Biografiearbeit - Nachlese
Vom 17. bis 19. Oktober 2014 fand das 47. Psychotherapie-Symposium des VFP in der Paracelsus Schule Stuttgart unter der Leitung von Frau Schiel statt. Die aus ganz Deutschland angereisten Referenten und Teilnehmer näherten sich auf vielfältige und abwechslungsreiche Weise dem Thema „Biografiearbeit – Wie die Auseinandersetzung mit der eigenen Lebensgeschichte zu neuen Lösungen führt“. Die sinnvoll strukturierte Kombination von Vorträgen und Workshops bot eine breite Wissensvertiefung und Selbsterfahrung.
Eröffnet wurde das Symposium von Uta Schiel, Leiterin der Paracelsus Schule Stuttgart, und Thomas Schnura, VFP. Die über drei Tage verteilten Veranstaltungen boten einen guten und umfangreichen Einblick in die Arbeit mit Biografien.
Die Referenten und ihre Themen stellen wir hier in alphabetischer Reihenfolge kurz und knapp vor:
Ina Grundmann, Heilpraktikerin für Psychotherapie sowie Kunst- und Kreativitätstherapeutin, näherte sich dem Thema Biografie zunächst anhand der Wortbedeutung: „Der Lebenslauf in Form und Farbe“ ist, wörtlich genommen, die Lebensbeschreibung einer Person. Wenn der Klient sein Leben aufmalt/-zeichnet, trifft er unbewusst sowohl eine Entscheidung, was er mitteilen möchte, als auch eine Auswahl hinsichtlich Struktur, Form und Farbe. Allein das Führen des Stiftes über das Papier ist zweierlei: in Aufdruck und Ausdruck.
Daran lässt sich kunsttherapeutisch an verschiedenen Stellen anknüpfen. Die Wahl bestimmter Formen und Farben kann gedeutet werden, ebenso markante Stellen im Leben und auch ihre Wiederholungen. Dem geschulten Auge ermöglicht dies vielerlei Rückschlüsse. Falls kein anderer Ansatz gewünscht wird, kann mit dem Klienten nach dem humanistischen Ansatz in der Kunsttherapie daran weitergearbeitet werden: der Klient selbst entwickelt Impulse, findet Lösungen für seine Herausforderungen.
Rosemarie Jansen-Noufal, Heilpraktikerin, arbeitet seit mehr als 15 Jahren mit der Systemischen Darstellungstherapie. Auf die Biografiearbeit angewendet, erscheint so das Leben als Erkenntnisweg. Die Darstellung der konkreten Lebenssituation birgt durch das Anschauen und Hineinfühlen in diese momentane Situation das Potenzial zur Entwicklung. Mit unterstützenden Fragen der Therapeutin können jetzt Lösungen erarbeitet werden. Im anschließenden Workshop gab es dazu praktische Übungen.
Fabian Lenné, Heilpraktiker für Psychotherapie und Paartherapeut, ging in seinem Vortrag „Ich wünsche mir von dir ...!“ auf frühere Erfahrungen in der Liebe ein, die in unser heutiges Leben, Erleben und Lieben fortwirken. Er betrachtet die Innenwelt und die Vergangenheit. Im Workshop „Lieben lernen in Bezug auf die eigene Biografie“ konnte ein Weg aufgezeigt werden, wie man markante Stellen in der eigenen Biografie nicht nur annimmt, sondern wahrhaftig zu lieben lernt.
Sabine Mänken erläuterte die Grundlagen der anthroposophischen Biografi earbeit und stellte als archetypische Entwicklungsrhythmen die Mondknoten, die Jahressiebte und die dazugehörigen Planeten vor. Anhand der Neun-Felder-Matrix entwickelte sie im Vortrag beispielhaft ein Lebenspanorama. Sie zeigte den Teilnehmern, wie sie einen eigenen roten Faden finden können, um das Leben selbst in die Hand zu nehmen: das stille Grundmotiv der eigenen Biografie.
Andrea Richter, Biografin, Journalistin und Autorin, gab eine kurze Einführung über die Geschichte der Autobiografie und berichtete aus der Praxis: Welche Erwartungen verbinden Klienten mit dieser Arbeit, wer nutzt diese Möglichkeit? In ihren biografischen Schreibkursen widmet sie sich den spezifischen Belastungen von Kriegskindern, Nachkriegskindern und Kriegsenkeln, gibt Anleitungen zum Schreiben, um die Seele nachhaltig zu erleichtern. Im Workshop gab es Übungen zum Ausprobieren der eigenen autobiografischen Schreibkunst. Bei der Übung „Wo ist mein Licht im Dunkeln“ konnten die zahlreichen Teilnehmer sich schreibend erinnern, was ihnen im Leben Trost oder sogar Glück gespendet hat. Die letzte Übung bestand darin, drei Sätze zu beenden: „Ich bin geboren als ...“, „Ich lernte ...“ und „Ich gehe in die Geschichte ein als ...“. Hier durfte jeder ungehemmt dick auftragen. Der Workshop klang in heiterer Atmosphäre aus.
