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Kinderbücher in der Psychotherapie

2012-04-Kinder4

Am Beispiel von Asperger-Autismus und dem Phänomen Angst

Kinder lernen von Modellen. Bandura hat das sehr genau skizziert. Kinder lernen besonders gut unter Einsatz von Verstärkern (Konditionslernen). Kinder sprechen ungern über ihr Problem. Leichter fällt es ihnen, sich ihrem Problem zu nähern, wenn sie eine Identifikationsmöglichkeit erhalten. Diese kann realer oder fiktiver Natur sein (Marjorie Taylor, Imaginary Companions and the Children who Create them, Oxford University Press, 1999). Kinderbücher sind sehr gute Identifikationsstifter.

Das Autistische Störungsspektrum (ASS) umfasst u. a. den frühkindlichen Autismus, den atypischen Autismus, das Rett-Syndrom und das Asperger-Syndrom. Für alle Formen typisch ist das eingeschränkte soziale Verhalten (1). Beim frühkindlichen Autismus ist außerdem die Kommunikation (2) beeinträchtigt. Bestimmte Verhaltensweisen werden wiederholt (3). Bei einem Autisten kann jedes Intelligenzniveau vorkommen.

Der atypische Autismus weist Auffälligkeiten in nur einem oder zwei der drei Bereiche auf.

Beim Rett-Syndrom geht der Intelligenzminderung der Verlust der erworbenen Fähigkeiten im Gebrauch der Hände und der Sprache voraus.

Das Asperger-Syndrom weist dieselben Auffälligkeiten in den drei Bereichen auf, ohne dass eine sprachliche oder kognitive Entwicklungsverzögerung stattfindet. Kommunikationsprobleme ähneln denen eines Autisten. (Vgl. Internationale Klassifikation psychischer Störungen. ICD – 10 Kapitel V(F), Hrsg. W. Mombour, M. H. Schmidt, WHO, Verlag Hans Huber, Bern, 2005, Seiten 281-289.)

Eine Mutter stellt sich mit ihrem neunjährigen Sohn in der Praxis vor

Nach Erstgespräch/Anamnese formulieren wir in unserem Behandlungsplan folgende Therapieziele: Verbesserung der sozialen Interaktion (inkl. Kommunikation). Grund für die Therapie sind Probleme in der Schule. Der Junge wird mehr und mehr zum Außenseiter. Sein Gerechtigkeitssinn, gepaart mit seinem Unvermögen, Mimik und Worte der anderen richtig zu verstehen bzw. sich selbst adäquat auszudrücken und zu verhalten (er rastet leicht aus), führen zu Unglücklichsein, Wut und Rückzug (in die eigene Welt). Die schulischen Leistungen leiden stark darunter. Die Versetzung ist gefährdet.

Ein integrativer Therapieansatz aus Elementen der kognitiven Verhaltenstherapie, dem Rollenspiel und dem Einsatz eines Kinderbuches ist hier angezeigt.

Ein Therapiebündnis aufzubauen ist nicht ganz leicht, da der Junge seinen eigenen Rhythmus hat und stereotype Verhaltensweisen zeigt (er sammelt Steine und sortiert sie hin und her).

Eine Trainingseinheit besteht aus den Elementen: (1) Kontaktaufnahme, (2) Aufmerksamkeitsfokussierung, (3) Hausaufgabenbesprechung, (4) Training sozialer und kommunikativer Fertigkeiten und (5) Feedback.

Das Kinderbuch „Dodo Maria findet Freunde“ wird in Phase (2) und (5) eingesetzt. In der Phase (2) konzentriert sich der kleine Klient auf die Protagonistin. Er erzählt mir, was er mag. Auch er habe einen geregelten Tagesablauf und könne nur schlecht mit Veränderungen umgehen. Die Zeit über erlaube ich ihm mit den Steinen zu spielen, die auf meiner Fensterbank liegen. Blickkontakt stellt er von sich aus nur selten her. Er möchte Freunde finden. Er bestätigt mir, dass er nicht verstehe, warum die anderen Kinder ihn ablehnen. Dodo Maria mag er sehr. Er würde gern mit ihr befreundet sein. In Phase (5) willigt er ein, ein Spiel wie Dodo Maria zu spielen. Sie lernt im Theaterraum, wie man falsches von echtem Lächeln unterscheidet und wie man jemanden ansieht und was man sagt oder antwortet, wenn man etwas gefragt wird. Die ganze Zeit ist Dodo Maria mit im Raum. Der Klient macht sie zu seiner imaginären Freundin.

