Neuregelung im Betreuungsrecht: Die Einwilligung des Betreuers in ärztliche Zwangsmaßnahmen
Manche unserer Kolleginnen und Kollegen sind auch als bestellte Betreuer beruflich aktiv. Insbesondere für sie, aber auch für alle anderen sind die folgenden Hinweise auf die Änderungen im Betreuungsrecht gedacht: Jeder ärztliche und somit auch jeder psychiatrische bzw. psychotherapeutische Heileingriff erfüllt juristisch den Tatbestand der Körperverletzung. Denn er ist stets ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten. Deshalb stellt sich in jedem Einzelfall die Frage, ob der Patient in die geplante Behandlungsmaßnahme eingewilligt hat, sodass der therapeutische Heileingriff gerechtfertigt und der behandelnde Arzt/Therapeut damit straffrei bleibt.
Bei manchen chronischen Krankheiten (z. B. Alkoholmissbrauch oder -abhängigkeit, Essstörungen) oder bei unterschiedlich stark beeinträchtigenden Erkrankungen (z. B. Schizophrenie) sowie bei häufig rezidivierenden Krankheiten (z. B. Manie) kann der Patient nicht immer die Notwendigkeit der ärztlichen Behandlung einsehen, sodass eine Betreuung erforderlich ist.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun jedoch im letzten Jahr neu entschieden, dass eine medizinisch indizierte Behandlung von untergebrachten betreuten Personen gegen deren Willen nicht mehr zulässig sei. Die dadurch entstandene Rechtsunsicherheit wurde mit einem Mal so groß, dass möglichst schnell eine transparente und eindeutige gesetzliche Regelung erlassen werden musste.
Am 26. Februar 2013 ist deshalb nun das „Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme“ (BGBl. I 2013/9, 266 ff.) in Kraft getreten. Es regelt die Voraussetzungen, unter denen eine betreute Person auch gegen ihren natürlichen Willen ärztlich behandelt werden darf.
A. Problemstellung
Ist der Betreute einwilligungsunfähig und äußert seinen Willen nicht, so kann der Betreuer als gesetzlicher Vertreter die erforderliche Einwilligung erteilen. In diesen Fällen liegt juristisch auch gar keine ärztliche Zwangsmaßnahme vor. Eine solche wird nämlich definiert als „ärztliche Untersuchung des Gesundheitszustandes, ärztliche Heilbehandlung oder ärztlicher Eingriff gegen den natürlichen Willen des Patienten“ (BT-Drs. 17/11513, S.7).
Das heißt, ein Problem im Hinblick auf eine fehlende Einwilligung stellt sich folglich erst dann, wenn der Patient entgegen der Zustimmung seines Betreuers die ärztliche Behandlung mit seinem eigenen natürlichen Willen ablehnt. Diesen Unwillen können auch einwilligungsunfähige Patienten haben bzw. zum Ausdruck bringen, die nicht mehr in der Lage sind, Sinn und Zweck der Behandlung zu begreifen, die Vor- und Nachteile abzuwägen und dann selbst zu entscheiden.
Bis Juni 2012 war es nach der BGHRechtsprechung auch in diesen Fällen über § 1906 BGB möglich, den Betroffenen mit Zustimmung des Betreuungsgerichts stationär unterbringen sowie ärztlich untersuchen und behandeln zu lassen, wenn dies zu dessen Wohl erforderlich und der Betreute selbst nicht einwilligungsfähig war. Der entgegenstehende natürliche Wille des einwilligungsunfähigen Patienten wurde sozusagen durch die Einwilligung des Betreuers überwunden.
Die Neuregelung sieht nun die folgenden betreuungsrechtlichen Änderungen vor:
B. Inhalt der gesetzlichen Neuregelung
I. Materiellrechtliche Änderungen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)
Der Zweck der ärztlichen Zwangsbehandlung ist ausschließlich die Rehabilitation der durch die psychische Krankheit angegriffenen Fähigkeit des Betroffenen zur Selbstbestimmung. Für Personen, die selbst nicht mehr einsichts- und steuerungsfähig sind, besteht ausnahmsweise eine besondere Schutzpflicht. Letztere ist auch einer der Gründe dafür, weshalb ausnahmsweise eine ärztliche Zwangsbehandlung in sehr engen und hinreichend bestimmten Grenzen zulässig sein muss (BT-Drs. 17/11513, S. 5).
Eine solche hinreichend bestimmte Regelung für die Einwilligung des Betreuers in eine durch den Patienten abgelehnte ärztliche Behandlung hat der Gesetzgeber nun geschaffen:
In § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB wird klargestellt, dass die Freiheit des Betreuten nur aus besonders gewichtigen Gründen zu seinem Wohl angetastet werden darf.
§ 1906 Abs. 3 BGB wurde neu gefasst und es wurde zudem ein neuer Abs. 3a eingefügt.
Geregelt sind dort nun die materiellen Voraussetzungen, unter denen ein Betreuer in eine ärztliche Zwangsmaßnahme einwilligen kann.
