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Trauma und Traumafolgen

2013-03-Trauma1

In den 1970 bis 1990-er Jahren galt bei vielen Therapeuten in Deutschland ein Trauma noch als unheilbar. Diese Meinung haben viele Therapeuten bis heute korrigiert und so gibt es aktuell verschiedene Ansätze zur Traumatherapie, die in den letzten Jahrzehnten entwickelt und vielfach wissenschaftlich auf deren Wirksamkeit hin überprüft worden sind.

Was ist ein Trauma?

fotolia©ollirgDas große Erdbeben in Japan, der Tsunami in Thailand, das Zugunglück von Eschede, Amokläufe an Schulen, das Erleben von Gewalt, Unfällen, notwendigen medizinischen Eingriffen. Diese Situationen haben gemeinsam, dass sie alle potenziell traumatisch sind. Ob eine einzelne Situation traumatisch erlebt wird, ist subjektiv. Nicht die Katastrophe an sich, die sich objektiv von außen darstellt, entscheidet darüber, ob eine Situation traumatisch ist oder nicht, sondern das eigene innere Erleben.

„Bei einem traumatischen Ereignis beinhaltet also nicht das Ereignis das Trauma, sondern dessen traumatisches Erleben.”

G. Fischer und P. Riedesser, Vertreter des MPTT, Mehrdimensionale Psychodynamische Traumatherapie, schreiben über ein Trauma: Ein psychisches Trauma ist „... ein vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbstund Weltverständnis bewirkt“. (Fischer & Riedesser, 1999)

Luise Reddemann, Entwicklerin der PITT, Psychodynamisch imaginative Traumatherapie, schreibt: „Unter einem Trauma können wir eine Situation verstehen, in der ein Mensch vollkommen hilflos, vollkommen ohnmächtig einem Geschehen ausgeliefert ist, das er nicht beeinflussen kann.“ (Luise Reddemann, 1999)

Dr. Peter Levine, Entwickler des SE-Models, Somatic Experiencing, schreibt über Trauma indem er zu Beginn einen Blick in das Tierreich geworfen hat: „Schauen wir uns in der Tierwelt um, finden wir einen Mechanismus, der bei Tier und Mensch gleich funktioniert. Der Reaktionsmechanismus des Kämpfens, Flüchtens und Erstarrens. Jagt ein Löwe eine Antilope, wird die Antilope, weil sie ein Fluchttier ist, vor dem Löwen flüchten. Missglückt die Flucht und der Löwe reißt die Antilope, setzt bei ihr ein weiterer instinktgesteuerter Mechanismus ein, das Erstarren. Das Einfrieren hat zwei Gründe. Zum einen ist dieser Mechanismus von der Natur so angelegt, dass die Antilope im Angesicht des Todes keine Schmerzen verspürt, zum anderen lässt der Jäger oft von seiner Beute ab, da diese wie erledigt wirkt. Diesen Moment kann die Antilope zur Flucht nutzen und dafür wird die erstarrte Energie eingesetzt.“ Traumasymptome entstehen/ bilden sich nach den Forschungen und Erkenntnissen von Dr. Peter Levine, wenn Menschen sich aus dieser Erstarrung nicht vollständig lösen können oder der Prozess des Auftauens aus verschiedenen Gründen unterbrochen wird.

„Die Frage stellt sich nun, welche Erfahrungen innerhalb oder außerhalb des Spektrums der menschlichen Erfahrung liegen, die traumatisierend sind? Unfälle, Krankheiten, und chirurgische Eingriffe, die unbewusst als bedrohlich erlebt werden, sind alltäglich, dennoch wirken sie häufig traumatisierend. Schießereien und Vergewaltigungen passieren täglich, sind jedoch potenziell immer traumatisierend.“ (Dr. Peter Levine, 1998)

Oft denken diejenigen, die unter Traumasymptomen leiden, dass sie bald verrückt werden. Traumatisierte Menschen werden nicht verrückt, sondern reagieren normal auf ein für sie „verrücktes Erlebnis“ und befinden sich in einem für sie unbekannten Ausnahmezustand.

Versetzt man sich in die Situation von jemandem, der unter Traumasymptomen leidet, wird schnell verständlich, wieso das so ist. Durch die Erinnerungsblitze/Flashbacks wird der Mensch permanent in einen Stresszustand gebracht. Dieser wird durch Schlafmangel, Alpträume, tägliche Auslöser, die an das Trauma erinnern, weiter aufrechterhalten und oft verstärkt.

