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Unsichtbares Leid: wahrnehmbar – sichtbar – behandelbar

2017 04 Leid1Es ist nichts zu sehen, aber zu spüren. Es ist nicht leicht, die passenden Worte zu finden. Hilfe zu suchen, sich Zeit zu nehmen, zu sich zu kommen, anzukommen.

Das unsichtbare Leid zu erkennen und ernst zu nehmen, ist mir als Heilpraktikerin für Psychotherapie mit Weiterbildung in psychoanalytischer Kunsttherapie eine Herzensangelegenheit.

Ein Patient sagte einmal zu mir, er hätte lieber ein gebrochenes Bein, das jeder sieht und Rücksicht nehmen kann. In seiner Seele wäre auch etwas gebrochen, jedoch sähe es keiner und sein ganzes Umfeld lebte einfach weiter, wie immer. Ihm war jedoch danach, Hilfe und eine Auszeit zu bekommen, bis der Bruch wieder geheilt wäre. Er ist selbst auf die Suche gegangen. Mit seiner gebrochenen Seele hat er sich auf den Weg gemacht. Dieser Schritt war für ihn heilsam.

Ich selbst absolvierte zunächst die Weiterbildung in psychoanalytischer Kunsttherapie. Wichtig war der Ausdruck über das eigene Schaffen und das Gefühl dafür zu entwickeln, wie die unterschiedlichen Materialien und Farben sich dabei auswirken. In dieser Methode ist Platz für harte Blei- und Buntstifte, weiche, flüssige Acrylfarben, wässrige Tusche und vieles mehr.

Erlaubt ist, was guttut. Malen mit Pinsel, mit quietschigem Filzer, mit den Fingern und, und, und. Es gibt Leinwände, die bleiben leer, und es gibt welche, die mit Farbe „zu“ sind und noch mehrmals übermalt werden. Manche Hintergründe gehen dabei kaputt. Bilder können gedreht und gewendet, auf den Kopf gestellt werden, Bilder können alleine oder in Gruppen gemalt werden, sie können Trost spenden oder in der Luft zerrissen werden. Sie zeigen etwas vom Inneren, so wie unsere Träume.

Viele Bilder sind auf Papier und auf Leinwänden zustande gekommen, andere entstehen einfach in Gedanken. Für mich hat sich hieraus eine Methode entwickelt, die für mich sehr wertvoll geworden ist: Bei mir entwickelt sich beim Hören einer (Lebens-)Geschichte ein Bild. Durch die Wortwahl, Mimik, Gestik, Tonlage und die Geschichte selbst wird das Bild in mir hervorgerufen. Ich finde auf diesem Weg einen Zugang zu der Gefühlswelt des Patienten.

Mit diesem inneren Bild habe ich neben der Übertragung und Gegenübertragung ein weiteres „Werkzeug“ in der Hand, mit dem ich die Geschichte und die Gefühle des Patienten aufgreifen und zu gegebener Zeit in Worten wiedergeben kann. Solange ich den Eindruck habe, dass der richtige Zeitpunkt noch nicht gekommen ist, um die Gefühle oder Bilder zu spiegeln, kann ich das Bild für mich behalten und in einem geschützten Raum aufnehmen – genauso wie ein wirklich gemaltes Bild, das der Patient nicht mit nach Hause nehmen möchte.

Ähnlich wie in der Achtsamkeit ist es hilfreich, die Gefühle, durch die ein inneres Bild entsteht, zu begreifen und zu benennen, um durch die Verbalisierung einen gewissen Abstand zu einer schwer erträglichen Gefühlswelt entstehen zu lassen.

Klienten kommen zuweilen mit einem unklaren Anliegen. Es geht ihnen nicht gut, die Ursache ist nicht ganz eindeutig.

Sie tragen manchmal ein Anliegen vor, das letztendlich nicht die einzige oder hauptsächliche Ursache für ihr Unwohlsein ist. Innere oder tatsächlich gemalte Bilder zeigen den Weg zu dem wirklichen Gefühl und können es erleichtern, den Klienten wirklich zu verstehen. Sie entlasten den Klienten insoweit, dass sein Leid sicht- und wahrnehmbar wird.

Nach der Traumtheorie von Sigmund Freud ist der Traum auch der Königsweg in das Unbewusste: Für mich hat ein Bild oder ein inneres Bild auch die Bedeutung eines Zugangs zur Seele oder zur Gefühlswelt.

Bei dem einen ist in der Seele etwas gebrochen, bei dem anderen befindet sich in der Seele eine Art Loch, ein weiterer trägt Ballast in der Seele mit sich herum, der viel zu schwer ist. Haben wir ein Bild von unserer Seele? Vielleicht bruchteilhaft, wenn wir etwas geträumt haben. Dann sehen wir den Traum vor uns, vielleicht für ein paar Tage.

Ich versuche, mit dem Patienten zusammen geduldig seinen „Beinbruch“ zu heilen und auf seinen langsamen, hinkenden Schritt Rücksicht zu nehmen, bis er wieder laufen kann. Oder ich probiere, dem Patienten Material zu reichen, von dem er sich das beste aussuchen kann, um sein „Loch“ zu füllen.

Mein Anliegen ist es, dem Unsichtbaren einen Raum zu geben. Wie sieht es in ihm aus, welche Farben mag der Patient, welche nicht, wie bewältigt er mit einem belastenden Innenleben den Alltag? Schlängelt er sich so durch und versucht er immer wieder, stabil zu werden? Es kann auch ein Ziel sein, mal wieder richtig viel festen Boden unter die Füße zu kriegen, im Überfluss.