1. Der Betreute muss einwilligungsunfähig sein, das heißt ihm muss die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit bezüglich der geplanten ärztlichen Maßnahme fehlen (§ 1906 Abs. 3 Nr.1 BGB). Dabei ist es wichtig, dass der Betreuer prüft, ob die geplante ärztliche Maßnahme dem früher erklärten freien Willen des Betreuten oder dem entspricht, was der Betreute jetzt wollen würde, wenn er nicht aktuell einwilligungsunfähig wäre (BT-Drs. 17/11513, S. 5).
2. Der Betreuer muss mit ausreichendem Zeitaufwand und ohne Druck erfolglos den Versuch unternommen haben, den Betreuten davon zu überzeugen, selbst in die ärztliche Maßnahme einzuwilligen (§ 1906 Abs. 3 Nr. 2 BGB). Das setzt voraus, dass der Betreuer dem Patienten die Informationen entsprechend dessen Fähigkeiten verständlich, das heißt in leichter Sprache erteilt hat. Für Berufsbetreuer ist in diesem Zusammenhang auch an die Möglichkeit eines Betreuungsplans zu denken (BT-Drs. 17/11513, S. 6).
3. Die ärztliche Maßnahme muss zur Abwendung eines drohenden erheblichen Gesundheitsschadens erforderlich sein (§ 1906 Abs. 3 Nr. 3 BGB). Als Beispiele für einen solchen erheblichen gesundheitlichen Schaden können genannt werden:
- Krankheitsbedingte Suizid- oder Parasuizidhandlungen
- Wahn mit Aggressionen und Realitätsverkennung, der bei einer Zuspitzung der Symptomatik suizidale Handlungen zur Folge haben kann
- Lebensbedrohliche Situationen im Rahmen von Magersucht-Erkrankungen (hier z. B. ein BMI unter 13)
Nicht ausreichend in diesem Zusammenhang ist beispielsweise die Verweigerung der Medikamenteneinnahme mit der lediglich unbestimmten Gefahr eines Rückfalls oder der Verlängerung einer manischen Phase.
4. Die ärztliche Maßnahme muss stets die letzte Möglichkeit sein (ultima ratio). Das heißt, es darf keine anderen milderen, dem Betreuten zumutbaren Maßnahmen geben (§ 1906 Abs. 3 Nr. 4 BGB).
5. Der zu erwartende Nutzen der ärztlichen Maßnahme für den Patienten muss die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegen (§ 1906 Abs. 3 Nr. 5). Zu berücksichtigen sind hier z. B. Nebenwirkungen einer Langzeitmedikation, die Möglichkeit einer Stabilisierung der Einsichtsfähigkeit oder auch eine eventuell deutlich längere Dauer der geschlossenen Unterbringung bei einem Unterlassen der ärztlichen Maßnahme.
6. § 1906 Abs. 3a BGB stellt klar, dass die Durchführung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme – wie auch die Unterbringung selbst – zwingend der gerichtlichen Genehmigung bedarf. Diese Vorschrift stärkt den Schutz des Betreuten.
7. Die eigenständige Anordnungsbefugnis des Gerichts nach § 1846 BGB beschränkt sich auf den Fall, dass ein Betreuer an der Erfüllung seiner Pflichten verhindert ist. In sonstigen Eilfällen, in denen noch kein Betreuer bestellt wurde, kommen vorrangig eine einstweilige Anordnung, gerichtet auf die Bestellung eines Betreuers, sowie eine einstweilige Anordnung, gerichtet auf die Einwilligung in die geplante ärztliche Zwangsmaßnahme, in Betracht (§ 333 FamFG).
II. Verfahrensrechtliche Änderungen
Im Zuge der vorgenommenen materiellrechtlichen Änderungen wurden auch verfahrensrechtliche Anpassungen notwendig.
So regelt § 312 Nr. 3 Satz 3 FamFG nun, dass aufgrund des besonderen Schutzbedürfnisses des Betreuten für das Verfahren der Einwilligung durch den Betreuer in eine ärztliche Zwangsmaßnahme zwingend ein Verfahrenspfleger bestellt werden muss.
Nach § 321 Abs. 1 Satz 5 FamFG gilt das „Vier-Augen-Prinzip“: Zwischen dem Gutachter und dem behandelnden Arzt des Betreuten soll keine Personenidentität bestehen. Der Gutachter soll außerdem Psychiatrie- Erfahrung haben (§ 331 Satz 1 Nr. 2 FamFG).
Die gerichtliche Genehmigung der ärztlichen Zwangsmaßnahme muss die Art und Dauer der Maßnahme bestimmen und anordnen, dass diese in ärztlicher Verantwortung durchgeführt und dokumentiert wird (§ 323 Abs. 2 FamFG).
Eine ärztliche Zwangsbehandlung darf nicht länger als sechs Wochen andauern, eine Verlängerung ist allerdings möglich. Bei einer Maßnahme über einen Zeitraum von mehr als 12 Wochen darf der begutachtende Sachverständige kein Arzt sein, der den Betreuten zuvor medizinisch behandelt hat (§ 329 Abs., 1 und 3 FamFG).
