Warum Männer mauern
Mein Mann und ich sitzen an einem sonnig-heißen Nachmittag auf der Außenterrasse unseres Hotels und genießen die Aussicht aufs Meer, als gerade eine neue junge Familie aus Deutschland eintrifft und am Nebentisch Platz nimmt. Ein Vorzeigepaar, denke ich, während der große, gutaussehende junge Mann verschwindet, um die Formalitäten für das Zimmer zu regeln. Allein sitzt nun die junge Blondine mit dem kleinen, etwa 18 Monate alten Blondschopf am Tisch. Sichtlich nervös zupft sie an ihren Haaren. Der kleine Timm will nicht auf dem Stuhl bleiben, er will auch nicht aus dem Glas trinken. Nun beginnt der Machtkampf. Timm springt auf und flitzt über die Terrasse. Dort entdeckt er die großen Steine, die um die Bäume zur Dekoration gelegt sund und bringt triumphierend den ersten zu seiner Mutter. Sie schreit auf: „Neeiiiin Timm, doch nicht die Steine!“
Sie versucht ihm den Stein zu entreißen, es kommt zum Gerangel, Timm rennt zur Brüstung und reißt die Arme in die Höhe vor lauter Freude darüber, dass er wohl zum ersten Mal in seinem Leben das Meer sieht. Wieder erschallt mit kreischender Stimme ein Appell: „Neeeinnn, Timm, das ist gefährlich, geh da weg, du kannst dort runterfallen!“ Langsam bin ich über den kleinen Mann schon fast belustigt. Er kehrt schnellen Schrittes zurück zu den Steinen und nimmt sich den nächsten. Dieses Schauspiel wiederholte sich in diversen Variationen, bis die Mutter sichtlich erschöpft den Sohn dem herannahenden Vater übergab.
Was ist da gerade geschehen? Der kleine Mann fand einen „Schatz“, den er seiner Mutter präsentieren wollte. Für sie war es leider nur ein Stein. Was für einen Stolz hätte es wohl in dem kleinen Jungen ausgelöst, wenn die Mutter seine Geste verstanden und ihm dafür das entsprechende Lob gezollt hätte? War er nicht begeistert über den Anblick des Meeres? Mama machte stattdessen eine gefährliche Situation daraus und verpasste es damit, einen gemeinsamen Augenblick der Freude mit ihrem Sohn zu teilen. Was wäre das doch für ein starker Moment für beide gewesen! Stattdessen erging an Timm die Botschaft: „Fühl dich nicht stolz! Fühl anders. Sei nicht so begeistert, pass‘ lieber auf!“
Timm musste sich wie ein Dieb fühlen, der sich sinnlos in Gefahr begab – traurig.
Vor einiger Zeit hielten mein Mann und ich eines unserer „Ehe-Führerschein-Seminare“ in einer Kirchengemeinde in Landshut. Dabei kamen wir auf das Phänomen der passiven Aggression zu sprechen (was meines Erachtens keine Persönlichkeitsstörung, sondern eine Beziehungsstörung ist). Diese kommt häufiger bei Männern vor als bei Frauen (da aber auch) und äußert sich z. B. in folgenden Symptomen:
Es werden Versprechungen zwar gemacht, aber nicht eingehalten.
Es kommt im Beziehungsalltag zu Verzögerungsmanövern durch vorsätzliche Langsamkeit
(„Dienst nach Vorschrift“- Mentalität).
Immer öfter zeigt sich offener Boykott durch absichtliche Unterlassung.
Eine unterschwellige Feindseligkeit macht sich bemerkbar; eine Frau beschrieb diese mit „verächtlichem Schweigen, eiskalten Blicken und einem herrischen Tonfall, der sich zunehmend breitmacht“. Eine andere Teilnehmerin wusste zu berichten: „Mit seiner Kälte, die er mir entgegenbringt, lässt er mich meine unendliche Nichtswürdigkeit spüren.“ Und wieder eine andere – etwas zynisch: „In den Augen meines Mannes habe ich – wie so oft – wieder einmal einen völlig vermeidbaren Fehler gemacht, der dann seine unendliche Geduld mit mir erneut auf eine sehr harte Probe stellt.“ Und noch eine andere: „Wegen Belanglosigkeiten wirst du mit Worten durchbohrt, entrechtet, gedemütigt ... es nimmt dir alle Lebensfreude.“
Und dann herrscht Schweigen, halbe Tage, ganze Tage, tagelang. Keine Entschuldigung. Kein Klärungsversuch.
Irgendwann geschieht dann einfach wieder der Übergang zur Tagesordnung. Und jeder denkt: Schuld ist der andere.
Was ist da los?
