finde in aller Ruhe die Spannung, die 20 repräsentiert. Speichere bewusst diese 20er Spannung ab und nicke bitte mit dem Kopf.

Nimm ganz bewusst diese leichte 20er Spannung wahr – die nun in der rechten Hand ist.

Erhöhe noch einmal die Spannung auf 60 – wieder zurück auf 40 – spüre ganz bewusst. Vom Spannungszustand 40 erhöhe nun auf 80 – zurück auf 20 – und nun noch einmal die Spannung in der Faust auf 100 ansteigen lassen. Registriere ganz bewusst die Spannung in der Hand. Wandere mit deiner Aufmerksamkeit zum Daumen, zum kleinen Finger, zum Zeigefinger, zum Ringfinger, zum Mittelfinger – spüre die Spannung in den einzelnen Fingern. Spüre die Spannungsverhältnisse auf dem Handrücken und im Unterarm.

Ich zähle nun von 5 auf 0. Bei 0 angekommen löst du die Spannung ganz plötzlich.

5 – du hältst ganz bewusst die Spannung in der rechten Hand.

4 – du atmest in Deinem Rhythmus weiter und hältst die Spannung aufrecht.

3 – alle Gedanken, die kommen, lässt du gleich wieder los.

2 – weiterhin gleichmäßig atmen.

1 – nehme noch einmal ganz bewusst die Spannung wahr.

0 – plötzlich loslassen und spüren, wie sich die Hand entspannt. Nimm wahr, wie die Muskelfasern der rechten Hand immer mehr loslassen.

Genieße es, nichts zu tun – es gibt auch nichts zu tun – einfach nur genießen – loslassen.

Falls du noch Restanspannung wahrnimmst, noch einmal kurz auf 100 spannen und loslassen.

Lasse alle Empfindungen zu, die dir anzeigen, dass die rechte Hand entspannt – vielleicht nimmst du ein Kribbeln oder Schwere oder ein angenehmes Pulsieren wahr.

Stelle dir jetzt doch einfach einmal vor, dass du diese Entspannung noch vertiefen kannst, indem du die Spannung weiter auf Minus 15 regulierst.

Lasse nun noch mehr Spannung aus der Hand fließen und achte auf alle Veränderungen, die stattfinden.

Lass diesen wunderbaren Zustand der Entspannung sich weiter ausbreiten, in das Handgelenk, den Ellenbogen, das Schultergelenk und in den ganzen Körper.

Genieße dieses Gefühl und tauche mit jedem Atemzug immer tiefer in dich hinein (5 Minuten Ruhe).

Wir machen uns langsam bereit, ins Hier und Jetzt zurückzukehren.

Zähle in deinem eigenen Rhythmus von 0 auf 5, blinzele mit den Augen, bewege deine Arme fest hin und her, recke und strecke dich, atme tief ein und aus und tauche erfrischt und munter ins Hier und Jetzt ein.

Fazit

Die progressive Muskelentspannung hat sich in meiner psychotherapeutischen Praxis bestens bewährt. Sie besitzt bei den Patienten eine hohe Akzeptanz, ist leicht zu erlernen und jederzeit anwendbar. Sie hilft, bewusst wieder den eigenen Rhythmus zu finden und die Balance zwischen Aktivität und Passivität zu entwickeln.

Die Körperwahrnehmung wird verbessert und das Gespür für die eigenen Bedürfnisse gestärkt. Spannungszustände werden sanft gelöst, die Patienten haben ein effektives Werkzeug für die Selbsthilfe.

Stephan Heinz Stephan Heinz
Heilpraktiker für Psychotherapie, Ergotherapeut, begleitender Kinesiologe

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