Wenn Leistungsdruck krank macht!
Der innere Antreiber und Druckmacher als Zeichen der Selbstverurteilung
Erfolg ist möglich, wenn Talent, Motivation, Disziplin, die innere Einstellung und die Freude am eigenen Tun zusammenwirken. Erfolg im Sport, im Beruf allgemein, beim anderen Geschlecht, finanzieller Erfolg, materieller Reichtum, viele Fans, Friends, Follower etc. schmeicheln besonders dem Ego, das unentwegt nach Wertschätzung, Anerkennung und Liebe im Außen verlangt. Anerkennung und Liebe sind unser größter Antrieb, unsere größte Sehnsucht.
Äußerer Erfolg ohne innere Fülle aber wird zur Falle, denn das Problem des Egos ist, dass es niemals satt wird. So wird der Erfolg, das Verlangen nach Aufmerksamkeit und Anerkennung, zur Sucht und wenn der Erfolg einmal ausbleibt oder sich angebliche Freunde zurückziehen, Aufmerksamkeit entzogen wird, dann wird offenbar, dass Erfolg im Außen kein Ersatz für innere Fülle ist.
Selbst dann, wenn vermeintlich alles erreicht ist, alle Gipfel erstürmt sind, wird man irgendwann auf sich selbst zurückgeworfen, auf die Themen, die nicht gelöst sind und durch die Wertschätzung, die von außen kommt, nicht nachhaltig aufgefangen werden können. Das Ego suggeriert weiter erbarmungslos, nicht zu genügen, denn es nährt sich von trennenden Gedanken, von der Illusion, dass Liebe verdient werden muss und es keine bedingungslose Liebe gibt. Je größer dabei die innere Leere, desto zerbrechlicher das Gebilde, das durch den äußeren Erfolg gestützt wird, und desto größer die unbewusste Angst vor Niederlagen, Enttäuschungen und Liebesentzug. Viele Beispiele aus dem Leben berühmter Persönlichkeiten haben dokumentiert, dass der größte Erfolg, der größte Triumph oft die innere Leere erst offenbart.
Elvis Presley, Prince, Michael Jackson, George Michael, Marilyn Monroe, Kurt Cobain oder Jim Morrison, Whitney Houston, Robert Enke und zuletzt der DJ Avicii sind nur einige der Stars, die sich in ihrem Erfolg selbst scheinbar verloren haben. Viele Firmenlenker, Topmanager, Sportler mit Panikattacken, Burnout, Depressionen oder Medikamentenabhängigkeit bis hin zum Suizid sind bekannt.
Das Leben strebt nach Balance und wenn äußere Fülle nicht durch innere Fülle ausgeglichen wird, wird das Ungleichgewicht irgendwann so groß, dass es zum Zusammenbruch kommen muss.
Wessen Ego schon früh durch außerordentlichen Erfolg aufgebaut wurde, der läuft umso mehr Gefahr, dabei zu versäumen, sich um seine innere Balance zu kümmern. Dadurch nimmt die Abhängigkeit von der Wertschätzung und der Anerkennung im Außen immer weiter zu. Besonders Stars wie Profifußballer, Schauspieler, Musiker oder auch Topmanager erfahren eine sehr hohe Wertschätzung und Anerkennung über ihre Leistung, unterliegen aber auch enormem Druck und sind verpflichtet, alles dem eigenen Erfolg, dem Erfolg der Mannschaft, der Firma unterzuordnen. Gleichzeitig werden sie quasi rund um die Uhr betreut und gepflegt wie Rennpferde. Um die Erwartungen erfüllen zu können, setzen sie sich selbst am allermeisten unter Druck. Der innere Antreiber ist ständig aktiv.
In der Leistungsgesellschaft findet sich derjenige ganz o. k., der geleistet hat.
„Wenn ich nichts leiste, nicht abliefere, nicht fleißig bin, dann bin ich nichts wert.“
Das ist ein weitverbreiteter Glaubenssatz. Dabei dient die Überlebensstrategie „Anerkennung im Außen finden durch Erfolg“ als Abwehrmechanismus, als Projektion eines ungelösten seelischen Konflikts und einer unwahren Überzeugung, wie nicht geliebt zu werden bzw. nicht liebenswert zu sein, wenn ich nicht funktioniere. So kultiviert das Ego geradezu den Erfolgsdruck, um damit unerwünschte Gefühle wie Angst, Einsamkeit, Ohnmacht, Kleinheit, Minderwertigkeit oder Traurigkeit wegzudrücken. Doch diese verdrängten Gefühle verschwinden nicht, sie werden lediglich unter den Teppich gekehrt, von wo aus sie umso stärker wirken und immer wieder Ereignisse, Situationen und Menschen in unser Leben ziehen, die genau diese Gefühle aus dem Schatten hervorholen.