Aus eigener Erfahrung und vielen Gesprächen mit Männern und Ehepaaren konnte ich feststellen, dass viele Männer gern mal offen Nein sagen und damit zu ihrer Meinung und Überzeugung stehen würden. Aus der Erfahrung heraus, dass das aber auf wenig bis gar keine Akzeptanz stößt, flüchten sie sich aus der Verantwortung in Ausreden hinein. Warum tut man(n) das? Zunächst zeigt sich, dass er offensichtlich keinen besonders guten und sozial angemessenen Umgang mit Angst, Frust, Ärger und Wut gelernt hat. Auch wenn nicht alle Begründungen in unserer Kindheit zu finden sind, aber ist es nicht oft so, dass ebenso wie bei Timm, die kleinen Männer, wenn sie z. B. Angst haben und es der Mama sagen, dann die Antwort bekommen: „Brauchst doch keine Angst zu haben, ich bin ja da.“ Und wie oft haben wir das vermutlich wohl schon gesagt. Tatsächlich aber lautet die Botschaft: „Fühl nicht so!“
Würde die Mama sagen: „Was macht dir denn Angst? Erzähl mal“, und dann zuhören. Und anschließend würde sie z. B. sagen: „Das verstehe ich gut“, ihm mit einer festen Umarmung emotionale Stärke geben und mit ihm dann überlegen, wie er z. B. die „Monster unter dem Bett“ besiegen kann. Und wem wurde nicht schon einmal eine Geschichte oder ein Märchen von einem jungen Mann erzählt, der seine Angst überwinden konnte, stark wurde und dann eine Mutprobe bestand und dafür einen Preis erhielt? – Die Heldengeschichten, die uns schon als Kinder zum Staunen brachten.
Das wäre Erziehung zur Selbstregulation und Selbstbeherrschung. Denn wir Menschen, auch wenn wir noch klein sind, sind bei Weitem nicht so zerbrechlich, wie wir glauben. Bewältigungskompetenzen sind uns angeboren und wir sind so konstruiert, dass wir nicht immer auf einen anderen Menschen angewiesen sind. Das heißt, es ist unerlässlich, dass schon die kleinen Männer lernen können und lernen müssen, wie man mit Emotionen umgeht, statt zu erfahren, dass Frauen sagen: „Fühl nicht so!“ bzw. „Fühl nicht!“
Ähnlich der Umgang mit Zorn: „Jetzt hör aber auf damit!“ Oder bei einer Gemütsverstimmung: „Du hast überhaupt keinen Grund, sauer zu sein!“ Oder bei Enttäuschungen: „Das hab ich doch so gar nicht gewollt/gemeint ...“ In all diesen Äußerungen liegt die Botschaft: „Fühl nicht so“. Als Folge davon ist man(n) im Umgang mit seinen wahren Gefühlen und in der Durchsetzung seiner eigenen Bedürfnisse gehemmt oder gar behindert.
Er findet sich dann wieder in der Ambivalenz zwischen einer abgerungenen Dennoch-Zustimmung und einer aufbegehrenden Dennoch-Verweigerung.
Auf Dauer ist das jedoch kein lebenswerter Zustand und so bleibt Mann bei Entscheidungen künftig lieber passiv. Er will diesem unerträglichen inneren Konflikt aus dem Weg gehen, weil er sie nicht verlieren will; d. h. ihre Nähe und Geborgenheit. Sie ist ja seine Bezugsperson, sein „Unterstützungssystem“. Das wiederum kommt ihrem Sicherheitsbedürfnis sehr entgegen, weil sie auf diese Weise spürt, dass er zu schwach ist, um von sich aus diese unleidlich gewordene Partnerschaft zu verändern – oder zu beenden. Nur so wird nachvollziehbar, dass solche Partnerschaften, trotz diesem Krampf, oft sehr lange unverändert fortbestehen bleiben.
Es entsteht ein Wechselbad der Gefühle zwischen einerseits fast feindseligem Trotz und andererseits mitunter fast unterwürfiger Reue. Das ändert jedoch nichts daran, dass er sich mehr und mehr missverstanden und missachtet fühlt. Und so wird er mürrisch, streitlustig, beklagt sich immer öfter und übt zunehmend unangemessene Kritik. Wenn dann noch durchklingt, dass ihr das Ganze offensichtlich nicht so viel ausmacht wie ihm, dann mischen sich zu dem ganzen Gefühlswirrwarr noch Neid und Groll hinzu.
Das innere Selbstgespräch, besonders beim Einschlafen, lässt ihn nicht mehr zur Ruhe kommen. Er hadert mit sich und seinem schwachen Leben. Schon früh treten erste körperliche Symptome auf. Beginnend mit Schlaflosigkeit, hohem Blutdruck, Herz-Kreislauf-Problemen bis hin zu Schlaganfällen, Problemen mit Alkohol oder anderem Suchtverhalten etc.
