Toxische Beziehungen: Narzissten und Co-Narzissten in der Partnerschaft
„Was Ludwig seinen Feinden antut, kann er auch seinen Freunden antun, er muss sie nur zu seinen Feinden erklären.“
Angelika Klüssendorf
Ein Narzisst ist in der griechischen Mythologie einer, der in sein Spiegelbild verliebt ist. Er kann einen perfekten Auftritt auf der Bühne des Lebens hinlegen und passt gut in unsere individualistische westliche Gesellschaft, bei der privater und beruflicher Erfolg auch immer mit einer gelungenen Selbstdarstellung zu tun haben.
Aber Narzissten sind unsichere Menschen, die, entgegen dem grandiosen Bild, das sie zu vermitteln suchen, sich selbst eher hassen als lieben. Ihr Selbstbewusstsein ziehen sie aus der Bewunderung und der Abhängigkeit von anderen. Die narzisstische Persönlichkeitsstörung, um die es hier geht, ist eine in der frühen Kindheit erworbene Bindungsangst, meist verursacht durch narzisstische Elternteile. Sie ist verbunden mit einer Sucht nach Größe und Einmaligkeit, mit Egomanie, Empathielosigkeit und einer großen Fähigkeit zur Manipulation.
Der Narzisst sucht und findet mit seismografischem Gespür sein Pendant in dem Beziehungssüchtigen. Dieser ist ebenfalls bindungsgestört aus Mangel an Sicherheit und Geborgenheit in der frühen Kindheit. Er ist sehr empathisch und tut alles für ein bisschen Liebe. Selbst als Rebell hat er früh das Gefühl des Nichtgenügens im Unterbewusstsein verankert. Aus Angst vor dem Verlassenwerden ist er bereit, seine Bedürfnisse aufzugeben, um die von anderen zu erfüllen. So ist er das perfekte Opfer für den Narzissten.
Die Sucht, gebraucht zu werden, nennt man Co-Abhängigkeit oder Co-Narzissmus. Pathologische Narzissten sind eher Männer, obwohl der Anteil der Frauen wächst. Nicht nur bei Frauen und bei professionellen Helfern findet man außerdem den verdeckten Narzissmus, der sich entweder hinter ständigem Leiden mit eingeforderter Rücksichtnahme oder hinter „aufopferungsvollem“ Gutmenschentum versteckt.
Hochgestochene Normen, die sie nicht zwangsläufig selbst erfüllen, zwingen verdeckte Narzissten den moralisch leicht unter Druck zu setzenden Co-Narzissten auf und halten sie so in Schuld- und Schamgefühlen gefangen. Besonders zu beobachten ist dieses Verhalten in der esoterischen (Yoga-)Szene und in religiös sektiererischen Kreisen.
Wenn eine Beziehungssüchtige einen pathologischen Narzissten kennenlernt, meint sie zunächst, das große Los gezogen zu haben: Er ist charmant, redegewandt, unterhaltsam und scheint zugewandt und ehrlich. Sein Werben ist fantasievoll. Vielleicht ein bisschen zu viel an Liebesschwüren und Geschenken, vielleicht ein bisschen zu schnell intensiver Sex und gemeinsame Zukunftspläne.
Diese Love-Bombing-Phase, die man auch als Charmeoffensive beschreiben kann, dauert von einigen Wochen oder Monaten in Einzelfällen bis zu Jahren, je nachdem, wie viel Aufwertung, Dankbarkeit, Unterstützung und Zuwendung der Narzisst durch den Co-Narzissten bekommt. Aber nie kann die narzisstische Sucht nach Bewunderung, die aus der Angst vor dauerhafter Bindung resultiert, ganz gestillt werden.
Hat es der Narzisst geschafft, sein Opfer zu verführen und abhängig zu machen, wird die Beziehung normal statt einmalig. Dann fängt er an, sich zu langweilen. Er braucht ein neues Drama, das sich um ihn als Hauptdarsteller dreht. Als gewiefter Manipulator verwirrt und schwächt er sein Gegenüber mit Lügen und Verdrehungen der Wahrheit, spricht schlecht über Kollegen, Freunde und Verwandte der Partnerin.