Auf der sozialen Ebene entstehen häufig Missverständnisse und Unverständnis, weil die engsten Angehörigen, Familie, Freunde, nicht wissen, wie sie helfen können, oder auch das veränderte Verhalten nicht verstehen können. Häufig berichten traumatisierte Menschen auch davon, das im Verlauf der anhaltenden Symptome verschiedene soziale Kontakte nicht mehr aufrechterhalten werden konnten oder sehr stark eingeschränkt worden sind.

Mögliche psychische Erkrankungen nach einem Trauma

Nach einem traumatischen Erlebnis können sich Traumafolgen in Form einer akuten Belastungsreaktion, einer Anpassungsstörung, einer Posttraumatischen Belastungsstörung und in Extrembelastungen, z. B. nach Folter, als eine andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung einstellen (aktuelle Klassifikation nach ICD-10).

Die Posttraumatische Belastungsstörung, abgekürzt PTBS, im Überblick

Als die 5 Hauptkriterien gelten

  1. Ereignis eines Traumas
    Als Traumen werden im ICD-10 kurz oder lang anhaltende Ereignisse oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophalem Ausmaß, die nahezu bei jedem tief greifende Verzweiflung auslösen würde definiert.

  2. Intrusionen
    – Intrusionen
    – belastende Träume bzw. Alpträume
    – Nachhallerlebnisse
    – Belastung durch Auslöser
    – Flashbacks
    – Erinnerung

  3. Vermeidungsverhalten und allgemeiner emotionaler Taubheitszustand
    – Gedanken- und Gefühlsvermeidung
    – Aktivitäts- oder Situationsvermeidung
       (Teil-)Amnesie
    – Interessenverminderung
    – Entfremdungsgefühl
    – eingeschränkter Affektspielraum
    – eingeschränkte Zukunft

  4. anhaltendes physiologisches Hyperarousal (= Übererregung)
    – Ein- und Durchschlafschwierigkeiten
    – erhöhte Reizbarkeit
    – Konzentrationsschwierigkeiten
    – Hypervigilanz
    – übermäßige Schreckreaktion

  5. die Symptome dauern > einen Monat
    (nach Maercker, A., 2003)

Interessant sind auch die Erkenntnisse australischer Forscher, die herausgefunden haben, dass Menschen, die an einer Posttraumatischen Belastungsstörung leiden, 26 Mal mehr die Wahrscheinlichkeit mitbringen, dass sie affektive Störungen, also vor allen Dingen Depressionen, entwickeln, 37 Mal mehr die Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie eine Angststörung entwickelt und 28 Mal mehr die Wahrscheinlichkeit, eine Panikstörung zu entwickeln. Schließlich, dass es 6,5 Mal wahrscheinlicher ist, dass sie an einer Alkoholabhängigkeit leiden (Henderson et al. 2000). Dies lässt die Vermutung zu, dass vielfach Menschen, die mit obengenannten Störungsbildern einen Therapeuten aufsuchen, auch an einer Traumafolgestörung leiden könnten.

Literatur

  • Gottfried Fischer, Peter Riedesser (1999): Lehrbuch der Psychotraumatologie, Ernst Reinhardt Verlag, S. 19–57, 351
  • Henderson, S., Andrews, G., Hall, W. (2000): Australias mental health, an overview of the general population survey. Aus NZJ Psychatry 2000, S. 34, 197–205
  • Van der Kolk, B., McFarlane, A. C., Weisaeth, L. (2000): Traumatic Stress, Grundlagen und Behandlungsansätze, Junfermann Verlag
  • Peter A. Levine (1998): Trauma-Heilung, Synthesis Verlag, S. 11–31, 59 ff.
  • Peter A. Levine (2007): Vom Trauma befreien. Wie Sie seelische und körperliche Blockaden lösen, Kösel Verlag
  • Peter A. Levine (2011): Sprache ohne Worte. Wie unser Körper Trauma verarbeitet und uns in die innere Balance zurückführt, Kösel-Verlag
  • Maercker, A. (2003): Erscheinungsbild, Erklärungsansätze und Therapieforschung. In A. Maercker, Therapie der posttraumatischen Belastungstörungen, Springer Verlag
  • Luise Reddemann (2001): Imagination als heilsame Kraft, Klett-Cotta Verlag, S. 17 ff.
  • Luise Reddemann (2004): Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie, Klett-Cotta Verlag, S. 13 ff.
  • Luise Reddemann, Andreas Krüger (2010): PITT-KID – Das Manual, Klett-Cotta Verlag
  • Francine Shapiro (2012): EMDR, Grundlagen und Praxis, Junfermann Verlag

Natalie Au Natalie Au
Heilpraktikerin für Psychotherapie, EMDR-Therapeutin (VDH/DGMT), NLP Master- Business (DVNLP), Supervision im Bereich Traumatherapie und EMDR, eingesetzt in Therapie und Coaching
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