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Trialogischer Tag: Borderline-Persönlichkeitsstörung

2017 04 Trialog2Zwischen Ablehnung und Sensationsgier Duisburg, 3. November 2017. Die Tagung stand unter dem provokanten Motto „Borderline zerstört Familien – aufgrund fehlender Unterstützung und Hilfe!?“ Organisiert wurde die Veranstaltung von der kürzlich durch die Novitas BKK für ihr Engagement geehrte Heilpraktikerin für Psychotherapie, Sabine Thiel. Unter den Gästen waren Betroffene, Angehörige von Betroffenen und Behandler.

Fünf Programmpunkte, die zum Teil erschütternde Erkenntnisse über die Konsequenzen von Hilfeverweigerung oder Unkenntnis über Hilfsangebote hervorbrachten, gaben Zeugnis von einem immensen Handlungsbedarf, fehlenden Strukturen und Behördenversagen. Was bleibt, ist die Selbstorganisation. Netzwerkarbeit kann als stabile Lanze für einen Vorstoß in ein bestehendes Vakuum genutzt werden.

Fotos©Patrick KautBorderline – wie fühlt sich das an?

Damit sich ein nicht betroffener Mensch eine ungefähre Vorstellung davon machen kann, was es bedeutet, schon kurz nach dem Aufwachen einen erhöhten Stresspegel zu haben, haben die Organisatorin und an Borderline-Persöhnlichkeitsstörung (BPS) erkrankte Menschen einen Borderline-Parcours errichtet, den zu durchschreiten jeder Gast eingeladen war. Aufgebaut war ein schwarzes Plastikzelt, in dem sich kaum sichtbare taktile Reize befanden, die einen unvorhergesehen berührten. Stroboskoplampen hämmerten dem Besucher Blitzlichtgewitter auf die Netzhaut, Martinshörner und Presslufthämmer lärmten ein abscheuliches Duett, quer gespannte Gummibänder verhinderten, einen einmal gewählten Weg zu gehen. Ein mühsames Vorantasten wurde zudem noch von Dutzenden auf dem Boden liegender Luftballons erschwert.

Wer da die Nerven verliert und mit noch lauterem Getöse auf einen Ballon tritt, erhöht den eigenen Stresspegel um ein Vielfaches. Man möchte einfach nur weg, aber die Hinterwand des Zeltes, die den leichten Ausgang hätte bedeuten können, ließ sich nur nach einigem Widerstand beiseiteziehen. Wenn das die tägliche Wahrnehmungsrealität des Borderliners ist, kann man sich vorstellen, dass es zum Verlust der Impulskontrolle nur noch ein kleiner Schritt ist.

Was kann passieren, wenn Hilfe ausbleibt?

Fotos©Patrick KautDa sind junge Menschen, Frauen zumeist, die nicht wissen, was mit ihnen los ist. Sie spüren lediglich, dass etwas nicht stimmt. Sie leben in Extremen um der Selbstwahrnehmung willen, rasen, toben, verletzen sich womöglich selbst. Wenn sie schon nicht mit sich selbst klarkommen, wie soll das erst den Angehörigen gelingen?

Zwei Mütter, denen es so erging, schilderten in sehr emotionalen Erfahrungsberichten den Verlust ihrer Töchter. Eine Tochter starb durch Suizid, leider keine Seltenheit. Die andere geriet in die Hände eines Schulpsychologen, der sie so manipulierte, dass sie vermeintlich nur Halt, Wertschätzung und Akzeptanz bei ihm zu finden glaubte. Der Kontakt zu den Eltern wurde abgebrochen, der Name ist aus dem Internet gelöscht, keine sozialen Netzwerke mehr, dafür aber eine Kontonummer, auf die die Eltern die Behandlungskosten zu überweisen hatten.

Wenn eine rechtzeitige Diagnostik mit anschließender Behandlung hätte erfolgen können, wäre die tragische Entwicklung der beiden jungen Frauen unter diesen Umständen wohl abzuwenden gewesen. Was zurückbleibt, ist ein verwaistes Elternpaar und eines, das noch immer mit der Hoffnung lebt, eines Tages könnte das Telefon klingeln.

Welche offiziellen Stellen bieten Hilfe?

Nach den eindrucksvollen Schilderungen der mutigen Mütter wurde während einer Podiumsdiskussion über Hilfsmöglichkeiten, aber auch Behördenversagen diskutiert. Vertreter des Jugendamts Duisburg, der Familienhilfe, eines Trägers für ambulant betreutes Wohnen und ein Vertreter der Beschwerdestelle für psychiatrieerfahrene Menschen legten dar, dass es sehr wohl Anlaufstellen für Betroffene und deren Angehörige gibt.

Das Erstaunliche war, dass nur ein geringer Teil der anwesenden Betroffenen hierüber umfassend informiert war. Auch darüber, dass Rechtsmittel eingelegt werden können, wenn ein Antrag auf Hilfsleistungen abgelehnt wird, dass man Beschwerde einlegen kann, wenn aufgrund der psychischen Erkrankung ein Betroffener diskriminiert wird.

Auch hier kamen Betroffene zu Wort und berichteten von Behördenwillkür und massiven Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte. Zwei Beispiele sollen verdeutlichen, in welch eklatanter Weise Menschen mit BPS behördlichen Übergriffen ausgesetzt sein können:

Eine junge Frau auf Jobsuche sprach von ihren Erlebnissen bei der Arbeitsagentur. Sie wurde grob abgewiesen. Mit einer Borderline-Erkrankung sei sie nicht vermittelbar, weil sie ja noch nicht einmal ihr eigenes Leben auf die Kette kriegen würde. Das würde kein Arbeitgeber mitmachen.

