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Die Arbeit mit dem Systembrett in Therapie, Beratung und Coaching

Teil 2

fotolia©Oliver RaupachWas wirkt beim Aufstellen mit dem Brett?

Beim Aufstellen werden durch die Wahl der Figuren, deren Abstände zueinander und deren Blickrichtungen unter anderem Nähe, Distanz, Beziehungsgeflechte, Verstrickungen und Hierarchien bewusst. Sehr schnell gelangen Klienten aus der Ohnmachts- und Opferrolle in ein Wieder-gestalten-Können und in ihre schöpferische Kraft, vom „Mirgeschieht“ ins „Ich-bewirke“ hinein. Durch die geringe Größe des Brettes wird das Problem oder Anliegen zudem automatisch „verkleinert“, bekommt einen Rahmen und verliert dadurch seine oft übermächtige Dimension in der gegenwärtigen Wahrnehmung des Klienten und wirkt lösbarer.

Die eigene Aufstellung macht in der Regel einen tiefen Eindruck auf den Klienten. Denn anders als bei rein sprachlichen Beschreibungen wird mit der Dimension des Bildes gearbeitet, die tief in der Seele wirken kann. Die bildhafte Darstellung bewirkt eine Aktivierung der rechten Gehirnhälfte und damit eine ganzheitliche Wahrnehmung des Anliegens. Durch das Aufstellen wird ein inneres Bild nach außen gelegt. Das externalisierte Bild hat gegenüber einem inneren den Vorteil, dass es verändert werden kann. Auf dem Brett kann probiert und Figuren können umgestellt werden. Und zwar so, dass sich die einzelnen Systemteile danach wohler fühlen. Dieses neue noch externe Lösungsbild kann dann wieder positiv auf die Problemsituation zurückwirken und erneut internalisiert werden.

Die Erfahrung zeigt, dass Klienten, die sonst eher in ihren Gefühlen zerfließen, durch das Aufstellen „Strukturhilfe“ erhalten. Bei rationalen Klienten, die im reinen Gespräch nur schwer ins Gefühl kommen, können durch das Bildhaft-Sichtbare Gefühle gehoben werden. Der Begleiter kann die Brettarbeit weiter in die Tiefe lenken und auf eine neue Ebene führen, indem er den Klienten nicht nur ermutigt, die Figuren vor sich zu stellen, sondern mit diesen verschiedenen Stellvertretern inneren Kontakt aufzunehmen, sich also zu assoziieren, was in der Regel mit einem leichten Trancezustand einhergeht.

Der Klient kann dann vom Sehen weiter ins Spüren gelangen, z. B. indem er seinen Finger auf die jeweilige Figur legt und sich in die einzelnen Stellvertreterfiguren und dadurch in ihre Wahrnehmungs-, Denk-, Gefühls- und Handlungswelten einfühlt. Dieses Vorgehen nennt man Arbeit mit der „repräsentativen Wahrnehmung“, ein Begriff, der der Systemischen Strukturaufstellung entlehnt ist. Jeder figürliche Repräsentant kann namentlich angesprochen und befragt werden. Das Empfinden und In-Resonanz-Gehen ermöglicht im Vergleich zur reinen Betrachtung einen erheblichen Informationszuwachs, woraus dann im ersten Schritt Klarheit und Einsicht und anschließend ein empathisches und oft ganz neues Verständnis für die individuelle Geschichte, die hinter der Haltung und dem Verhalten der betreffenden Person steht, aus der eigenen Erfahrung heraus erwächst. Gewinn und Ergebnis aus diesem Verstehen ermöglichen die Loslösung aus einer schon viel zu lang anhaltenden unglücklichen Verbindung.

Mit dem ersten Bild kann durch die Methode der repräsentativen Wahrnehmung wie beschrieben in Richtung Lösung weitergearbeitet werden. Durch absichtsloses Begleiten, gemeinsames Erforschen und Entdecken, manchmal auch durch Impulse, Informationen und hilfreiche Fragen systemisch-lösungsorientierter Herkunft unterstützt der Berater/Therapeut den Prozess.

