Wenn eine Diagnose zum Politikum wird!
Kommentar zum Beitrag der Tagesschau „20 Wochen bis zum Termin“ von Silke Schmidt, u. a. Heilpraktikerin für Psychotherapie.
Wenn eine Diagnose zum Politikum wird, ist niemandem geholfen. Den Patienten am allerwenigsten. Dies und Weiteres veranschaulicht der Tagesschau-Bericht „20 Wochen bis zum Termin“ vom 10. April 2018.
Von einer Anna wird dort berichtet und von einer Melanie. Stellvertretend für all die Betroffenen, denen es psychisch alles andere als gut geht, deren Leidensdruck bis zur Suizidgefährdung führt.
Doch auch eine Frau Bernard kommt zu Wort, ebenso eine Frau La Roche, beides Psychotherapeutinnen. Hier wird aufgezeigt, was nach einem Jahr Strukturreform in der Psychotherapie bereits viel zu viele aus eigener Erfahrung wissen: Seit der letzten Erhebung 2011 ist die Wartezeit von der ersten Anfrage bis zum Beginn der eigentlichen Behandlung von 23,4 Wochen auf jetzt 19,9 Wochen gesunken. 20 Wochen bis zur Behandlung einer gesundheitlichen Störung.
Zumutbar? Wohl kaum.
Hinzu kommt, dass auch Familie und Freunde die Beschwerden mittragen. So berichtet Anna in dem Bericht „Man darf so was ja nicht sagen, aber wenn ich alleine gewesen wäre, dann wär ich nicht mehr. Das hätte ich nicht ausgehalten." Solche Situationen haben neben dem wundervollen Effekt für die Betroffenen jedoch oftmals zur Folge, dass auch die Angehörigen irgendwann am Ende ihrer Kräfte sind, nicht mehr wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollen und im Worst Case selbst in die „Tretmühle Therapie“ geraten.
Zielführend? Wohl kaum.
Die ebenfalls im Text zitierte niedergelassene Therapeutin Frau Bernard beschreibt sehr treffend, wie aktuell – also auch nach der Strukturreform – Erstgespräche ablaufen: „Das Problematische ist, dass wir Patienten einladen, diagnostizieren und dann wieder wegschicken müssen, weil wir sie nicht ambulant in die Therapie aufnehmen können."
Zielführend? Wohl kaum.
Eine weitere Patientin, Melanie genannt, berichtet von dem Marathon bei der Suche nach einem Therapeuten, der zum einen einen zeitnahen Termin anbieten konnte, und zum anderen von ihrer Krankenkasse übernommen wird. Letztlich hat sie sich entschlossen, die Therapie aus eigener Tasche zu zahlen – und dafür einen zusätzlichen Nebenjob anzunehmen.
Zielführend? Wohl kaum.
Im Jahre 2016 gab es laut. „Statista“ in Deutschland 23 812 vertragsärztliche Psychotherapeuten (davon übrigens 987 in Hamburg). Die WHO schätzt (gemäß einem Artikel des Ärzteblattes aus dem Jahre 2017) die Zahl der Menschen mit Depressionen in Deutschland auf 4,1 Millionen, die der Menschen mit Angststörungen auf 4,6 Millionen, Tendenz steigend! Die aktuellsten Zahlen dürfte die im Januar 2018 veröffentlichte Studie des DGPPN liefern, die von insgesamt 17,8 Millionen Betroffenen psychischer Krankheitsbilder in Deutschland ausgeht. Ein Verhältnis, das bei einer Regelbehandlungsdauer von 20 Wochen nicht aufgehen kann.
Und noch mehr Zahlen: Bereits im Jahr 2010 waren lt. DRV rund 12 % aller AUTage die Folge psychischer Erkrankungen. Das dafür von den Kassen geleistete Krankengeld lag bei zwei Milliarden Euro pro Jahr. Auch 39 % der frühzeitigen Neuberentungen erfolgen wegen psychischer Erkrankungen mit jährlichen Kosten von vier Milliarden Euro. Vor allem depressive Erkrankungen werden als zentrale Ursache dieser Entwicklung benannt. Zahlen, die verdeutlichen, dass psychische Erkrankungen weitreichende Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die Wirtschaft haben.