Er fängt an, sie im Beisein von anderen zu beleidigen und völlig überzogene Forderungen zu stellen. Pläne für gemeinsame Reisen und Unternehmungen wirft er ohne Angabe von Gründen über den Haufen. Gerne baut er Dreiecksbeziehungen aufnimmt also Dritte mit in die Partnerschaft. Das kann die Schwiegermutter sein, der Freund oder die Kollegin – wer auch immer. So werden je nach Bedarf Druck, Eifersucht und Spannung aufgebaut.
Außerdem werden Verleumdungskampagnen im Freundeskreis angezettelt und so die Partnerin immer mehr isoliert. Sollte diese Aussprachen fordern, wird ihr versichert, sie hätte das alles „falsch verstanden“. Dieses Vorgehen, mit dem der Narzisst seine Partnerin an den Rand ihres Verstandes bringt, nennt man im Angelsächsischen, wo es die meisten Forschungen zu toxischen Beziehungen gibt, Gaslighting (Vernebeln).
Hat der Narzisst seine Partnerin lange genug verunsichert und sie so noch abhängiger gemacht, was er einerseits provoziert, andererseits nicht ertragen kann, geht er zur nächsten Phase über. Er verschwindet von der Bildfläche, ohne Ankündigung und Erklärung (Ghosting). Dieses plötzliche Abtauchen zum Ende der Beziehung ist eine traumatische Erfahrung für die Partnerin.
Dazu kommt das „Silent Treatment“, die totale verbale Kommunikationsverweigerung. Es ist die brutalste und härteste Taktik überhaupt und sie soll den Co-Narzissten endgültig in die Knie zwingen, wenn nicht sogar zerstören. Überlebt die Co-Narzisstin diese Behandlung einigermaßen gesund, denn Selbstmorde und schwere Depressionen sind bei einem „Silent Treatment“ nicht selten, probieren Narzissten auch nach der Trennung, ihrem Opfer Energie abzusaugen und es durch erneutes Love Bombing, Drohungen und Versprechungen weiter an sich zu binden. So testen sie aus, inwieweit sie sich weiterhin Macht und Kontrolle über die Ex sichern können.
Selbst wenn vordergründig kein Versuch zum direkten Kontakt aufgenommen wird, versucht der Narzisst doch, über Freunde und Bekannte die ehemalige Partnerin weiterhin zu beeinflussen oder anzugreifen. Diese „Flying Monkeys“ (wie aus dem Film „Der Zauberer von Oz“) wissen nicht, dass sie vom Narzissten nur benutzt werden, und sind stolz, ihrem „Hexenmeister“ zu dienen.
Fazit
Wir alle haben sowohl narzisstische wie co-narzisstische Züge in uns. Wenn aber das Pathologische wie in toxischen Beziehungen überwiegt, sollten co-abhängige Partner die Beziehung dauerhaft beenden. Narzissten ändern sich nicht, egal was sie versprechen. Sie haben keine Krankheitseinsicht und entschuldigen sich niemals für ihr Verhalten. Sie haben das Gefühl für das eigene wie für das Leiden anderer früh abgespalten und kommen, im Gegensatz zu den eher ängstlich depressiven, moralisch erpressbaren Beziehungssüchtigen, meist gut mit ihrem unmoralischen Verhalten durch das Leben.
Menschen, die Co-Narzissten zu „bedingungsloser Liebe und Verzeihung“ raten, um in eine missbräuchliche Beziehung zurückzugehen oder darin zu verharren, verhalten sich selbst missbräuchlich. Der hilfesuchende Co-Abhängige, der in einer toxischen Beziehung steckt, braucht professionelle Unterstützung von Therapeuten, die mit der Problematik vertraut sind. Oft ist eine spezielle Traumatherapie notwendig, die sich nicht in der Anwendung von Techniken wie Somatic Experience oder EMDR erschöpft, sondern von viel Respekt und Anerkennung des Leides der Co-Narzissten getragen ist.
Psychische Stabilisierung und vertrauensvoller Beziehungsaufbau zur Vorbereitung der Traumaverarbeitung sind unabdingbar.
Gerade Heilpraktiker für Psychotherapie sollten mit Versprechen von schneller Heilung achtsam umgehen.
Fürstenberg, Antonia von:
Mut zum neuen Leben.
Shaker Media Verlag,
ISBN 978-3-95631-339-4
Antonia von Fürstenberg
Heilpraktikerin für Psychotherapie, Berlin
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