Eine andere Frau berichtete unter Tränen, dass ihr als werdender Mutter in den Wehen im Kreißsaal mitgeteilt wurde, sie könne es vergessen, wenn sie glauben würde, dass sie mit ihrem Kind nach Hause gehen könne. Sie würde es noch nicht einmal zu Gesicht bekommen, wenn es geboren sei. Es würde sofort in Obhut gegeben. Sie hätte schließlich Borderline und eine Gefährdung des Kindeswohls sei daher absehbar.

Stigma, Vorurteile („das sind doch die, die sich ritzen“) und weitreichende Ausgrenzung scheinen immer noch mehr Regel als Ausnahme. Auch wenn die sehr kompetenten Mitarbeiter des Jugendamts und der Familienhilfe Duisburg hier auf die Unrechtmäßigkeit der Ereignisse hinter den Schilderungen verwiesen, so blieb doch ein Stück weit Ratlosigkeit, wie es denn überhaupt zu so etwas kommen kann.

Ergebnis der Diskussion war, dass niedrigschwelligere Hilfsangebote geschaffen werden müssen und es erforderlich ist, die Öffentlichkeitsarbeit zu intensivieren.

Was nützt es schließlich, wenn jemand Unterstützung haben kann, aber davon keine Ahnung hat? Was nützt es, wenn jemand davon weiß, aber eine zu große Schwellenangst vor dem Betreten von Ämtern hat, ganz zu schweigen davon, wenn eine komorbide Depression Betroffene daran hindert, Behördengänge auf sich zu nehmen? Strukturen könnten angepasst werden, Informationen müssten einfacher zu beschaffen sein und schlussendlich muss Behördenmitarbeitern klargemacht werden, dass man Menschen mit einer BPS nicht nach Belieben herumschubsen kann.

Wie helfen Ärzte?

Der Initiatorin der Veranstaltung war es gelungen, die hoch kompetente Expertin für die Borderline-Störung, Dr. Nathalie Kirstein, für einen Vortrag zum Thema zu gewinnen. Die wesentlichen Punkte, über die sie komprimiert und informativ referierte, waren: Symptomatik, Diagnostik und Therapie.

Ein deutlich hervorgehobenes Anliegen der Psychiaterin war die vehemente Forderung nach einer verantwortungsvollen und gründlichen Diagnostik: „Eine Diagnose nach zehn Minuten zwischen Tür und Angel zu stellen, das geht gar nicht!“ Differenzialdiagnostisch können schließ- lich noch andere Krankheitsbilder vorliegen, wie z. B. die bipolare Störung. Auch ADHS könne in Betracht kommen. Das gelte es sorgfältig abzuklären, um eine gesicherte Diagnose stellen zu können. Allzu häufig jedoch wird jemand mit dem Stempel „Borderline“ versehen, ohne dass das tatsächlich zutrifft.

Was Anlass zur Hoffnung für effektive Hilfe gibt, ist die Weiterentwicklung von bereits bewährten Psychotherapiemethoden. So kann Tiefenpsychologie hilfreich eingesetzt werden, aber auch und vor allem die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT), die Ressourcenbasierte Psychodynamische Therapie (RPT) und die Übertragungsfokussierte Psychotherapie (TransferenceFocused Psychotherapy, TFP). Diese sowie achtsamkeitsbasiertes Vorgehen bieten eine inzwischen sehr große Bandbreite an Behandlungsmöglichkeiten.

Wichtig war, hervorzuheben, dass die Erkrankung als solche nicht mit Medikamenten zu behandeln ist. Ausschließlich bei vorhandener Symptomatik wie Depression kann eine Pharmakotherapie sinnvoll sein. Gegen die Borderline-Symptomatik hilft ausschließlich Psychotherapie.

Was sagen die Betroffenen?

Zum Abschluss berichteten einige Betroffene und auch die Ehefrau eines Betroffenen über das Leben mit BPS. Das waren mutige Aussagen, wenn man bedenkt, dass sie doch eigentlich lieber nicht im Fokus der Aufmerksamkeit stehen möchten.

Dabei ging es um Selbstwahrnehmung und auch Selbstverletzung. Es wurde berichtet, wie das soziale Umfeld reagiert und wie Strategien für die Alltagsbewältigung aussehen können. Und es wurde deutlich, wie dankbar Hilfsangebote aufgegriffen werden.

Die von Sabine Thiel ins Leben gerufene Selbsthilfegruppe (auch für Angehörige) sowie das von der Novitas BKK getragene Projekt „Ich höre Dir zu“ sind Beispiele für Anlaufstellen mit niedrigem Schwellenwert. Und genau hier gilt es, weiterzumachen, sich zu vernetzen und auszutauschen.

Die Aussage, die in der Ausbildung von Psychotherapeuten herumgeistert: „Wenn Sie in Ihrer beruflichen Laufbahn mehr als drei Borderliner therapieren, gehen Sie vor die Hunde!“, muss dringend widerlegt werden. Sie stimmt einfach nicht! Borderliner sind keine Aliens (auch wenn ihr soziales Umfeld ihnen häufig dieses Gefühl vermittelt), sie sind Menschen.

Weitere Informationen im BorderlineNetzwerk: www.bonetz.de

Heidi KolboskeHeidi Kolboske
Heilpraktikerin für Psychotherapie

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