Rezensionen
ANGEWANDTE IMPROVISATION IN DER PSYCHOTHERAPIE – PERSÖNLICHE UND SOZIALE KOMPETENZEN SPIELERISCH FÖRDERN
„Spaß ist der Antrieb“, und in einem sicheren, angstfreien Raum können die Klienten eine Gruppenatmosphäre erleben,„in der Fehler gemacht werden dürfen.“ Als Grundlage der angewandten Improvisation (AI) nutzen Stein und Fischer das von ihnen geschaffene SPACE-Modell: Status, Präsenz, Annäherung, Creativität und Empathie definieren sie als besondere Domänen in einem „sozialen Simulationsraum für neue Handlungsmöglichkeiten“. Dieser Raum kann durch Improvisationsübungen entstehen. Alle fünf Domänen werden im Buch ausführlich erklärt und durch zahlreiche Spielideen angereichert. Dadurch wird das Buch zusätzlich zu einer sehr praxisorientierten Spiele-Fundgrube. Viele Spiele eignen sich sogar für die Arbeit im Einzelsetting, was den Einsatzrahmen noch mal vergrößert. Die Ausrichtung der Aufmerksamkeit nach außen und ins Hier und Jetzt unterstützt Patienten dabei, aus der Grübelfalle auszusteigen und wieder in den sozialen Austausch zu treten. Die psychologischen Grundbedürfnisse nach Kontrolle, Lust, Bindung und Selbstwerterhöhung werden durch die AI besonders erlebbar. Klienten können erfahren, wie Bedürfniskonflikte reguliert werden können.
Die AI findet in immer mehr therapeutischen Arbeitsfeldern Einzug. So betonen die Autoren, dass bei Depressionen, Angst- und Zwangserkrankungen
sowie bei selbstunsicheren Persönlichkeitsakzentuierungen erste Pilotstudien gute Erfolge nachweisen konnten. Weitere positive Erfahrungen gibt es für die Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen und in der Therapie mit jugendlichen Asperger-Patienten. Anzunehmen ist, dass auch weitere Einsatzfelder folgen werden.
Als Psychologischer Berater und Coach möchte ich herausstellen, dass ich seit Jahren die AI in der Begleitung meiner Klienten mit sehr gutem Erfolg einsetze. Das Buch liefert mir eine Fülle wertvoller Hintergrundinformationen und Spielideen, die meine praktische Arbeit im Gruppen- wie im Einzelsetting bereichern. Eine klare Leseempfehlung.
Rezension: Horst Lempart, Der Persönlichkeitsstörer Miriam Stein, Knut Schnell Kohlhammer Verlag ISBN 978-3-17043-979-5
ABGETAUCHT, RADIKALISIERT, VERLOREN? – DIE GENERATION 50+ IM SOG DER FILTERBLASEN
Noch vor 15 Jahren waren Nachrichtensendungen oder auch Tageszeitungen für die allermeisten Menschen die Quelle der Wahl, wenn es darum ging, sich eine Meinung zu bilden. Es gab gut und weniger gut recherchierte Beiträge; die eine Redaktion war eher links von der Mitte zu verorten, der andere Sender ein wenig rechts davon. Doch wirkliche Lügen und Falschbehauptungen kamen praktisch nicht vor. Durch den Siegeszug der „sozialen“ Medien hat sich das gründlich geändert. Dass diese Entwicklung besondere Herausforderungen an die Medienkompetenz der Nutzerinnen und Nutzer stellt, liegt auf der Hand. Im Fokus stehen dabei meist junge Menschen. In ihrem Buch beleuchten Dr. Sarah Pohl, systemische Paar- und Familienberaterin, Heilpraktikerin für Psychotherapie und Leiterin der Zentralen Beratungsstelle für Weltanschauungsfragen des Landes Baden-Württemberg, und Mirijam Wiedemann, Leiterin der Geschäftsstelle für gefährliche religiös-weltanschauliche Angebote im Kultusministerium Baden-Württemberg, die Situation der Menschen, die mit „Tagesschau“ und „heute journal“ als Meinungsbildner aufgewachsen sind. Denn auch diese Generation ist keineswegs immun gegenüber Radikalisierungstendenzen, Fake News und Verschwörungsmythen. Die Situation ist, so die Autorinnen, sogar bedenklicher als mancher annehmen mag. So würden ältere Menschen häufiger Fake News teilen als die „Gen Z“ und sind offenbar noch anfälliger dafür, in Filterblasen „abzutauchen“. Entsprechend bekommen sie nur noch die Nachrichten zu lesen/zu hören/zu sehen, die sie in einer bestimmten Meinung bestärken und zu wachsender Radikalisierung führen.
Wie kommt das, wie kann es sein, dass Menschen, die mit einem „gesunden“ Nachrichtensystem und hohen Pressestandards aufgewachsen sind, den Tricks der „sozialen“ Medien womöglich noch eher erliegen als deutlich Jüngere? Und: Wie kann mit diesem neuen Phänomen der radikalisierten Senioren und Seniorinnen umgegangen werden? Neben einem Streifzug durch die Studienlage zu Medienkompetenz und Radikalisierung im Alter beleuchten die Autorinnen individuelle Fallgeschichten und leiten daraus Lösungsideen ab. Die Autorinnen zeigen, dass eine Sensibilisierung für die Vulnerabilität in dieser Generation von hoher politischer Relevanz ist – auch im Sinne der Demokratie in Deutschland. Sarah Pohl, Mirijam Wiedemann Vandenhoeck-Ruprecht Verlag ISBN 978-3-52540-831-5