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Digitale Eifersucht

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Das Smartphone zieht unsere Aufmerksamkeit kontinuierlich in den Bann und sorgt immer öfter auch für Eifersucht und Streitigkeiten innerhalb von Beziehungen. Kein Wunder, denn nicht nur alle 11 Minuten verliebt sich ein Single über „Parship“, sondern wir schauen auch im Schnitt alle 12 Minuten auf unser Smartphone. Zeit, die im Zweifelsfall vom Gegenüber abgezogen wird. Der Alltag erscheint zunehmend fragmentiert und unsere Aufmerksamkeitsspanne immer weiter reduziert. Unaufhaltsam verflechtet sich das analoge mit dem digitalen Leben und dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Art, wie wir lieben und Beziehungen führen.

Wenn man an Eifersucht denkt, dann kommen einem schnell klassischerweise Lügen, Doppelleben und damit verbundene Vertragsbrüche in den Sinn. Noch im letzten Jahrhundert kamen Affären z. B. durch angebrochene Kondompackungen, andersfarbige Haare im Bett, Knutschflecken, versteckte Liebesbriefe oder unbekannte Hotelrechnungen ans Tageslicht.

Heute spielt das Smartphone sowohl bei der Anbahnung als auch bei der Aufdeckung von partnerschaftlichen Vertragsbrüchen mit Abstand die größte Rolle. Kein Wunder, dass das Smartphone mittlerweile zur intimsten Zone innerhalb der Partnerschaft gehört. Ein unbeobachteter Blick auf das Display des Smartphones oder in den Internetverlauf des Partners kann so manche böse Überraschung mit sich bringen. Auch ein verändertes Smartphone-Verhalten innerhalb der Partnerschaft fördert nicht selten Misstrauen und damit einhergehend auch das Gefühl von Eifersucht.

fotolia©Syda OroductionsAber was genau ist Eifersucht eigentlich? Eins ist sicher: Sie ist ein starkes negatives Gefühl, das Menschen im Affekt zu Beziehungstaten bis hin zum Mord treiben oder im Eifersuchtswahn verrückt werden lassen kann. Schauen wir uns dieses mächtige Gefühl einmal näher an, so stellen wir schnell fest, dass hierzu in der Regel eine Triade gehört: eine eifersüchtige Person, die darunter leidet, etwas nicht zu bekommen, was sie aber glaubt, dass es ihr zustehe. Eine Bezugsperson, in der Regel eine vertraute Person, mit der eine emotionale Verflechtung besteht: Partner, Freunde, Arbeitskollegen, Eltern, Geschwister, Mitschüler. Und eine dritte Person oder eine Sache (Hobby, Beruf, Smartphone), die von der Bezugsperson Ressourcen (Sexualität, Emotionen, Geld, Zeit, Aufmerksamkeit) erhält.

Eifersucht begleitet uns ein Leben lang: Schon kleine Kinder kennen dieses Gefühl, z. B. wenn Geschwister von den Eltern gefühlt bevorteilt werden. Im Alter lernen wir dieses Gefühl stärker zu kontrollieren, benutzen Strategien, um es in den Griff zu bekommen, und versuchen, die Ratio walten zu lassen. Und dann kommen sie doch, Lebenssituationen, in denen sich unverhofft Eifersucht einstellt, obwohl man sich theoretisch gut darauf vorbereitet hat und versucht, dieses negative Gefühl nicht an sich herankommen zu lassen.

So negativ sich die Eifersucht auch anfühlt, ihr kommt eine überaus wichtige Schutzfunktion zu. Eifersucht ist eine Art Frühwarnprogramm, das besonders in verbindlichen Partnerschaften und während der kräftezehrenden Phase der Kinderaufzucht dazu dient, Ressourcen auf die Familie und die Beziehung zu fokussieren. Sie kann uns aber auch, wenn sie überschwänglich und vor allem unbegründet ist, innerlich zermürben und als Nebenwirkung Beziehungen zerstören.

Besonders Menschen mit gering ausgeprägtem Selbstwertgefühl machen sich gerne abhängig von dem Verhalten und den Worten ihres Gegenübers. Sie reagieren eifersüchtig, wenn der Alltag einkehrt und ihnen dann vom Partner nicht mehr so viel Aufmerksamkeit wie im Anfangsstadium der Verliebtheit zuteil wird. Im Vordergrund steht oftmals die Angst vor dem Verlust oder einer Enttäuschung. Auch Menschen, die schon einmal schwere Vertrauensbrüche hinnehmen mussten, reagieren verständlicherweise leichter eifersüchtig als Menschen, die in einer sorgenfreien vertrauensvollen Umgebung aufgewachsen sind.

