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Träume verstehen und nutzen – innere Bilder als Sprache der Seele

70910119 verhuscht 20Wir alle träumen regelmäßig, auch wenn wir uns nicht immer erinnern. Doch selbst, wenn wir wissen, was wir geträumt haben, sind uns unsere Träume meist fremd und unverständlich. Sie führen uns in die bizarre Welt des tiefen Unbewussten. Träume können uns ängstigen oder lähmen, sie können aber auch motivieren und inspirieren. Was hat es auf sich mit den nächtlichen Erzählungen? Warum produziert unser Gehirn diese Fantasiegebilde als Parallelwelt zu unseren bewussten Wahrnehmungen?

Um Fragen wie diese zu beantworten, ist es notwendig, sich mit inneren Bildern zu beschäftigen. Diese inneren Bilder entstehen in neuronalen Netzwerken des Gehirns aus Erinnerungen, Emotionen und deren Beziehungen zueinander. Oft reicht ein einzelnes Wort, damit sich ein inneres Bild in uns entfaltet mit allen Emotionen und Erinnerungen, die sich im Laufe des Lebens zusammengefügt haben. Manche Bilder sind individuell und vielleicht erst wenige Jahre alt, andere – wie „Baum“, „Abendrot“ oder „stiller Bergsee“ – haben sich im Laufe unserer Kulturgeschichte herausgebildet; diese sind uns allen gleichermaßen vertraut.

Innere Bilder entstehen in uns, lange bevor wir die gesprochene Sprache erlernen. Sie sind tiefer verankert als das Wort und bilden die universelle Sprache unseres Unbewussten und unseres Gedächtnisses. Folgen wir unserer Intuition, dann verlassen wir uns auf unsere inneren Bilder. Wollen wir unser Gedächtnis trainieren, verknüpfen wir am besten das, was wir uns merken wollen, mit vertrauten Bildern. Wollen wir uns mit unseren Träumen beschäftigen, sollten wir die Sprache der inneren Bilder lernen und Träume als Erzählungen unseres Unbewussten verstehen.

Wie kann sich das Unbewusste mitteilen?

Dazu verwendet es Bilder, die symbolhaft für innere Zustände wie Schmerz oder Freude, Hoffnung oder Sehnsucht, aber auch Enttäuschungen und Konflikte stehen. Tanzende Menschen im Traum drücken Erleichterung, Glück, Freude aus, während ein dunkler nebliger Wald eher eine innere Bedrohung signalisiert und Unwohlsein mit sich bringt.

Der Tod eines vertrauten Menschen erzählt möglicherweise von inneren Ansichten und Glaubenssätzen, die man buchstäblich zu Grabe trägt, während die Geburt eines Kindes auf etwas Neues, etwas Heranwachsendes hindeutet.

Wollen wir die Symbolik von Personen oder Orten im Traum entschlüsseln, sollten wir das für uns Bedeutsame dieser Personen oder Orte und unsere Beziehungen zu ihnen bewusst machen. Dies geschieht am ehesten im Gespräch mit gleichgesinnten Menschen. Über etwas zu reden bedeutet, sich über etwas Klarheit zu verschaffen. Das gilt besonders für die Traumdeutung.

Die Frage bleibt, warum wir überhaupt träumen.

Die Antwort: Das Traumgeschehen dient unserer psychischen Gesundheit. So, wie wir uns tagsüber mit dem beschäftigen, was uns umtreibt, was uns bewegt, so setzen wir uns auch des Nachts im Traum mit diesen Dingen auseinander. Während wir jedoch tagsüber mit dem bewussten Verstand arbeiten und urteilen, spricht nachts – wenn der kritische Verstand ruhig ist – unser Unbewusstes in der Sprache, die es versteht – in Bildern. Sehen wir also Träume als bildhafte Auseinandersetzung mit unseren inneren Wünschen und Sehnsüchten, aber auch mit Problemen und Konflikten. Und so, wie wir tagsüber mit dem bewussten Verstand Lösungen für unsere Probleme suchen, so sucht unser Unbewusstes nach Lösungen während des Schlafs.