Am Schluss einer Sitzung wird das Zerreden und Analysieren vermieden. Der Klient kann nun gebeten werden, mit seinen vor dem Körper parallel gehaltenen Händen das Bild zu integrieren und es mit einer Bewegung zu seiner Brust zu führen. Dieses Ritual verstärkt die Wirkung des „In-sich-Aufnehmens“ enorm. Da die allermeisten Klienten heutzutage ihr Smartphone dabei haben, kann das Lösungsbild auf Wunsch fotografiert und später immer wieder betrachtet werden, was zur Nachhaltigkeit der Sitzung beiträgt.

Es muss in der Sitzung nicht immer eine konkrete Lösung gefunden werden. Das System erhält in jedem Fall einen Informationszugewinn, der den Samen für eine neue Wahlfreiheit und Verhaltensflexibilität legt, und das einmal Visualisierte arbeitet weiter, da Systeme immer Heilung, Harmonie und Ausgleich anstreben.

Die Vielfalt der Einsatzmöglichkeiten des Systembretts

fotoliafotogestoeberIn groben Zügen wurde die Prozessarbeit einer Aufstellung skizziert. Die Phasen des laufenden inneren Erkenntnis- und Änderungsprozesses können auf dem Brett bis hin zum Lösungsbild sichtbar gemacht werden. In der mittleren Phase des Beratungsprozesses, der Arbeitsphase, können die verschiedensten Interventionen Platz finden, jeweils auf dem Hintergrund der eigenen Methode, in der der Therapeut oder Berater ausgebildet ist. Beim Einsatz in jeglichem Beratungskontext – angefangen von der psychologischen Beratung bis hin zum Businesscoaching ist es hilfreich, sehr früh das Brett zur Verdeutlichung einer geschilderten Situation hinzuzuziehen und von da aus Lösungsschritte zu entwickeln. „Lassen Sie uns doch kurz Ihre gegenwärtige Situation auf dem Brett verdeutlichen ...“. Das Systembrett muss aber nicht zwingend gleich zu Beginn, sondern kann auch erst im Verlauf einer Therapie- oder Beratungsstunde eingesetzt werden, nämlich immer dann, wenn es notwendig erscheint, bestimmte Beziehungsgeflechte sichtbar zu machen. Das Brett ist schnell aufgebaut, begleitet dann den laufenden Prozess und kann bei Bedarf immer wieder herangezogen werden.

Im Rahmen der Diagnostik kommt dem Brett ein besonderer Wert zu, egal, ob nachher damit weitergearbeitet wird oder es lediglich dafür genutzt wird, sofort sichtbar das betreffende System oder die Problemstellung darzustellen. Was sonst oft ein langes Gespräch verlangt, macht komplexe Schilderungen in der Regel unnötig, denn durch die bildhafte Bestandsaufnahme wird sofort erkennbar, wie sich das Problem oder System gestaltet. Darü- ber hinaus schafft diese Herangehensweise nicht nur für Klienten schnell Klarheit.

Auch der Therapeut oder Coach erlangt selbst schnell eine klare Information. Durch den Abgleich mit seiner eigenen Wahrnehmung entsteht in kürzester Zeit eine gute Basis für sein therapeutisches oder beraterisches Handeln. Er kann sehen, wo der Klient jeweils steht, und ihn daher auf dem Weg zu seinem Ziel und seiner Lösung besser begleiten. Viele systemische und Aufstellungspraktiker, die bisher im Gruppensetting arbeiteten, erhalten mit dem Systembrett ein Instrumentarium, das unkompliziert die Aufstellungsarbeit ohne menschliche Stellvertreter und ohne besondere räumliche Anforderungen im Einzelsetting möglich macht.

Vor dem Agieren, intensiven Empfinden und der Exposition vor einer fremden Gruppe, wie es beim Aufstellen in der Gruppe stattfindet, haben viele Menschen Respekt. Sie sind daher häufig für das Aufstellen auf dem Brett durch die damit verbundene Privatsphäre vor allem auch bei traumatischen, schuld- und schambehafteten Themen empfänglich. Viele Aufsteller berichten darüber hinaus noch von einer zusätzlichen bzw. einfach anderen Qualität, die beim Brett durch seine „Überschaubarkeit“ und „Verkleinerung“ zum Tragen kommt.