Der Druck, die Angst, die Wut und Ohnmacht, die von äußeren Ereignissen ausgelöst werden, sind in Wirklichkeit tief in uns längst da. Sie gehören zu uns und warten darauf, an die Oberfläche kommen zu dürfen. So spiegeln die Ereignisse, Situationen und Menschen, die uns begegnen und auf die wir emotional reagieren, letztlich unsere Urängste und von uns abgelehnte Aspekte, Verletzungen, die wir lange Zeit verdrängt haben. Wer von Kindheit an erfährt, dass es Liebe nur gibt, wenn man fleißig ist, wenn man funktioniert, sich anstrengt und leistet, der ist sich selbst nie genug und nährt kontinuierlich das Selbstunliebe- und Selbstverurteilungsprogramm.
Zum Erfolg verurteilt, setzen anhaltender Druck und Stress nicht nur den Parasympathikus außer Gefecht und beeinflussen den Neurotransmitterhaushalt und Stoffwechsel, führen zu Erschöpfung, Anspannung, Schlaflosigkeit oder gastrointestinalen Störungen. Das Resultat sind oft auch Angstzustände, Panikattacken bis hin zum Burnout oder zu depressiven Symptomen.
Um zurück in die eigene Mitte, in die Balance zu kommen, gilt es, nach innen zu schauen, die inneren Ressourcen zu stärken und abgegebene Anteile wieder zu integrieren. Doch wie geht das?
Zunächst ist es wichtig, bei allem, was uns im Leben begegnet, das uns berührt bzw. trifft, als Erstes die Frage zu stellen: Was ist mein Anteil, was ist meine Verantwortung, welche Botschaft steckt hinter dem Ereignis für mich ganz persönlich? Dort darf ich hinschauen, klärend und annehmend, Urteile überprüfen und ggf. zurücknehmen und eine neue Entscheidung treffen.
Beispielsweise darf ich bei Verurteilungen durch die Medien oder durch andere, auf die ich emotional reagiere, fragen: Wofür verurteile ich mich noch selbst? Und woher kenne ich das Gefühl, das dieses Urteil in mir auslöst? Ist der Gedanke, der das Gefühl auslöst, wirklich wahr? Alles, was mich trifft, kränkt, verletzt, hat mit einem Aspekt von mir zu tun, den ich gelernt habe, aufs Schärfste abzulehnen. Wenn mich ein Urteil eines anderen verletzt, ist das ein Hinweis darauf, dass ich mich selbst dafür am allermeisten verurteile. Erst wenn ich mich selbst annehme als der, der ich bin, wenn ich bereit bin, meine Wahrheit zu leben, kann ich Frieden schließen, Urteile zurücknehmen, damit abgegebene Anteile wieder integrieren und somit innerlich wachsen, innere Leere füllen.
Das Außen folgt dem Innen und so gelingt es manchmal, durch bloße Veränderung der inneren Haltung zu einem Konflikt diesen zu lösen. Deshalb gilt es, Inventur zu machen bei sich selbst und Gedanken, Urteile, Schuldzuweisungen und Glaubenssätze achtsam zu überprüfen. Fragen zu den eigenen Wurzeln, dem Warum-bin-ich, also dem Sinn sowie den Verstrickungen mit Bezugspersonen dürfen geklärt werden. Wann habe ich begonnen, mich selbst zu verurteilen? So kann ich meinen persönlichen Anteil an den Ereignissen in meinem Leben erkennen und komme mir selbst auf die Schliche. Erst dadurch wird es möglich, den eigenen Weg und auch den Weg der anderen Menschen, die meinen Weg gekreuzt haben, zu würdigen.
Durch Aufräumen, die Übernahme von Verantwortung und Frieden schließen befreie ich mich vom Mangeldenken, werde vom Opfer zum Schöpfer und bin in der Lage, meine Angst zu umarmen, zu fühlen und zu transformieren. Achtsamkeit, Bewusstsein und Herzöffnung sind der Weg zurück in die eigene Mitte, in eine Kraft, die uns erlaubt, selbst dann stehen zu bleiben, wenn alles um uns herum zusammenbricht.
Es geht also nicht darum, wie überwinde ich meine Angst, Trauer oder Ohnmacht, wie mache ich meinen Druck, meinen inneren Antreiber weg, sondern wie mache ich Frieden und umarme meine Angst, meine Trauer, meine Ohnmacht, meinen Druckmacher, sodass sie von alleine gehen können. Achtsamkeit und Innenschau mit der Unterstützung eines erfahrenen Therapeuten, anhalten, stehen bleiben, um Klarheit und Bewusstheit zu erreichen, Zeuge seiner selbst zu werden, sind notwendig, um aus dem Höllentrip des Egos auszusteigen.
Das Leben führt uns immer zurück in die eigene Balance, ob das ein freud- oder leidvoller Weg sein wird, das entscheidet jeder selbst, jeden Tag aufs Neue!
Lothar Obrecht
Heilpraktiker für Psychotherapie mit Praxis in Bochum
Fotos: fotolia©sabbra cadabra, fotolia©HNFOTO