Sie kennen die Situation, wie Sie im Traum eine Toilette oder einen Platz suchen, an dem Sie sich erleichtern könnten – typisch, wenn Sie eine volle Blase haben. Erst wenn alle Möglichkeiten durchgespielt wurden und keine Lösung für das Problem gefunden werden konnte, bleibt Ihnen nur noch aufzuwachen. So versucht unser Unbewusstes, auch Lösungen für innere Konflikte herbeizuführen. Können diese Konflikte im Traum nicht weiterentwickelt werden, kehren sie in Form von Albträumen wieder.

Es lohnt sich also, sich mit seinen Träumen zu beschäftigen. Bietet der Traum Lösungsmöglichkeiten an, können wir diese aufgreifen und weiterverfolgen. Gibt es keine Lösung, sind wir erst recht gefordert, uns mit dem dahinterstehenden Problem auseinanderzusetzen. Träume sind ehrlich, sie gehören uns allein und wir dürfen ihnen vertrauen. Unangenehmes wird gut verpackt, niemand macht uns Vorhaltungen. Wir können unsere Träume als unser Eigen annehmen und akzeptieren. So sind wir eher bereit nachzudenken. Träume motivieren, sich selbst besser kennenzulernen und seine Möglichkeiten zu nutzen. Über Träume nachzudenken, ist spannend und regt an.

Innere Bilder zeigen sich jedoch nicht nur in unseren Träumen. Trancezustände, wie sie im Alltag bei einer langen Zugfahrt, in Tagträumen oder auch im Fieber entstehen, bringen innere Bilder in unser Bewusstsein. Führt man Trancen gezielt durch Entspannungsmethoden herbei, spricht man von Hypnose. Auch hier entstehen innere Bilder, die zu therapeutischen Zwecken genutzt werden können. So wie Träume nach Lösungen für innere Konflikte suchen, so lassen sich unter Anleitung von ausgebildeten Fachkräften innere Bilder nutzen, um Kräfte zu aktivieren, Konflikte aufzulösen oder das Selbstbewusstsein zu stärken. Wie auch beim Träumen sind für diese heilenden Prozesse unsere Selbstheilungskräfte verantwortlich.

Mein Buch „Bilder, Träume, Trancen. Der Zugang zur inneren Welt“ führt Schritt für Schritt durch die Welt der inneren Bilder und der Träume. Es gibt Antworten auf die Frage nach deren Sinn und liefert detaillierte Anleitungen, Träume zu entschlüsseln. Zahlreiche Tipps zeigen, wie wir innere Bilder auch im Alltag nutzen und zu unserem Vorteil weiterentwickeln können.

298743567 Trume MannZwei Träume mögen stellvertretend für die vielen Beispiele im Buch stehen

Der erste Traum verdeutlicht das Modell der inneren Anteile, das auch in der Traumdeutung von besonderer Bedeutung ist.

„Es soll eine neue Mitarbeiterin eingestellt werden, mit der ich eng zusammenarbeiten soll. Ich bin total sauer, dass meine Chefin mich überhaupt nicht gefragt hat, welche Fähigkeiten diese neue Mitarbeiterin mitbringen sollte; außerdem scheint sie nicht gut Deutsch zu sprechen und ist auch halb verschleiert. Ob das gut geht?“

Dieser Traum zeichnet das Bild einer Mitarbeiterin, die den Ansprüchen der Träumerin nicht genügt, die als Eindringling wahrgenommen wird. Diese Mitarbeiterin spricht nicht die gleiche Sprache, ihr Gesicht ist verhüllt. Die Skepsis der Träumerin ist nicht zu übersehen.

Was geht da vor? Es gibt ein Traum-Ich und einen inneren Anteil, die neue Mitarbeiterin. Dieser Anteil nimmt offensichtlich an Präsenz zu und wird vom Traum-Ich als Bedrohung wahrgenommen. Die Träumerin identifiziert sich vollkommen mit dem Traum-Ich und kann den anderen inneren Anteil, die neue Mitarbeiterin, in keiner Weise als ihr eigen empfinden. In der Psychologie spricht man von einer Abspaltung, einer Dissoziation, wenn eigene innere Anteile als nicht zu sich gehörig empfunden werden.

