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Wenn das Problem am anderen Ende der Leine liegt

Psychologische Beratung wird für Tierbesitzer immer wichtiger. In vielen Tierarzt- und Tierheilpraktikerpraxen werden Hunde vorgestellt, die auf den ersten Blick entweder depressiv oder aggressiv wirken. Die besorgten Halter berichten von Rückzug, auffälligem Verhalten oder plötzlichen Aggressionsausbrüchen ihres Tieres – oft verbunden mit der Bitte um schnelle Hilfe.

Häufig wird dann zu Methoden wie Hundetraining, Anti-Aggressionstraining oder Verhaltenstherapie für das Tier gegriffen. Doch diese Maßnahmen greifen zu kurz, wenn die eigentliche Ursache des Problems am anderen Ende der Leine zu finden ist: beim Menschen selbst. Hunde sind hochsensible Wesen, die in ständiger Resonanz mit ihrer Umgebung leben – insbesondere mit den Menschen, denen sie sich eng verbunden fühlen. Emotionale Spannungen, unausgesprochene Konflikte oder  psychische Belastungen ihrer Bezugsperson übertragen sich unweigerlich auf das Tier. Der Hund übernimmt unbewusst diese Lasten – was sich in Verhaltensauffälligkeiten wie Ängstlichkeit, Rückzug oder aggressiven Reaktionen äußern kann. Ein besonders häufiges Phänomen ist die sogenannte „Kuschelüberforderung“. Dabei wird das Tier als emotionale Stütze und oft auch als Ersatz für zwischenmenschliche Beziehungen instrumentalisiert – oft ohne Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse des Hundes. Doch ein Hund ist kein therapeutisches Werkzeug und kein Kuscheltier auf Abruf. Er kann – anders als ein Mensch – nicht einfach sagen: „Ich möchte das jetzt nicht.“ Wird dieser Punkt überschritten, kann das Tier in die  Abwehraggression gehen – eine Art verzweifelter Versuch, sich vor der Übergriffigkeit zu schützen. Aus diesem Grund wird die psychologische Beratung von Tierhalterinnen und Tierhaltern zunehmend zu einem unverzichtbaren Bestandteil einer  ganzheitlichen Tiertherapie. Nicht nur im akuten Fall, sondern auch präventiv – etwa wenn ein Mensch sich ein Tier zulegt, um Einsamkeit zu kompensieren oder wieder Struktur in den Alltag zu bringen. Der gut gemeinte Satz „Schaff dir einen Hund an, dann bist du nicht mehr allein“ kann zur Falle werden, wenn die emotionaleLast einseitig auf das Tier projiziert wird.

FALLSTUDIE: PUDELHÜNDIN VIOLA
Viola, eine liebevolle, kleine Pudelhündin, kam als Welpe zu einer alleinstehenden Frau Mitte 50, die sich nach jahrelanger Isolation im Homeoffice ein wenig Gesellschaft wünschte. Anfangs war alles harmonisch – Viola wurde umsorgt, geliebt und rund um die Uhr betüddelt. Doch schnell entwickelte sich das Zusammenleben in eine Richtung, die für das Tier problematisch wurde: Viola musste Kinderkleidung tragen, wurde im Kinderwagen spazieren gefahren und war in jeder Hinsicht ein Ersatzkind für ihre Besitzerin. Es wurde mit ihr gesprochen wie mit einem Baby, jede ihrer Bewegungen wurde beobachtet und bewertet, sie wurde pausenlos gestreichelt, fotografiert, in sozialen Medien präsentiert – und hatte keinerlei Rückzugsmöglichkeiten. Mit der Zeit zeigte Viola erste Anzeichen von Stress: Sie zog sich zurück, reagierte empfindlich auf Berührungen und begann, knurrend zu reagieren, wenn sie festgehalten wurde. Schließlich kam es zu einem

ernsten Vorfall: Sie schnappte nach einem Kind, das sie unbedacht streicheln wollte. Die Halterin suchte daraufhin verzweifelt eine Tierarztpraxis auf, wo man ihr Verhaltenstraining empfahl – jedoch ohne Erfolg. Erst durch die Einschaltung eines Tierheilpraktikers, der auch die psychologische Beratung für Tierhalter anbot, und in Kooperation mit einer Heilpraktikerin für Psychotherapie konnte das tiefer liegende Problem erkannt werden: Es war weniger der Hund, der „verhaltensauffällig“ war, als vielmehr die Halterin, die in ihrer Einsamkeit unbewusst emotionale Erwartungen an das Tier stellte, die kein Lebewesen erfüllen kann.

In einem gemeinsamen Prozess aus Verhaltenstherapie, systemischer Supervision und einer sanften Frequenz- und Tontherapie zur Entstressung und Harmonisierung der Mensch-Tier-Beziehung konnte die emotionale Dynamik zwischen Viola und ihrer Besitzerin neu geordnet werden. Viola durfte endlich wieder Hund sein – frei laufen, schnüffeln, sich im Schlamm wälzen und sich auch mal zurückziehen. Und die Halterin lernte, ihre Bedürfnisse nicht ausschließlich auf das Tier zu projizieren, sondern sich auch mit eigenen Themen auseinanderzusetzen. Heute geht Viola fröhlich mit ihrer Halterin spazieren, sie trägt keine Kleidung mehr – sondern ihr weiches, naturbelassenes Fell – und zeigt keinerlei aggressives Verhalten. Die Besitzerin besucht weiterhin regelmäßig die systemische Supervision, um ihr eigenes Verhalten besser reflektieren zu können, und engagiert sich inzwischen sogar ehrenamtlich im Tierschutz.

FAZIT

Ein Tier ist ein Lebewesen mit eigenen Bedürfnissen, Emotionen und Grenzen – kein Seelentröster auf Knopfdruck. Gerade in unserer schnelllebigen, oft einsam machenden Gesellschaft ist es wichtig, dass Tierhalter nicht nur lernen, wie man „einen Hund erzieht“, sondern auch, wie man mit sich selbst achtsam umgeht. Denn nur wenn es dem Menschen gut geht, kann es auch dem Tier gut gehen.

Monika Heike Schmalstieg
Tierheilpraktikerin, Psychologische Beraterin für Tierbesitzer, Studienleiterin der Paracelsus Gesundheitsakademie Hannover, Präsidentin des Verbandes Deutscher Tierheilpraktiker e.V.
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