C. Mögliche Auswirkungen auf die Tätigkeit des Heilpraktikers für Psychotherapie
Für den Heilpraktiker für Psychotherapie ist es wichtig, die zwangsweisen ärztlichen Maßnahmen im Betreuungsrecht ausdrücklich abzugrenzen von ärztlichen Zwangsbehandlungen im Rahmen öffentlichrechtlicher Unterbringungen, welche in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich geregelt sind.
Eine öffentlich-rechtliche Unterbringung kommt im Unterschied zu einer betreuungsrechtlichen Unterbringung nur dann in Betracht, wenn eine akute erhebliche Fremd- oder Selbstgefährdung des Patienten vorliegt.
Im Gegensatz dazu kann eine Unterbringung im betreuungsrechtlichen Kontext bereits bei einer Erkrankung erfolgen, aufgrund derer die Gefahr eines befürchteten erheblichen gesundheitlichen Schadens anzunehmen ist. Die Gefahr muss dabei jedoch nicht gegenwärtig sein.
Dem Heilpraktiker für Psychotherapie könnte die gesetzliche Neuregelung im Betreuungsrecht z. B. dann von Nutzen sein, wenn ein Patient an einer Krankheit leidet, durch welche die Gefahr eines befürchteten erheblichen gesundheitlichen Schadens angenommen wird, eine öffentlich-rechtliche Unterbringung mangels akuter Selbst- oder Fremdgefährdung allerdings nicht in Betracht kommt.
Ein Beispiel dafür könnte eine Patientin mit Anorexia nervosa sein. In einem solchen Fall könnte der Heilpraktiker für Psychotherapie nun, wie bisher auch, beim zuständigen Amtsgericht eine Betreuung anregen.
Zudem kann er aber zugleich auch auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Betreuerbestellung und auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Unterbringung und Einwilligung in die zwangsweise ärztliche Behandlung hinweisen. Im Fall der an Anorexia nervosa erkrankten Patientin im oben genannten Beispiel könnte bei Vorliegen der einzelnen Voraussetzungen dann z. B. eine betreuungsrechtliche Unterbringung sowie als ärztliche Zwangsmaßnahme eine Zwangsernährung angeordnet werden.
In akuten Notfällen kommt allerdings nach wie vor eine öffentlich-rechtliche Unterbringung in Betracht. Der Anwendungsbereich der gesetzlichen Neuregelung im Betreuungsrecht dürfte für den Heilpraktiker für Psychotherapie daher eher gering sein.
Zwar enthalten manche Ländergesetze Regelungen zur Zulässigkeit von ärztlichen Zwangsbehandlungen im Rahmen der öffentlich- rechtlichen Unterbringung, allerdings dürften diese landesrechtlichen Regelungen wegen der aktuellen BVerfGRechtsprechung inzwischen verfassungswidrig sein. Das heißt, die Länder müssen ihre Gesetze dringend an die Vorgaben der neuen Rechtsprechung anpassen.
D. Fazit
Die Neuregelung bringt einen erheblichen Zugewinn an Rechtssicherheit und Transparenz für alle Beteiligten mit sich. Insbesondere wird die Selbstbestimmung des betreuten Patienten durch die strengen Anforderungen deutlich gestärkt.
Zu beachten ist, dass eine Regelung im Hinblick auf ambulante Zwangsbehandlungen (insbesondere bezüglich der Zwangsmedikation) vom Gesetzgeber ausdrücklich nicht vorgenommen wurde. Eine zwangsweise ärztliche Maßnahme ist explizit nur im Rahmen einer Unterbringung zulässig (BT-Drs. 17/11513, S. 1). Es könne nämlich nicht verantwortet werden, dass Patienten, die durch eine ärztliche Zwangsbehandlung möglicherweise traumatisiert sind, ohne weitere Betreuung entlassen werden. Dem ist meines Erachtens durchaus zuzustimmen.
Dennoch ist ebenso zu bedenken, dass die Voraussetzung der geschlossenen Unterbringung für jede ärztliche Zwangsmaßnahme im Rahmen des Betreuungsrechts eine sehr hohe Hürde bedeutet, was somit durchaus auch das Risiko beinhaltet, dass zwangsweise ärztliche Behandlungen trotz nicht bestehender Unterbringung vorgenommen werden könnten (z. B. in Alten- und Pflegeheimen).
Die Neuregelung selbst ist insgesamt jedoch als durchaus positiv zu bewerten, da es in einem so sensiblen Lebensbereich rechtsstaatlich überaus wünschenswert ist, zu einem sachgerechten Ausgleich zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Betreuten und dessen krankheitsbedingter Schutzbedürftigkeit zu finden.
Sandra Bolz
Heilpraktikerin für Psychotherapie, Rechtsanwältin und Berufsbetreuerin
Praxis für Betreuungen, Bad Homburg