Susanne Rivoir, Kunst- und Gesprächstherapeutin, referierte über die Besonderheiten der anthroposophischen Biografiearbeit und bot in ihrem Workshop die Möglichkeit zur Selbsterfahrung. Die anthroposophische Richtung der Kunsttherapie geht aus von dem Vertrauen auf das Wissen um die Wirklichkeit der geistigen Welt und dem Wirken von Reinkarnation und Karma im Lebenslauf. So ist es nach Frau Revoir bei der therapeutischen Arbeit möglich, „anhand von Gesetzmäßigkeiten im Lebenslauf, das Eigengewordene spüren zu können“.
Irene Sallinger, Psychosynthese- und Psychoenergietherapeutin, bot interessante Einblicke in ihre Arbeit. Sie geht von einem geistigen Menschenbild aus und baut auf den Methoden der transpersonalen Psychotherapie und der Psychosynthese auf. Basis dabei ist das individuelle Potenzial der „Inneren Mitte“. Der Fokus liegt auf der Fülle des Lebens. Im Mittelpunkt stehen Herzensbildung und die Seelensprache, die Entwicklung eines differenzierten Energiebewusstseins und die Stärkung der Ich-bin-Kraft.
Thomas Schnura, Psychologe, der mit systemischen Verfahren, lösungsorientierten Therapieformen und Hypnose seit 1982 in eigener Praxis arbeitet.
In seinem Vortrag „Reparenting – Ein Weg, der über das Unbewusste führt“ stellte er eine Möglichkeit vor, Menschen zu heilen, denen liebevoll fördernde Eltern gefehlt haben. Diese liefen durchs Leben mit einem unstillbaren Hunger nach Liebe und Hunger nach Anerkennung. Nicht selten steuern sie mit ihrem Verhalten auf eine Depression hin, auch die Persönlichkeitsstruktur nimmt Schaden. Der Weg der Heilung geht nicht nur über das Verzeihen, sondern auch darüber, die fehlende Unterstützung nachzuholen: ein Weg über das Unbewusste. In seinem Workshop bot Thomas Schnura an, mehr über die Möglichkeiten, alternativer Biografi en zu erfahren. Neben einer einfachen Trance-Induktion stellte er eine therapeutische Arbeit vor, die es ermöglicht, auch noch nach Jahren Defizite in der Biografie aufzufüllen. Im Workshop erfuhren die Teilnehmer, wie sie mit ihrem Unterbewusstsein in Kontakt kommen, woran sie merken, dass dies funktioniert hat, und wie sie das Unterbewusstsein nutzen können, um herauszufinden, was ihnen wirklich fehlt.
Sein zweiter Vortrag beschäftigte sich mit „Vererbten Wunden – Wie sich Traumata durch die Generationen ziehen können“. Die Kriegskinder von damals sind heute 70 Jahre oder älter und nicht selten stark traumatisiert. Die Spuren davon merken wir, so Schnura, noch heute. In seinem Vortrag stellte er auch den Konflikt heraus, in der Wohlstandsgesellschaft aufzuwachsen und nicht klagen zu dürfen („Man hat es ja so gut“), andererseits aber subtil die Mangelerscheinungen der Großeltern- und Kriegskindergeneration aufgebürdet bekommt, die so gar nicht in eine heile Welt passen. Der Kontakt dieser Generation zu ihren Kindern sei dadurch eingeschränkt, Beziehungen wenig emotional, die Ausdrucksfähigkeit stark eingeschränkt. Verbalisieren befreie zwar nicht, helfe aber, das Erlebte in den Kopf zu bekommen und nicht im Verarbeitungssystem stecken zu lassen. Echte Trauer solle zugelassen werden. Und auch die Täter – denn auch sie sind stark traumatisiert – können sich in der Therapie ihres Traumas bewusst werden.
Insgesamt boten sich an diesem Wochenende viele Gelegenheiten, das spannende Thema unter verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und in Workshops zu erfahren.
Wir danken allen Mitwirkenden und Teilnehmern für dieses sehr gelungene Symposium.
Ina Grundmann