Zum Hauptinhalt springen

Erfahrungsbericht aus der systemischen Arbeit: Von der blinden zur sehenden Liebe

App FP 0121 komplett Page38 Image1Familienaufstellungen sollten eine gelungene Kombination aus Demut, Erdung, Intuition, Empathie und Achtsamkeit sein.

Gerade die Intuition und das absichtslose, wertfreie Sicheinlassen auf das Feld des Klienten (immer m/w/d) und sich an die Hand nehmen lassen durch das Feld des Klienten bringen oftmals auf eine erstaunliche und rasche Weise die Verstrickungen in den Familiensystemen ans Licht. Aufzeigen, was ist, finden, was wird! Es ist die Erkenntnis, die uns frei macht.

Michaela rief mich in meiner Praxis an und bat um Hilfe. Sie ist 40 Jahre alt, berufstätig, mit rasch wechselnden Beziehungen. Keine Beziehung war von Dauer, der Traum von einer kleinen Familie mit Kind rückt immer mehr in die Ferne, weswegen sie zunehmend verzweifelt.

Ihre Heilpraktikerin machte sie auf das Familienstellen aufmerksam, da sie im Familiensystem den Ursprung dieser mangelnden Beständigkeit für Beziehungen vermutet. Während des Telefonats öffnete ich mich bewusst für das Feld von Michaela, nachdem ich von ihr ausdrücklich hierzu die Erlaubnis bekommen hatte, und es zog mich sehr in die mütterliche Linie, hin zur Großmutter mütterlicherseits. Ich bat Michaela, mir von ihrer Großmutter zu erzählen.

App FP 0121 komplett Page38 Image8Freudig berichtete sie über ihr gutes Verhältnis zur Großmutter und erzählte mir, dass die Oma meint, Michaela brauche doch keinen Mann, da sie gut auf eigenen Beinen stehen könne und bestens verdient. Michaela ließ mich wissen, dass die Oma seit 50 Jahren verheiratet ist und die Ehe stets in bester Ordnung war. Dennoch blieb ich mit meiner Hellfühligkeit bei der Oma, ich nenne sie jetzt Anna, hängen. Mir kam die Eingebung von einer ersten großen Liebe von Anna, die unglücklich endete. Michaela konnte diese Wahrnehmung nicht bestätigen, davon wisse sie nichts. Sie wolle jedoch die Oma fragen, ob es denn vor der Ehe schon jemanden gegeben hatte. Wir beendeten das Gespräch und Michaela wollte sich in 14 Tagen nochmals melden.

Eine Stunde später rief die Oma bei Michaela an! Das ist kein Zufall, denn in meiner Tätigkeit als Familienstellerin kann ich beobachten, wie sehr das morphogenetische Feld wirkte, und das eine zum anderen führt.

Michaela fragte sie nach einer eventuellen ersten Liebe, worauf die Oma ganz still wurde und folgende Geschichte erzählte.

Mit 17 Jahren war Anna mit Erich zusammen, ihre große Liebe. Sie versprachen sich die Treue, wollten heiraten, doch der Krieg machte alles zunichte. Erich wurde in den Krieg eingezogen und konnte mit der Trennung von seiner Anna nicht umgehen, er nahm sich das Leben, indem er sich erschoss! Die Ehe, die Anna nach diesem Schmerz mit einem anderen Mann einging, war eine geordnete Ehe, doch ihre große Liebe blieb Erich.

Michaela rief mich danach vollkommen aufgelöst an, zumal sie mit solchen, ich nenne es einmal Grenzerfahrungen, nie etwas zu tun hatte, und sie war wie „vom Donner“ gerührt. In der Konsequenz trägt Michaela aus blinder Liebe, unbewusst, den Koffer der Oma mit der Aufschrift: Große Liebe bringt schmerzhaften Verlust!

Der Koffer gehört zu ihrer Großmutter. Mit dem bewussten Abgeben dieses Koffers in einer darauffolgenden Familienaufstellung und dem Anerkennen und Sichtbarmachen dieses Schmerzes der Großmutter wird Michaela sich Schritt für Schritt aus der Verstrickung mit der mütterlichen Linie lösen. Sie wird optimistischer und sehenden Auges in eine mögliche Zukunft mit einer kleinen Familie blicken können.

Keine drei Monate später hat Michaela einen sehr lieben Mann kennen – und lieben gelernt!

„Das Sinken aber geschieht
um des Steigens willen.“
Buch Sohar

Dr. Ines OberscheidDr. Ines Oberscheid
Heilpraktikerin für Psychotherapie, Praxis in Erding, Schwerpunkte: systemische Aufstellungen, Prä- und perinatale Traumatherapie, Körperpsychotherapie, Entspannungstraining, Guided Imagery and Music nach Helen Bonny
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Fotos: ©De Visu