Wenn ich den Patienten als Ganzes – sein Innenleben und sein Äußeres – sehe, kann ich gut einschätzen, wozu er bereit ist. Hat er eher das Gefühl, Ballast abwerfen oder eher das Gefühl, ein Loch füllen zu müssen? Was braucht der Patient wirklich, was nährt ihn und was fehlt ihm?

Es geht auch darum, das Ganze im Auge zu behalten und das Ganzsein anzustreben, sodass der Patient z. B. Defizite erspüren und das Maß erkennen kann, ab dem ihm einfach alles zu viel wird.

Die Aussage des Bildes kann auf das reale Leben übertragen werden und durch die vorsichtige Aufarbeitung der Themen und durch langsam einsetzende Veränderungen kann im Alltag mehr Zufriedenheit, Freude und Kraft erreicht werden.

Von Zeit zu Zeit kann das Bild aufgefrischt werden. Festgefahrene Strukturen und Ansichten können revidiert und liebevoll und aktiv neu gestaltet werden.

Wenn es doch zu Beginn der Therapie oft guttut, dass der Therapeut das Bild für sich behält und aufbewahrt, kann es zum Ende der Therapie ein wunderbares Gefühl geben, das Bild mit nach Hause und mit auf den weiteren Weg zu nehmen. Ein Sprungbrett in den nächsten Lebensabschnitt, den der Patient alleine weiterbestreitet.

Auch, wenn die Bilder die Therapie nur begleiten und nicht unbedingt im Mittelpunkt stehen, bin ich immer wieder dankbar für diese, wenn sie mich in der therapeutischen Arbeit und vor allem den Patienten auf den Weg bringen. Die Bilder fühlen sich so lebendig an und sind stets im Wandel. Das Schöne an den hilfreichen, inneren Vorstellungen ist, dass sie immer da sind. Sie sind überall abrufbar, so wie die Methode der Achtsamkeit.

Zur Veranschaulichung meiner Methode habe ich eine Serie von inneren Bildern erstellt

2017 04 Leid3Bild 1 Ein Patient schilderte eine verzwickte Situation in seiner Patchworkfamilie. Die Verbindung zwischen ihm und seiner Frau ist durch kleine ovale Kreise sichtbar. Er war relativ fixiert auf sie und hat den Zugang zu anderen Lebensinhalten und Freuden weitgehend verloren. Seine Frau wirkte auf ihn wie „besetzt“ durch ihre Tochter (großes Oval ganz links im Bild), die sehr dominant und laut war. Der Patient hatte Angst, dass die Beziehung in die Brüche gehen, und dass er am Ende den Kürzeren ziehen würde. Er bezeichnete sich selbst nicht als eifersüchtigen Menschen. Er steht mitten im Leben, ist recht selbstbewusst und lässt sich so schnell durch nichts aus der Ruhe bringen. In dieser Konstellation konnte er sich von einer „rasenden Eifersucht“ jedoch nicht freisprechen.

In der Kunsttherapie kann hier angesetzt werden, indem man dem Patienten z. B. vorschlägt, den Symbolen Farben zu geben oder noch eine Umgebung (Flüsse, Brü- cken, Bäume …) hinzuzumalen. An dieser Stelle möchte ich jedoch bei dem inneren symbolhaften Bild bleiben.

In der weiteren Entwicklung habe ich dem Patienten vorgeschlagen, sich die einzelnen Komponenten (des Bildes) separat voneinander anzuschauen, und er fing bei sich selbst an. Er griff die Verbindung zu seiner Frau auf und sagte: Er würde sich seine Liebe gerne erst einmal wieder zurücknehmen, da er sie zunächst für sich selbst bräuchte.

2017 04 Leid4Dann entstand bei mir das Bild 2, auf dem zu sehen ist, dass ihn die Liebe, die er für sich beanspruchte, umhüllte und schützte. Auf mich wirkte es, als würde sie ihn auch wärmen und als würde er von seinen negativen, schwer auszuhaltenden Gefühlen Abstand gewinnen. Der Patient erlangte ein Stück seiner Lebendigkeit zurück. Er atmete auf und ich symbolisierte dieses mit den angedeuteten Wegen, die ihm den Zugang zur Freiheit (Wolken) verschaffen.

2017 04 Leid5Er hielt inne, fand zu sich zurück, wieder einen besseren Zugang zu seinen eigenen Gefühlen. Im geschützten Raum der Therapie erinnerte er sich, dass er sich in seiner Kinderzeit auch zurückgesetzt gefühlt hat. Mir erschien hier das Bild 3 von einem großen Körper, der zeigt, dass sich der Patient nun selbst wieder wichtig nimmt. Die Gedankenblase verdeutlicht, dass er sich daran erinnerte, wie klein und am Rand er (dunkler Punkt) sich in jungen Jahren gefühlt hat.

Die aktuelle Familienkonstellation hatte seine unbewussten Gefühle von früher reaktiviert. Der Patient arbeitet nun seine Gefühle auf und es wird ihm bewusst, dass er jetzt, im Gegensatz zu damals, Möglichkeiten hat, selbst mitzugestalten.

Die Mitgestaltung kann in der Kunsttherapie erst einmal auf dem Papier stattfinden. Die Formen können neu gestaltet werden, die Größenverhältnisse können angepasst und neu gefärbt werden. So kann zuallererst vorsichtig ausprobiert werden, wie sich Veränderungen anfühlen. Wenn sich der Patient mit den Veränderungen, die er in den Bildern vornimmt, wohlfühlt, können diese auch in der Realität gewagt werden, mit einem zuversichtlichen Gefühl.

Susanne KrügerSusanne Krüger
Heilpraktikerin für Psychotherapie,
psychoanalytische Kunsttherapeutin
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