In Sachen Liebe und Sex hat sich, seitdem das Internet und der mobile Zugang über das Smartphone Einzug gehalten haben, viel verändert. Die Triebe sind dabei, sich mehr und mehr von der Liebe abzukoppeln. Und dies ist eigentlich nicht überraschend, denn die Liebe und die Triebe sind kein gutes Team. Liebe sucht Nähe, Verbindlichkeit und Beständigkeit und die Triebe suchen nach Abenteuer, Neuigkeit und Spaß. Dank interaktivem Internet und mobilem Zugang über das Smartphone können wir heute Lust auch ohne Partner konsumieren. Die Anzahl von Orgasmen ohne Partner, zumindest ohne verbindlichen Partner, hat in den letzten Jahren enorm zugenommen.

Das Internet ist dabei, die Lust von der Leine zu lassen: Pornos laufen 24 Stunden am Tag in den abenteuerlichsten Genres, mittlerweile in VR-Welten auch in 3-D und mit entsprechenden interaktiven Sex-Toys, die haptische Reize in Echtzeit übertragen, auch in 4-D. Die Grenzen zwischen Pornografie und realem Sex verschmelzen dabei immer mehr. Dank technologischen Fortschritten können wir heute in Madagaskar sitzen und mit jemandem am Nordpol Sex haben. In Live-Sex-Cam-Portalen können wir Regisseure unseres eigenen Pornos werden und dies alles in Echtzeit. Es nutzen Millionen Menschen Portale und Apps auf der Suche nach käuflichen und unverbindlichen sexuellen Kontakten, viele davon in verbindlichen Beziehungen lebend.

Der nächste sexuelle Kick ist nur einen Klick entfernt und lässt sich einfach aus der heimischen Komfortzone anonym anbahnen, oftmals ohne dass der Partner davon etwas mitbekommt. Und auch der Markt der SexToys wartet mit sexuellen Lustspendern der Superlative auf. Orgasmen lassen sich aus Hightech-Sex-Toys ohne lästige Vorspiele und ungeliebte sexuelle Vorlieben des Partners sofort erzeugen.

Heute kann ich im Handumdrehen neue Partner akquirieren und Lust erleben, ein Faktum, was in verbindlichen Beziehungen nicht wirklich geschätzt wird und Partner eifersüchtig und kontrollierend reagieren lässt. Wenn sich Verdachtsmomente der Untreue ergeben, wird ebenfalls digital schnell aufgerüstet, und zwar mit völlig anderen Mitteln als vor zwei Jahrzehnten, als Privatdetektive noch hoch im Kurs standen.

Beim Aufkommen von Misstrauen und Eifersucht bietet die Technologie heute immer raffiniertere Möglichkeiten, den Partner auszuspionieren. Per YouTube bekommt man im Handumdrehen Tipps, wie Passwörter geknackt, Partner mittels GPSTracking überwacht, Spionage-Software in einem unbeobachteten Moment auf das Smartphone übertragen oder Gespräche mittels kleiner getarnter Wanzen mitgeschnitten werden können. Schon der kleine blaue Haken in WhatsApp hat zu manchen turbulenteren Diskussionen geführt und so manch einer Partner reagiert geschockt, wenn er den eigenen Partner in Casual-Sexbörsen findet.

Die Digitalisierung schreitet voran, unaufhaltsam und schnell. Sie bietet viele Chancen, aber auch Risiken, und erfordert einen bewussten und verantwortlichen Umgang damit. Immer mehr Menschen reagieren eifersüchtig auf das Smartphone, dem so viel Aufmerksamkeit zukommt und auf dem so viele Verlockungen und Versuchungen parat liegen, die eindeutig mit partnerschaftlichen Verträgen nicht mehr korrelieren. Paare müssen heute sehr viel differenzierter als zuvor ausdiskutieren, wo Treue aufhört und Untreue anfängt. Heute können wir mit anderen Menschen Sex haben und treu sein, wir müssen es nur vorher genau abgesprochen haben. Wir können aber auch mit dem vertrauten Partner im Bett liegen und ihn online betrügen.

Gerade in Zeiten allseits vorhandener starker digitaler Reize, in Zeiten der Unverbindlichkeit und nicht endender Wahlmöglichkeit bedarf es des Nein der Abgrenzung, um Paarbeziehungen Halt und Stabilität zu geben. Als Zeichen für Respekt und Achtung in der Partnerschaft muss man sich immer wieder vergegenwärtigen, dass auch schon allein ein zeitliches Hinwenden zu den schnellen Reizen des Internets zu Eifersucht auf der Gegenseite führen kann.

Und ja – es macht eben doch einen Unterschied, ob ich meinem Partner oder meinem Smartphone den ersten und den letzten Moment am Tag widme.

Dr. med. Heike MelzerDr. med. Heike Melzer
Arztpraxis für Coaching und Psychotherapie, Paar- und Sexualtherapie, München

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Dr. Heike Melzer:
Scharfstellung.
Die neue sexuelle Revolution.
Eine Sexualtherapeutin spricht Klartext.
Verlag Tropen, Klett-Cotta