Der Nachteil des Systembretts gegenüber herkömmlichen systemischen Aufstellungen mit menschlichen Repräsentanten ist allerdings, dass die Informationen durch menschliche Stellvertreter wegfallen und fremdpsychische Wahrnehmungen möglicherweise vom Klienten beim Nachspüren bei den Systembrettfiguren nur schwach nachzuvollziehen sind und körperliche Reaktionen, die Aufschluss auf ein dahinterliegendes Problem geben könnten, teilweise wegfallen. Sollte im Verlauf allerdings klar werden, dass es ein ganzkörperliches Einspüren braucht, dann kann die Brettarbeit ohne großen Aufwand auf den Boden verlagert werden, indem der Begleiter den Klienten anleitet, die Situation identisch mit Bodenankern bzw. Platzhaltern aus Papierstreifen nachzubilden. Nun kann er die Positionen mit dem ganzen Körper einnehmen, indem er sich auf die Platzhalter aus Papier stellt.

Bei der Systembrettaufstellung kommen in der Regel dieselben Wirkweisen zum Tragen, die menschliche Repräsentanten in einer Familienaufstellung erleben: das Eintauchen in das „wissende” oder „morphogenetische Feld”. Definiert wird der Begriff, der auf den britischen Biologen Rupert Sheldrake zurückgeht, als eine Art allumfassendes Bewusstseinsfeld, als ein wissender Raum, der das gesamte Wissen der Menschheit und alles jemals Geschehene beinhaltet und mit dem jedes Einzelbewusstsein verbunden ist. Über dieses Feld sind Informationen von allen Beteiligten zugänglich, die Wahrnehmungs- und Erkenntnisprozesse in Gang setzen, die dann zur Lösung des Anliegens genutzt werden können.

Das gilt allgemein auch für die Arbeit mit den allermeisten Formaten, die das neurolinguistische Programmieren für die Arbeit in Coaching, Beratung und Therapie anbietet. Denn die sonst auf dem Boden ausgeführten Formate und Interventionen des NLP erzielen auch im Kleinformat große Wirkung. Die Arbeit auf dem Brett kann die klassische Bodenankerarbeit und die der Wahrnehmungspositionen ersetzen. Ebenso gelingen die Arbeit mit der Timeline, also einer Zeitlinie, die die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft erfasst, und auch die Mentorentechnik, alle Ressourcentechniken und viele weitere auf dem Brett. Darüber hinaus kann mit mehreren Brettern gearbeitet werden. So kann ein Brett die Vergangenheit, eines die Gegenwart und eines die Zukunft abbilden oder es werden verschiedene Systeme und ihre Wechselwirkungen gestellt.

Anzeichen dafür, dass das Systembrett als Medium nicht passend ist

Das Einsatzgebiet des Systembretts als ein starkes Interventionsmittel will klar definiert werden. Der Begleiter sollte allerdings auch bei einem passenden und sorgsam ausgewählten Anliegen sensibel für mögliche Signale eines Klienten sein, der mit der Brettarbeit wenig anfangen kann.

Dass das Brett nicht das richtige Abbildungsmedium der inneren Wirklichkeit eines Klienten ist, drückt sich z. B. folgendermaßen aus: Der Klient lehnt das Mittel gleich zu Beginn der gemeinsamen Arbeit ab und bekundet, dass er nicht damit arbeiten möchte. In einigen Fällen passt einfach der Zeitpunkt nicht. Weiterhin kann es augenscheinlich werden, dass der Klient zwar aktiv am Aufstellungsgeschehen mitarbeitet, ihm aber das nötige Hineinfühlen in die einzelnen figürlichen Repräsentanten auch mit ermutigender Hilfestellung enorme Probleme bereitet. Es kann auch sein, dass er immer wieder in seine tatsächliche Ausgangssituation zurückfällt, in alten Denkstrukturen, Sichtweisen und Realitäten hängen bleibt, eine kognitive Lösung versucht und nicht ins eigene Fühlen kommt.