In einer späteren Sitzung, mit Einverständnis aller Erziehungsberechtigten, begegnen sich in der Gruppentherapie ein Mädchen mit einer asthmatischen Erkrankung und mein Klient. Meine Idee ist, Krankheitsbewältigung und soziale Interaktionsstärkung mit dem Kinderbuch „Keine Angst vorm Wobbler! Therapeutische Vorlesegeschichten“ zu ermöglichen. Das Mädchen, 10 Jahre alt, bekam ihr Asthma nach einem Autounfall.

Die Kinder erhalten die Aufgabe, ein Bild mit ihrem besten Freund zu malen. Der Junge malt Dodo Maria. Das Mädchen einen Stoffhasen, den sie dabei hat. Nach der Kontaktaufnahme, die vor allem auch darin besteht, sich darüber auszutauschen, woher sie den Stein haben, den sie der Therapeutin als symbolische Bezahlung übergeben, beginnt die Phase (2). In „Schmusekätzchen Leo“ wird ein kleiner Stofftierlöwe immer dann lebendig, wenn der kranke Patient positive Gedanken hat und allein ist. Diese Geschichte lese ich ihnen vor.

Mittels imaginärer Freunde erweitern Kinder ihre sprachlichen und sozialen Fertigkeiten.

Die beiden Kinder in der Praxis beginnen sogleich über ihre imaginären Freunde zu sprechen. Dabei beharrt der Junge auf seinen Sicht- und Verhaltensweisen, und das Mädchen formuliert die Funktion ihres imaginären Freundes so: Er helfe ihr, beschütze sie und spende ihr Trost, wenn sie wieder einen Anfall habe.

In Phase (5) der Therapiestunde, nachdem die kleinen Helfer kurz beschrieben wurden (mittels der Bilder), lasse ich die Kinder spielen. Sie möchten gerne Arzt spielen. Der Stoffhase sei krank. Das Mädchen sei die Mutti des Hasen. Der Asperger-Autist behandelt den Hasen, allerdings ohne zu reden. Das Training sozialer und kommunikativer Fertigkeiten besteht darin, die Begrüßung und die Verabschiedung (Worte und Blickkontakt) zu verbessern.

Anschließend bitte ich den Jungen, nach einem vorher vereinbarten Stop, dass er bitte seiner Freundin, Dodo Maria, erklären solle, was er da als Arzt so mache. Ebenso brauche seine Patientin Erklärungen des Arztes zur Beruhigung.

Auffällig ist, dass es ihm schwerfällt, überhaupt in eine Rolle zu schlüpfen. Da er sich aber für Tiere interessiert und Interaktion auf ein Minimum beschränkt ist, wird er seiner Rolle gerecht. Er doziert eher, als dass er spielt.

Im Spiel üben die Kinder ihre Fertigkeiten und es bahnt sich eine Freundschaft an.

Die Kinder verlassen mit ihren imaginären Freunden, die ich als Erwachsener akzeptiert habe, die Praxis. Ihre Eltern sind ganz verblüfft, als sie sich unten voneinander verabschieden.

Im Projekte Verlag sind erschienen:

  • Keine Angst vorm Wobbler! Therapeutische Vorleseschichten
  • Dodo Maria findet Freunde! Eine Geschichte in Reimen für Autisten
  • Guten Morgen, Parkinson. Eine Erzählung

Doris Hölzel
StD am Gymnasium, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Legasthenietrainerin (Diplom EÖDL)
Praxis „Rosebank Cottage“
Feldstraße 16, 26919 Brake
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