Der Teufelskreis
Die Frau übernimmt in der Beziehung und der Familie zwangsläufig die Regie. Der Mann fühlt sich immer unwichtiger und ohnmächtig. Die Frau dagegen fühlt sich allein gelassen und betrogen. Die Entfremdung hat eingesetzt und wirkt fort. Schließlich geht das sexuelle Verlangen zurück, der Sex wird immer weniger und fällt irgendwann ganz aus. Beide leben nun im „Überlebensmodus“ bis der Ofen ganz aus ist und es unvermeidlich zur Trennung kommt. Das muss jedoch nicht sein. Wenn Mann und Frau es schaffen, das Beziehungsmuster aufzubrechen. Wenn die Frau ehrlich ist, müsste sie zugeben, dass sie „nicht verlieren“ will, d. h. keinen Widerspruch duldet. In unzähligen Gesprächen wurde mir berichtet, dass, wenn Mann schon mal mit unguten Gefühlen rausrückt, die ihm zu schaffen machen, dann begibt sie sich ganz schnell in eine Haltung von Verteidigung und Rechtfertigung. Meist verlaufen die Gespräche nach dem gleichen Muster: Er äußert ein Gefühl, aber sie nimmt den Ball nicht auf, sondern lässt ihn abprallen oder schleudert ihn zurück. Solange dies unverändert so ist und bleibt, so lange ist seine Erfahrung dabei, dass seine Meinung bei ihr und für sie nicht wirklich gilt.
Diese ständig erfahrene Fremd-, Ab- und Umwertung seiner Gefühlswelt schlägt zuletzt um in eine verheerende Selbst-, Ab- und Umwertung. Seine wahren Gefühle, falls er sich überhaupt darüber noch im Klaren ist oder werden kann, muss er weiterhin unterdrücken und verleugnen.
Die Botschaft ist unverändert dieselbe: „Fühl nicht so!“ bzw. „Fühl besser gleich gar nicht!“ Ganz verheerend wird es, wenn sie ihm obendrein dann noch sagt, wie er eigentlich fühlen sollte: z. B. „Statt zu jammern, solltest du dich darüber freuen, dass ...“ oder: „Ich weiß gar nicht was du willst? Das war doch alles ganz anders!“.
Was kann man(n) ändern?
Er kann und sollte lernen, in solchen Situationen bei sich selbst und im Gespräch zu bleiben, z. B. mit folgenden Worten: „Warum aber hab ich dann dieses Gefühl? Ich weiß doch, was ich fühle. Und ich habe da so eine Ahnung, woher ich dieses Gefühl habe. Magst du‘s hören?“ Wenn man(n) dann die Aufmerksamkeit der Frau hat, ist die Basis gegeben, dass er in Ruhe die Ursache seiner Gefühle darlegen kann. Abschließend sollte man(n) dann noch sagen: „Und jetzt will ich wissen: Kann und darf ich so fühlen?“ Denn meist geht es in Beziehungen nicht wirklich um verbale Duelle wegen der offenen Zahnpastatube, auch wenn die tiefgreifenden und wichtigen inneren Kämpfe oft an solchen „Nichtigkeiten“ offensichtlich werden.
Zusammenfassend heißt das:
Wenn beide Partner nicht lernen, dass man(n) auch mal über etwas verärgert, zornig, wütend und sauer sein kann und sein darf, ohne dass dies gleich geächtet oder umgedeutet wird, dann lernt man(n) auch nicht, dass seine Gefühlswelt eine Geltung hat und ein „Nein“ nicht gleich zum Abbruch der Beziehung führen muss. Dann allerdings kann man(n) auch lernen, an sich festzuhalten, sich treu zu bleiben, seine Gefühlswelt selbst zu regeln und zu beruhigen und ein erwachsenes Gegenüber in einer Beziehung zu werden. Und dann muss man(n) nicht mehr mauern.
Also, mein Appell an die Frauen:
Lasst den Männern ihre Gefühle! Interessiert euch dafür, auch schon bei den kleinen Männern. Statt ihnen die unangenehmen Gefühle auszureden, redet mit ihnen darüber! Fragt nach. Und dann schafft sie gemeinsam aus der Welt, wenn das dann noch nötig ist. Denn meist kann man(n) das auch alleine.
Gisela Ruffer
Heilpraktikerin für Psychotherapie, Sozialtherapeutin, Persönlichkeitstrainerin, zusammen mit ihrem Ehemann Herbert Ruffer betreibt sie eine Praxis für Ehe-, Paar-, und Sexualberatung in Landshut