Weitere Signale für eine Inkompatibilität wäre auch das ständige Abweichen des Blicks des Klienten vom Systembrett. Dieses Desinteresse sollte nicht übersehen werden, denn in einem funktionierenden Systembrett-Setting „fesselt“ das aufgestellte Bild einen Klienten meist in einer Art, die ein Abwenden vom Brett von Natur aus eher nicht zulässt. In solchen Fällen und wenn er durch Nachfragen auf Metaebene und diverse Hilfestellungen nicht weiterkommt, sollte der Therapeut oder Coach einen Ausstieg aus diesem Setting wählen. Gerade durch das Ernstnehmen der möglichen Widerstände, Befindlichkeiten oder sonstigen Gründe des Klienten wird der Rapport gehalten und die Rückkehr zum Instrument Systembrett steht durch ein solch achtsames Verhalten zu einem späteren, dann passenderen Zeitpunkt weiterhin offen.

Schlussfolgerungen und Analyse

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Systembrett Therapeuten und Beratern verschiedenster Richtungen großen Spielraum in der Anwendbarkeit gibt. Beginner im therapeutischen und beratenden Feld erhalten ein wertvolles Werkzeug zur Erweiterung ihres Methodenspektrums. Die Basics der Arbeit sind grundsätzlich leicht erlernbar. Erfahrene Begleiter können durch ihre persönliche Experimentierbereitschaft das Systembrett mit ihrer Arbeit kombinieren oder ihre Vorgehensweisen in adaptierter Form auf das Brett umsetzen.

Der Entwicklung zum Experten für die Systembrettarbeit steht mit zunehmender Übung in der Praxis nichts mehr im Weg. Jeder Begleiter wird sicher seinen ganz persönlichen Stil entwickeln und immer neue Möglichkeiten des Bretteinsatzes entdecken können. Ohne Frage ist es von erheblichem Vorteil bzw. Voraussetzung, einige Erfahrung mit Prozessverläufen zu haben und zudem über ein breites Repertoire an lösungsorientierten Fragen zu verfügen, um einen solchen Entwicklungsprozess mit dem Brett effizient zu begleiten.

Die Praxis zeigt, dass Klienten auf dieses Hilfsmittel sehr positiv ansprechen, wenn guter Rapport besteht und eine verständliche Einführung geschieht. In diesem Fall reagieren Klienten eher neugierig, wollen die Wirkungsweise erfahren und sind erleichtert, einen neuen und einfachen Kanal der Verdeutlichung und Abbildung ihres Themas zu finden. Besonders Klienten, die stark visuell-kinästhetisch ausgerichtet sind und gerne agieren, werden auf die Arbeit mit dem Systembrett sehr positiv ansprechen.

Ob der Berater nun eine Sitzung durchgängig mit dem Systembrett gestaltet oder es für einzelne Sequenzen einer Sitzung benutzt, er bekommt er ein Instrument in die Hand, das es ihm ermöglicht, gemeinsam mit dem Klienten Veränderungen auszuprobieren, in die Vergangenheit oder Zukunft zu schauen und Externalisierungen zu fördern. Tiefere Empfindens- und Wahrnehmungsschichten können leichter angesprochen werden. Die Kommunikation über soziale Beziehungen unter Zuhilfenahme des Brettes erlaubt überraschend schnell ein Arbeiten auf dem Punkt.

Die herausragende Stärke des Brettes, schnell zu den entsprechenden Themen und Zielen vorzudringen, kann zur Verkürzung des Behandlungs- oder Beratungsprozesses beitragen, sowie dazu, durch die dadurch zur Verfügung stehende Zeit anderen wichtigen Elementen des Prozesses Aufmerksamkeit zu widmen, wie der Beziehung zwischen Klient und Therapeut, der Suche nach Lösungen und deren Nachhaltigkeit, der Ressourcenarbeit oder Zukunftsprogression.

Ein Bild sagt eben mehr als 1 000 Worte!

DIe Bildsprache des Systembretts wartet darauf, seine kreative und kommunikative Ausdruckskraft zu entfalten, genutzt, entdeckt und weiterentwickelt zu werden.

Inge Christine Schuler Inge Christine Schuler
Heilpraktikerin für Psychotherapie, Ergotherapeutin, Ausbildung in systemischer Aufstellungsarbeit, Traumatherapie, EMDR, Hypnotherapie, NLP, energetischer Psychotherapie und körpertherapeutischen Methoden, Autorin
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