Diese Art der Abspaltung bekommt eine ganz besondere Bedeutung bei Traumatisierungen. Dort wird das Erlebte in viel stärkerem Maße als nicht zu sich gehörig empfunden – ein Mechanismus, mit dem die Psyche versucht, sich zu schützen. Aufgabe einer Therapie ist es, die abgespaltenen Anteile wieder miteinander zu verbinden, zu integrieren.

Genau dies geschieht auch in Träumen. Die inneren Anteile werden zusammengebracht, sie treten in Kommunikation miteinander. Sie streben danach, sich zu integrieren, Teil des Ganzen zu werden. Wenn die Träumenden die inneren Anteile als zu sich gehörig, als eigen wahrnnehmen und annehmen, werden Probleme gemeistert und Kräfte freigesetzt.

Das zweite Beispiel zeigt auf eindrückliche Weise, wie in der Entspannungstrance Träume weiterentwickelt und neue Lösungsansätze gefunden werden können.

Eine Dame mittleren Alters kommt in die Praxis. Sie ist schon seit Tagen sehr aufgewühlt, denn sie hatte einen Traum, der sie empörte und völlig aus ihrer Fassung gebracht hat.

„Ich muss in einer Art Studentenwohnheim das Zimmer mit einem Mann teilen, der als Vorstand in meiner jetzigen Firma arbeitet. Dieser Mann ist sehr raumgreifend! Ich bin so wütend darüber und wünsche mir nur meinen eigenen Platz. Ich verstehe nicht, was dieser Mann in meinem Zimmer zu suchen hat. Ich fühle mich hilflos und weiß nicht, wie ich dieser ‚Falle‘ entkommen könnte. Ich bin empört, dass ich in meinem Alter noch so was erleben muss.“

Im Gespräch gelingt es nicht, die Bedeutung des Mannes im Traum zu entschlüsseln. Die Empörung lässt nicht nach. Deshalb der Vorschlag, sie in einen tiefenentspannten Trancezustand zu führen und den Traum dort anzuschauen.

Auch in der Entspannung spürt die Klientin eine gewisse Angst und einen großen Widerstand, diesem Mann im Wohnheim zu begegnen. Ganz vorsichtig führe ich eine Annäherung zwischen den beiden herbei. Schließlich kann die Klientin Kontakt mit dem Mann aufnehmen und ihn fragen, was er denn da in ihrem Zimmer zu suchen hätte. Dieser reagiert total überrascht und antwortet, er sorge doch für sie. Ich bitte die Klientin, ihn zu fragen, seit wann er denn da sei und diese Aufgabe übernommen habe. Er antwortet, das sei schon seit der frühen Kindheit so.

Für die Klientin war es sehr erleichternd zu sehen, wie überrascht und ratlos, wie menschlich der Mann wirkte, als sie ihn ansprach. Sie erklärt jetzt, dass sie den Mann dennoch nicht mehr hier haben möchte. Ich rate ihr, diesen Wunsch dem Mann mitzuteilen und dessen Auftrag zu lösen.

So geschieht es. Sie löst den Auftrag, indem sie ihm sagt, sie könne für sich selbst sorgen. Der Mann ist einverstanden und ihr wird bewusst, dass der Mann keine Schuld trägt. Sie hätte ihn viel früher „entlassen“ sollen. Nach der Trance wirkt die Klientin wie ausgewechselt, gelöst und fröhlich. Sie konnte ihre innere Zerrissenheit auf nahezu spielerische Weise auflösen.

App FP 0321 komplett Page6 Image1Winfried Maria Scherrers:
Bilder. Träume. Trancen.
Der Zugang zur inneren Welt.
Träume verstehen und nutzen.
Verlag tredition

Winfried Maria ScherrersWinfried Maria Scherrers
Heilpraktiker für Psychotherapie

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Fotos: © Heiko Küverling, © denissimonov