Es gibt in Deutschland Hausärzte, die Antidepressiva verschreiben. Oder Gynäkologen, die Beruhigungsmittel verordnen. Und die ggf. den Rat geben, psychologische Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Doch woher nehmen? Die Kapazitäten von Psychologen und Psychotherapeuten sind erschöpft, die Zahl der Patienten steigt dennoch – und nicht jeder kann sich eine Therapie bei nicht kassenärztlich tätigen Therapeuten finanziell leisten.
Doch genug gemeckert – es wird Zeit für Lösungsansätze.
Wie Thomas Schnura, Heilpraktiker und Psychologe M. A., in einem Artikel in diesem Magazin sehr anschaulich erläutert, gibt es in Deutschland vier Berufsgruppen, die psychologisch tätig sein dürfen:
- Psychiater
- Psychologische Psychotherapeuten
- Heilpraktiker und Heilpraktiker für Psychotherapie
- Psychologische Berater
Im weiteren Verlauf seines Artikels legt Herr Schnura herrlich einfach und dennoch präzise die Krankheitsbilder dar, die der jeweilige Therapeut behandeln darf. Sofern die genannten Therapeutengruppen bei berufsspezifisch einheitlich geregelter Ausbildung und späterer gleicher Leistungserbringung vor Krankenkassen gleichgestellt wären, wäre eine angemessene Betreuung Betroffener durchaus gewährleistet und auch die Heilpraktikerpraxen wären finanziell abgesichert.
Zielführend? Auf jeden Fall!
Leider ist dem jedoch nicht so. Wie in dem Tagesschau-Bericht von Melanies Therapeutin Frau La Roche anschaulich geschildert, muss sie immer mehr Patienten ablehnen, da sie weiß „... es würde einen Papierkrieg mit der Krankenkasse geben. Das ist für viele Patienten gar nicht trag- und zumutbar“. Zudem berichtet sie, dass vor der Strukturreform jeder ihrer Anträge bewilligt wurde. Inzwischen nur noch jeder dritte.
Vollkommen zu Recht würde sich jeder Patient mit Magen-Darm-Problemen aufregen, wenn er 20 Wochen auf einen Termin bei seinem Hausarzt warten und dessen Leistungen aus eigener Tasche bezahlen müsste. Ist es da verwunderlich, dass Menschen mit psychischen Problemen sich wie Menschen zweiter Klasse fühlen?
Heilpraktiker könnten – und dürften – sehr wohl Menschen mit Depressionen oder Ängsten, mit Süchten oder Essstörungen, mit somatoformen Beschwerden oder (pathologischen) Schlafstörungen u. a. sinnvoll unterstützen. Dies hätte zur Folge, dass Therapeuten, wie Frau Bernard, größere Kapazitäten hätten, die Betroffenen zu behandeln, deren Diagnose eine Therapie bei einem Heilpraktiker oder Heilpraktiker für Psychotherapie ausschließt. Auch Freunde und Familienangehörige müssten dann nicht den Job übernehmen, den eigentlich ein Therapeut übernehmen sollte.
Zielführend? Auf jeden Fall!
Zudem könnte der Begriff „Psychologischer Berater“ geschützt und vor allem vereinheitlicht werden, sodass eine kurzfristige Sicht eines entsprechenden Beraters auf die aktuelle Lebenssituation des Klienten dazu führen würde, dass z. B. Depressionen gar nicht erst entstehen.
Zielführend? Auf jeden Fall!
Fazit: Es gibt sicherlich viele Gründe, weshalb eine Strukturreform in der Psychotherapie sinnvoll und wichtig ist. Die Tatsache, dass derzeit Krankenkassen laut. des Tagesschau-Berichts jeden zweiten Erstattungsantrag für psychotherapeutische Sitzungen ablehnen – während es in 2016 lediglich jeder fünfte war – und somit entsprechend Kosten eingespart werden können, sollte nicht zu den wichtigsten gehö- ren. Es wäre daher wünschenswert, wenn die Prioritäten der Gründe neu verteilt würden und somit vor allem eines in den Vordergrund rückt:
Das Wohl des Patienten!
Silke Schmidt
Heilpraktikerin für Psychotherapie, Massage-Wellness-Therapeutin, Duft-, Farb- und Entspannungstherapeutin, kosmetische Lymphdrainage, YoungLiving®-Distributorin, Villa Vitae, Hamburg
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